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I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt.
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Der Kläger veräußerte mit
notariellem Vertrag vom 25. August des Streitjahres (1997) seine
Anteile von 65 % an der R-GmbH mit Wirkung zum 1.9.1997. Dem
vorausgegangen war die Unterzeichnung eines „Memorandum of
Understanding“ (MOU) am 4.6.1997, das diverse
Veräußerungsmodalitäten enthielt. In der
Einkommensteuererklärung 1997 erklärte der Kläger
einen Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der
R-GmbH in Höhe von 16.425.917 DM. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) unterwarf diesen Gewinn
im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr bis zur
Höhe von 15.000.000 DM einem ermäßigten Steuersatz
von 26,375 % und besteuerte den darüber hinausgehenden Betrag
mit dem allgemeinen Steuersatz. Einspruch und Klage hiergegen
blieben ohne Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem
in EFG 2006, 979 = SIS 06 24 21 veröffentlichten Urteil, der
Kläger habe außerordentliche Einkünfte nach
§§ 17, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit dem
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums erzielt, d.h. nach dem
Vertrag vom 25.8.1997 am 1.9.1997. Das FA habe § 34 Abs. 1
Satz 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform (UntStRFoG) zutreffend angewendet und den
Veräußerungsgewinn nur in Höhe von 15 Mio. DM
ermäßigt besteuert. Es bestünden auch keine Zweifel
an der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Das zwischen dem
Kläger und dem späteren Erwerber am 4.6.1997
abgeschlossene MOU habe noch zu keiner wirtschaftlichen Disposition
des Klägers geführt. Es begründe keine Verpflichtung
zum nachfolgenden Vertragsabschluss. Es handle sich nicht um einen
Vorvertrag, der einklagbare Pflichten begründete.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die
Beurteilung des Vertrauenstatbestandes sei der Zeitpunkt der
wirtschaftlichen Disposition des Klägers im Sinne einer
rechtlichen Bindung, also der notarielle Vertrag vom 25.8.1997. Zu
diesem Zeitpunkt sei das Vertrauen des Klägers in den
Fortbestand der gesetzlichen Regelung des § 34 EStG 1990, der
den Höchstbetrag für den ermäßigten Steuersatz
auf 30 Mio. DM begrenzte, nicht mehr schutzwürdig
gewesen.
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Hiergegen richtet sich die Revision der
Kläger, mit der diese die Verletzung materiellen Rechts
rügen und sich auf Vertrauensschutz gegen die Anwendung des
rückwirkend zum 1.8.1997 herabgesetzten Höchstbetrags von
15 Mio. DM (§ 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des UntStRFoG)
berufen.
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Die Kläger beantragen
(sinngemäß), das Urteil des FG aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1997 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 23.7.2004 dahingehend zu ändern,
dass der Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG in
voller Höhe der ermäßigten Besteuerung nach §
34 EStG 1990 unterworfen wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zutreffend hat das FG den
herabgesetzten Höchstbetrag nach § 34 Abs. 1 EStG a.F.
angewandt und eine verfassungswidrige Rückwirkung von dessen
Herabsetzung auf die streitige Veräußerung
abgelehnt.
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1. Der Höchstbetrag für den
ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG (halber
durchschnittlicher Steuersatz) galt erstmals ab dem
Veranlagungszeitraum 1990, und zwar in Höhe von 30 Mio. DM.
Dieser Höchstbetrag wurde nach dem Beschluss des
Vermittlungsausschusses vom 4.8.1997 zum 1.8.1997 auf 15 Mio. DM
herabgesetzt, nachdem der Entwurf des Gesetzes zur Fortsetzung der
Unternehmenssteuerreform die Tarifermäßigung für
außerordentliche Einkünfte nicht angetastet hatte. Dem
Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgten Bundestag (Beschluss
vom 5.8.1997) und Bundesrat (Beschluss vom 5.9.1997). Das Gesetz
zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wurde am 29.10.1997
ausgefertigt und am 31.10.1997 verkündet (BGBl I 1997, 2590,
BStBl I 1997, 928; zum Gesetzgebungsverfahren vgl. auch Beschluss
des Bundesfinanzhofs vom 18.7.2001 I R 38/99, BStBl II 2002, 27 =
SIS 02 01 28, unter B.II.2.a).
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2. Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7.7.2010 2 BvL 1/03, 2 BvL
57/06, 2 BvL 58/06 (BFH/NV 2010, 1968 = SIS 10 22 37) entfaltet ein
Steuergesetz nur dann eine - grundsätzlich unzulässige -
echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), wenn
der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld
nachträglich abändert. Für den Bereich des
Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von
Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der
Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach
§ 38 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG
entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des
Veranlagungszeitraums, nach § 25 Abs. 1 EStG des
Kalenderjahres.
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Auch dann aber, wenn der Gesetzgeber das
Einkommensteuerrecht während des laufenden
Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf
dessen Beginn bezieht, bedürfen die belastenden Wirkungen
einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer
hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der
Verhältnismäßigkeit. Hier muss der Normadressat
eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage
ebenfalls nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade
die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher
Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit
gerechtfertigt ist. Im Rahmen dieser Abwägung erachtet das
BVerfG Vereinbarungen für uneingeschränkt
schutzwürdig, die noch vor der Einbringung des Gesetzentwurfs
in den Bundestag verbindlich getroffen wurden. Weniger
schutzbedürftig sind Vereinbarungen, die nach dem Tag der
Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag abgeschlossen wurden.
Hier konnten sich die an der Vereinbarung Beteiligten in gewissem
Umfang auf eine Änderung der Rechtslage einstellen. Mit der
Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein
initiativberechtigtes Organ werden geplante Gesetzesänderungen
öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche
zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen
allgemein vorhersehbar. Deshalb können Steuerpflichtige
regelmäßig nicht mehr darauf vertrauen, das
gegenwärtig geltende Recht werde auch im Folgejahr
unverändert fortbestehen; sie sind vielmehr grundsätzlich
in der Lage, ihre wirtschaftlichen Dispositionen an mögliche
zukünftige Änderungen anzupassen.
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3. Nach diesen Grundsätzen handelt es
sich bei der Einführung des geminderten Höchstbetrags
durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform zum
1.8.1997 um eine unechte Rückwirkung.
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Das Vertrauen des Klägers ist im
Streitfall nicht schutzwürdig. Denn die nach dem Beschluss des
BVerfG in BFH/NV 2010, 1968 = SIS 10 22 37 mit der Einbringung
eines Gesetzentwurfs erreichte Öffentlichkeit einer geplanten
Gesetzesänderung bewirkte im Streitfall der Beschluss des
Vermittlungsausschusses am 4.8.1997. Der Kläger hat die
für die Anteilsveräußerung maßgebliche
wirtschaftliche Disposition aber erst am 25.8.1997 getroffen, da
das MOU vom 4.6.1997 noch keine vertragliche Bindung bewirkte. Auch
fehlen Anhaltspunkte dafür, dass das wirtschaftliche Eigentum
(§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den veräußerten Anteilen
bereits früher als zum 1.9.1997 - wie vom FG festgestellt -
übergegangen wäre.
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Die insoweit maßgeblichen
tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2
FGO) zum MOU sind möglich, sie verstoßen nicht gegen
Denkgesetze und allgemeine Auslegungsregeln; sie sind daher
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere der
Vertragsauslegung durch das FG pflichtet der Senat bei. Sie folgt
schon aus den Ziff. 15, 16 und 18 des MOU: In Ziff. 15 ist als
„Tag des Closings“ der 1.9.1997 oder
„das (spätere) Datum des Eintritts der letzten
aufschiebenden Bedingung“ vorgesehen. Nach Ziff. 16
hängt der „Vollzug des Kaufes“ von diversen
notwendigen Zustimmungen und Genehmigungen, um die sich die
Vertragspartner nach Ziff. 18 „unmittelbar nach
Unterzeichung dieses MOU“ erst noch bemühen
müssen, sowie dem Abschluss verschiedener weiterer
Vereinbarungen ab. Vor allem aber haben die Parteien nach Ziff. 21
des MOU bis zum Abschluss des Anteilskaufvertrags, des
Beratervertrags und der Mietverträge und des Eintritts der
aufschiebenden Bedingungen „keinerlei rechtliche
Verpflichtungen und Rechte nach diesem MOU
gegeneinander“. Sie verzichten auf die
„Geltungmachung von Schadensersatzansprüchen,
Ansprüchen auf Kosten und Auslagen sowie von sonstigen
Ansprüchen im Zusammenhang mit diesem MOU“.
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Danach war am 25.8.1997 das Vertrauen auf den
Fortbestand des Höchstbetrags von 30 Mio. DM im Sinne der
dargelegten Rechtsprechung des BVerfG nicht mehr schutzwürdig.
Da die Minderung des Höchstbetrags keine schutzwürdige
Vertrauensposition des Klägers verletzte, ist die Anwendung
des geminderten Höchstbetrags auf den Streitfall auch nicht
unverhältnismäßig.
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