Dauerschuldzinsen, Hinzurechnung, Vorlage an EuGH: Dem EuGH werden die folgenden Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: - 1. Steht Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (ABlEU Nr. L 157 S. 49) - EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR) - einer Regelung entgegen, wonach die von einem Unternehmen eines Mitgliedstaates an ein verbundenes Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates gezahlten Darlehenszinsen bei dem erstgenannten Unternehmen der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer hinzugerechnet werden? - 2. Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 1 Abs. 10 ZLR dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten auch dann freisteht, die Richtlinie nicht anzuwenden, wenn die in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines verbundenen Unternehmens zum Zeitpunkt der Zinszahlung noch nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren erfüllt waren? Können sich die Mitgliedstaaten in diesem Fall gegenüber dem zahlenden Unternehmen unmittelbar auf Art. 1 Abs. 10 ZLR berufen. - Urt.; BFH 27.5.2009, I R 30/08; SIS 09 30 54
I. Sachverhalt und Streitstand
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren
alleinige Anteilseignerin seit dem 8.8.2003 die S-B.V. (S) mit Sitz
in den Niederlanden ist. S gewährte der Klägerin mit elf
weitgehend gleichlautenden Verträgen, die in der Zeit zwischen
dem 27.8.2003 und dem 1.12.2004 abgeschlossen wurden, Darlehen
über insgesamt 5.180.000 EUR zu einem Zinssatz von 5 %. Die
Rückzahlung sollte auf Abruf der S erfolgen. Die Klägerin
zahlte im Streitjahr 2004 Zinsen in Höhe von 154.584 EUR an
S.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) rechnete im Gewerbesteuermessbescheid für
das Streitjahr unter Berufung auf § 8 Nr. 1 des
Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002) die Hälfte dieses
Zinsbetrags dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzu.
Die hiergegen erhobene Klage wies das
Finanzgericht (FG) Münster mit Urteil vom 22.2.2008 9 K
5143/06 G, veröffentlicht in EFG 2008, 968 = SIS 08 22 34,
ab.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über den
Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass der
Gewerbesteuermessbetrag unter Berücksichtigung eines
Gewerbeertrags vor Verlustabzug in Höhe von 3.187 EUR und
eines verbleibenden Verlustvortrags in Höhe von 5.313 EUR auf
O EUR festgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht
Die Entscheidung über die Revision ist
von der Beantwortung der im Leitsatz formulierten Vorlagefragen
abhängig. Sofern die erste, nicht aber eine der folgenden
Fragen zu bejahen ist, muss das erstinstanzliche Urteil aufgehoben
und der Klage stattgegeben werden. Andernfalls ist die Revision der
Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.
1. Besteuerungsgrundlage für die
Gewerbesteuer (als einer Gemeindesteuer, vgl. § 1 GewStG 2002)
ist nach § 6 GewStG 2002 der Gewerbeertrag. Dieser ist nach
§ 7 Satz 1 GewStG 2002 definiert als „der nach den
Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des
Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem
Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den
(...) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen
ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9
bezeichneten Beträge“. Gemäß § 8 Nr.
1 GewStG 2002 werden dem Gewinn aus Gewerbebetrieb u.a. die
Hälfte der Entgelte für Schulden, die der nicht nur
vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen,
wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns
abgesetzt worden sind. Zu derartigen Entgelten für sog.
Dauerschulden gehören Zinsen für ein Darlehen, dessen
tatsächliche Laufzeit mehr als ein Jahr beträgt.
Die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG
2002 führt damit im Ergebnis dazu, dass die Hälfte der
Darlehenszinsen bei der Ermittlung des Gewerbeertrags des zahlenden
Unternehmens nicht abzugsfähig ist. Diese Regelung dient, wie
die Hinzurechnungsvorschriften des § 8 GewStG 2002 insgesamt,
der Ermittlung des objektiven, von den Beziehungen des Inhabers zum
Betrieb losgelösten Gewerbeertrags. Ihr Zweck liegt in einer
weitgehenden gewerbesteuerrechtlichen Gleichstellung von
Erträgen aus eigen- und fremdfinanziertem Kapital.
2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die
Hinzurechnung der Hälfte der von der Klägerin an S
gezahlten Darlehenszinsen im Streitfall - zwischen den Beteiligten
unstreitig - nach deutschem Recht zu bejahen. S hat der
Klägerin im Zeitraum vom 27.8.2003 bis zum 1.12.2004 Darlehen
über insgesamt 5.180.000 EUR zu einem Zinssatz von 5 %
gewährt, deren Rückzahlung auf Abruf der S erfolgen
sollte. Die tatsächliche Laufzeit der Darlehen betrug nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten mehr als zwölf
Monate. Die im Streitjahr an S gezahlten Darlehenszinsen in
Höhe von 154.584 EUR sind als Betriebsausgabe bei der
Klägerin abgezogen worden.
III. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
Die Revision wäre danach
zurückzuweisen. Der vorlegende Senat erachtet die
Hinzurechnung der Darlehenszinsen gemäß § 8 Nr. 1
GewStG 2002 aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht jedoch nicht als
zweifelsfrei. Die Hinzurechnung könnte gegen Art. 1 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 3.6.2003 über eine
gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und
Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener
Mitgliedstaaten (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 157,
49) - EU-Zins- und Lizenzrichtlinie (ZLR) - verstoßen, dessen
Auslegung dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
(EuGH) vorbehalten ist (vgl. Art. 234 Abs. 1 Buchst. b des
Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
i.d.F. des Vertrages von Nizza zur Änderung des Vertrages
über die Europäische Union, der Verträge zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger
damit zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - 2002 Nr. C 325, 1 - EG -
).
1. Nach Art. 1 Abs. 1 ZLR werden in einem
Mitgliedstaat angefallene Einkünfte in Form von Zinsen von
allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern - unabhängig
davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranlagung
erhoben werden - befreit, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen
ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates ist. Gemäß
Art. 1 Abs. 7 ZLR findet Art. 1 Abs. 1 ZLR nur Anwendung auf
grenzüberschreitende Zinszahlungen zwischen verbundenen
Unternehmen.
2. Im Streitfall führen die Zinszahlungen
der Klägerin an S nach Art. 1 Abs. 1 ZLR zu Einkünften in
Form von Zinsen (vgl. Art. 2 Buchst. a ZLR), die nach Art. 1 Abs. 2
ZLR in Deutschland als Quellenstaat angefallen sind. S ist als
Nutzungsberechtigter der Zinsen (vgl. Art. 1 Abs. 4 ZLR) ein
Unternehmen eines anderen Mitgliedstaates i.S. des Art. 3 Buchst. a
ZLR. Die Klägerin ist ein der S verbundenes Unternehmen, da S
alleinige Anteilseignerin der Klägerin ist (vgl. Art. 3
Buchst. b ZLR).
3. Aus der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie
ergibt sich indes nicht eindeutig, ob die in Art. 1 Abs. 1 ZLR
angeordnete Steuerbefreiung im Quellenstaat die steuerliche
Abzugsfähigkeit der Zinsen beim zahlenden Unternehmen
gebietet.
a) Für eine Beschränkung der
Steuerbefreiung auf das die Zinsen empfangende Unternehmen spricht,
dass „Einkünfte in Form von Zinsen“ i.S.
des Art. 1 Abs. 1 ZLR nur der Zahlungsempfänger haben
kann.
Der Ausschluss des zahlenden Unternehmens von
der Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR lässt sich zudem
aus dem Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ableiten. Nach der
1. Begründungserwägung der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie
sollen grenzüberschreitende Finanzbeziehungen zwischen
Unternehmen nicht gegenüber gleichartigen Beziehungen
innerhalb eines Mitgliedstaates benachteiligt werden. Die
Hinzurechnung der Darlehenszinsen beim zahlenden Unternehmen
erfolgt jedoch nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002 unabhängig
davon, ob der Zahlungsempfänger im Inland oder im Ausland
ansässig ist. Sie führt damit nicht zu einer
Ungleichbehandlung grenzüberschreitender Zinszahlungen
gegenüber vergleichbaren inländischen
Finanzbeziehungen.
Nach der dortigen 2.
Begründungserwägung bezweckt die EU-Zins- und
Lizenzrichtlinie die Vermeidung der Doppelbesteuerung. Durch die
Hinzurechnung der Darlehenszinsen nach § 8 Nr. 1 GewStG 2002
kommt es indessen weder beim zahlenden Unternehmen noch beim
Zahlungsempfänger zu einer Doppelbesteuerung, sondern
lediglich zu einer kumulativen Belastung beider Unternehmen.
b) Für die Einbeziehung des zahlenden
Unternehmens in die Steuererbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR
spricht, dass die Steuerbefreiung sich nach anderen Sprachfassungen
nicht auf „Einkünfte in Form von Zinsen“,
sondern auf die Zinszahlung bezieht.
Die Steuerbefreiung ist zudem nicht auf den
Steuerabzug an der Quelle beschränkt; sie erfasst vielmehr
ausdrücklich auch die im Wege der Veranlagung erhobenen
Steuern. Im Gegensatz zu den vom EuGH zum Steuerabzug an der Quelle
aufgestellten Grundsätzen (vgl. EuGH-Urteile vom 8.6.2000
C-375/98 „Epson Europe BV“, Slg. 2000, I-4243 =
SIS 00 09 82, Rz 23; vom 4.10.2001 C-294/99
„Athinaïki Zythopoiia“, Slg. 2001, I-6797 =
SIS 01 13 11, Rz 28; vom 26.6.2008 C-284/06
„Burda“, IStR 2008, 515 = SIS 08 32 65, Rz 52,
m.w.N.) setzt die Steuerbefreiung nach Art. 1 Abs. 1 ZLR daher
möglicherweise nicht voraus, dass die Steuerbelastung den
Zahlungsempfänger trifft.
Der in der 2. Begründungserwägung
verwendete Begriff der Doppelbesteuerung ist nicht zwingend auf die
rechtliche Doppelbesteuerung desselben Unternehmens
beschränkt; er kann auch im Sinne einer wirtschaftlichen
Doppelbesteuerung verstanden werden. In diesem Fall wäre der
Zweck der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nach der 2.
Begründungserwägung darauf gerichtet, die durch die
Hinzurechnung der Darlehenszinsen ausgelöste Doppelbelastung
des zahlenden Unternehmens einerseits und des
Zahlungsempfängers andererseits zu beseitigen.
Für die Erstreckung der Steuerbefreiung
auf das zahlende Unternehmen spricht schließlich die
Effektivität der EU-Zins- und Lizenzrichtlinie. Denn bei einer
Beschränkung der Steuerbefreiung auf den
Zahlungsempfänger könnte die Steuerbefreiung im
Quellenstaat durch die steuerliche Belastung des zahlenden
Unternehmens unterlaufen werden.
4. Für den Fall, dass die Steuerbefreiung
nach Art. 1 Abs. 1 ZLR die steuerliche Abzugsfähigkeit der
Zinsen beim zahlenden Unternehmen gebietet, hält es der
vorlegende Senat für zweifelhaft, ob im Streitfall die
Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift.
a) Nach Art. 1 Abs. 10 ZLR steht es den
Mitgliedstaaten frei, die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie nicht auf
ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats anzuwenden, wenn die
in Art. 3 Buchst. b ZLR genannten Voraussetzungen während
eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren nicht
erfüllt waren. Diese Regelung könnte im Streitfall
deshalb eingreifen, weil S die Beteiligung an der Klägerin im
August 2003 erworben hat und die in Rede stehenden Zinszahlungen im
Jahr 2004 geleistet worden sind.
b) Für das Eingreifen der
Ausnahmeregelung im Streitfall spricht die Verwendung der
Vergangenheitsform im Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR. Denn der
EuGH hat für die mit Art. 1 Abs. 10 ZLR vergleichbare
Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des
Rates vom 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem der
Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
(ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 226, 20) -
Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR) - unter Berufung auf die Verwendung
des Präsens im Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 MTR angenommen, dass
der Zeitpunkt der Steuerbefreiung für den Ablauf der
Mindestbeteiligungszeit ohne Bedeutung ist (EuGH-Urteil vom
17.10.1996 C-283/94, C-291/94, C-292/94 „Denkavit
International BV“, Slg. 1996, I-5063 = SIS 97 01 24, Rz
24).
Dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR kommt auch
im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Ausnahmeregelung
besondere Bedeutung zu. Danach wurde im ursprünglichen
Richtlinienvorschlag der Kommission, KOM (90) 571 endg. vom
6.12.1990 (ABlEG Nr. C 53, 26 vom 28.2.1991) zunächst - in
Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 MTR - die Gegenwartsform
verwendet. Im Gegensatz dazu enthielt Art. 3 Abs. 2 des - erneuten
- Richtlinienvorschlags der Kommission, KOM (98) 67 endg. vom
6.3.1998 (ABlEG Nr. C 123, 9 vom 22.4.1998) die Vergangenheitsform,
die sodann in Art. 1 Abs. 10 ZLR übernommen wurde.
c) Die aus dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 10 ZLR
abgeleitete Schlussfolgerung, dass die Mindestbeteiligungszeit zum
Zeitpunkt der Zinszahlung bereits abgelaufen sein müsse, ist
indessen nicht zwingend. Denn die Verwendung der Vergangenheitsform
im deutschen Text ist in dem erneuten Richtlinienvorschlag und bei
deren Übernahme in Art. 1 Abs. 10 ZLR nicht in allen
Sprachfassungen einheitlich erfolgt.
Der Ausnahmecharakter des Art. 1 Abs. 10 ZLR
könnte ebenfalls dafür sprechen, dass für die
Erfüllung der Mindestbeteiligungszeit nicht auf den Zeitpunkt
der Zinszahlung abzustellen ist (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1996,
I-5063, Rz 27).
5. Für den Fall, dass der Streitfall von
Art. 1 Abs. 1 ZLR erfasst wird und Art. 1 Abs. 10 ZLR eingreift,
ist schließlich zweifelhaft, ob sich die Klägerin
unmittelbar auf Art. 1 Abs. 1 ZLR berufen kann. Der vorlegende
Senat neigt dazu, diese Frage zu bejahen.
a) Die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie ist
hinsichtlich der in Art. 1 Abs. 1 angeordneten Steuerbefreiung
inhaltlich unbedingt und hinreichend genau, da sie insoweit die
Bestimmung von Mindestrechten ermöglicht. Durch den in Art. 1
Abs. 10 ZLR enthaltenen Umsetzungsspielraum wird die Bestimmung von
Mindestrechten nicht ausgeschlossen (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1996,
I-5063, Rz 39). Die Umsetzungsfrist ist nach Art. 7 Abs. 1 ZLR zum
1.1.2004 abgelaufen; die Steuerbefreiung entfaltet daher im
Streitjahr unmittelbare Wirkung.
b) Richtlinien begründen zwar nach Art.
249 Abs. 3 EG Verpflichtungen nur für die Mitgliedstaaten, an
die sie gerichtet sind. Verletzt aber ein Mitgliedstaat seine
Verpflichtung zur Umsetzung der Bestimmungen einer Richtlinie, so
kann er sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH
gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht auf
Beschränkungen berufen, die sich aus den Bestimmungen der
Richtlinie ergeben, von ihm aber nicht in seine innerstaatliche
Rechtsordnung umgesetzt worden sind (EuGH-Urteile vom 19.11.1991
C-6/90, C-9/90 „Francovich“, Slg. 1991, I-5357 =
SIS 92 02 43, Rz 21; vom 14.7.2005 C-142/04
„Aslanidou“, Slg. 2005, I-7181, Rz 35; vom
30.3.2006 C-184/04 „Uudenkaupungin kaupunki“,
Slg. 2006, I-3039 = SIS 06 25 31, Rz 28; vom 12.2.2009 C-138/07
„Cobelfret NV“, IStR 2009, 167 = SIS 09 08 61,
Rz 49).
Die unmittelbare Wirkung der EU-Zins- und
Lizenzrichtlinie wird danach durch die Ausnahmeregelung des Art. 1
Abs. 10 ZLR auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Quellenstaat
die Bestimmungen der Richtlinie - einschließlich der
Ausnahmeregelung - nicht in seine innerstaatliche Rechtsordnung
umgesetzt hat. Denn ein Mitgliedstaat darf aus der Verletzung
seiner Umsetzungspflicht aus Art. 249 Abs. 3 EG keinen Nutzen
ziehen, da dieser Verpflichtung ansonsten jede Wirksamkeit genommen
wäre (EuGH-Urteile vom 19.1.1982 8/81
„Becker“, Slg. 1982, 53 = SIS 82 04 19, Rz 29;
vom 14.7.1994 C-91/92 „Faccini Dori“, Slg. 1994,
I-3325 = SIS 94 25 23, Rz 22, m.w.N.).
c) Ein Mitgliedstaat kann sich ferner bei
unvollständiger Umsetzung einer Richtlinie nicht auf einen
Umsetzungsspielraum berufen, wenn er hiervon im Hinblick auf die in
seine innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzten Bestimmungen keinen
Gebrauch gemacht hat (vgl. EuGH-Urteil vom 17.2.2005 C-453/02,
C-462/02 „Linneweber und Akritidis“, Slg. 2005,
I-1131 = SIS 05 16 75, Rz 35). Für den Bereich der Einkommen-
und Körperschaftsteuer ist die EU-Zins- und Lizenzrichtlinie
unter Verzicht auf die in Art. 1 Abs. 10 ZLR vorgesehenen
Einschränkungen des personellen Anwendungsbereichs
vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt worden. Ein
Rückgriff auf die Ausnahmeregelung scheidet damit auch
für den Bereich der Gewerbesteuer aus, in dem die EU-Zins- und
Lizenzrichtlinie - bei Erstreckung des Anwendungsbereichs auf das
zahlende Unternehmen - nicht umgesetzt worden ist.
IV. Vorlage an den EuGH
Die Gemeinschaftsrechtslage ist zu den
erwähnten Punkten nicht derart eindeutig, dass von einer
Vorlage an den EuGH abgesehen werden dürfte (vgl. EuGH-Urteil
vom 6.10.1982 283/81 „C.I.L.F.I.T.“, Slg. 1982,
3415). Der Senat setzt das Revisionsverfahren deshalb
gemäß § 74 i.V.m. § 121 der
Finanzgerichtsordnung aus und legt dem EuGH die im Leitsatz
formulierten Rechtsfragen gemäß Art. 234 Abs. 3 EG zur
Vorabentscheidung vor.