Einfuhrumsatzsteuer, Verzinsung: Als Einfuhrabgabe unterliegt die Einfuhrumsatzsteuer den sinngemäß geltenden Vorschriften für Zölle, weshalb ein sich bei der Festsetzung von Einfuhrumsatzsteuer ergebender Unterschiedsbetrag nicht nach § 233 a AO zu verzinsen ist. - Urt.; BFH 23.9.2009, VII R 44/08; SIS 09 34 54
I. Mit Bescheiden vom August 2001 nahm der
Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA - ) die
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) als
Gesamtschuldner für Einfuhrabgaben (Zoll und
Einfuhrumsatzsteuer) in Anspruch. Auf den zugleich mit ihrem
Einspruch gestellten Antrag setzte das HZA die Vollziehung der
Bescheide gegen Sicherheitsleistung aus. Im Dezember 2001
entrichtete der Kläger die Einfuhrabgaben. Die Klägerin
machte die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer im Folgemonat als
Vorsteuer geltend.
Die Kläger erhoben im Oktober 2007
Untätigkeitsklage. Im Dezember 2007 hob das HZA die
angefochtenen Bescheide auf und erstattete die Einfuhrabgaben.
Daraufhin erklärten die Beteiligten übereinstimmend den
Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt; die Kläger
beantragten jedoch, das HZA zu verpflichten, auf die erstattete
Einfuhrumsatzsteuer Zinsen gemäß § 233a der
Abgabenordnung (AO) festzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) stellte das
Verfahren ein, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für
erledigt erklärt worden war, und verpflichtete das HZA im
Übrigen aus den in der ZfZ 2009, Beilage 1, 8 = SIS 09 00 88
veröffentlichten Gründen Zinsen nach § 233a AO
festzusetzen.
Mit seiner Revision macht das HZA geltend,
dass die Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 108 Abs. 1 des Grundgesetzes
und nach § 21 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eine
durch die Bundesfinanzbehörden verwaltete Verbrauchsteuer sei,
für die deshalb eine Verzinsung nach § 233a AO nicht in
Betracht komme.
II. Die Revision des HZA ist begründet.
Sie führt, soweit das HZA verpflichtet worden ist, Zinsen auf
die erstattete Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 233a AO
festzusetzen, zur Änderung der Vorentscheidung und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
§ 233a AO regelt die sog.
„Vollverzinsung“ oder auch „Verzinsung
vor Fälligkeit“ von Steuerforderungen im Bereich
bestimmter, in Abs. 1 der Vorschrift aufgezählter Steuerarten
- zu denen auch die Umsatzsteuer gehört -, bei denen der
zeitliche Abstand zwischen Entstehung und Fälligkeit der
Steuer oftmals groß ist, und erfasst daher nicht Steuerarten,
bei denen die Festsetzung typischerweise zeitnah nach
Steuerentstehung erfolgt, wie dies z.B. bei Zöllen und
Verbrauchsteuern der Fall ist (vgl. Heuermann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 233a AO Rz 1, 5, 17;
Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 233a Rz 1, 6, 8; Schwarz in
Schwarz, AO, § 233a Rz 1).
Die Einfuhrumsatzsteuer ist - wie das FG
zutreffend ausgeführt hat - gemäß § 1 Nr. 4
UStG eine Form der in § 233a Abs. 1 AO mit aufgeführten
Umsatzsteuer. Sie weist aber im Vergleich zur sog. inneren
Umsatzsteuer Besonderheiten auf, die zeigen, dass die Vorschrift
des § 233a AO über die Verzinsung vor Fälligkeit
für die Einfuhrumsatzsteuer nicht passt.
1. Der maßgebende Unterschied ist
allerdings nicht in dem Umstand zu sehen, dass die
Einfuhrumsatzsteuer nach der Definition des § 21 Abs. 1 UStG
eine Verbrauchsteuer i.S. der AO ist (anders FG Bremen, Urteil vom
28.4.1992 II 143/87 K, EFG 1992, 503), denn die kurze für
Verbrauchsteuern geltende einjährige Festsetzungsfrist (§
169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO), deretwegen diese Steuern von §
233a AO nicht erfasst werden (vgl. Heuermann in HHSp, § 233a
AO, Rz 23; Klein/Rüsken, a.a.O., Rz 6; Schwarz in Schwarz,
a.a.O., Rz 1), gilt nicht für die Einfuhrumsatzsteuer, die
nach dem gemäß § 21 Abs. 2 UStG
sinngemäß anzuwendenden Art. 221 Abs. 3 des Zollkodex
(ZK) einer dreijährigen Festsetzungsfrist unterliegt. Auch
lässt sich allein aus dem Umstand, dass in § 233a Abs. 1
AO keine andere Verbrauchsteuer genannt ist, nicht schließen,
dass auch die Umsatzsteuer, soweit sie in Gestalt der
Einfuhrumsatzsteuer als Verbrauchsteuer definiert ist, für
eine Vollverzinsung nicht in Betracht kommen kann.
2. Die Einfuhrumsatzsteuer ist allerdings
insofern eine besondere Art der Umsatzsteuer, als sie im UStG nur
unvollständig, nämlich hinsichtlich des die
Leistungspflicht auslösenden Tatbestands (Einfuhr von
Gegenständen, § 1 Nr. 4 UStG), der Steuerbefreiungen
(§ 5 UStG), der Bemessungsgrundlage (§ 11 UStG) und des
Steuersatzes (§ 12 UStG), jedoch im Übrigen durch die
nach § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß geltenden
Zollvorschriften geregelt ist, womit die Einfuhrumsatzsteuer in
wesentlichen Bereichen, nämlich der Entstehung der
Steuerschuld, der Bestimmung des Steuerschuldners, des Orts der
Steuerschuldentstehung, des Erlöschens und des Erlasses bzw.
der Erstattung der Steuer aus dem sachlichen Regelungsbereich des
UStG ausgewiesen und durch das gemeinschaftsrechtliche Zollrecht
bestimmt wird.
a) Diese enge Verknüpfung mit dem
Zollrecht trägt dem Umstand Rechnung, dass die
Einfuhrumsatzsteuer eine Einfuhrabgabe ist. Sie gehört nach
§ 1 Abs. 1 Satz 3 des Zollverwaltungsgesetzes zu den von den
Zollbehörden verwalteten Einfuhrabgaben und unterliegt in
dieser Eigenschaft - wie ausgeführt - weitgehend den für
Zölle geltenden Vorschriften des ZK und der
Zollkodex-Durchführungsverordnung. Der Grund, weshalb §
233a AO für Zölle - abgesehen davon, dass die Vorschrift
Zölle ohnehin nicht erwähnt - wegen ihrer
regelmäßig zeitnahen Festsetzung nach der
Zollschuldentstehung auch nicht passte (vgl. Klein/ Rüsken,
a.a.O., Rz 8; Schwarz in Schwarz, a.a.O., Rz 1), gilt daher
gleichermaßen für die Einfuhrumsatzsteuer.
Während nämlich die
Jahresumsatzsteuer am Ende des Kalenderjahres entsteht (vgl. Urteil
des Bundesfinanzhofs vom 9.5.1996 V R 62/94, BFHE 181, 188, BStBl
II 1996, 662 = SIS 96 22 77) und ggf. erst weitaus später
festgesetzt wird, entsteht die Einfuhrumsatzsteuer gemäß
§ 13 Abs. 2, § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 201 Abs. 1
Buchst. a, Abs. 2 ZK mit der Annahme der Zollanmeldung für die
Überführung der Ware in den freien Verkehr (vgl. Roger
Schwarz in Plückebaum/Malitzky/Widmann, Umsatzsteuergesetz,
Kommentar, § 21 Rz 6). Unmittelbar danach, grundsätzlich
spätestens binnen zwei Tagen nach Überlassung der Waren,
ist der Abgabenbetrag gemäß Art. 217, 218 ZK von der
Zollbehörde buchmäßig zu erfassen und nach Art. 221
Abs. 1 ZK sodann dem Abgabenschuldner mitzuteilen, der den Betrag
gemäß Art. 222 Abs. 1 Buchst. a ZK innerhalb der ihm
durch die Zollbehörde gesetzten Frist, die grundsätzlich
zehn Tage ab Mitteilung des geschuldeten Abgabenbetrags nicht
überschreiten darf und auch bei gewährtem
Zahlungsaufschub nicht erheblich länger ist (Art. 227 ZK), zu
entrichten hat. Für den Normalfall liegen daher die Zeitpunkte
der Entstehung der Einfuhrabgaben und ihrer Fälligkeit -
anders als bei der sog. inneren Umsatzsteuer - eng beieinander.
Dementsprechend schreibt das Gemeinschaftsrecht mit Art. 232 Abs. 1
Buchst. b ZK zwar vor, dass bei nicht fristgerechter Entrichtung
der Einfuhrabgaben Säumniszinsen erhoben werden, kennt aber
keine Verzinsung vor Fälligkeit des Abgabenbetrags.
b) Auch wenn der nationale Gesetzgeber nicht
gehindert sein dürfte, gleichwohl für Einfuhrabgaben die
Verzinsung vor Fälligkeit vorzusehen, so hat er dies
jedenfalls weder für Zölle noch für die für
eingeführte Waren zu erhebenden Verbrauchsteuern getan. Es ist
kein Grund erkennbar, bei der Einfuhrabgabe
„Einfuhrumsatzsteuer“ anders zu verfahren. Es
spricht daher nichts dafür, § 233a AO dahin auszulegen,
dass mit der in Abs. 1 der Vorschrift genannten Umsatzsteuer auch
die Einfuhrumsatzsteuer gemeint ist. Dementsprechend ist dem
erkennenden Senat aus der Praxis auch kein Fall bekannt, in dem die
Zollverwaltung bei der Nacherhebung von Einfuhrabgaben auf die
nachzuerhebende Einfuhrumsatzsteuer Zinsen gemäß §
233a AO festgesetzt hat. Vielmehr wird nach Abs. 1 und 2 der
Dienstvorschrift zur Änderung von Steuerbescheiden
(Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung Z 8220) bei zum
Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen Einfuhrumsatzsteuer
regelmäßig nicht nacherhoben.
c) Für den Fall, dass Einfuhrabgaben zu
erstatten sind, schließt es das Gemeinschaftsrecht in Art.
241 Satz 1 ZK sogar grundsätzlich aus, dass auf den
Erstattungsbetrag Zinsen berechnet werden. Auch insoweit
eröffnet zwar Art. 241 Satz 2 Anstrich 2 ZK die
Möglichkeit abweichender einzelstaatlicher Bestimmungen,
jedoch ist aus den bereits dargelegten Gründen nicht
ersichtlich, dass es sich bei § 233a AO für den Fall zu
erstattender Einfuhrumsatzsteuer um eine solche abweichende
Vorschrift handelt (vgl. Gellert in Dorsch, Zollrecht, Art. 241 ZK
Rz 3; Witte/Huchatz, Zollkodex, 5. Aufl., Art. 241 Rz 5;
Pahlke/Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 233a Rz 12).
Die Annahme, der Gesetzgeber habe für zu erstattende
Einfuhrumsatzsteuer mit § 233a AO von seiner nach Art. 241
Satz 2 Anstrich 2 ZK gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht,
eine Verzinsung vor Fälligkeit vorzuschreiben, hiervon jedoch
für zu erstattende Zölle und bei der Einfuhr erhobene
Verbrauchsteuern abgesehen, ist nicht naheliegend und
widerspräche dem Grundsatz der einheitlichen Erhebung der
Einfuhrabgaben.
Mit der durch Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 der
Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Nr. L 145/1) angeordneten engen Verknüpfung des
Einfuhrumsatzsteuerrechts mit dem Zollrecht (jetzt Art. 71 Abs. 1
Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. L 347/1) und der dementsprechend nach
§ 21 Abs. 2 UStG vorgeschriebenen sinngemäßen
Anwendung der Zollvorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer soll
insbesondere sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu
erhebenden Abgaben von ein und derselben Behörde in einem
Bescheid nach dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich
getroffener Feststellungen einfach und zweckmäßig
erhoben werden (Senatsurteil vom 6.5.2008 VII R 30/07, BFHE 221,
325, ZfZ 2008, 301 = SIS 08 37 74, m.w.N.). Eine bei der
Einfuhrumsatzsteuer gegenüber Zöllen und anderen
Einfuhrabgaben abweichende Regelung der Verzinsung vor
Fälligkeit ist mit diesem Grundsatz nicht zu vereinbaren.
3. Für eine Verpflichtung des HZA,
Prozesszinsen gemäß § 236 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AO
festzusetzen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da nicht
ersichtlich ist, dass das HZA eine Zinsfestsetzung nach dieser
Vorschrift ablehnt.