Betreutes Wohnen, Pflegekind, Kindergeld: 1. Leistet ein als Betreiber einer sonstigen betreuten Wohnform nach § 34 SGB VIII anerkannter Trägerverein einer Pflegeperson Zahlungen für die Erziehung und Unterbringung eines fremden Kindes, so scheidet die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses aus, weil das Kind zu Erwerbszwecken in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen worden ist(§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). - 2. Die sozialrechtliche Einordnung als sonstige betreute Wohnform hat steuerrechtliche Tatbestandswirkung. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Unterbringung des Kindes sozialrechtlich als Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII hätte behandelt werden müssen. - Urt.; BFH 2.4.2009, III R 92/06; SIS 09 22 50
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) und seine Ehefrau nahmen im Juli 2002 die im Jahre
1993 geborene C in ihren Haushalt auf, in dem auch die vier
leiblichen Kinder lebten. Seit Oktober 2005 war die Ehefrau des
Klägers für den Verein „… e.V.“
tätig. Nach dem zwischen der Ehefrau des Klägers und dem
Verein abgeschlossenen „Erziehungsstellenvertrag nach §
34 SGB VIII“ vom 27.9.2005 sollte in der sog. Fachfamilie des
Klägers und seiner Ehefrau eine Erziehungsstelle eingerichtet
werden. Die Fachfamilie sollte C für die Dauer der Hilfe zur
Erziehung nach § 1688 des Bürgerlichen Gesetzbuches
vertreten. Der Verein hat ein Weisungsrecht in grundsätzlichen
Fragen der Betreuung. Er bietet der Fachfamilie Beratung und
Unterstützung an. Seine monatlichen Zahlungen an die Ehefrau
des Klägers schlüsselte der Verein wie folgt auf:
Beitrag zur Erziehung
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1.200 EUR
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Sachkosten
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700
EUR
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Altersversorgung
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125
EUR
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Versicherung Kfz (Vollkasko)
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40
EUR
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Beitrag zur Haushaltskraft
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125 EUR
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Summe
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2.190 EUR
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) gewährte dem Kläger Kindergeld, da sie
der Ansicht war, C befinde sich in Vollzeitpflege (§ 33 des
Achten Buchs Sozialgesetzbuch - SGB VIII - ). Mit Bescheid vom
16.9.2005 hob sie die Festsetzung ab 1.10.2005 auf. Die
Familienkasse war nunmehr der Auffassung, bei der Aufnahme von C in
den Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau handele es sich um
eine sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII, die der
Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. von §
32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
entgegenstehe.
Der Einspruch des Klägers hatte keinen
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob den
Bescheid vom 16.9.2005 auf (Urteil vom 19.10.2006 14 K 4922/05 Kg,
EFG 2007, 368 = SIS 07 18 36). Es führte im Wesentlichen aus,
zwischen C sowie dem Kläger und dessen Ehefrau bestehe ein
familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band. C
sei auch nicht zu Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen
worden. Dies sei nicht etwa deshalb anzunehmen, weil nach dem
System der Pflegekonzepte der Jugendhilfe eine Hilfe zur Erziehung
nach § 34 SGB VIII gewährt worden sei. Die Höhe des
für die Unterbringung von C gezahlten Entgelts rechtfertige
nicht den Schluss auf eine Entlohnung nach marktwirtschaftlichen
Gesichtspunkten. Der Trägerverein zahle nach Abzug der
Sachkosten einen Tagessatz von ca. 44 EUR. Dieser entspreche nicht
den Marktpreisen für eine vollzeitige Tagesbetreuung, die sich
auf mindestens 100 EUR je Tag beliefen.
Zur Begründung der Revision trägt
die Familienkasse im Wesentlichen vor, C sei zu marktüblichen
Preisen untergebracht worden. Auch wenn ein Trägerverein
zwischengeschaltet worden sei, handele es sich dennoch um eine
sonstige Unterbringung i.S. von § 34 SGB VIII. Die zwischen
dem Jugendamt und dem Verein festgelegte Entlohnung von
täglich 110 EUR zur Deckung des Unterhalts- und
Betreuungsaufwandes sei marktüblich und beruhe auf
wirtschaftlichen Gesichtspunkten.
Die Familienkasse beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Er führt aus, der vom FG festgestellte
Tagessatz von ca. 44 EUR, der auf die Betreuungsleistung der
Pflegeeltern entfalle, könne nicht als marktgerechte
Entlohnung für eine Vollzeitbetreuung betrachtet werden. Es
dürfe nicht danach unterschieden werden, ob Pflegegelder nach
§ 33 SGB VIII oder nach § 34 SGB VIII geleistet
würden. Beide Betreuungsformen müssten
kindergeldrechtlich gleich behandelt werden. Die psychische
Störung von C sei so gravierend, dass eine Unterbringung in
einer normalen Pflegefamilie nach § 33 Satz 1 SGB VIII nicht
möglich sei. Der Trägerverein habe zu Unrecht die
Betriebserlaubnis für eine sonstige betreute Wohnform nach
§ 34 SGB VIII erhalten, vielmehr sei die Betreuung von C von
Anfang an als Vollzeitpflege für besonders
entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche nach §
33 Satz 2 SGB VIII zu beurteilen gewesen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat dem Kläger zu
Unrecht einen Anspruch auf Kindergeld zuerkannt.
1. Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §
32 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird Kindergeld auch für Pflegekinder
gewährt. Pflegekinder sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG
i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2003 vom 15.12.2003 (BGBl I
2003, 2645) Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein
familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band
verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen
Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis
zu den Eltern nicht mehr besteht. Die jetzige Gesetzesfassung
löste die Vorgängerregelung ab, der zufolge ein
Pflegekindschaftsverhältnis u.a. davon abhing, dass der
Steuerpflichtige das Kind mindestens zu einem nicht unwesentlichen
Teil auf seine Kosten unterhielt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) war dies der Fall, wenn die Pflegeeltern
nach Abzug der Erstattung ihrer Aufwendungen mindestens 20 % der
tatsächlich entstandenen, angemessenen Unterhaltskosten
(einschließlich der Kosten für Betreuung, Ausbildung und
Erziehung) trugen (Urteil vom 29.1.2003 VIII R 71/00, BFHE 201,
292, BStBl II 2003, 469 = SIS 03 23 16). Da nach Ansicht des
Gesetzgebers diese Rechtsprechung zu praktischen Schwierigkeiten
und zu erheblichem Verwaltungsaufwand führte (vgl. BTDrucks
15/1945, S. 9), wurden die Tatbestandsvoraussetzungen für die
Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses geändert.
Entscheidend ist nach neuer Rechtslage, ob das Kind zu
Erwerbszwecken in den Haushalt aufgenommen worden ist. Betreiber
einer Einrichtung nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung und
sonstige betreute Wohnform) haben keinen Anspruch auf Kindergeld
für Pflegekinder (vgl. BFH-Urteil vom 23.9.1998 XI R 11/98,
BFHE 187, 39, BStBl II 1999, 133 = SIS 99 04 11).
2. Pflegegelder, die bei Aufnahme eines Kindes
in eine Familie zur Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII
geleistet werden, stellen den gesamten Unterhalt
einschließlich der Kosten für die Erziehung sicher
(§ 39 Abs. 1 SGB VIII). Die monatlichen Pauschalbeträge
bemessen sich nach den tatsächlichen Kosten, soweit diese
einen angemessenen Umfang nicht übersteigen (§ 39 Abs. 4
Satz 1 SGB VIII). Bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie ist
im Pflegesatz kein pauschalierter Ersatz für Personal- und
Sachkosten der Pflegeeinrichtung enthalten (BFH-Urteil vom
23.9.1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448 = SIS 00 53 44). Auch wenn
Pflegegelder nach § 33 SGB VIII einen Anreiz zur Aufnahme
fremder Kinder schaffen sollen, sind sie nach ihrem Zweck und ihrer
Bemessungsgrundlage kein nach marktwirtschaftlichen
Grundsätzen berechnetes Entgelt für Unterbringung und
Betreuung, sondern lediglich Kostenersatz. Nur wenn Pflegeeltern
ein erheblich über den Pflegesätzen des zuständigen
Jugendamtes liegendes Pflegegeld gezahlt wird, kann angenommen
werden, dass sie nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen
für die Unterbringung und Betreuung entlohnt werden
(Senatsurteil vom 30.6.2005 III R 80/03, BFH/NV 2006, 262 = SIS 06 07 54).
3. Im Streitfall bezog die Ehefrau des
Klägers nicht die pauschalen Pflegebeträge, die bei der
Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie nach § 33
Satz 1 SGB VIII vorgesehen sind. Vielmehr erhielt sie Leistungen
von dem Trägerverein, der mit dem Träger der Jugendhilfe
ein Entgelt für die Unterbringung in einer sonstigen betreuten
Wohnform nach § 34 SGB VIII vereinbart hatte. Dieses Entgelt
unterscheidet sich schon wegen der darin enthaltenen Erstattung von
Personal- und Sachkosten von den Pauschalbeträgen, die bei
einer Vollzeitpflege nach § 33 Satz 1 i.V.m. § 39 Abs. 4
Satz 3 Halbsatz 1 SGB VIII geleistet werden. Bei der Aufnahme eines
Kindes in ein Heim oder in eine sonstige betreute Wohnform nach
§ 34 SGB VIII sind deshalb Erwerbszwecke i.S. von § 32
Abs. 1 Nr. 2 EStG zu bejahen.
4. Der Einwand des Klägers, der
Trägerverein habe zu Unrecht die Betriebserlaubnis nach §
45 SGB VIII für eine sonstige betreute Wohnform erhalten,
vielmehr habe von Anfang an eine Vollzeitpflege für besonders
entwicklungsbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche nach §
33 Satz 2 SGB VIII vorgelegen, führt zu keiner anderen
Betrachtung. Die Unterbringung von C in der Familie des
Klägers und seiner Ehefrau ist im streitigen Zeitraum nach
§ 34 SGB VIII behandelt worden. Diese sozialrechtliche
Tatbestandswirkung ist steuerrechtlich zu beachten. Ob der
Kläger bei einer anderen sozialrechtlichen Einordnung
kindergeldberechtigt gewesen wäre, braucht der Senat nicht zu
entscheiden.