Teste, loggen Sie sich ein oder nutzen Sie unseren kostenlosen Test.
Sie sind bereits Abonnent der SIS-Datenbank Steuerrecht? Loggen Sie sich ein, um den vollen Zugriff auf die Dokumente zu erhalten.
Sie sind noch kein Bezieher der SIS-Datenbank Steuerrecht, wollen aber mehr erfahren oder die Datenbank testen? Hier finden Sie alle Informationen und können die Datenbank einen Monat lang kostenlos testen und erhalten Zugriff u.a. auf:
  • über 130.000 Dokumente (Urteile und Verwaltungsanweisungen)
  • umfangreiche Gesetzessammlung
  • 5 vollverlinkte Steuerhandbücher (AO, ESt/LSt, KSt, GewSt, USt)
  • viele weitere wertvolle Praxishilfen
Teste, loggen Sie sich ein oder nutzen Sie unseren kostenlosen Test.
Sie sind bereits Abonnent der SIS-Datenbank Steuerrecht? Loggen Sie sich ein, um den vollen Zugriff auf die Dokumente zu erhalten.
Sie sind noch kein Bezieher der SIS-Datenbank Steuerrecht, wollen aber mehr erfahren oder die Datenbank testen? Hier finden Sie alle Informationen und können die Datenbank einen Monat lang kostenlos testen und erhalten Zugriff u.a. auf:
  • über 130.000 Dokumente (Urteile und Verwaltungsanweisungen)
  • umfangreiche Gesetzessammlung
  • 5 vollverlinkte Steuerhandbücher (AO, ESt/LSt, KSt, GewSt, USt)
  • viele weitere wertvolle Praxishilfen

Dauerschuldzinsen, Hinzurechnung, Vorlage an EuGH

Dauerschuldzinsen, Hinzurechnung, Vorlage an EuGH: Dem EuGH werden die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: - 1. Steht Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 157 S. 49) - EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR) - einer Regelung entgegen, wonach die von einem Unternehmen eines Mitgliedstaates an ein verbundenes Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates gezahlten Darlehenszinsen bei dem erstgenannten Unternehmen der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer hinzugerechnet werden? - 2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 10 ZLR dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten auch dann freisteht, die Richtlinie nicht anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines verbundenen Unternehmens zum Zeitpunkt der Zinszahlung noch nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren erfüllt waren? Können sich die Mitgliedstaaten in diesem Fall gegenüber dem zahlenden Unternehmen unmittelbar auf Art. 1 Abs. 10 ZLR berufen. - Urt.; BFH 27.5.2009, I R 30/08; SIS 09 30 54

Kapitel:
Unternehmensbereich > Gewerbesteuer
Fundstellen
  1. BFH 27.05.2009, I R 30/08
    BFHE 226 S. 357
    BFH/NV 2009 S. 2059
    DStR 2009 S. 2191
    DB 2009 S. 2468
    LEXinform 5009097

    Anmerkungen:
    R.O. in IStR 21/2009 S. 783
    erl in StuB 21/2009 S. 821
    I.D. in NWB 48/2009 S. 3714
    D.G. in BFH/PR 1/2010 S. 11
    O.Th. in IWB 24/2009 F. 3A Rechtsprechung Gr. 1 S. 1145
    R.P. in HFR 1/2010 S. 39
    KAM in Stbg 4/2010 S. M 8
    K.Sch.T. in IStR 9/2010 S. 317
Normen
[RL 2003/49/EG] Art. 1 Abs. 1, Art. 1 Abs. 10 , Art. 1 Abs. 11, Art. 3 Buchst. b, Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und d
[EG] Art. 43, Art. 48
[GewStG 2002] § 8 Nr. 1
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • nach: EuGH, 21.07.2011, SIS 11 26 57, EG, EU, Gewerbesteuer, Hinzurechnung, Dauerschuldzinsen, Gemeinschaftsrecht
Zitiert in... / geändert durch...
  • Hessisches FG 3.9.2013, SIS 13 31 92, Unangemessene Gesellschafterfremdfinanzierung bei mittelbarem Beteiligungserwerb im Konzern: 1. Der nach ...
  • BFH 31.1.2012, SIS 12 13 53, Hinzurechnung von Glücksspielabgaben zur Ermittlung des Gewerbeertrags: Die von einer GmbH, der das Land ...
  • BFH 7.12.2011, SIS 12 06 32, Unionsrechtmäßigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Zinsen aus Darlehen einer niederländischen...
  • Niedersächsisches FG 11.11.2010, SIS 11 03 34, Hinzurechnung von Glücksspielabgaben nach § 8 Nr. 1 f GewStG: 1. Glücksspielabgaben nach § 13 NGlüSpG zäh...
Fachaufsätze
  • LIT 01 87 72 I. Dörr, NWB 48/2009 S. 3714: Hinzurechnung von Zinsen und Lizenzgebühren europarechtswidrig? - Vorlagebeschluss des BFH vom 27.5.2009,...
  • LIT 01 88 92 O. Thömmes, IWB 24/2009 F. 3 A Rechtsprechung Gr. 1 S. 1145: Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen EG-rechtswidrig? - Anmerkungen zum BFH-Beschluss v...

I. Sachverhalt und Streitstand

 

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren alleinige Anteilseignerin seit dem 8.8.2003 die S-B.V. (S) mit Sitz in den Niederlanden ist. S gewährte der Klägerin mit elf weitgehend gleichlautenden Verträgen, die in der Zeit zwischen dem 27.8.2003 und dem 1.12.2004 abgeschlossen wurden, Darlehen über insgesamt 5.180.000 EUR zu einem Zinssatz von 5 %. Die Rückzahlung sollte auf Abruf der S erfolgen. Die Klägerin zahlte im Streitjahr 2004 Zinsen in Höhe von 154.584 EUR an S.

 

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) rechnete im Gewerbesteuermessbescheid für das Streitjahr unter Berufung auf § 8 Nr. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002) die Hälfte dieses Zinsbetrags dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzu.

 

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 22.2.2008 9 K 5143/06 G, veröffentlicht in EFG 2008, 968 = SIS 08 22 34, ab.

 

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass der Gewerbesteuermessbetrag unter Berücksichtigung eines Gewerbeertrags vor Verlustabzug in Höhe von 3.187 EUR und eines verbleibenden Verlustvortrags in Höhe von 5.313 EUR auf O EUR festgesetzt wird.

 

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

II. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht

 

Die Entscheidung über die Revision ist von der Beantwortung der im Leitsatz formulierten Vorlagefragen abhängig. Sofern die erste, nicht aber eine der folgenden Fragen zu bejahen ist, muss das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben werden. Andernfalls ist die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

 

1. Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer (als einer Gemeindesteuer, vgl. § 1 GewStG 2002) ist nach § 6 GewStG 2002 der Gewerbeertrag. Dieser ist nach § 7 Satz 1 GewStG 2002 definiert als „der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den (...) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 bezeichneten Beträge“. Gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 werden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb u.a. die Hälfte der Entgelte für Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen, wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind. Zu derartigen Entgelten für sog. Dauerschulden gehören Zinsen für ein Darlehen, dessen tatsächliche Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt.

 

Die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 führt damit im Ergebnis dazu, dass die Hälfte der Darlehenszinsen bei der Ermittlung des Gewerbeertrags des zahlenden Unternehmens nicht abzugsfähig ist. Diese Regelung dient, wie die Hinzurechnungsvorschriften des § 8 GewStG 2002 insgesamt, der Ermittlung des objektiven, von den Beziehungen des Inhabers zum Betrieb losgelösten Gewerbeertrags. Ihr Zweck liegt in einer weitgehenden gewerbesteuerrechtlichen Gleichstellung von Erträgen aus eigen- und fremdfinanziertem Kapital.

 

2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Hinzurechnung der Hälfte der von der Klägerin an S gezahlten Darlehenszinsen im Streitfall - zwischen den Beteiligten unstreitig - nach deutschem Recht zu bejahen. S hat der Klägerin im Zeitraum vom 27.8.2003 bis zum 1.12.2004 Darlehen über insgesamt 5.180.000 EUR zu einem Zinssatz von 5 % gewährt, deren Rückzahlung auf Abruf der S erfolgen sollte. Die tatsächliche Laufzeit der Darlehen betrug nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten mehr als zwölf Monate. Die im Streitjahr an S gezahlten Darlehenszinsen in Höhe von 154.584 EUR sind als Betriebsausgabe bei der Klägerin abgezogen worden.

 

III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht

Die Revision wäre danach zurückzuweisen. Der vorlegende Senat erachtet die Hinzurechnung der Darlehenszinsen gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht jedoch nicht als zweifelsfrei. Die Hinzurechnung könnte gegen Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157, 49) - EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR) - verstoßen, dessen Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vorbehalten ist (vgl. Art. 234 Abs. 1 Buchst. b des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 2002 Nr. C 325, 1 - EG - ).

 

1. Nach Art. 1 Abs. 1 ZLR werden in einem Mitgliedstaat angefallene Einkünfte in Form von Zinsen von allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern - unabhängig davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranlagung erhoben werden - befreit, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates ist. Gemäß Art. 1 Abs. 7 ZLR findet Art. 1 Abs. 1 ZLR nur Anwendung auf grenzüberschreitende Zinszahlungen zwischen verbundenen Unternehmen.

 

2. Im Streitfall führen die Zinszahlungen der Klägerin an S nach Art. 1 Abs. 1 ZLR zu Einkünften in Form von Zinsen (vgl. Art. 2 Buchst. a ZLR), die nach Art. 1 Abs. 2 ZLR in Deutschland als Quellenstaat angefallen sind. S ist als Nutzungsberechtigter der Zinsen (vgl. Art. 1 Abs. 4 ZLR) ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates i.S. des Art. 3 Buchst. a ZLR. Die Klägerin ist ein der S verbundenes Unternehmen, da S alleinige Anteilseignerin der Klägerin ist (vgl. Art. 3 Buchst. b ZLR).

 

3. Aus der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ergibt sich indes nicht eindeutig, ob die in Art. 1 Abs. 1 ZLR angeordnete Steuerbefreiung im Quellenstaat die steuerliche Abzugsfähigkeit der Zinsen beim zahlenden Unternehmen gebietet.

 

a) Für eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf das die Zinsen empfangende Unternehmen spricht, dass „Einkünfte in Form von Zinsen“ i.S. des Art. 1 Abs. 1 ZLR nur der Zahlungsempfänger haben kann.

 

Der Ausschluss des zahlenden Unternehmens von der Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR lässt sich zudem aus dem Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ableiten. Nach der 1. Begründungserwägung der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie sollen grenzüberschreitende Finanzbeziehungen zwischen Unternehmen nicht gegenüber gleichartigen Beziehungen innerhalb eines Mitgliedstaates benachteiligt werden. Die Hinzurechnung der Darlehenszinsen beim zahlenden Unternehmen erfolgt jedoch nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 unabhängig davon, ob der Zahlungsempfänger im Inland oder im Ausland ansässig ist. Sie führt damit nicht zu einer Ungleichbehandlung grenzüberschreitender Zinszahlungen gegenüber vergleichbaren inländischen Finanzbeziehungen.

 

Nach der dortigen 2. Begründungserwägung bezweckt die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Durch die Hinzurechnung der Darlehenszinsen nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 kommt es indessen weder beim zahlenden Unternehmen noch beim Zahlungsempfänger zu einer Doppelbesteuerung, sondern lediglich zu einer kumulativen Belastung beider Unternehmen.

 

b) Für die Einbeziehung des zahlenden Unternehmens in die Steuererbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR spricht, dass die Steuerbefreiung sich nach anderen Sprachfassungen nicht auf „Einkünfte in Form von Zinsen“, sondern auf die Zinszahlung bezieht.

 

Die Steuerbefreiung ist zudem nicht auf den Steuerabzug an der Quelle beschränkt; sie erfasst vielmehr ausdrücklich auch die im Wege der Veranlagung erhobenen Steuern. Im Gegensatz zu den vom EuGH zum Steuerabzug an der Quelle aufgestellten Grundsätzen (vgl. EuGH-Urteile vom 8.6.2000 C-375/98 „Epson Europe BV“, Slg. 2000, I-4243 = SIS 00 09 82, Rz 23; vom 4.10.2001 C-294/99 „Athinaïki Zythopoiia“, Slg. 2001, I-6797 = SIS 01 13 11, Rz 28; vom 26.6.2008 C-284/06 „Burda“, IStR 2008, 515 = SIS 08 32 65, Rz 52, m.w.N.) setzt die Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR daher möglicherweise nicht voraus, dass die Steuerbelastung den Zahlungsempfänger trifft.

 

Der in der 2. Begründungserwägung verwendete Begriff der Doppelbesteuerung ist nicht zwingend auf die rechtliche Doppelbesteuerung desselben Unternehmens beschränkt; er kann auch im Sinne einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung verstanden werden. In diesem Fall wäre der Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nach der 2. Begründungserwägung darauf gerichtet, die durch die Hinzurechnung der Darlehenszinsen ausgelöste Doppelbelastung des zahlenden Unternehmens einerseits und des Zahlungsempfängers andererseits zu beseitigen.

 

Für die Erstreckung der Steuerbefreiung auf das zahlende Unternehmen spricht schließlich die Effektivität der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie. Denn bei einer Beschränkung der Steuerbefreiung auf den Zahlungsempfänger könnte die Steuerbefreiung im Quellenstaat durch die steuerliche Belastung des zahlenden Unternehmens unterlaufen werden.

 

4. Für den Fall, dass die Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR die steuerliche Abzugsfähigkeit der Zinsen beim zahlenden Unternehmen gebietet, hält es der vorlegende Senat für zweifelhaft, ob im Streitfall die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift.

 

a) Nach Art. 1 Abs. 10 ZLR steht es den Mitgliedstaaten frei, die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nicht auf ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren nicht erfüllt waren. Diese Regelung könnte im Streitfall deshalb eingreifen, weil S die Beteiligung an der Klägerin im August 2003 erworben hat und die in Rede stehenden Zinszahlungen im Jahr 2004 geleistet worden sind.

 

b) Für das Eingreifen der Ausnahmeregelung im Streitfall spricht die Verwendung der Vergangenheitsform im Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR. Denn der EuGH hat für die mit Art. 1 Abs. 10 ZLR vergleichbare Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 226, 20) - Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) - unter Berufung auf die Verwendung des Präsens im Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 MTR angenommen, dass der Zeitpunkt der Steuerbefreiung für den Ablauf der Mindestbeteiligungszeit ohne Bedeutung ist (EuGH-Urteil vom 17.10.1996 C-283/94, C-291/94, C-292/94 „Denkavit International BV“, Slg. 1996, I-5063 = SIS 97 01 24, Rz 24).

 

Dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR kommt auch im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Ausnahmeregelung besondere Bedeutung zu. Danach wurde im ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission, KOM (90) 571 endg. vom 6.12.1990 (ABlEG Nr. C 53, 26 vom 28.2.1991) zunächst - in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 MTR - die Gegenwartsform verwendet. Im Gegensatz dazu enthielt Art. 3 Abs. 2 des - erneuten - Richtlinienvorschlags der Kommission, KOM (98) 67 endg. vom 6.3.1998 (ABlEG Nr. C 123, 9 vom 22.4.1998) die Vergangenheitsform, die sodann in Art. 1 Abs. 10 ZLR übernommen wurde.

 

c) Die aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Mindestbeteiligungszeit zum Zeitpunkt der Zinszahlung bereits abgelaufen sein müsse, ist indessen nicht zwingend. Denn die Verwendung der Vergangenheitsform im deutschen Text ist in dem erneuten Richtlinienvorschlag und bei deren Übernahme in Art. 1 Abs. 10 ZLR nicht in allen Sprachfassungen einheitlich erfolgt.

 

Der Ausnahmecharakter des Art. 1 Abs. 10 ZLR könnte ebenfalls dafür sprechen, dass für die Erfüllung der Mindestbeteiligungszeit nicht auf den Zeitpunkt der Zinszahlung abzustellen ist (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-5063, Rz 27).

 

5. Für den Fall, dass der Streitfall von Art. 1 Abs. 1 ZLR erfasst wird und Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift, ist schließlich zweifelhaft, ob sich die Klägerin unmittelbar auf Art. 1 Abs. 1 ZLR berufen kann. Der vorlegende Senat neigt dazu, diese Frage zu bejahen.

 

a) Die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ist hinsichtlich der in Art. 1 Abs. 1 angeordneten Steuerbefreiung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, da sie insoweit die Bestimmung von Mindestrechten ermöglicht. Durch den in Art. 1 Abs. 10 ZLR enthaltenen Umsetzungsspielraum wird die Bestimmung von Mindestrechten nicht ausgeschlossen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1996, I-5063, Rz 39). Die Umsetzungsfrist ist nach Art. 7 Abs. 1 ZLR zum 1.1.2004 abgelaufen; die Steuerbefreiung entfaltet daher im Streitjahr unmittelbare Wirkung.

 

b) Richtlinien begründen zwar nach Art. 249 Abs. 3 EG Verpflichtungen nur für die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sind. Verletzt aber ein Mitgliedstaat seine Verpflichtung zur Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie, so kann er sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht auf Beschränkungen berufen, die sich aus den Bestimmungen der Richtlinie ergeben, von ihm aber nicht in seine innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt worden sind (EuGH-Urteile vom 19.11.1991 C-6/90, C-9/90 „Francovich“, Slg. 1991, I-5357 = SIS 92 02 43, Rz 21; vom 14.7.2005 C-142/04 „Aslanidou“, Slg. 2005, I-7181, Rz 35; vom 30.3.2006 C-184/04 „Uudenkaupungin kaupunki“, Slg. 2006, I-3039 = SIS 06 25 31, Rz 28; vom 12.2.2009 C-138/07 „Cobelfret NV“, IStR 2009, 167 = SIS 09 08 61, Rz 49).

 

Die unmittelbare Wirkung der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie wird danach durch die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 10 ZLR auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Quellenstaat die Bestimmungen der Richtlinie - einschließlich der Ausnahmeregelung - nicht in seine innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt hat. Denn ein Mitgliedstaat darf aus der Verletzung seiner Umsetzungspflicht aus Art. 249 Abs. 3 EG keinen Nutzen ziehen, da dieser Verpflichtung ansonsten jede Wirksamkeit genommen wäre (EuGH-Urteile vom 19.1.1982 8/81 „Becker“, Slg. 1982, 53 = SIS 82 04 19, Rz 29; vom 14.7.1994 C-91/92 „Faccini Dori“, Slg. 1994, I-3325 = SIS 94 25 23, Rz 22, m.w.N.).

 

c) Ein Mitgliedstaat kann sich ferner bei unvollständiger Umsetzung einer Richtlinie nicht auf einen Umsetzungsspielraum berufen, wenn er hiervon im Hinblick auf die in seine innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzten Bestimmungen keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. EuGH-Urteil vom 17.2.2005 C-453/02, C-462/02 „Linneweber und Akritidis“, Slg. 2005, I-1131 = SIS 05 16 75, Rz 35). Für den Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer ist die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie unter Verzicht auf die in Art. 1 Abs. 10 ZLR vorgesehenen Einschränkungen des personellen Anwendungsbereichs vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt worden. Ein Rückgriff auf die Ausnahmeregelung scheidet damit auch für den Bereich der Gewerbesteuer aus, in dem die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie - bei Erstreckung des Anwendungsbereichs auf das zahlende Unternehmen - nicht umgesetzt worden ist.

 

IV. Vorlage an den EuGH

 

Die Gemeinschaftsrechtslage ist zu den erwähnten Punkten nicht derart eindeutig, dass von einer Vorlage an den EuGH abgesehen werden dürfte (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 283/81 „C.I.L.F.I.T.“, Slg. 1982, 3415). Der Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb gemäß § 74 i.V.m. § 121 der Finanzgerichtsordnung aus und legt dem EuGH die im Leitsatz formulierten Rechtsfragen gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur Vorabentscheidung vor.