Behinderte, keine Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Kosten: 1. Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung können für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 EStG). - 2. Behinderte haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Eine Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der Bemessung der Wegekosten ist mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vereinbar. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 31.8.2009, IV C 5 - S 2351/09/10002, BStBl 2009 I S. 891 = SIS 09 28 51) - Urt.; BFH 5.5.2009, VI R 77/06; SIS 09 18 63
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin), deren Grad der Behinderung
90 v.H. beträgt, war im Streitjahr nichtselbständig
tätig. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für
das Jahr 2003 machte sie Wegekosten für 195 Fahrten zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte in B geltend. Ihren Angaben zufolge
fuhr sie zunächst mit ihrem PKW von ihrer Wohnung aus 17 km
bis zum Bahnhof nach A. Die verbleibenden 82 km nach B legte sie
mit der Bahn zurück. Die Höhe der Aufwendungen für
öffentliche Verkehrsmittel gab die Klägerin mit insgesamt
1.682 EUR an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -
FA - ) berücksichtigte für die Fahrten zwischen Wohnung
und Arbeitsstätte Werbungskosten in Höhe von 6.360 EUR
(1.248 EUR <Wegekosten PKW> + 5.112 EUR <Wegekosten
Öffentlicher Personennahverkehr>).
Hiergegen legte die Klägerin Einspruch
ein. Da sie zu 90 v.H. erwerbsgemindert sei, seien die Fahrten mit
dem PKW zum Bahnhof nicht lediglich in Höhe von 0,36/0,40 EUR
je Entfernungskilometer und damit insgesamt in Höhe von 1.248
EUR, sondern nach § 9 Abs. 2 Satz 3 des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden
Fassung (EStG) mit den tatsächlichen Kosten - hier pauschal -
mit 0,30 EUR je gefahrenem Kilometer und damit insgesamt in
Höhe von 1.989 EUR zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage nach
erfolglosem Vorverfahren ab. Zur Begründung führte das FG
im Wesentlichen aus, dass die von der Klägerin begehrte
Kombination des Ansatzes der Entfernungspauschale für das
öffentliche Verkehrsmittel Bahn nach § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 EStG und der tatsächlichen Aufwendungen für die
Nutzung des PKW mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht vereinbar sei
(EFG 2006, 36 = SIS 05 42 59).
II. Die Entscheidung ergeht gemäß
§ 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält
einstimmig die Revision für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit
zur Stellungnahme.
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4
Sätze 1 und 2 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des
Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für
jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte
aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer
der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,36 EUR
für die ersten 10 km und 0,40 EUR für jeden weiteren
Kilometer anzusetzen, höchstens jedoch 5.112 EUR im
Kalenderjahr; ein höherer Betrag ist anzusetzen, soweit der
Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen
Kraftwagen benutzt. Durch die Entfernungspauschalen sind
sämtliche Aufwendungen abgegolten, die durch die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte veranlasst sind (§ 9 Abs. 2
Satz 1 EStG).
a) Allerdings können Behinderte, deren
Grad der Behinderung - wie bei der Klägerin - mindestens 70
v.H. beträgt, für die Wege zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die
tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2
Satz 3 EStG). Danach sind die Wegekosten bei Benutzung eines PKW
entweder nach individuellen - anhand der nachgewiesenen
Fahrzeugaufwendungen ermittelten - Kilometersätzen oder ohne
Einzelnachweis nach pauschalierten Kilometersätzen (H 38 des
Lohnsteuer-Handbuchs 2003) zu berechnen (Bergkemper in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 9 EStG Rz 643; von
Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rz F
103; Frotscher in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff.,
§ 9 Rz 150 f.). Auch bei der Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel ist der Abzug der tatsächlichen Kosten anstelle
der Entfernungspauschalen für die Fahrten zwischen Wohnung und
Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten
zulässig.
b) Steuerpflichtige mit einer entsprechenden
Behinderung haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9
Abs. 2 Satz 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder
einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach
den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Dies kommt - wie
die Vorinstanz überzeugend ausführt - durch das Wort
„an Stelle“ in § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG
deutlich zum Ausdruck (vgl. Schmidt/ Drenseck, EStG, 27. Aufl.,
§ 9 Rz 186 unter Hervorhebung durch Kursivschrift
„anstelle der Entfernungspauschale“).
Darüber hinaus bezieht sich die Verwendung des Plurals
„Entfernungspauschalen“ in § 9 Abs. 2 Satz
3 EStG ersichtlich auf die Entfernungspauschale für die Wege
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 EStG und die Entfernungspauschale für
Familienheimfahrten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG. Damit
ist die von der Klägerin begehrte Kombination von
Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der
Bemessung der Wegekosten mit § 9 Abs. 2 Satz 3 EStG nicht
vereinbar (Küttner/Thomas, Personalbuch 2008, Stichwort
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, Rz 28;
Schmidt/Drenseck, a.a.O.).
c) Eine andere Wahlmöglichkeit, als
anstelle der Pauschbeträge für Aufwendungen zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte (und für Familienheimfahrten)
die tatsächlichen Kosten anzusetzen, sieht § 9 Abs. 2
Satz 3 EStG nicht vor. Eine - wie die Klägerin meint -
weitergehende Besserstellung von Menschen mit einer Behinderung
i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 und 2 EStG hat der
Gesetzgeber erkennbar nicht geregelt. Dies ergibt sich - darauf
weist das FG zutreffend hin - sowohl aus dem Wortlaut des § 9
Abs. 2 EStG als auch - unter Einbeziehung der Regelungen in §
9 Abs. 1 Satz 3 Nrn. 4 und 5 EStG - aus dem in dem
Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sätze 1 bis 3 des § 9
Abs. 2 EStG zum Ausdruck kommenden systematischen
Gesetzeszusammenhang.
d) Das vom FG gefundene Auslegungserlebnis
entspricht auch Sinn und Zweck der Vorschrift. § 9 Abs. 2 Satz
3 EStG erweitert für Behinderte aus sozialen Gründen den
Fahrtkostenabzug auf die tatsächlichen Aufwendungen
(HHR/Bergkemper, a.a.O.). Mit der Regelung soll vor dem Hintergrund
nicht kostendeckender Pauschalen typisierend dem Umstand Rechnung
getragen werden, dass erheblich gehbehinderte Personen nur
eingeschränkt auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen
können (Zimmer in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 9 Rz 962; von Bornhaupt,
a.a.O., § 9 Rz F 95, A 174 f.). Eine
„Meistbegünstigung“ ist hierzu nicht
erforderlich, der Abzug der tatsächlichen Kosten vielmehr
ausreichend.
Auch die umwelt- und verkehrspolitischen
Ziele, die der Gesetzgeber mit der Einführung der
Entfernungspauschale umzusetzen suchte, verlangen im Streitfall
nicht nach der Kombination der Entfernungspauschale für
öffentliche Verkehrsmittel und der tatsächlichen
Aufwendungen für die PKW-Nutzung. Die steuerliche
Entlastungswirkung der Entfernungspauschale sollte
Wettbewerbsgleichheit zwischen den Verkehrsträgern schaffen
und die Ausgangslage für den öffentlichen
Personennahverkehr verbessern (BTDrucks 14/4242, S. 5). Im
Streitfall kann keine Rede davon sein, dass dies durch die
Entscheidung der Vorinstanz nicht erreicht werde. Vorliegend steht
den tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin für die
Nutzung der Bahn in Höhe von 1.682 EUR eine
einkünftemindernde Entfernungspauschale in Höhe von 5.112
EUR gegenüber. Im Übrigen begehrt die Klägerin keine
weitere steuerliche Entlastung für die Wegestrecke, die sie
mit der Bahn zurückgelegt hat, sondern macht weitere
Aufwendungen für die Nutzung des PKW geltend. Umwelt- und
verkehrspolitischen Vorstellungen entspricht dieses Begehren
jedenfalls nicht.
e) Schließlich vermag der Revision auch
nicht der Hinweis der Klägerin auf die BFH-Urteile vom
4.4.2008 VI R 85/04 (BFHE 221, 11, BStBl II 2008, 887 = SIS 08 24 19) und VI R 68/05 (BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890 = SIS 08 24 18) zum Erfolg zu verhelfen. Danach kommt es u.a. auch bei der
Berechnung der Entfernungspauschale auf die tatsächlichen
Nutzungsverhältnisse an.
Nach diesen Grundsätzen ist die
Vorentscheidung nicht zu beanstanden. Sowohl das FG als auch das FA
sind davon ausgegangen, dass die Klägerin die Wege zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte mit verschiedenen Verkehrsmitteln
zurückgelegt hat, und haben für jede Teilstrecke - wie
dies bei Park-and-ride-Fällen üblich ist - die
entsprechende Entfernungspauschale angesetzt (vgl. Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen vom 11.12.2001, BStBl I 2001, 994 =
SIS 02 02 80 Tz 1.6). Die Notwendigkeit einer
„teilstreckenbezogenen Betrachtungsweise“ ist
dem Grunde nach auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Streitig
ist vielmehr, ob die Klägerin ihr Wahlrecht -
Entfernungspauschale oder tatsächliche Kosten - für beide
zurückgelegten Teilstrecken nur einheitlich ausüben kann.
Hierfür geben die BFH-Urteile in BFHE 221, 11, BStBl II 2008,
887 = SIS 08 24 19, und in BFHE 221, 17, BStBl II 2008, 890 = SIS 08 24 18 jedoch keine Grundlage. Insbesondere lässt sich aus
diesen Entscheidungen nicht herleiten, dass die Klägerin
für die mit dem PKW zurückgelegte Teilstrecke die
tatsächlichen Kosten gemäß § 9 Abs. 2 Satz 3
EStG ansetzen und für die mit der Bahn zurückgelegte
restliche Teilstrecke die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4 EStG geltend machen kann.