EUSt bei vorschriftswidriger Einfuhr über EU-Mitgliedstaat: Werden Waren, die aus einem Drittland in einen Mitgliedstaat der Gemeinschaft vorschriftswidrig verbracht wurden, in die Bundesrepublik Deutschland weitertransportiert und hier entdeckt, gilt unter den Voraussetzungen des Art. 215 Abs. 4 ZK nicht nur die Zollschuld, sondern auch die Einfuhrumsatzsteuerschuld als in der Bundesrepublik Deutschland entstanden. - Urt.; BFH 6.5.2008, VII R 30/07; SIS 08 37 74
I. Bei einer polizeilichen Kontrolle im Mai
2005 wurden in einem PKW mehrere Stangen unverzollte und
unversteuerte Zigaretten gefunden. Der Beifahrer gab an, die
Zigaretten zusammen mit zwei polnischen Staatsangehörigen -
darunter der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) -, die
sich in einem anderen PKW auf einem Parkplatz aufhielten, von Polen
nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Bei der
anschließenden polizeilichen Durchsuchung auch dieses PKW
wurden weitere unverzollte und unversteuerte Zigaretten
gefunden.
Mit Steuerbescheid vom ... setzte der
Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA - )
für die aufgefundene Menge Zigaretten die Einfuhrabgaben
(Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) gegen den Kläger
als Gesamtschuldner neben weiteren Personen fest.
Auf die hiergegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den
Steuerbescheid auf, soweit Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt worden
war, und wies die Klage im Übrigen ab. Das FG urteilte, dass
nach dem gegen den Kläger ergangenen rechtskräftig
gewordenen Strafbefehl davon auszugehen sei, dass der Kläger
zusammen mit weiteren Beteiligten die zuvor vorschriftswidrig in
das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Zigaretten nach
Deutschland verbracht habe. Der Kläger sei daher Zollschuldner
nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 des Zollkodex (ZK); die Tabaksteuer
schulde er nach § 19 Satz 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes.
Allerdings sei die Einfuhrumsatzsteuer zu Unrecht gegen den
Kläger festgesetzt worden, weil nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) nur die Einfuhr von Gegenständen
im Inland aus Drittländern der Umsatzsteuer unterliege. Die
Einfuhr aus Drittländern erfolge in dem Mitgliedstaat der
Gemeinschaft, in dessen Hoheitsgebiet sich der Gegenstand zu dem
Zeitpunkt befinde, in dem er in die Gemeinschaft verbracht werde.
Da aber die Zigaretten in Polen in die Gemeinschaft verbracht
worden seien, sei in Deutschland keine Einfuhrumsatzsteuer
entstanden.
Mit seiner Revision macht das HZA geltend,
dass die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer gemeinschaftsrechtlich
an die Zollschuldentstehung gekoppelt sei.
II. Die Revision des HZA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit der Klage
stattgegeben worden ist, und zur vollständigen Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Der angefochtene Steuerbescheid ist auch insoweit
rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als mit ihm
die auf die Zigaretten entfallende Einfuhrumsatzsteuer gegen den
Kläger festsetzt worden ist.
Der Einfuhrumsatzsteuer unterliegt nach §
1 Abs. 1 Nr. 4 UStG die Einfuhr von Gegenständen im Inland
oder in den - für den Streitfall keine Rolle spielenden - in
der Vorschrift aufgeführten österreichischen Gebieten.
Eine Definition der „Einfuhr“ enthält das
UStG nicht; der Begriff lässt sich jedoch anhand des (im
Streitfall noch anzuwendenden) Art. 7 der Sechsten Richtlinie
77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
- RL 77/388/EWG - (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Nr. L 145/1) bestimmen. Danach wird für die Einfuhr
vorausgesetzt, dass der betreffende Gegenstand aus dem
Drittlandsgebiet über die Grenze des Zollgebiets der
Gemeinschaft hinweg in die Gemeinschaft verbracht wird (Art. 7 Abs.
1 RL 77/388/EWG), wobei die Einfuhr des Gegenstandes in dem
Mitgliedstaat erfolgt, in dessen Hoheitsgebiet er sich im Zeitpunkt
des Verbringens befindet (Art. 7 Abs. 2 RL 77/388/EWG). Dies
entspricht der Rechtslage gemäß Art. 30 und Art. 60 der
am 1.1.2007 in Kraft getretenen Richtlinie 2006/112/EG
(Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie - MwStSystRL - ) des Rates vom
28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt
der Europäischen Union Nr. L 347/1).
Daraus folgt für den Streitfall - wie das
FG geurteilt hat -, dass die Zigaretten nicht aus einem Drittland
nach Deutschland eingeführt worden sind. Es ist zwar nicht
nachvollziehbar, wie das FG zu der Feststellung gelangt ist, dass
die Zigaretten aus einem Drittland nach Polen vorschriftswidrig
verbracht worden sind, denn es gibt keine Erkenntnisse, wo die
Zigaretten die Grenze zum Zollgebiet der Gemeinschaft
überschritten haben. Diese Frage kann jedoch offenbleiben, da
die Zigaretten nach den Feststellungen im Ermittlungsverfahren von
Polen aus nach Deutschland verbracht worden sind, weshalb alles
dafür spricht, dass der Grenzübertritt der Zigaretten aus
einem Drittland in das Zollgebiet der Gemeinschaft jedenfalls nicht
nach Deutschland erfolgt ist.
Nach Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 RL 77/388/EWG
(jetzt Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL) treten der
Steuertatbestand und der Steueranspruch bei Gegenständen, die
Zöllen oder anderen gemeinschaftlichen Abgaben unterliegen, zu
dem Zeitpunkt ein, zu dem der Tatbestand und der Anspruch dieser
gemeinschaftlichen Abgaben entstehen. Da die Einfuhrzollschuld im
Fall des vorschriftswidrigen Verbringens nach Art. 202 Abs. 2 ZK in
dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Ware vorschriftswidrig in das
Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird, entsteht in diesem
Zeitpunkt auch die Umsatzsteuer bei der Einfuhr.
Aus den genannten Regelungen folgt jedoch
entgegen der Ansicht des FG nicht, dass die wegen des
vorschriftswidrigen Verbringens aus einem Drittland in einen zum
Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Mitgliedstaat
entstandene Umsatzsteuer bei der Einfuhr nur von den
Zollbehörden dieses Mitgliedstaats erhoben werden darf.
Vielmehr folgt die Befugnis zur Erhebung der Steuer
grundsätzlich der Befugnis zur Zollerhebung.
Die durch Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 RL
77/388/EWG angeordnete enge Verknüpfung des Rechts der
Umsatzsteuer bei der Einfuhr mit dem Zollrecht wird durch § 21
Abs. 2 UStG in nationales Recht umgesetzt. Nach dieser Vorschrift
gelten für die Einfuhrumsatzsteuer - von einigen hier nicht
maßgebenden Ausnahmen abgesehen - die Vorschriften für
Zölle sinngemäß. Durch die sinngemäße
Anwendung der Zollvorschriften soll insbesondere sichergestellt
werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden Abgaben von ein und
derselben Behörde in einem Bescheid nach dem gleichen
Verfahren aufgrund einheitlich getroffener Feststellungen einfach
und zweckmäßig erhoben werden; dieser Zweck wird nur
erreicht, wenn es regelmäßig zur Anwendung der
Zollvorschriften auf die Einfuhrumsatzsteuer kommt (Senatsurteil
vom 3.5.1990 VII R 71/88, BFHE 161, 260 = SIS 90 23 31).
Somit kommt für die Einfuhrumsatzsteuer
Art. 215 ZK sinngemäß zur Anwendung, dessen in Abs. 4
der Vorschrift normierte Voraussetzungen das FG - hinsichtlich der
Zollschuld und ausgehend von der Annahme, dass die Zigaretten zuvor
nach Polen vorschriftswidrig verbracht worden waren - zu Recht als
erfüllt angesehen hat. War aber danach das HZA berechtigt, den
auf die geschmuggelten Zigaretten entfallenden Zoll gegen den
Kläger festzusetzen, so gilt dies auch für die
Einfuhrumsatzsteuer. Ebenso wie die Zollschuld gilt nach § 21
Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 215 Abs. 4 ZK die Einfuhrumsatzsteuerschuld
als in Deutschland entstanden. Es spricht aus
umsatzsteuerrechtlicher Sicht nichts dagegen, diese für
Bagatellbeträge geltende gesetzliche Fiktion auch auf die
Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden.
Ein anderes Ergebnis ergäbe sich nicht,
wenn man es entgegen der Annahme des FG als ungeklärt
ansähe, in welchen Mitgliedstaat der Gemeinschaft die
Zigaretten vorschriftswidrig verbracht worden waren, bevor sie nach
Deutschland weitertransportiert wurden. In diesem Fall wäre
die Einfuhrumsatzsteuerschuld gemäß § 21 Abs. 2
UStG i.V.m. Art. 215 Abs. 1 Anstrich 2 ZK in Deutschland
entstanden. Die Einfuhrumsatzsteuer ist eine Einfuhrabgabe (§
1 Abs. 1 Satz 3 des Zollverwaltungsgesetzes); es widerspricht nicht
ihrem Sinn und Zweck, sie zu erheben, wenn Waren in das Zollgebiet
der Gemeinschaft geschmuggelt und unverzollt und unversteuert
über einen anderen Mitgliedstaat nach Deutschland verbracht
und hier von den Zollbehörden entdeckt werden.
Der Senat hält die Auslegung der im
Streitfall anzuwendenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften
für zweifelsfrei und sieht keine Verpflichtung, die Sache dem
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur
Vorabentscheidung vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs.
283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).