Abtretung des ESt-Anspruchs an Arbeitgeber, Nettolohnvereinbarung, LSt-Abzug: 1. Maßgeblich für den Lohnsteuereinbehalt vom laufenden Arbeitslohn bei einer Nettolohnvereinbarung ist der Arbeitslohn, der vermindert um die übernommenen Lohnabzüge den arbeitsvertraglich vereinbarten Nettobetrag ergibt. Damit ist die steuerliche Ausgangsgröße des Lohnsteuerabzugs auch im Fall der Nettolohnabrede ein Bruttobetrag. - 2. Ein Einkommensteuererstattungsanspruch, den der Arbeitnehmer im Rahmen einer Nettolohnvereinbarung seinem Arbeitgeber abgetreten hat, ist deshalb im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts nur durch einen Abzug vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn und nicht durch eine Verminderung des laufenden Nettolohns zu berücksichtigen. - 3. Eine Hochrechnung der Steuererstattung auf einen fiktiven Bruttobetrag ist nicht möglich. - Urt.; BFH 30.7.2009, VI R 29/06; SIS 09 30 36
I. Streitig ist, ob
Einkommensteuererstattungen bei einer Nettolohnvereinbarung im
Lohnsteuerabzugsverfahren durch eine Minderung des
Bruttoarbeitslohns oder durch Abzug vom Nettolohn zu
berücksichtigen sind.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) hat mit ihren japanischen
Arbeitnehmern Nettolohnvereinbarungen abgeschlossen. Auf deren
Grundlage zahlt sie den Angestellten den vereinbarten Nettolohn aus
und übernimmt die auf diesen Nettolohn anfallenden Steuern als
Arbeitgeberin. Kommt es im Rahmen von Einkommensteuerveranlagungen
der Arbeitnehmer zur Erstattung von Einkommensteuer, werden die
Erstattungsbeträge auf der Grundlage der getroffenen
Nettolohnabreden von den Arbeitnehmern an die Klägerin
abgeführt. Dies erfolgt regelmäßig dadurch, dass
die im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen entstehenden
Steuererstattungsansprüche an die Klägerin abgetreten
werden. Die Klägerin berücksichtigte die
Einkommensteuererstattungen als negative Einnahmen der
Arbeitnehmer. Sie kürzte in Höhe dieser negativen
Einnahmen den laufend ausgezahlten Nettolohn, den sie ihrer
Lohnsteueranmeldung zu Grunde legte. Die
Einkommensteuererstattungen waren auf den Lohnsteuerkarten der
Arbeitnehmer nicht als Werbungskosten oder negative Einnahmen
eingetragen.
Bei der Klägerin wurde eine
Lohnsteueraußenprüfung durchgeführt. Bei dieser
Prüfung vertraten die Prüfer die Auffassung, die
negativen Einnahmen seien nicht vom Nettolohn abzuziehen, sondern
minderten nur den Bruttolohn. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) erließ dementsprechend einen
Lohnsteuerhaftungsbescheid für die Jahre 1999 bis 2002 und
nahm die Klägerin in Höhe der sich ergebenden Differenzen
in Anspruch.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in EFG 2006, 1429 =
SIS 06 28 91 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil insoweit abzuändern, dass die im Rahmen
der Nettolohnvereinbarung an die Klägerin von ihren
Arbeitnehmern abgeführten Einkommensteuererstattungen als
Minderung des Nettolohns berücksichtigt werden und die im
Haftungs- und Nachforderungsbescheid vom 21.6.2002 festgesetzte
Nachforderung für Lohnsteuer um 24.745,50 EUR auf 37.591,73
EUR und die Nachforderung für Solidaritätszuschlag um
1.642,78 EUR auf 2.063,56 EUR herabgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
Das FG hat die - hier allein streitige -
Höhe der Haftungsschuld zutreffend bemessen. Es hat
insbesondere zu Recht entschieden, dass die
Einkommensteuererstattungen bei der Berechnung der einzubehaltenden
Lohnsteuer lediglich in tatsächlicher Höhe vom laufenden
(Brutto)Arbeitslohn abzuziehen sind.
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für die
Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder
Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers
einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
abzuführen hat.
a) Für die Einbehaltung der Lohnsteuer
vom laufenden Arbeitslohn hat der Arbeitgeber zunächst
(zeitraumbezogen) die Höhe des laufenden Arbeitslohns
festzustellen (§ 39b Abs. 2 Satz 1 EStG). Laufender
Arbeitslohn ist der Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer nach der
arbeitsvertraglichen Vereinbarung regelmäßig fortlaufend
zufließt. Hierzu zählen auch die Vorteile, die dem
Arbeitnehmer - wie im Streitfall - deshalb zufließen, weil
der Arbeitgeber ihn von der geschuldeten Lohnsteuer (§ 38 Abs.
2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStG) freistellt (sogenannte
Nettolohnvereinbarung; Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
28.2.1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733 = SIS 92 16 34), und zwar auch dann, wenn die einbehaltene Lohnsteuer
höher als die später festgesetzte Einkommensteuer ist
(BFH-Urteil vom 22.6.1990 VI R 162/86, BFH/NV 1991, 156 = SIS 90 23 33).
b) Maßgeblich für den
Lohnsteuereinbehalt vom laufenden Arbeitslohn bei einer
Nettolohnvereinbarung ist daher der Arbeitslohn, der vermindert um
die übernommenen Lohnabzüge den arbeitsvertraglich
vereinbarten Nettobetrag ergibt. Damit ist die steuerliche
Ausgangsgröße des Lohnsteuerabzugs auch im Fall der
Nettolohnabrede ein Bruttobetrag (vgl. Schmidt/ Drenseck, EStG, 28.
Aufl., § 39b Rz 10). Der Steuereinbehalt gemäß
§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V.m. § 39b Abs. 2 und 3 EStG
vollzieht sich folglich bei der Nettolohnzahlung ebenso wie bei der
Bruttolohnzahlung (Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff,
EStG, § 39b Rz C 4 f.). Besonderheiten weist eine
Nettolohnvereinbarung nur insoweit auf, als der Arbeitgeber mit der
Auszahlung des Nettolohns aus der Sicht des Arbeitnehmers die
Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten hat (§ 42d
Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG), weshalb der Arbeitnehmer nur in Anspruch
genommen werden kann, wenn er weiß, dass der Arbeitgeber die
Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, und
diesen Sachverhalt dem Finanzamt nicht unverzüglich mitteilt
(§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG, BFH-Urteil in BFHE 167, 507,
BStBl II 1992, 733 = SIS 92 16 34).
c) Somit können - wie das FG zu Recht
entschieden hat - die an den Arbeitgeber abgetretenen
Steuererstattungsansprüche im Rahmen des Lohnsteuereinbehalts
nur durch einen Abzug vom laufenden (Brutto)Arbeitslohn und nicht
durch eine Verminderung des laufenden Nettolohns
berücksichtigt werden.
aa) Im Streitfall kann der Senat dahinstehen
lassen, ob die Einkommensteuererstattungen, bei denen es sich um
die Rückzahlung von überzahltem Arbeitslohn handelt, als
negative Einnahmen oder Werbungskosten anzusetzen sind. Das FA hat
die Steuererstattungen ohne Anrechnung auf den
Arbeitnehmerpauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 EStG) als negative
Einnahmen vom Bruttolohn abgezogen. Deshalb kann auch dahinstehen,
ob der Minderung der lohnsteuerlichen Bemessungsgrundlage im
Streitfall nicht schon der Umstand entgegensteht, dass die
Einkommensteuererstattungen auf den Lohnsteuerkarten der
betroffenen Arbeitnehmer nicht eingetragen waren. Nach § 39b
Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG ist der laufende Arbeitslohn im
Lohnsteuerabzugsverfahren lediglich um den auf den
Lohnzahlungszeitraum entfallenden Anteil des
Versorgungs-Freibetrags (§ 19 Abs. 2 EStG) und des
Altersentlastungsbetrags (§ 24a EStG) sowie nach Maßgabe
der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitnehmers um einen
etwaigen Freibetrag (§ 39a Abs. 1 EStG) zu vermindern.
bb) Das FA und ihm folgend das FG haben
zutreffend erkannt, dass die Abtretung der
Steuererstattungsansprüche nicht auf den Lohnsteuereinbehalt
oder die Veranlagung des Jahrs der Überzahlung rückwirkt,
sondern erst in dem Lohnzahlungszeitraum einkünftemindernd zu
berücksichtigen ist, in dem das Finanzamt den
Erstattungsbetrag an den Arbeitgeber geleistet hat (vgl.
BFH-Urteile vom 16.8.1979 VI R 13/77, BFHE 128, 467, BStBl II 1979,
771 = SIS 79 03 93; in BFH/NV 1991, 156 = SIS 90 23 33, und vom
5.7.2007 VI R 58/05, BFHE 218, 320, BStBl II 2007, 774 = SIS 07 27 20). Erst zu diesem Zeitpunkt sind tatsächlich Einnahmen des
Arbeitnehmers an den Arbeitgeber zurückgeflossen (§ 11
Abs. 1 Satz 1 EStG).
cc) Das FA und das FG haben bei der Ermittlung
der Haftungsschuld die Steuererstattungen auch in zutreffender
Höhe berücksichtigt. Ist Geld zurückzuzahlen,
bemessen sich die negativen Einnahmen bzw. Werbungskosten nach der
Höhe des Rückzahlungsbetrags, d.h. im Streitfall nach dem
tatsächlich von der Finanzverwaltung im Lohnzahlungszeitraum
an den Arbeitgeber ausgekehrten Erstattungsbetrag. Nur insoweit
sind Einnahmen des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber
zurückgeflossen und der Arbeitnehmer überhaupt
belastet.
dd) Dem Begehren der Klägerin, die
Steuererstattungen vom laufenden Nettolohn in Abzug zu bringen und
nur den Saldo auf einen Bruttolohn hochzurechnen, ist auch nicht
zur Vermeidung einer ungerechtfertigten steuerlichen Mehrbelastung
Rechnung zu tragen. Eine solche ist durch den Rechenweg des FA
nicht zu beklagen. Der Einwand der Klägerin, durch die
Kürzung des Bruttoarbeitslohns um die Steuererstattungen werde
ein höherer Nettolohn, als arbeitsvertraglich vereinbart und
tatsächlich ausgezahlt, dem Lohnsteuerabzug unterworfen, geht
fehl. Insbesondere wird durch den Abzug der Steuererstattungen vom
Bruttolohn - entgegen der Auffassung der Klägerin - die
Lohnsteuer auch so nach dem Jahresarbeitslohn bemessen, dass sie
der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn
er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger
Tätigkeit erzielt (§ 38a Abs. 2 EStG). Die Klägerin
verkennt, dass sie aufgrund der Nettolohnvereinbarungen nicht den
Nettolohn vermindert um die Steuererstattung des (Vor)Jahres
zuzüglich der gesetzlichen Abzüge als Arbeitslohn
schuldet, sondern dass sie sich gegenüber ihren Arbeitnehmern
zu einer ungekürzten Auszahlung eines gleichbleibenden
Monatsnettolohns verpflichtet hat und dieser
Auszahlungsverpflichtung das gesamte Jahr über auch
nachgekommen ist. Durch die Steuererstattungen wird nicht der
laufende Arbeitslohn korrigiert, sondern vielmehr eine in der
streitigen Nettolohnabrede strukturell angelegte und deshalb
arbeitsvertraglich zunächst geschuldete Gehalts- bzw.
Steuerüberzahlung in einem späteren Veranlagungszeitraum
ausgeglichen. Insoweit fließt dem Steuerpflichtigen jedes
Jahr ein Mehr an Einnahmen, als arbeitsvertraglich als Jahreslohn
geschuldet, zu. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich die
Klägerin von ihren Arbeitnehmern deren
Einkommensteuererstattungsansprüche abtreten lassen. Folglich
sind ungekürzte Auszahlung des monatlichen Nettolohns und
Rückzahlung von im Vorjahr vereinnahmter
Gehaltsüberzahlung zwei Zahlungsvorgänge, die getrennt
voneinander zu betrachten sind. Deshalb macht es auch einen
Unterschied, ob statt der Abtretung der Steuererstattung der
Erstattungsbetrag mit dem laufenden Nettogehalt verrechnet wird.
Die unterschiedlichen Steuerrechtsfolgen sind jedoch nicht - wie
von der Klägerin vorgetragen - im Rechenweg des FA
begründet. Sie beruhen vielmehr auf der Verschiedenheit der -
von der Klägerin zu Unrecht als vergleichbar beurteilten -
Sachverhalte. Soll dem Arbeitnehmer die Einkommensteuererstattung
unter Anrechnung auf den laufenden Nettolohn verbleiben, haben
Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Kürzung des Nettogehalts
vereinbart. Rückzahlung von Arbeitslohn und
Gehaltskürzung sind jedoch keine vergleichbaren Sachverhalte.
Hier stehen der Rückfluss von Einnahmen, dort ein Weniger an
Zufluss in Rede. Nicht erzielte Einnahmen sind jedoch keine
Ausgaben und damit zu Recht mit anderen Rechtsfolgen belegt.
Schließlich sind entgegen der Auffassung
der Klägerin Abtretung und Verrechnung der
Einkommensteuererstattungen nicht nur rechtlich, sondern auch
wirtschaftlich unterschiedliche Sachverhalte. Dies folgt schon aus
dem Umstand, dass im Fall der Abtretung eine Kürzung des
laufenden Nettolohns um die
Einkommensteuererstattungsansprüche des Arbeitnehmers - nach
dem Vorbringen der Klägerin - von den Parteien des
Arbeitsverhältnisses nicht gewollt ist. Dies mag zum einen
durch erhebliche praktische Probleme bei der Durchführung der
Lohnabrechnungen begründet sein. Zum anderen steht einem
solchen Vorgehen aber regelmäßig auch der Grundgedanke
der Nettolohnvereinbarung, nach dem der (monatliche) Nettolohn als
konstante Größe geschuldet und ausgezahlt wird,
entgegen.
Ebenfalls fehl geht der Einwand der
Klägerin, der Rechenweg des FA würde im Ergebnis dazu
führen, dass der Steuererstattungsbetrag teilweise nochmals
besteuert werde. Auch dieses Vorbringen ist von der unzutreffenden
Rechtsauffassung der Klägerin getragen, dass dem einzelnen
Arbeitnehmer lediglich der Saldo aus ausgezahltem (Jahres)Nettolohn
abzüglich des Steuererstattungsbetrags im Veranlagungszeitraum
geschuldet wird und zufließt.
ee) Eine Hochrechnung der Steuererstattung auf
einen fiktiven Bruttobetrag, wie dies in den Streitjahren von den
Finanzbehörden bei der Rückzahlung irrtümlich
überhöht gezahlten Nettolohns praktiziert wurde
(Oberfinanzdirektion - OFD - Düsseldorf, Verfügung vom
15.3.2001 S 2367 A - St 22, S 2367 A - St 221, Tz. 3, juris), ist
ebenfalls nicht möglich. Hierfür fehlt es an einer
gesetzlichen Grundlage und auch die Verwaltungsvorschriften sehen
ein solches Vorgehen gerade nicht vor (vgl. OFD Düsseldorf,
Verfügung vom 15.3.2001 S 2367 A - St 22, S 2367 A - St 221,
Tz. 3, juris).
ff) Schließlich ist ein Abzug vom
Nettolohn - wie von der Klägerin begehrt - auch nicht nach R
122 der Lohnsteuer-Richtlinien möglich. Die Voraussetzungen
dieser Vereinfachungsvorschrift sind ersichtlich nicht gegeben.
2. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten im
Übrigen nicht streitig, dass das FA die streitbefangene
Lohnsteuer nebst Annexsteuern dem Grunde nach durch einen Haftungs-
und Nachforderungsbescheid festsetzen durfte.