58er-Regelung für Beamte, Versorgungsbezüge: Ermöglicht der Dienstherr zum Abbau von Personalüberhängen Beamten, die das 58. Lebensjahr vollendet und den Höchstruhegehaltssatz erreicht haben, in Form einer Sonderurlaubsregelung unwiderruflich die Freistellung vom Dienst unter Fortzahlung von 70 % der Besoldung bis zur Versetzung in den Ruhestand (58er-Regelung), so handelt es sich um einen "gleichartigen Bezug" i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG und damit um begünstigte Versorgungsbezüge. - Urt.; BFH 12.2.2009, VI R 50/07; SIS 09 12 02
I. Streitig ist, ob die während eines
dem Ruhestand vorgeschalteten Sonderurlaubs gezahlten Bezüge
steuerlich bereits als Versorgungsbezüge zu behandeln
sind.
Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der am 16.4.1938 geborene Kläger
war als Beamter in der Finanzverwaltung des Landes
Nordrhein-Westfalen tätig und erzielte aus dieser
Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Antragsgemäß bewilligte die Oberfinanzdirektion (OFD)
Münster mit Schreiben vom 15.11.1999 dem Kläger in
Anwendung eines Ministererlasses vom 12.8.1999 i.V.m. § 12
Abs. 1 und 4 der Sonderurlaubsverordnung (SUrlV NW) unwiderruflich
Sonderurlaub für die Zeit vom 1.2.2000 bis zum Beginn seines
Ruhestandes mit Ablauf des Monats April 2001 unter Fortzahlung von
70 % der im letzten Monat vor der Beurlaubung zustehenden
Besoldung. Der zitierte Erlass hat entsprechend einem
Kabinettsbeschluss vom 10.8.1999 die Einführung einer sog.
„58er-Regelung“ zum Inhalt. Durch die Einführung
dieser Regelung, so heißt es in dem Erlass, „im
Beamtenbereich in NRW in Form einer Sonderurlaubsregelung nach
§ 12 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 SUrlV NW wird eine Beurlaubung der
Beamtin/des Beamten ab dem 58. Lebensjahr bei
Personalüberhängen unter Fortzahlung von 70 % der
Besoldung ermöglicht“. Nach dem Erlass ist u.a.
Voraussetzung für die Bewilligung des Sonderurlaubs, dass der
Beamte das 58. Lebensjahr vollendet hat, einen unwiderruflichen
Antrag stellt, den Höchstruhegehaltssatz von 75 % erreicht hat
und verbindlich erklärt, die Versetzung in den Ruhestand zum
frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen.
Mit Schreiben der OFD Münster vom
23.1.2001 wurde der Kläger antragsgemäß mit Ablauf
des Monats April 2001 in den Ruhestand versetzt. Das Ruhegehalt des
Klägers wurde auf 70,2 % der ruhegehaltsfähigen
Bezüge festgesetzt.
Das Landesamt für Besoldung und
Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) wies die dem Kläger in
der Zeit vom 1. Februar bis 31.12.2000 geleisteten Bezüge
(62.455 DM) auf der Lohnsteuerkarte als Versorgungsbezüge aus,
nachdem der Kläger einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
Im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 2000 vom
25.3.2002 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt - FA - ) bei den Einkünften des Klägers
aus nichtselbständiger Arbeit einen Versorgungsfreibetrag in
Höhe von 6.000 DM sowie beschränkt abziehbare
Sonderausgaben (Vorsorgeaufwendungen) in Höhe von 18.637 DM,
wobei er bei der Kürzung des Vorwegabzugs gemäß
§ 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der in den
Streitjahren (2000, 2001) geltenden Fassung (EStG) die ab Februar
2000 geleisteten Bezüge nicht einbezog.
Das LBV wies auf der Lohnsteuerkarte 2001
nur die ab Mai 2001 gezahlten Bezüge (48.077 DM) als
Versorgungsbezüge aus. Es lehnte den Antrag des Klägers,
dies zu korrigieren, ab. Es teilte darüber hinaus dem FA am
25.3.2002 mit, dass der Kläger erst ab 1.5.2001
Versorgungsbezüge erhalte.
Im daraufhin nach § 173 Abs. 1 Nr. 1
der Abgabenordnung geänderten Bescheid für 2000
berücksichtigte das FA den Versorgungsfreibetrag nicht mehr
und ließ Vorsorgeaufwendungen unter Einbeziehung von
sämtlichen in diesem Streitjahr gewährten Bezügen in
die Kürzung des Vorwegabzugs nur in Höhe von 8.644 DM zum
Abzug zu.
Im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr 2001 berücksichtigte das FA in Übereinstimmung
mit dem Eintrag auf der Lohnsteuerkarte nur die ab Mai 2001
gezahlten Bezüge als Versorgungsbezüge. Als
Vorsorgeaufwendungen ließ es - unter Berücksichtigung
nur eines nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG geminderten Vorwegabzugs
- 16.490 DM zum Abzug zu.
Der Einspruch der Kläger hatte keinen
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in EFG 2008,
51 = SIS 08 06 44 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision machen die Kläger
geltend, das Urteil verletze § 19 Abs. 2 EStG und die
Kürzungsregelung in § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a
EStG. Im Übrigen sei das FA nicht berechtigt gewesen, den
bestandskräftigen Steuerbescheid für das Streitjahr 2000
zu ihren Lasten zu ändern.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung und den
Einkommensteuerbescheid 2000 vom 12.4.2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid
2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu
ändern, dass Vorsorgeaufwendungen in Höhe von 19.830 DM
in Abzug gebracht werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der
Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der Auffassung der
Vorinstanz handelt es sich bei den strittigen Bezügen um
Versorgungsbezüge i.S. von § 19 Abs. 2 EStG. Die Frage,
ob das FA befugt war, den angefochtenen Bescheid für das
Streitjahr 2000 zu berichtigen, kann dahinstehen.
1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG
gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger
Arbeit u.a. auch Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus
früheren Dienstleistungen. Gemäß § 19 Abs. 2
Satz 1 EStG bleibt von Versorgungsbezügen ein Betrag von 40 %
dieser Bezüge, höchstens jedoch insgesamt ein Betrag von
6.000 DM (3.072 EUR) in den Streitjahren steuerfrei
(Versorgungs-Freibetrag). Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
Buchst. a EStG sind Versorgungsbezüge Bezüge und Vorteile
aus früheren Dienstleistungen, die als Ruhegehalt oder als
gleichartiger Bezug auf Grund beamtenrechtlicher oder
entsprechender gesetzlicher Vorschriften gewährt werden.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG stehen
zusammen veranlagten Ehegatten für sog. Vorsorgeaufwendungen
(§ 10 Abs. 2 Satz 1 EStG) als Höchstbetrag ein
Vorwegabzug von 12.000 DM (6.136 EUR) zu. Der Vorwegabzug ist
gemäß Satz 2 Buchst. a dieser Vorschrift um 16 % der
Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von
§ 19 EStG - ohne Versorgungsbezüge gemäß
§ 19 Abs. 2 EStG - zu kürzen, wenn für die
Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S. des §
3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum
Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG
gehört.
2. Die dem Kläger in der Zeit vom
1.2.2000 bis zum 30.4.2001 gezahlten Bezüge sind solche aus
früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr.
2 EStG. Es handelt sich dabei zwar nicht um ein Ruhegehalt aufgrund
beamtenrechtlicher Vorschriften, wohl aber um einen
„gleichartigen Bezug“ aus früheren
Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a
EStG (s.a. Urteil des Niedersächsischen FG vom 31.3.2004 7 K
393/99, EFG 2005, 299 = SIS 05 03 44).
a) Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2
SUrlV NW kann die oberste Dienstbehörde mit Zustimmung des
Finanzministeriums in Ausnahmefällen Sonderurlaub unter
Belassung der Besoldung ohne Bindung an die in Satz 1 der
Vorschrift normierten Voraussetzungen bewilligen. Mit dem FG ist
davon auszugehen, dass die oberste Dienstbehörde in
Nordrhein-Westfalen mit dem zitierten Erlass des Finanzministers
vom 12.8.1999 (sog. 58er-Regelung) von dieser Möglichkeit
Gebrauch gemacht hat mit der Folge, dass Beamte ab dem 58.
Lebensjahr bei Personalüberhängen unter Fortzahlung der
Besoldung eine Beurlaubung bis zum Eintritt des Versorgungsfalles
in Anspruch nehmen können.
Entgegen der Ansicht des FG kann aus dieser
Regelung nicht geschlossen werden, dass auf die Bezüge des
beurlaubten Beamten § 19 Abs. 2 EStG nicht angewendet werden
könne. Entscheidend ist, dass die von der
„58er-Regelung“ begünstigten Beamten auf
Dauer von ihren amtlichen Verpflichtungen entbunden, also zur
Erbringung von Dienstleistungen nicht mehr verpflichtet sind. Die
Inanspruchnahme der Regelung hat die Unwiderruflichkeit des Antrags
und die verbindliche Erklärung, die Versetzung in den
Ruhestand zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen,
zur Voraussetzung. Entsprechend ist dem Kläger auf seinen
Antrag hin auch „unwiderruflich Sonderurlaub für die
Zeit vom 01.02.2000 bis zum Beginn Ihres Ruhestandes ...“
bewilligt worden. Damit fehlt den Bezügen das wesentliche
Merkmal der in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten
Bezüge, dass sie nämlich Gegenleistung für
Dienstleistungen darstellen, die im gleichen Zeitraum geschuldet
und erbracht werden. Die Bezüge während des Sonderurlaubs
werden gewährt, obwohl Dienstleistungen nicht erbracht werden.
Dieses Merkmal haben sie mit dem Ruhegehalt gemein. Das spricht
entscheidend dafür, die Dienstbezüge als dem Ruhegehalt
gleichartige Bezüge anzusehen (Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 19.6.1974 VI R 37/70, BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23 =
SIS 75 00 16).
b) Die Unterschiede gegenüber dem
beamtenrechtlichen Ruhegehalt sind nicht so entscheidend, dass
nicht von einem dem Ruhegehalt gleichartigen Bezug gesprochen
werden könnte. Der Annahme eines Versorgungsbezugs steht nicht
entgegen, dass der Kläger während des Sonderurlaubs
Bezüge in Höhe von 70 % des im letzten Monat vor der
Beurlaubung bezogenen Betrags bezieht und nicht ein nach den
Vorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes berechnetes Ruhegehalt.
Maßgeblich ist, dass den Bezügen die Funktion eines
(vorgezogenen) Ruhegehalts zukommt (BFH-Urteil vom 1.3.1974 VI R
47/71, BFHE 111, 516, BStBl II 1974, 490 = SIS 74 02 74).
Dafür sprechen die Verknüpfung zwischen Sonderurlaub und
Ruhestand und die an dem Ruhegehaltssatz ausgerichtete
Besoldungshöhe.
Die vom FG im Übrigen aufgezeigten
Unterschiede zwischen dem beamtenrechtlichen Ruhegehalt und der
hier streitigen Besoldung sind letztlich sämtlich darauf
zurückzuführen, dass das Dienstverhältnis bis zum
Eintritt des Beamten in den regulären Ruhestand fortbesteht.
Auf die Fortsetzung des Dienstverhältnisses kommt es jedoch in
diesem Zusammenhang nicht an. § 19 Abs. 2 EStG ist nicht auf
Bezüge und Vorteile aus einem früheren
Dienstverhältnis beschränkt, sondern verlangt nur,
dass es sich um Bezüge aus früheren Dienstleistungen
handelt (BFH-Urteil in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23 = SIS 75 00 16).
3. Der Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr 2001 ist dahingehend zu ändern, dass im Rahmen der
Sonderausgaben der Vorwegabzug nicht gekürzt wird. Die
Neuberechnung der Einkommensteuer wird dem FA übertragen
(§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 Satz 1 FGO).