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I. Die 1930 geborene Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) erzielt neben
Renteneinkünften Einkünfte aus Kapitalvermögen und
Vermietung und Verpachtung. Sie ist seit 1999 in psychiatrischer
Behandlung. Im Anschluss an eine stationäre Behandlung in
einer psychiatrischen Klinik von April bis Juli 2004 zog sie auf
ärztliche Empfehlung in ein Appartement in einem Seniorenheim.
In der Fachärztlichen Bescheinigung vom 23.5.2005 heißt
es u.a.:
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„Aufgrund der Ausprägung der bei
ihr bestehenden Erkrankung aus unserem Fachgebiet war aus
ärztlicher Sicht im Anschluss an die stationäre
Behandlung in der hiesigen Klinik von April bis Juli 2004 eine
Unterbringung in einem Seniorenheim im Bereich des Betreuten
Wohnens dringend erforderlich. Die Pat. war krankheitsbedingt nicht
mehr in der Lage, ihr Leben in ihrem bisherigen häuslichen
Milieu selbständig zu führen.“
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Ihre bis dahin genutzte Wohnung im eigenen
Zweifamilienhaus behielt sie bei.
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Mit Beschluss vom 18.8.2005 ordnete das
Amtsgericht (AG) ... die Betreuung der Klägerin an. In dem
Beschluss heißt es u.a.:
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„Nach dem ärztlichen Attest der
Sachverständigen ... leidet Frau ... an einer bipolaren
affektiven Psychose, gegenwärtig schwere depressive Episode
mit psychotischen Symptomen. Danach bestehen dringende Gründe
für die Annahme, dass Frau ... aus gesundheitlichen
Gründen gehindert ist, eigene Angelegenheiten wahrzunehmen
...“.
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Mit Beschluss vom 3.3.2006 wurde die
Betreuung bis 2013 verlängert und einer der
Prozessbevollmächtigten zum Betreuer bestimmt.
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Der Heimbetreiber rechnete gegenüber
der Klägerin monatlich die Kosten für Miete (1.288,46
EUR) und Verpflegung (269,45 EUR) ab. Pflegekosten wurden nicht in
Rechnung gestellt.
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In ihren Einkommensteuererklärungen
für die Streitjahre (2005 und 2006) machte die Klägerin
die Mietaufwendungen in Höhe von insgesamt 15.462 EUR
(1.288,46 EUR x 12) als außergewöhnliche Belastung
geltend. Dies lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) ab, weil es an einer Einstufung der
Klägerin in eine der Pflegestufen oder einem Eintrag des
Merkzeichens „H“ im Behindertenausweis fehle. Das FA
berücksichtigte allerdings den Haushaltsfreibetrag nach §
33a Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. der
Streitjahre.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit
der die Klägerin den Abzug der Mietkosten beantragte, mit den
in EFG 2010, 479 = SIS 09 28 09 veröffentlichten Gründen
teilweise statt. Die geltend gemachten Kosten einschließlich
der Aufwendungen für Verpflegung (insgesamt 18.695 EUR) seien
dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung zu
berücksichtigen, weil zur Überzeugung des Gerichts
feststehe, dass die Klägerin ausschließlich wegen ihrer
Erkrankung, nicht aber wegen ihres Alters in das Seniorenheim
gezogen sei. Die Kosten seien aber um die Haushaltsersparnis zu
kürzen.
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Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung von § 33 EStG.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision des FA ist unbegründet
und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
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Das FG hat zu Recht die strittigen
Mietaufwendungen der Klägerin für die Unterbringung dem
Grunde nach als außergewöhnliche Belastung nach §
33 EStG berücksichtigt.
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1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind
Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer
Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach
außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen
Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des
Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, sind
aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen
(BFH-Urteil vom 15.4.2010 VI R 51/09, BFHE 229, 206, BStBl II 2010,
794 = SIS 10 18 72, m.w.N.). Krankheitskosten sind
regelmäßig eine außergewöhnliche Belastung
i.S. des § 33 EStG.
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a) Zu den üblichen Aufwendungen der
Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten
für die altersbedingte Unterbringung in einem Altersheim.
Liegt dagegen ein durch Krankheit veranlasster Aufenthalt in einem
Alters- oder Pflegeheim vor, stellen sich die Aufwendungen für
die Heimunterbringung als Krankheitskosten dar (BFH-Urteile vom
24.2.2000 III R 80/97, BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294 = SIS 00 07 50; vom 23.5.2002 III R 24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567
= SIS 02 84 94; vom 18.4.2002 III R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II
2003, 70 = SIS 02 85 76; s. auch R 33.3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008). Es gelten die
allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von
Krankheitskosten (Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl., § 33 Rz
35, Stichwort Altersheim).
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b) Nach diesen Grundsätzen stellen die
Aufwendungen der Klägerin Krankheitskosten dar. Denn das FG
hat vor allem unter Bezugnahme auf den erwähnten Beschluss des
AG ... vom 18.8.2005 und die Fachärztliche Bescheinigung vom
23.5.2005 nach § 118 Abs. 2 FGO für das Revisionsgericht
bindend festgestellt, dass die Klägerin in den Streitjahren
krankheitsbedingt und nicht wegen ihres Alters im Seniorenheim
untergebracht war. Das FG hat zu Recht kein amtsärztliches
Attest verlangt (BFH-Urteil in BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567 =
SIS 02 84 94).
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c) Dem steht nicht entgegen, dass der
Klägerin keine Pflegekosten in Rechnung gestellt worden sind.
Zwar ist der Abzug von Unterbringungskosten als
außergewöhnliche Belastung vornehmlich bei
krankheitsbedingter Pflegebedürftigkeit von Bedeutung
(BFH-Urteile vom 18.12.2008 III R 12/07, BFH/NV 2009, 1102 = SIS 09 18 92; in BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70 = SIS 02 85 76). Das
bedeutet jedoch nicht, wie das FA offensichtlich meint, dass die
Pflegebedürftigkeit notwendige Voraussetzung für den
Abzug ist. Vielmehr kann, wie der Streitfall zeigt, der Aufenthalt
in einem Altersheim auch dann krankheitsbedingt sein, wenn eine
ständige Pflegebedürftigkeit (noch) nicht gegeben ist.
Soweit der III. Senat des BFH im Urteil in BFH/NV 2009, 1102 = SIS 09 18 92 die Auffassung vertreten hat, dass ein
ausschließlich krankheitsbedingter Aufenthalt noch nicht
gegeben sei, wenn keine zusätzlichen Pflegekosten entstanden
seien und kein Merkzeichen „H“ oder
„Bl“ im Schwerbehindertenausweis nach § 69
Abs. 5 des Sozialgesetzbuchs IX i.V.m. § 1 der
Schwerbehindertenausweisverordnung festgestellt sei, folgt dem der
erkennende Senat nicht. Einer Vorlage an den Großen Senat
gemäß § 11 Abs. 3 FGO bedarf es nicht, weil der
erkennende Senat seit 2009 für außergewöhnliche
Belastungen sachlich allein zuständig ist.
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2. Werden Kosten einer Heimunterbringung dem
Grund nach als außergewöhnliche Belastung
(Krankheitskosten) berücksichtigt, sind sie nur insoweit
gemäß § 33 Abs. 1 EStG abziehbar, als sie die
zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) sowie die sog.
Haushaltsersparnis übersteigen (BFH-Urteil in BFHE 229, 206,
BStBl II 2010, 794 = SIS 10 18 72). Im Streitfall hat das FG die
Haushaltsersparnis entsprechend dem in § 33a Abs. 1 EStG
vorgesehenen Höchstbetrag zu Recht auf 7.680 EUR
geschätzt und dabei die Kosten für Verpflegung, deren
Berücksichtigung die Klägerin nicht ausdrücklich
beantragt hatte, gegengerechnet.
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