Negativer Gesamtbetrag der Einkünfte, Feststellung: 1. Bezugspunkt für eine Änderung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen Verluste ist nicht der Einkommensteuerbescheid, sondern grundsätzlich der Verlustfeststellungsbescheid des Verlustentstehungsjahres (Anschluss an das BFH-Urteil vom 17.9.2008 IX R 70/06, BFHE 223 S. 50 = SIS 08 42 96). - 2. Ist der verbleibende Verlustabzug erstmals gesondert festzustellen, ist der "bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust" nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Regelungen in § 10 d EStG zu bestimmen. - Urt.; BFH 14.7.2009, IX R 52/08; SIS 09 29 12
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) erzielte im Streitjahr 1997 als Arzt Einkünfte
aus selbständiger Arbeit durch den Betrieb einer gepachteten
Klinik. Der (geänderten) Festsetzung der Einkommensteuer
für das Streitjahr vom 22.10.2001 legte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) einen Verlust aus
selbständiger Arbeit in Höhe von ./. 228.060 DM sowie
einen negativen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von
./. 257.108 DM zugrunde. Einem unter dem 14.12.2004 gestellten
Antrag des Klägers, den verbleibenden Verlustabzug nach §
10d Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres
(EStG) gesondert festzustellen, entsprach das FA nicht.
Unter dem 23.11.2005 erließ das FA
einen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 164 Abs. 2 der
Abgabenordnung geänderten Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr, in dem ein Verlust aus selbständiger Arbeit in
Höhe von ./. 218.619 DM sowie ein negativer Gesamtbetrag der
Einkünfte in Höhe von ./. 247.667 DM ausgewiesen war. Mit
Bescheid vom 18.1.2006 stellte das FA den zum 31.12.1997
verbleibenden Verlustabzug des Klägers in Höhe von ./.
130.740 DM fest; hierbei ging das FA von dem im
Einkommensteuerbescheid vom 23.11.2005 ausgewiesenen negativen
Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von ./. 247.667 DM
aus, den es um einen Verlustrücktrag nach 1996 in Höhe
von ./. 116.927 DM minderte. Mit seinem Einspruch gegen die
Bescheide vom 23.11.2005 und vom 18.1.2006 trug der Kläger
u.a. vor, dass der Änderungsbescheid vom 23.11.2005 wegen
Festsetzungsverjährung nicht mehr habe ergehen dürfen.
Deshalb hätte im Verlustfeststellungsbescheid vom 18.1.2006
nur der im Einkommensteuerbescheid vom 22.10.2001 ausgewiesene
negative Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von ./.
257.108 DM zugrunde gelegt werden dürfen. Der
Einkommensteuerbescheid vom 22.10.2001 entfalte insoweit
Bindungswirkung für den Verlustfeststellungsbescheid des
Streitjahres.
Mit Einspruchsentscheidung vom 7.4.2006
wurde der Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid vom
23.11.2005 als unzulässig verworfen, da der Kläger durch
die festgesetzte Steuer in Höhe von 0 DM nicht beschwert sei.
Der Einspruch gegen die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zur Einkommensteuer auf den 31.12.1997 wurde als
unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der gegen den
Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zum 31.12.1997 gerichteten Klage statt = SIS 09 00 92. Es führte im Wesentlichen aus, es ergebe sich eine
Abhängigkeit im Sinne eines Verhältnisses von
Grundlagenbescheid zu Folgebescheid zwischen dem
Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres und dem
Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden
Verlustabzugs zum 31. Dezember des gleichen Jahres. Der
Einkommensteuerbescheid vom 22.10.2001 sei danach mangels einer
entsprechenden Änderungsmöglichkeit für die
Berechnung des zum 31.12.1997 verbleibenden Verlustabzugs
maßgebend gewesen. Dies gelte unbeschadet davon, dass es sich
im Streitfall um den erstmaligen Erlass eines
Feststellungsbescheides nach § 10d EStG gehandelt
habe.
Mit seiner hiergegen gerichteten Revision
vertritt das FA die Auffassung, dass der Einkommensteuerbescheid
des Verlustentstehungsjahres entgegen der Auffassung des FG kein
Grundlagenbescheid für das Verlustabzugsjahr und somit auch
kein Grundlagenbescheid für den Feststellungsbescheid nach
§ 10d Abs. 3 EStG sei. Da im Zeitpunkt der Bekanntgabe des
angefochtenen Verlustfeststellungsbescheides keine
Feststellungsverjährung eingetreten gewesen sei, sei das FA
nicht an die Festsetzungen im Einkommensteuerbescheid vom
22.10.2001 gebunden gewesen.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag
gestellt.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat den Bescheid über
die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31.12.1997 vom
18.1.2006 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 7.4.2006 zu Unrecht
mit der Maßgabe geändert, dass der negative Gesamtbetrag
der Einkünfte aus dem Einkommensteuerbescheid vom 22.10.2001
der Verlustfeststellung zugrunde zu legen ist.
1. Der am Schluss eines Veranlagungszeitraums
verbleibende Verlustabzug ist nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG
gesondert festzustellen. Verbleibender Verlustabzug ist der bei der
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene
Verlust, vermindert um die nach § 10d Abs. 1 EStG abgezogenen
und die nach § 10d Abs. 2 EStG abziehbaren Beträge und
vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen
Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustabzug
(§ 10d Abs. 3 Satz 2 EStG). Feststellungsbescheide sind zu
erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit sich die nach
§ 10d Abs. 3 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden
Beträge ändern und deshalb der entsprechende
Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist
(§ 10d Abs. 3 Satz 4 EStG).
2. Nach diesen Maßstäben war der
zum 31.12.1997 verbleibende Verlustabzug gesondert festzustellen;
Rechtsgrundlage für die gesonderte Feststellung ist § 10d
Abs. 3 Satz 1 EStG. Die Vorschrift des § 10d Abs. 3 Satz 4
EStG ist demgegenüber nicht einschlägig; zwar hat sich
der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichene Verlust geändert - ein negativer Gesamtbetrag
der Einkünfte enthält den nicht ausgeglichenen Verlust -,
jedoch ist nach dem Wortlaut der Norm (... „und
deshalb“ ...) der Erlass, die Aufhebung oder die
Änderung des „entsprechenden
Steuerbescheides“ lediglich die Rechtsfolge eines
Erlasses, einer Aufhebung oder einer Änderung des
Feststellungsbescheides. Nach seiner Zweckbestimmung ist § 10d
Abs. 3 Satz 4 EStG daher als reine Korrekturvorschrift zu
verstehen. Vor diesem Hintergrund kann Bezugspunkt für eine
Änderung der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der
Einkünfte nicht ausgeglichenen Verluste nicht der
Einkommensteuerbescheid, sondern grundsätzlich nur ein
(bereits erlassener) Verlustfeststellungsbescheid des
Verlustentstehungsjahres sein (so auch Ettlich, DB 2009, 18,
22).
Ist - wie im Streitfall - ein solcher
Verlustfeststellungsbescheid noch nicht erlassen worden und der
verbleibende Verlustabzug mithin nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG
erstmals gesondert festzustellen, hat das FA den „bei der
Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht
ausgeglichenen Verlust“ nach der materiell-rechtlichen
Regelung in § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG zu bestimmen. Der
verbleibende Verlustabzug ist danach - unabhängig von einer
bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung - so zu
berechnen, wie er sich bei zutreffender Ermittlung der
Besteuerungsgrundlagen und des Verlustrücktrags und -vortrags
nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG ergeben hätte. Das Verfahren
der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG ist
gegenüber dem Festsetzungsverfahren selbständig.
Der Bundesfinanzhof führt damit die im
Urteil vom 2.8.2006 XI R 65/05 (BFHE 214, 492, BStBl II 2007, 921 =
SIS 06 44 41) begonnene und mit Urteil vom 17.9.2008 IX R 70/06
(BFHE 223, 50 = SIS 08 42 96) fortgesetzte
Rechtsprechungsentwicklung weiter. An seiner in den Urteilen vom
9.12.1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3 = SIS 99 09 41) und vom 9.5.2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817
= SIS 02 01 64) vertretenen Rechtsauffassung hält er insoweit
nicht mehr fest.
3. Die Sache ist spruchreif. Das FA hat
zutreffend bei der Ermittlung des verbleibenden Verlustabzugs nicht
auf den im Einkommensteuerbescheid vom 22.10.2001 festgesetzten
negativen Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von ./.
257.108 DM und den Verlust aus selbständiger Arbeit in
Höhe von ./. 228.060 DM Bezug genommen, sondern diesen
selbständig nach § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG ermittelt.