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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine GmbH, die mit Vertrag vom 18.8.1997
rückwirkend auf den 1.1.1997 notariell gegründet wurde.
Sie ist durch Ausgliederung des vom Abwasserzweckverband
„G“ (Abwasserzweckverband) betriebenen
Abwasserentsorgungsbetriebes entstanden. Unternehmensgegenstand der
Klägerin ist u.a. die Entsorgung von Abwasser sowie die
Errichtung, der Erwerb, die Erweiterung und der Betrieb der diesem
Zweck dienenden Anlagen.
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Im Jahr 2000 reichte die Klägerin ihre
Umsatzsteuererklärung für 1998 ein. Von den darin geltend
gemachten Vorsteuerbeträgen bezog sich ein Teil auf
Werkverträge, die der Abwasserzweckverband mit verschiedenen
Bauunternehmen für die Durchführung von
Baumaßnahmen an einem Klärwerk geschlossen hatte. Die
Klägerin war nach der Ausgliederung in diese Verträge
eingetreten. Der Abwasserzweckverband hatte im Rahmen dieser
Werkverträge auf ihn als Leistungsempfänger ausgestellte
Abschlagsrechnungen erhalten und diese beglichen. Die in den
Rechnungsbeträgen enthaltene Umsatzsteuer hatte er mangels
Unternehmereigenschaft nicht als Vorsteuer geltend gemacht. Die
Abnahme der Werkleistungen fand im Jahr 1998 statt. Die
Klägerin machte sowohl die in der Schlussrechnung ausgewiesene
Umsatzsteuer als auch die Umsatzsteuer aus an den
Abwasserzweckverband gerichteten und von ihm bezahlten
Abschlagsrechnungen aus den Jahren 1995, 1996 und 1997 als
Vorsteuer in der Umsatzsteuerjahreserklärung 1998
geltend.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) führte in den Jahren 2002 und 2003 bei der
Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Dabei vertrat der
Prüfer die Auffassung, dass die Klägerin hinsichtlich der
an den Abwasserzweckverband adressierten Abschlagsrechnungen weder
als „Gesamtrechtsnachfolgerin“ noch aus eigenem Recht
einen Anspruch auf Vorsteuerabzug habe. Das FA folgte den
Feststellungen der Betriebsprüfung und änderte mit
Bescheid vom 20.4.2004 die Umsatzsteuerfestsetzung 1998
entsprechend. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne
Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
und führte im Wesentlichen aus:
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Die Klägerin habe einen Anspruch auf
Vorsteuerabzug aus den streitgegenständlichen Rechnungen
gemäß § 15 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1993
(UStG). Durch die Gesamtrechtsnachfolge sei eine Änderung der
für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse
eingetreten. Dies führe zur entsprechenden Anwendung des
§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, der nach Sinn und Zweck nicht nur
Änderungen der Verwendungsverhältnisse erfasse, sondern
sämtliche Änderungen der Verhältnisse, die für
den Vorsteuerabzug maßgebend seien (Urteile des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.6.2004 V R 31/02, BFHE 205, 549,
BStBl II 2004, 858 = SIS 04 33 38, und vom 16.5.2002 V R 56/00,
BFHE 199, 37, BStBl II 2006, 725 = SIS 02 84 85; BFH-Beschluss vom
12.5.2003 V B 211/02, BFHE 202, 88, BStBl II 2003, 784 = SIS 03 31 90).
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§ 15a Abs. 1 Satz 1 UStG sei nach Sinn
und Zweck auf den vorliegenden Fall der Lieferung an eine
Unternehmerin, die als Gesamtrechtsnachfolgerin aus einem
Nichtunternehmer hervorgegangen sei, der bereits Zahlungen vor der
Leistung erbracht habe, entsprechend anzuwenden.
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Das Urteil ist in EFG 2009, 445 = SIS 09 07 49 veröffentlicht.
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Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe zu Unrecht im Streitfall
die Berichtigungsvorschrift des § 15a UStG entsprechend
angewendet. Jedenfalls könne der Vorsteuerabzug für den
Fall der Anwendung von § 15a UStG nur „pro rata
temporis“ jährlich mit 1/10 geltend gemacht
werden.
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Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
).
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Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch der
Klägerin auf Vorsteuerabzug aus Abschlagsrechnungen bejaht,
die an den Abwasserzweckverband gerichtet waren und von ihm auch
bezahlt wurden.
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1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG
kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG
gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige
Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen
ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor
Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er nach
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG bereits abziehbar, wenn die
Rechnung vorliegt und die Anzahlung geleistet worden ist.
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Diese Vorschrift korrespondiert mit der
Regelung, wonach die Steuer für vereinnahmte Anzahlungen mit
Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem das Entgelt oder
das Teilentgelt vereinnahmt worden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. a Satz 4 UStG - vgl. BFH-Urteile vom 21.6.2001 V R 68/00,
BFHE 195, 446, BStBl II 2002, 255 = SIS 01 14 15, und vom 11.4.2002
V R 26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317 = SIS 02 08 69). Dies
entspricht auch der unionsrechtlichen Vorgabe in Art. 17 Abs. 1
i.V.m. Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie
77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
(Richtlinie 77/388/EWG).
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a) Da im Streitfall die an den
Abwasserzweckverband gerichteten Rechnungen über die
Anzahlungen nach den den Senat bindenden tatsächlichen
Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) bereits in den Jahren
1995, 1996 und 1997 zugegangen sind und bezahlt wurden, wäre
ein Anspruch auf Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
UStG auch schon in diesen Besteuerungszeiträumen entstanden,
wenn der Abwasserzweckverband Unternehmer i.S. des § 2 UStG
gewesen wäre. Dementsprechend hätten die entsprechenden
Vorsteuerbeträge nach § 16 Abs. 2 UStG auch für
diese Besteuerungszeiträume geltend gemacht werden
müssen. Ein Anspruch auf Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen
erst im Streitjahr 1998 besteht nicht.
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b) Dies steht im Einklang mit dem Unionsrecht
und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
(EuGH).
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Nach Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG wird der Vorsteuerabzug vom Steuerpflichtigen global
vorgenommen, indem er von dem Steuerbetrag, den er in einem
Erklärungszeitraum schuldet, den Betrag der Steuer absetzt,
für die das Abzugsrecht entstanden ist; der Vorsteuerabzug
wird nach Abs. 1 während des gleichen Zeitraums
ausgeübt.
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Der EuGH hat mit Urteil vom 29.4.2004 in der
Rechtssache C-152/02 - Terra Baubedarf - (Slg. 2004, I-5583, BFH/NV
Beilage 2004, 229 = SIS 04 23 36) entschieden, diese Bestimmung sei
für den Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass das
Vorsteuerabzugsrecht für den Erklärungszeitraum
auszuüben ist, in dem die beiden nach dieser Bestimmung
erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind, also die
Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt
wurde und der Steuerpflichtige die Rechnung oder das Dokument
besitzt, das nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten
Kriterien als Rechnung betrachtet werden kann (Rz 34 f. des
Urteils, m.w.N.).
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Bei sinngemäßer Übertragung
dieser Grundsätze auf den Streitfall bedeutet dies, dass das
Recht auf Vorsteuerabzug aus den Rechnungen über die
Abschlagszahlungen in dem Besteuerungszeitraum auszuüben
gewesen wäre, in dem das Recht auf Vorsteuerabzug im Fall der
Unternehmereigenschaft des Abwasserzweckverbandes entstanden
wäre - also mit dem Zugang und der Bezahlung der
Abschlagsrechnungen in den Besteuerungszeiträumen 1995, 1996
und 1997.
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2. Eine Korrektur des Vorsteuerabzugs nach
§ 15a UStG zugunsten der Klägerin im Streitjahr 1998
kommt nicht in Betracht.
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a) Nach § 15a Abs. 1 Sätze 1 und 2
UStG ist der Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn sich bei einem
Wirtschaftsgut oder bei Grundstücken einschließlich
ihrer wesentlichen Bestandteile die Verhältnisse, die im
Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug
maßgebend waren, innerhalb eines bestimmten Zeitraums -
fünf Jahre bei einem Wirtschaftsgut und zehn Jahre bei einem
Grundstück - seit dem Beginn der Verwendung ändern. Die
Bestimmung beruht auf Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG.
Gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG wird der
ursprüngliche Vorsteuerabzug nach den von den Mitgliedstaaten
festgelegten Einzelheiten insbesondere berichtigt, wenn der
Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen
Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war, oder wenn sich die
Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugs
berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung
geändert haben.
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§ 15a UStG erfasst nach der
Rechtsprechung des BFH unter Berücksichtigung von Art. 20 der
Richtlinie 77/388/EWG nicht nur Änderungen der
Verwendungsverhältnisse (vgl. BFH-Urteil vom 11.11.1993 XI R
51/90, BFHE 174, 253, BStBl II 1994, 582 = SIS 94 12 39), sondern
sämtliche Änderungen „der Verhältnisse, die
... für den Vorsteuerabzug maßgebend waren“
(BFH-Urteil in BFHE 205, 549, BStBl II 2004, 858 = SIS 04 33 38,
m.w.N.). Der BFH hat daher entschieden, dass der Wechsel von der
Besteuerung als Kleinunternehmer nach § 19 UStG zur
Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des UStG eine
Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a UStG ist
(BFH-Urteil in BFHE 205, 549, BStBl II 2004, 858 = SIS 04 33 38).
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b) Der Streitfall ist damit nicht
vergleichbar. Die im Wege der Ausgliederung nach § 123 Abs. 3
i.V.m. §§ 168 ff. des Umwandlungsgesetzes gegründete
Klägerin ist zwar Rechtsnachfolgerin des
Abwasserzweckverbandes. Dieser war aber bei Erhalt und Begleichung
der Abschlagsrechnungen kein Unternehmer.
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Die Berichtigung eines unterbliebenen
Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass ein Vorsteuerabzug
ursprünglich möglich gewesen wäre. War der
Vorsteuerabzug unabhängig von der beabsichtigten Verwendung
schon deshalb nicht zulässig, weil der Leistungsempfänger
erst später Unternehmer wurde, ist die Berichtigung sowohl
nach der Rechtsprechung des BFH als auch des EuGH
ausgeschlossen.
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Nach den BFH-Urteilen vom 19.5.1988 V R 115/83
(BFHE 154, 173, BStBl II 1988, 916 = SIS 88 18 27) und vom
11.4.2008 V R 10/07 (BFHE 221, 456, BStBl II 2009, 741 = SIS 08 31 45, unter II.4.) ist die Überführung von
Gegenständen des Privatvermögens oder eines anderen
nichtunternehmerischen Vermögens in den unternehmerischen
Bereich keine Änderung der Verhältnisse i.S. des §
15a UStG.
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Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung
des EuGH, wonach eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die
im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S. von Art. 4 Abs. 5
Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG und infolgedessen als
Nichtsteuerpflichtiger Investitionsgüter erwirbt und diese
später als Steuerpflichtiger veräußert, im Rahmen
des Verkaufs kein Recht auf Berichtigung gemäß Art. 20
der Richtlinie 77/388/EWG hat, um die bei Erwerb dieser Güter
entrichtete Mehrwertsteuer in Abzug zu bringen (Urteil vom 2.6.2005
Rs. C-378/02 - Waterschap Zeeuws Vlaanderen -, Slg. 2005, I-4685,
BFH/NV Beilage 2005, 323 = SIS 05 30 09). Denn die Eigenschaft als
Steuerpflichtiger muss zum für den Vorsteuerabzug
maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben (vgl. Rz 41 des
Urteils). Der EuGH hat eingeräumt, dass die Versagung des
Vorsteuerabzugs in diesem Fall bis zu einem gewissen Grad mit der
Anwendung der Grundsätze der Neutralität und der
Gleichbehandlung kollidieren könne; diese Auswirkung sei aber
der Existenz von Ausnahmen im Mehrwertsteuersystem eigen (Rz 43 des
Urteils).
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Der Klägerin als der Rechtsnachfolgerin
des Abwasserzweckverbandes können für die Berichtigung
eines unterbliebenen Vorsteuerabzugs keine weitergehenden Rechte
zustehen als ihrem Rechtsvorgänger, wenn dieser später
selbst Unternehmer geworden wäre. Deshalb scheidet eine
Berichtigung nach § 15a UStG aus.
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c) Angesichts der zitierten Rechtsprechung des
EuGH vermag der Senat auch keine Regelungslücke zu erkennen,
die eine analoge Anwendung des § 15a UStG auf den im
Streitfall verwirklichten Sachverhalt rechtfertigen könnte.
Aus dem gleichen Grund führt auch eine unmittelbare Anwendung
von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG nicht zum Erfolg der
Klage.
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