Berufstätige Ehegatten, Änderung des Familienwohnsitzes, doppelte Haushaltsführung: Bei beiderseits berufstätigen Ehegatten sind die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung zeitlich unbeschränkt als Minderung finanzieller Leistungsfähigkeit steuerlich zu berücksichtigen. Die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort des anderen Ehegatten unter Beibehaltung der ursprünglichen Familienwohnung als Erwerbswohnung ist unerheblich. - Urt.; BFH 30.10.2008, VI R 10/07; SIS 08 44 51
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) sind seit 1999 verheiratet. Bereits vor der
Eheschließung bewohnte der Kläger eine Eigentumswohnung
in A und war dort als Beamter nichtselbständig tätig. Die
Klägerin nutzte ihrerseits seit 1993 ein Einfamilienhaus in B
zu eigenen Wohnzwecken. Sie war dort ebenfalls als Beamtin
nichtselbständig tätig.
Nach der Eheschließung machte der
Kläger für die Jahre 1999 bis 2001 Mehraufwendungen
für eine doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten bei
seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre
(2002 und 2003) machte nunmehr die Klägerin entsprechende
Aufwendungen geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die geltend gemachten
Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung der
Klägerin nicht.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit
den in EFG 2007, 757 = SIS 07 12 09 veröffentlichten
Gründen ab.
Mit der Revision rügen die Kläger
die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des
Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden
Fassung - EStG - ).
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die
angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 unter
Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19.1.2006 in der Weise zu
ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 9.847 EUR
(2002) und 10.208 EUR (2003) berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die
einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass
begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine
doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer
außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand
unterhält, beschäftigt ist und auch am
Beschäftigungsort wohnt. Erforderlich für eine doppelte
Haushaltsführung ist demnach eine Aufspaltung der
normalerweise einheitlichen Haushaltsführung auf zwei
verschiedene Haushalte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) ist die Begründung eines doppelten Haushalts auch dann
als beruflich veranlasst anzusehen, wenn Ehegatten bereits vor
ihrer Heirat an verschiedenen Orten berufstätig waren, an
ihren jeweiligen Beschäftigungsorten wohnten und nach der
Eheschließung eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung
gemacht haben (BFH-Urteil vom 15.3.2007 VI R 31/05, BFHE 217, 453,
BStBl II 2007, 533 = SIS 07 13 15, m.w.N.). Diese Voraussetzung ist
nicht erfüllt, wenn jeder Ehegatte nach der
Eheschließung wie bisher in seiner Wohnung weiterlebt
(BFH-Urteil vom 13.7.1976 VI R 172/74, BFHE 119, 281, BStBl II
1976, 654 = SIS 76 03 65; Blümich/ Thürmer, § 9 EStG
Rz 349).
2. Nach diesen Grundsätzen kann die
Vorentscheidung keinen Bestand haben.
a) Das FG hat keine ausreichenden
Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf. an welchem Ort die
Kläger in den Streitjahren und in den Jahren davor einen
gemeinsamen Haushalt bzw. Lebensmittelpunkt begründet haben.
Das FG geht offensichtlich davon aus, dass die Kläger in den
Streitjahren ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt von B nach A
verlegt haben. Es leitet dies vor allem aus den Angaben
gegenüber dem Einwohnermeldeamt ab, hat dabei aber außer
Acht gelassen, dass diesem Umstand für die Frage, ob die
Kläger nach der Heirat einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt
hatten, nur eine Indizwirkung zukommt (vgl. BFH-Urteile in BFHE
119, 281, BStBl II 1976, 654 = SIS 76 03 65; vom 29.11.1990 IV R
30/90, BFH/NV 1991, 531).
Der Hausstand i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am
Mittelpunkt seiner Lebensinteressen führt, also sein Haupt-
bzw. bei Ehegatten der Ehegatten- oder Familienhausstand
(BFH-Urteile vom 14.6.2007 VI R 60/05, BFHE 218, 229, BStBl II
2007, 890 = SIS 07 29 07; vom 9.8.2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380,
BStBl II 2007, 820 = SIS 07 29 04). Eine doppelte
Haushaltsführung ist nicht gegeben, wenn der
Beschäftigungsort der Lebensmittelpunkt ist. Ob der Hausstand
gegenüber der Wohnung am Beschäftigungsort der
Lebensmittelpunkt bzw. der Ort ist, an dem die Ehegatten in
häuslicher Gemeinschaft i.S. des § 1353 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs zusammenleben, erfordert eine
Abwägung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalls.
Indizien können sich aus einem Vergleich von Größe
und Ausstattung der Wohnungen sowie aus Dauer und Häufigkeit
der Aufenthalte in den Wohnungen ergeben (BFH-Urteil vom 4.11.2003
VI R 170/99, BFHE 203, 386, BStBl II 2004, 16 = SIS 03 51 77,
m.w.N.).
b) Im 2. Rechtsgang wird das FG die
entsprechenden Feststellungen nachzuholen haben. Aus
prozessökonomischen Gründen weist der Senat auf Folgendes
hin:
aa) Unter Beachtung der erwähnten
Grundsätze wird das FG zunächst zu prüfen haben, ob
die Kläger ursprünglich nach ihrer Heirat aus beruflichem
Anlass eine doppelte Haushaltsführung begründet hatten,
in der die Wohnung die Klägerin in B zum Familienwohnsitz
bestimmt wurde und der Kläger am Ort seiner Beschäftigung
in A wohnte. Für diesen Fall wäre es unerheblich, wenn
die Kläger den Familienwohnsitz später nach A verlegt
hätten. Denn die Verlegung des gemeinsamen Hausstandes
beiderseits berufstätiger Ehegatten hätte nicht zu einer
Beendigung der beruflich begründeten doppelten
Haushaltsführung geführt.
Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m.
Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es, Aufwendungen für eine doppelte
Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen
Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, soweit es sich um
zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger
Ehegatten handelt, der dadurch anfällt, dass ein gemeinsamer
Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten besteht
und zugleich die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die
Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort
veranlasst ist (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
4.12.2002 2 BvR 400/98 und 1735/00, BStBl II 2003, 534 = SIS 03 19 40). Werden bei beiderseits berufstätigen Ehegatten
Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung
zwangsläufig zur Gewährleistung der Berufstätigkeit
beider erbracht, so sind sie zeitlich unbeschränkt als
Minderung finanzieller Leistungsfähigkeit steuerlich zu
berücksichtigen. Dabei ist es unerheblich, ob der gemeinsame
Wohnsitz der Ehegatten über die Jahre gleich bleibt oder
verändert wird. Maßgeblich ist allein, dass die
Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die
Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort
veranlasst ist.
bb) Sollte das FG zu der Feststellung kommen,
dass die Kläger erstmals im Streitjahr 2002 einen gemeinsamen
Haushalt, und zwar am Beschäftigungsort des Klägers (A),
errichtet haben, steht dies ebenfalls nicht einer beruflichen
Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung entgegen.
Der BFH hat im Hinblick auf den aus Art. 6
Abs. 1 GG resultierenden Schutz von Ehe und Familie eine aus
beruflichem Anlass begründete doppelte Haushaltsführung,
wie erwähnt, dann angenommen, wenn beide Ehegatten im
Zeitpunkt der Eheschließung an verschiedenen Orten beruflich
tätig sind, jeweils dort wohnen und anlässlich ihrer
Heirat eine der beiden Wohnungen oder eine neue Wohnung an einem
dritten Ort zum Familienhaushalt machen. Maßgebend für
diese Rechtsprechung ist, dass bei Heirat zweier an verschiedenen
Orten beruflich tätigen Steuerpflichtigen diese sich nicht mit
einem einzigen Wohnsitz am Ort der Berufsausübung eines von
ihnen begnügen können, ohne die Berufstätigkeit des
anderen zu beeinträchtigen (BFH-Urteil in BFHE 217, 453, BStBl
II 2007, 533 = SIS 07 13 15, m.w.N.).
Nach Auffassung des Senats ist es unter
Berücksichtigung dieses in Art. 6 Abs. 1 GG niedergelegten
Wertungsmaßstabes nicht zu rechtfertigen, den
Werbungskostenabzug zu versagen, wenn die beiderseits
berufstätigen Eheleute erst nachträglich einen
Familienwohnsitz begründen.
cc) Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1
EStG sind nur notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer
wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten
Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. In diesem Sinn
sind Unterkunftskosten am Beschäftigungsort notwendig, soweit
sie den Durchschnittsmietzins einer 60 qm-Wohnung am
Beschäftigungsort nicht überschreiten (Senatsentscheidung
in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820 = SIS 07 29 04).