Zumutbare Belastung bei getrennter Veranlagung, Verfassungsmäßigkeit: Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die zumutbare Belastung bei getrennter Veranlagung von Ehegatten vom Gesamtbetrag der Einkünfte beider Ehegatten berechnet wird. - Urt.; BFH 26.3.2009, VI R 59/08; SIS 09 16 40
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist verheiratet und lebt im Güterstand der
Gütertrennung. In den Streitjahren (2001 und 2002) erzielte er
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Für die krankheitsbedingte
Unterbringung seiner inzwischen verstorbenen Mutter wandte der
Kläger im Jahr 2001 15.548,66 DM und im Jahr 2002 6.900 EUR
auf. Diese Zahlungen leistete er an das Sozialamt und das
Pflegeheim, in das die pflegebedürftige Mutter im März
2000 aufgrund ihrer Herzschwäche eingeliefert worden war. In
seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre
machte der Kläger zusammen mit eigenen Krankheitskosten
außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33
des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 16.148 DM
für 2001 sowie von 6.954 EUR für 2002 geltend.
Nachdem der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) für das Jahr 2001
zunächst antragsgemäß eine Zusammenveranlagung
für den Kläger und seine Frau durchgeführt hatte,
hob es diesen Bescheid auf den Einspruch der Ehegatten wieder auf
und veranlagte den Kläger mit dem angefochtenen Bescheid vom
29.7.2002 auf dessen Antrag getrennt zur Einkommensteuer. Dabei
ermittelte das FA den Gesamtbetrag der Einkünfte des
Klägers mit 90.301 DM, legte der Berechnung der zumutbaren
Belastung gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG jedoch den
Gesamtbetrag der Einkünfte beider (getrennt veranlagter)
Ehegatten von 177.578 DM zugrunde. Ebenso verfuhr das FA mit
Bescheid vom 22.5.2003 für das Streitjahr 2002 und berechnete
die zumutbare Belastung bei der getrennten Veranlagung des
Klägers aus der Summe des Gesamtbetrags der Einkünfte
beider Ehegatten von 83.734 EUR. In beiden Fällen ermittelte
das FA die zumutbare Belastung nach dem Prozentsatz, der für
die dem Splitting-Verfahren unterliegenden Steuerpflichtigen in
§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG vorgesehen
ist.
Nach erfolglosem Einspruch gab das
Finanzgericht (FG) der Klage mit den in EFG 2008, 792 = SIS 08 16 01 veröffentlichten Gründen statt. Die Vorschriften der
§§ 33 Abs. 3 und 26a Abs. 2 Satz 1 EStG seien
verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass im Falle einer
getrennten Veranlagung die Höhe der zumutbaren Belastung
ausschließlich aus dem Gesamtbetrag der Einkünfte des
Klägers zu errechnen sei. Der Gesamtbetrag der Einkünfte
der getrennt veranlagten Ehefrau habe hierbei außer Betracht
zu bleiben. Diese Auslegung sei wegen Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs.
1 des Grundgesetzes (GG) geboten. Denn unstreitig habe der
Kläger die geltend gemachten Aufwendungen geleistet, die ihm
als Krankheitskosten zwangsläufig aufgrund seiner
Unterhaltsverpflichtung erwachsen und daher als
außergewöhnliche Belastungen bei ihm abziehbar
seien.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, die Klage abzuweisen
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Zu Unrecht hat das FG der Berechnung der zumutbaren Belastung
des Klägers nur den auf ihn entfallenden Gesamtbetrag der
Einkünfte zugrunde gelegt.
1. Nach § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG in der
für das Streitjahr 2001 geltenden Fassung des
Einkommensteuergesetzes vom 16.4.1997 (BGBl I 1997, 821) werden bei
getrennter Veranlagung zur Einkommensteuer Sonderausgaben nach
§ 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG und außergewöhnliche
Belastungen (§§ 33 bis 33b EStG) in Höhe des bei
einer Zusammenveranlagung in Betracht kommenden Betrags bei beiden
Veranlagungen jeweils zur Hälfte abgezogen, wenn die Ehegatten
nicht gemeinsam eine andere Aufteilung beantragen. Gleiches sieht
§ 26a Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2002
geltenden Fassung des Einkommensteuergesetzes vom 19.10.2002 (BGBl
I 2002, 4210), zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002
(BGBl I 2002, 4621, 4630), hinsichtlich der im Streitfall allein
maßgeblichen außergewöhnlichen Belastungen vor.
Zum Abzug dieser außergewöhnlichen Belastungen wiederum
unterscheidet § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG 1997 und 2002 (EStG)
für die Berechnung der zumutbaren Belastung bei
Steuerpflichtigen ohne Kinder solche, die der Besteuerung nach dem
Grundtarif unterliegen, von anderen, auf die das Splittingverfahren
anzuwenden ist (§ 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b
EStG).
a) Zutreffend hat das FA dem Gesetzesbefehl
des § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG folgend die
außergewöhnlichen Belastungen des Klägers (und
seiner Frau) in Höhe des bei einer Zusammenveranlagung der
Ehegatten in Betracht kommenden Betrags ermittelt, um sie dann
antragsgemäß in vollem Umfang bei den Veranlagungen des
Klägers für die Streitjahre abzuziehen (s. auch
Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt vom 3.4.2003 S
2263 A - 3 - St II 25, FR 2003, 741). Der in § 26a Abs. 2 Satz
1 EStG angeordnete Abzug „in Höhe des bei einer
Zusammenveranlagung [Streitjahr 2001: ‘der Ehegatten’]
in Betracht kommenden Betrags“ setzt danach die
Ermittlung der abziehbaren Aufwendungen beider Ehegatten unter
Einbeziehung der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 1 und
Abs. 3 Satz 1 EStG voraus.
Auch der Berechnung der zumutbaren Belastung
gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG ist daher wie bei
einer Zusammenveranlagung der Gesamtbetrag der Einkünfte
beider Ehegatten zugrunde zu legen und folgerichtig auch der bei
einer Zusammenveranlagung (mit Splitting-Verfahren) in Betracht
kommende Prozentsatz nach Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des § 33 Abs.
3 EStG anzuwenden. Getrennt veranlagte Ehegatten unterliegen zwar
der Besteuerung nach dem in § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a
EStG angesprochenen Grundtarif. Diese zu einer höheren
zumutbaren Belastung führende Regelung betrifft jedoch
ausschließlich ledige Steuerpflichtige und Ehegatten, die der
Einzelveranlagung unterliegen. Die in § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG
vorgesehene Anordnung des Abzugs außergewöhnlicher
Belastungen in Höhe des bei einer Zusammenveranlagung in
Betracht kommenden Betrags führt jedoch zwingend zur Anwendung
der Prozentsätze in § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b
EStG, die für Steuerpflichtige gelten, bei denen die
Einkommensteuer nach dem Splittingverfahren zu berechnen ist. Die
für die getrennte Veranlagung eher missverständliche
Bezugnahme der Vorschrift auf den Begriff
„Splitting-Verfahren“ hat der Gesetzgeber
offensichtlich nur gewählt, um auch die Fälle des Witwen-
und des Sondersplittings bei Auflösung der Ehe in die
günstigere Staffelung der Prozentsätze einzubeziehen (s.
Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG Rz 223).
b) Im Streitfall ist das FA diesen
Auslegungsgrundsätzen gefolgt, die auch der Rechtsprechung des
Senats und einer Mehrheit der FG entsprechen (s. Senatsurteil vom
28.6.1963 VI 39/62, HFR 1963, 429, DB 1963, 1274; Urteile des FG
München vom 8.11.2006 9 K 3675/04, EFG 2007, 1776 = SIS 07 22 15, und FG Münster vom 22.1.2008 15 K 3341/06 E, EFG 2008, 612
= SIS 08 15 27, sowie Beschluss des FG Mecklenburg-Vorpommern vom
2.1.2008 3 V 120/07, DStRE 2008, 1131 = SIS 08 16 46; a.A. nur die
Vorentscheidung in EFG 2008, 792 = SIS 08 16 01). Dies folgt - wie
dargelegt - unmittelbar aus § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG, ohne
dass es dazu einer ausdrücklichen Vorschrift in § 33 EStG
bedurft hätte, wie sie in der Vorgängerregelung zu §
33 Abs. 3 EStG enthalten war. Insoweit nämlich sah § 33
Abs. 1 Satz 2 EStG 1971 i.V.m. § 64 Satz 2 der
Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1971 zur Berechnung
der zumutbaren Eigenbelastung klarstellend vor, dass im Fall der
getrennten Veranlagung von der Summe der Einkommen beider Ehegatten
auszugehen sei.
2. Entgegen der Vorinstanz ist eine
verfassungskonforme Auslegung mit dem Ziel, den Kläger wie bei
einer Einzelveranlagung zu besteuern, nicht geboten. Die Regelungen
des § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG und des § 33 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 EStG sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Steuerpflichtige, die der
Ehegattenveranlagung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen,
einzeln zu veranlagen oder die Ehegattenveranlagung in Form der
getrennten Veranlagung als Einzelveranlagung nach § 25 Abs. 1
EStG durchzuführen, überschritte die Grenzen einer
verfassungskonformen Auslegung. Die Grenzen, die sich aus Art. 20
Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG für die richterliche Auslegung des
einfachen Rechts ergeben, können nicht prinzipiell enger oder
weiter gesteckt sein, je nachdem, ob die jeweilige Auslegung sich
zugunsten oder zu Lasten betroffener Einzelner auswirkt (Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 15.1.2009 2 BvR
2044/07, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2009, 143 Tz. 60,
m.w.N).
b) Zwar mag es sein, dass Ehegatten durch die
Regelungen des § 26a Abs. 2 Satz 1 EStG und des § 33 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 EStG gegenüber nichtehelichen
Lebensgemeinschaften insoweit benachteiligt werden, als die
zumutbare Belastung auch bei einer getrennten Veranlagung auf der
Grundlage des Gesamtbetrags der Einkünfte beider Ehegatten
berechnet wird. Indessen ist diese punktuelle gesetzliche
Benachteiligung hinzunehmen, weil die gesetzliche Regelung im
Ganzen betrachtet keine Schlechterstellung von Eheleuten bewirkt
(vgl. BVerfG-Urteil vom 12.2.2003 1 BvR 624/01, BVerfGE 107, 205
ff.). Die Norm des § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG behandelt
zusammenlebende Eheleute vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG
auch bei der getrennten Veranlagung folgerichtig wie eine
Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs, in der ein Ehegatte an den
Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur
Hälfte teilhat (vgl. BVerfG-Urteil vom 3.11.1982 1 BvR 620/78
u.a., BVerfGE 61, 319 = SIS 82 22 02). Für diese Beurteilung
kann auch nicht entscheidend sein, ob bestimmte
Lebensführungskosten, wie die Unterhaltszuwendungen im
Streitfall, aus einer gemeinsamen Haushaltskasse geleistet oder
individuell zurechenbar von einem der Ehegatten getragen werden. In
jedem Fall ist die gemeinsame Haushaltskasse betroffen, sei es nun
durch unmittelbare Beiträge an den bedürftigen
Angehörigen oder mittelbar durch eine stärkere Belastung
aufgrund anderer laufender Lebensführungskosten.
Diese rechtliche Behandlung der Eheleute als
Wirtschaftsgemeinschaft wirkt sich insgesamt zu ihren Gunsten aus,
wobei die Nachteile gegenüber Unverheirateten
ausschließlich darauf beruhen, dass das Gesetz Eheleute
gemäß dem aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Gebot der
Folgerichtigkeit (vgl. BVerfG-Beschluss vom 24.5.2005 2 BvR
1683/02, BFH/NV 2005, Beilage 4, 361) eben nicht als Einzelne
betrachtet. So ist zur Berechnung der zumutbaren Belastung von
Ehegatten auch bei getrennter Veranlagung stets ein geringerer
Prozentsatz zugrunde zu legen als der Berechnung der zumutbaren
Belastung Alleinstehender. Im Übrigen steht den Ehegatten nach
§ 26a Abs. 2 Satz 1 EStG ein Wahlrecht zu, eine andere als die
hälftige Aufteilung der abziehbaren Aufwendungen zu
beantragen, und auch auf diese Weise eine günstigere
Besteuerung zu erreichen.
c) Der Schutz von Ehe und Familie verbietet es
zwar, Ehegatten gegenüber Ledigen steuerlich zu benachteiligen
(ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG-Beschlüsse vom
14.4.1959 1 BvL 23, 34/57, BVerfGE 9, 237, 247, und vom 4.10.1988 1
BvR 843/88, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -,
Einkommensteuergesetz 1975, § 33a, Rechtsspruch 69, jeweils
m.w.N.). Aus Art. 6 Abs. 1 GG folgt aber keine Verpflichtung
für den Gesetzgeber, Steuerpflichtige vor den Folgen ihrer
selbst gewählten, möglicherweise weniger vorteilhaften
Gestaltungsformen zu bewahren (BVerfG-Beschluss vom 26.2.1993 2 BvR
164/92, StRK, Einkommensteuergesetz 1975, § 7b, Rechtsspruch
58). Mit § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG eröffnet der Gesetzgeber
eine nur Ehegatten zugängliche Gestaltungsmöglichkeit
hinsichtlich der Veranlagung zur Einkommensteuer. Wählen die
Ehegatten eine Veranlagungsform, die der von Alleinstehenden nahe
kommt, ohne die Vorstellung von der ehelichen Lebens- und
Wirtschaftsgemeinschaft aufzugeben, so verstoßen die sich
daraus ergebenden einkommensteuerrechtlichen Folgen nicht gegen
Art. 6 Abs. 1 GG (Senatsurteil vom 21.9.2006 VI R 80/04, BFHE 215,
154, BStBl II 2007, 11 = SIS 06 42 42).
3. Da das FG von einer anderen
Rechtsauffassung ausgegangen ist, war seine Entscheidung aufzuheben
und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).