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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) werden im Streitjahr 2000 zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erhielt von ihrem
früheren Arbeitgeber (A GmbH) anlässlich der Beendigung
des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung in Höhe von
75.000 DM. Hierzu enthält die maßgebliche
Betriebsvereinbarung (Sozialplan) vom 26.9.2000 folgende Regelung:
„Die Abfindung wird bei rechtlicher Beendigung des
Arbeitsverhältnisses mit A... fällig und ist bereits vor
Fälligkeit vererblich. Erhebt allerdings ein Arbeitnehmer
gegen eine ihm erklärte Kündigung
Kündigungsschutzklage, tritt Fälligkeit erst nach
Abschluss des Klageverfahrens, infolgedessen das
Arbeitsverhältnis endet, ein.“ Die Betriebsvereinbarung
endete nach Abschluss der in einem sog. Interessenausgleich
aufgeführten personellen Maßnahmen. Auf der Grundlage
des Interessenausgleichs schlossen die Klägerin, die A GmbH
und die A+B GmbH einen dreiseitigen Vertrag über die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin bei der
A GmbH und die Begründung eines befristeten
Arbeitsverhältnisses bei der Auffanggesellschaft A+B GmbH.
Danach endete das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 14.11.2000;
mit Wirkung zum 15.11.2000 trat die Klägerin in das bis zum
30.11.2002 befristete neue Arbeitsverhältnis ein. Eine etwaige
Abfindung nach dem Interessenausgleich und dem Sozialplan sollte
direkt von der A GmbH an den jeweiligen Mitarbeiter abgerechnet und
ausbezahlt werden. Der Vertrag wurde mit Unterzeichnung durch alle
drei Vertragsparteien wirksam. Er wurde von der A GmbH am
17.10.2000, von der Klägerin am 31.10.2000 und von der A+B
GmbH am 15.11.2000 unterschrieben. Mit Schreiben vom 26.10.2000
bestätigte die A GmbH der Klägerin ihren
Abfindungsanspruch nach dem Sozialplan in Höhe von 75.000 DM
im Einzelnen wie folgt: „Wie ebenfalls besprochen und von
Ihnen gewünscht, wird der steuerpflichtige Teil der
Abfindungszahlung in Höhe von 51.000 DM im Januar zur
Auszahlung gebracht. Die Auszahlung des steuerfreien Anteils der
Abfindung in Höhe von 24.000 DM erfolgt bei Austritt mit der
Novemberabrechnung.“ Die Abfindung wurde entsprechend
ausgezahlt.
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In der Einkommensteuererklärung
für das Jahr 2000 erklärte die Klägerin den
steuerpflichtigen Teil der Abfindung in Höhe von 51.000 DM
nicht. Die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001
enthält den zweiten Abfindungsteilbetrag von 51.000 DM als
Versorgungsbezüge für mehrere Jahre.
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Nachdem der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die Klägerin
zunächst antragsgemäß für das Jahr 2000
veranlagt hatte, teilte er im Dezember 2002 mit, dass der
Klägerin die gesamte Abfindung bereits im Jahr 2000
zugeflossen sei. Im Einkommensteuerbescheid für 2001
ließ das FA den Teilbetrag von 51.000 DM außer Ansatz.
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) erließ
es einen Einkommensteueränderungsbescheid für das Jahr
2000 und erfasste von der Abfindung einen Betrag von 5.004 DM als
laufenden Arbeitslohn (Weihnachtsgeld) sowie den steuerpflichtigen
Restbetrag in Höhe von 45.996 DM als ermäßigt nach
§ 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu besteuernde
Abfindung. Im Bescheid für das Jahr 2000 wurden
Nachzahlungszinsen von 217 EUR festgesetzt.
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Der Einspruch gegen den geänderten
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 und den
Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (EFG 2009, 394 =
SIS 09 03 93). Das FA habe den steuerpflichtigen Abfindungsteil in
Höhe von 51.000 DM zu Unrecht bereits im Jahr 2000
erfasst.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts rügt. Mit dem
Sozialplan sei die Fälligkeit der Abfindungszahlung zwingend
auf den Zeitpunkt des Ausscheidens festgelegt worden. Danach habe
bereits im Jahr 2000 die wirtschaftliche Verfügungsmacht der
Klägerin über die gesamte Abfindung bestanden, von der
sie durch Abschluss des dreiseitigen Vertrages Gebrauch gemacht
habe. Hiermit sei die bereits bestehende Fälligkeit
hinausgeschoben worden, was eine wirtschaftliche Verfügung der
Klägerin über die Forderung darstelle, die zum Zufluss
führe.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
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Die Stundung des zweiten Teils der
Abfindungszahlung bis zum Januar des Jahres 2001 habe den Zufluss
hinausgeschoben, nicht aber selbst bewirkt.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zutreffend hat das FG entschieden,
dass die Abfindung der Klägerin in Höhe des Teilbetrags
von 51.000 DM erst im Januar 2001 mit der Auszahlung zugeflossen
ist.
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1. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1
EStG sind Einnahmen innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem
sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind. Nicht laufend gezahlter
Arbeitslohn ist in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem
Arbeitnehmer zugeflossen ist. Der Zufluss ist zu bejahen, sobald
der Steuerpflichtige über den Arbeitslohn wirtschaftlich
verfügen kann. Die Fälligkeit eines Anspruchs allein -
vor seiner Erfüllung - führt noch nicht zu einem
gegenwärtigen Zufluss. Entscheidend ist allein der
uneingeschränkte, volle wirtschaftliche Übergang des
geschuldeten Gutes oder das Erlangen der wirtschaftlichen
Dispositionsbefugnis darüber. Hierfür genügt es auch
vor der Realisation des Leistungserfolgs, dass der Gläubiger
ohne weiteres Zutun des Schuldners die Möglichkeit hat, den
Leistungserfolg herbeizuführen (allgemeine Meinung, vgl.
Offerhaus, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2006, 317, 318, 320,
m.w.N.).
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Grundsätzlich können Gläubiger
und Schuldner einer Geldforderung im Rahmen der zivilrechtlichen
Gestaltung des Erfüllungszeitpunkts auch die steuerrechtliche
Zuordnung der Erfüllung zu einem Veranlagungszeitraum
gestalten (vgl. BFH-Urteil vom 24.9.1985 IX R 2/80, BFHE 145, 507,
BStBl II 1986, 284 = SIS 86 08 02; Offerhaus, a.a.O., 321). Ist es
den Beteiligten etwa möglich, von vornherein die Zahlung einer
Abfindung für die Auflösung eines
Dienstverhältnisses auf einen anderen Zeitpunkt als den der
Auflösung des Dienstverhältnisses zu terminieren, der
für sie steuerlich günstiger scheint, so kann es ihnen
auch nicht verwehrt sein, die vorherige Vereinbarung - jedenfalls
vor der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit - im
Einvernehmen und beiderseitigem Interesse wieder zu ändern
(Offerhaus, a.a.O., 321). Rechtsmissbrauch (§ 42 AO) kommt in
derartigen Fällen regelmäßig nicht in Betracht.
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2. Nach diesen Grundsätzen ist der zweite
Abfindungsteilbetrag von 51.000 DM der Klägerin nicht bereits
im Jahr 2000, sondern erst im Januar 2001 zugeflossen.
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Das FG ist in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise davon ausgegangen, dass durch das
Hinausschieben der Fälligkeit des zweiten
Abfindungsteilbetrags die Klägerin nicht über diesen
selbst wirtschaftlich verfügt hat.
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Ohne Verstoß gegen anerkannte
Auslegungsgrundsätze hat das FG angenommen, dass der
Abfindungsanspruch der Klägerin in Höhe von 51.000 DM
beim Ausscheiden der Klägerin aus ihrem ursprünglichen
Arbeitsvertrag zum Ablauf des 14.11.2000 bereits mit einer
Fälligkeitsbestimmung auf den Januar 2001 entstanden ist.
Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, wenn das FG die
Unterschrift der Klägerin auf dem dreiseitigen Vertrag vom
31.10.2000 sowie die vorangegangene Unterschrift der alten
Arbeitgeberin am 17.10.2000 hinsichtlich der
Fälligkeitsbestimmung für maßgeblich erachtet hat.
Denn nach der vertraglichen Vereinbarung sollte die Abfindung von
der A GmbH an ihre Mitarbeiterin abgerechnet und ausbezahlt werden.
Damit wurde der Abfindungsteilbetrag im Jahr 2000 nicht
fällig. Entsprechend konnte auch die
Fälligkeitsvereinbarung vor Entstehung der Forderung nicht als
Disposition über die Forderung als solche auszulegen sein.
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Der finanzgerichtlichen Würdigung der
Vertragsgestaltung steht auch nicht eine etwaige Vorrangigkeit der
Fälligkeitsregelung im Sozialplan entgegen. Zwar gelten
Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 Satz 1 des
Betriebsverfassungsgesetzes unmittelbar und zwingend. Jedoch gilt
nach allgemeiner Meinung zwischen Betriebsvereinbarung und
einzelvertraglicher Regelung grundsätzlich das
Günstigkeitsprinzip (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom
27.1.2004 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244; Berg in
Däubler/Kittner/Klebe, Betriebsverfassungsgesetz, 11. Aufl.,
§ 77 Rz 19, m.w.N.). Diese Günstigkeit der
einzelvertraglich vereinbarten Fälligkeit ergibt sich im
Streitfall aus der von der Klägerin als Arbeitnehmer
intendierten günstigen steuerrechtlichen Auswirkung.
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