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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Verwalter in dem im Juli 2002 eröffneten
Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn L. Mit
Zustimmung des Klägers hat der Schuldner nach Eröffnung
des Verfahrens seine selbstständige Berufstätigkeit als
... wieder aufgenommen. Die von ihm für 2004 eingereichte
Umsatzsteuererklärung, welcher der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) zugestimmt hat, weist
einen Vergütungsbetrag von ... EUR aus. Diesen Betrag hat das
FA auf rückständige Einkommensteuer des Schuldners
für 1996 umgebucht und dem Kläger darüber eine
Umbuchungsmitteilung erteilt. Als dieser der Umbuchung widersprach,
weil er meint, das Guthaben sei an die Masse auszukehren gewesen,
hat das FA einen Abrechnungsbescheid erlassen, gegen den sich die
Klage richtet. Dieser hat das Finanzgericht (FG) nach erfolglosem
Einspruchsverfahren stattgegeben. Es urteilte, der Aufrechnung des
FA stehe das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 der
Insolvenzordnung (InsO) entgegen, weil das FA nach Eröffnung
des Insolvenzverfahrens den Erstattungsbetrag zur Insolvenzmasse
schuldig geworden sei. Der Vorsteueranspruch gehöre entgegen
der Auffassung des FA zur Insolvenzmasse.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die
Revision des FA. Es meint, Umsatzsteuererstattungsansprüche
aus einer Tätigkeit, die mit unpfändbaren, mithin nicht
zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenständen
ausgeführt worden ist, fielen nicht in die Insolvenzmasse.
Auch sei es unbillig, wenn einerseits nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs - BFH - (Hinweis auf das Urteil vom 7.4.2005 V R
5/04, BFHE 210, 156, BStBl II 2005, 848 = SIS 05 31 00) von dem
Schuldner begründete Umsatzsteuerschulden keine
Masseverbindlichkeit darstellten und daher nicht beitreibbar seien,
andererseits aber die Aufrechnung gegen in dem insolvenzfreien
Bereich entstandene Guthaben ausgeschlossen werde. Die Auffassung
des FG widerspreche auch der Intention des Gesetzgebers bei
Neufassung des § 35 Abs. 2 InsO durch das Gesetz zur
Vereinfachung des Insolvenzverfahrens (Hinweis auf BTDrucks
16/3227, S. 17).
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das Urteil des FG entspricht dem
Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
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1. Eine Aufrechnung ist unzulässig, wenn
ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist
(§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Zur Insolvenzmasse gehört nach
§ 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen, das dem Schuldner
zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er
während des Verfahrens erlangt, also auch eine nach der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene
Forderung. Das gilt insbesondere auch für Steuererstattungs-
und Steuervergütungsansprüche, bei denen gemäß
§ 46 Abs. 1 der Abgabenordnung der Vorbehalt des § 36
Abs. 1 InsO von vornherein nicht eingreifen kann.
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a) Nach § 35 Abs. 2 InsO hat der
Insolvenzverwalter allerdings, wenn der Schuldner eine
selbstständige Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt,
demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben,
gegenüber dem Schuldner zu erklären, ob Vermögen aus
dieser selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse
gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit
im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Gibt der
Insolvenzverwalter nicht die Erklärung ab, dass Vermögen
aus jener Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse
gehören soll (sog. Freigabe), das betreffende Vermögen
also vom Insolvenzbeschlag frei sein soll, fallen die vom Schuldner
durch die betreffende Tätigkeit neu erworbenen Forderungen in
die Insolvenzmasse. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dann einer
Aufrechnung mit den vorinsolvenzlichen Schulden des
Insolvenzschuldners entgegen.
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§ 35 Abs. 2 InsO ist indes im Streitfall
noch nicht anzuwenden, weil er erst ab dem 1.7.2007 gilt (Art. 6
des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BGBl I
2007, 509). Allerdings kannte auch das bis dahin geltende
Insolvenzrecht das (im Wesentlichen richterrechtlich entwickelte)
Institut der Freigabe (vgl. statt aller Bundesgerichtshof - BGH -,
Urteil vom 1.2.2007 IX ZR 178/05, HFR 2008, 77). Eine solche
Freigabe ist jedoch im Streitfall, wie das FG erkannt hat, nicht
erfolgt. Feststellungen, die Anlass geben könnten, von einer
Freigabe durch die künftige freiberufliche Tätigkeit des
Schuldners erworbener Vermögensgegenstände auszugehen,
sind nicht getroffen. Die vom FG festgestellte
„Zustimmung“ des Insolvenzverwalters, dass der
Schuldner seine freiberufliche Tätigkeit während des
Insolvenzverfahrens fortsetzt bzw. wieder aufnimmt, ist keine
„Freigabe“. Eine Freigabe eines zur Masse
gehörenden bzw. künftig in diese fallenden
Vermögensgegenstandes und dessen Überführung in das
insolvenzfreie Vermögen des Schuldners setzt eine
Willenserklärung des Insolvenzverwalters voraus, aus welcher
sich unmissverständlich dessen Wille zu einem dauernden
Verzicht auf die Massezugehörigkeit ergibt (vgl. BGH-Urteil
vom 7.12.2006 IX ZR 161/04, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2007, 845).
Dafür ist nichts festgestellt oder auch nur geltend
gemacht.
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b) Gegenstände, die nicht der
Zwangsvollstreckung unterliegen, also nicht pfändbar sind, und
von deren Nutzung durch den Schuldner das FG ausgegangen ist,
gehören nach § 36 Abs. 1 InsO zwar von vornherein nicht
zur Insolvenzmasse; ihre Nutzung oder Verwertung beim Neuerwerb
schließt jedoch dessen Zuordnung zur Insolvenzmasse nicht
aus, was sich unter der Geltung des § 35 Abs. 2 InsO unschwer
aus Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift folgern lässt, aber
auch für das hier noch anzuwendende alte Recht nicht anders zu
beurteilen ist. Auch dieses wollte den Neuerwerb im Interesse der
Insolvenzgläubiger umfassend zur Masse ziehen, so dass nur ein
Verzicht des Insolvenzverwalters hierauf den Insolvenzbeschlag
aufheben bzw. verhindern konnte.
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c) Der im Streitfall strittige, vom Schuldner
während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer
freiberuflichen Tätigkeit erlangte
Umsatzsteuervergütungsanspruch fällt folglich in die
Insolvenzmasse (vgl. schon BGH-Beschluss vom 20.3.2003 IX ZB
388/02, NJW 2003, 2167). Aus dem BFH-Urteil in BFHE 210, 156, BStBl
II 2005, 848 = SIS 05 31 00, wonach vom Schuldner während des
Insolvenzverfahrens durch Erwerbstätigkeit mit Hilfe
unpfändbarer Gegenstände begründete
Umsatzsteuerschulden nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den
Masseschulden gehören sollen, lässt sich gegen diese
gesetzlich klar vorgegebene Beurteilung nichts gewinnen, ebenso
wenig daraus, dass die Zuordnung solcher Umsatzsteuerschulden zum
insolvenzfreien Vermögen des Schuldners zu der allerdings
unbefriedigenden Rechtslage führt, dass neue Aktiva dem
Insolvenzbeschlag unterfallen, mit ihnen unmittelbar
zusammenhängende - unbeschadet der umsatzsteuerlichen
Anknüpfung nicht an das gezahlte (zweifellos in die
Insolvenzmasse fallende) Entgelt, sondern an die erbrachte Leistung
gleichsam objektbezogene (vgl. dazu Urteil in BFHE 210, 156, BStBl
II 2005, 848 = SIS 05 31 00) - Steuern wie die Umsatzsteuer jedoch
außerhalb des Insolvenzverfahrens befriedigt werden
müssen.
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Unbillige Folgen der gesetzlichen Zuordnung
des ohne Zutun des Insolvenzverwalters Erworbenen und der damit
unter Umständen fehlenden Einstandspflicht der Masse für
etwaige mit dem Neuerwerb zusammenhängende Verbindlichkeiten
werden neue Vertragspartner des Insolvenzschuldners zwar in der
Regel zu vermeiden wissen. Der Fiskus befindet sich insofern
freilich in einer anderen Lage, weil er keinen Einfluss darauf hat,
ob und in welchem Umfang sich Umsatzsteuer und anrechenbare
Vorsteuer aufgrund der Geschäftstätigkeit des
Insolvenzschuldners ausgleichen oder neben Umsatzsteuerzahllasten
für einzelne Veranlagungszeiträume (einstweilen in der
Regel nicht beitreibbare und infolge des § 96 Abs. 1 InsO auch
nicht verrechenbare) Umsatzsteuervergütungsansprüche
entstehen. Hieraus kann den Fiskus jedoch auch die Überlegung
nicht befreien, dass solche Vergütungsbeträge infolge der
fehlenden rechtlichen Selbstständigkeit anzurechnender
Vorsteuern lediglich gleichsam negative Umsatzsteuerforderungen des
Fiskus darstellen, die zwar möglicherweise bei der
Jahresveranlagung durch positive Rechnungsposten zum Ausgleich
kommen, mangels Beitreibbarkeit einer dann ggf. ausgewiesenen
Zahllast aber unter Umständen fiskalisch endgültig
verloren sind. Dies legt es zwar nahe, Schulden und
Vergütungsforderungen hinsichtlich ihrer Zuordnung zur Masse
oder zum insolvenzfreien Vermögen des Schuldners gleich zu
behandeln. Es kann aber nichts an der grundsätzlich auch
für die insolvenzsteuerrechtliche Beurteilung
maßgebenden umsatzsteuerlichen Systematik ändern, dass
bezogen auf die einzelnen Veranlagungszeiträume die
Steuerfestsetzung entweder in eine Steuerschuld oder einen
Vergütungsanspruch mündet, welche beide, wie
ausgeführt, insolvenzrechtlich eine unterschiedliche Zuordnung
erfahren.
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d) Es ist hier nicht zu erörtern, ob
(auch unter Berücksichtigung des eben erörterten
Ungleichgewichts) durchgreifende Argumente für die Zuordnung
der durch eine insolvenzfreie Tätigkeit des Schuldners
entstehenden Umsatzsteuer zur Masse gefunden werden könnten
(vgl. dazu Obermair, Der Neuerwerb - eine unendliche Geschichte,
DStR 2005, 1561; Stadie in Rau/Dürrwächter,
Umsatzsteuergesetz, § 18 Rz 822; Voigt/Gerke, Zeitschrift
für das gesamte Insolvenzrecht 2002, 1054) und ob eine solche
Zuordnung insbesondere unter der Geltung des § 35 InsO n.F.
geboten ist, nachdem auch die Begründung zu dem Entwurf des
Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens von der
Auffassung ausgeht, ohne Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO seien
die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten aus
einer freiberuflichen Tätigkeit des Schuldners
Masseverbindlichkeiten, da insofern eine Verwaltungshandlung
vorliege, was auch für Verbindlichkeiten gelte, die der
Schuldner unter Einsatz von Gegenständen begründet, die
nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung
unpfändbar sind (BTDrucks 16/3227, S. 17). Ebenfalls muss
unerörtert bleiben, ob Steuererstattungsansprüche, die
der Schuldner aus einer ohne Nutzung oder Verwertung zur
Insolvenzmasse gehörender Vermögensgegenstände
betriebenen Tätigkeit erworben hat, vom FA mit
Masseverbindlichkeiten verrechnet werden könnten; denn eine
solche Verrechnung hat das FA im Streitfall nicht vorgenommen.
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2. Die nach alledem unbegründete Revision
des FA war deshalb zurückzuweisen.
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