Landwirt, Wechsel zur USt-Regelbesteuerung, Vorsteuerberichtigung: Wechselt ein Landwirt, der einen Stall errichtet, vor dessen Fertigstellung von der Besteuerung nach Durchschnittssätzen zur Regelbesteuerung, können die Vorsteuerbeträge, die vor dem Wechsel angefallen sind, erst ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung nach § 15 a UStG 1993/1999 (anteilig) geltend gemacht werden. - Urt.; BFH 12.6.2008, V R 22/06; SIS 08 44 48
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Landwirt. Er errichtete in den Jahren 1997 und
1998 einen Stall. Der Stall wurde im Dezember 1998 fertig gestellt
und für landwirtschaftliche Zwecke verwendet.
Bis einschließlich 1997 unterlag der
Kläger mit seinen Umsätzen aus der landwirtschaftlichen
Tätigkeit der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 des
Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG).
Durch Schreiben vom 31.12.1998, beim
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) am 6.1.1999
eingegangen, verzichtete der Kläger mit Wirkung zum 1.1.1998
auf die Anwendung des § 24 UStG und wechselte zur
Regelbesteuerung (§ 24 Abs. 4 UStG).
In seiner Umsatzsteuererklärung
für das Jahr 1998 machte der Kläger den Vorsteuerabzug
für Leistungen aus der Errichtung des Stalles in Höhe von
12.218,47 DM geltend. Diese Leistungen hatte er bereits im Jahr
1997 bezogen und für diese bereits im Jahr 1997 Rechnungen
erhalten. Dieser Erklärung stimmte das FA zu.
Ferner gab der Kläger eine
Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1999 ab, der das FA
ebenfalls zustimmte.
Im Anschluss an eine
Außenprüfung änderte das FA mit Bescheiden vom
21.10.2002 die Festsetzungen für die Streitjahre (1998 und
1999). Das FA versagte dem Kläger u.a. den Vorsteuerabzug
für das Jahr 1998 unter Berufung auf Abschn. 191 Abs. 5 Satz 1
Nr. 1 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 1996. Danach dürfen
Unternehmer, die von der Besteuerung nach § 24 UStG zur
allgemeinen Besteuerung des UStG übergegangen sind, den
Vorsteuerabzug für Lieferungen und sonstige Leistungen
vornehmen, die - anders als im Streitfall - erst nach dem Zeitpunkt
an sie ausgeführt worden sind, zu dem sie zur allgemeinen
Besteuerung übergingen. Das FA berücksichtige die im Jahr
1997 angefallenen Vorsteuerbeträge in den Streitjahren auch
nicht anteilig im Rahmen einer Vorsteuerberichtigung nach §
15a UStG in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung (im Folgenden
§ 15a UStG 1993/1999 a.F.).
Mit seinem Einspruch begehrte der
Kläger nicht mehr - wie zunächst - den vollständigen
Vorsteuerabzug für die im Jahr 1997 bezogenen Leistungen nach
§ 15 UStG, sondern nur noch deren anteilige
Berücksichtigung im Rahmen der Vorsteuerberichtigung nach
§ 15a UStG 1993/1993 a.F. in den Streitjahren. Der Einspruch
hatte keinen Erfolg.
In seiner Klage machte der Kläger
für die Streitjahre eine Vorsteuerberichtigung zu seinen
Gunsten von je 1/10 der in 1997 angefallenen Vorsteuerbeträge,
also je 1.221,84 DM, geltend.
Die Klage hatte Erfolg. Nach Auffassung des
Finanzgerichts (FG) hat der Wechsel des Klägers zur
Regelbesteuerung zum 1.1.1998 nach § 15a UStG 1993/1999 a.F.
eine Vorsteuerberichtigung in den Streitjahren
ausgelöst.
Das FG vertrat die Auffassung, § 15a
UStG 1993/1999 a.F. setze zwar seinem Wortlaut nach voraus, dass
sich die Verhältnisse im Jahr der erstmaligen Verwendung
ändern müssten; der Wechsel der Besteuerungsart sei eine
Änderung der Verhältnisse. Im Jahr der erstmaligen
Verwendung (1998) sei eine derartige Änderung der
Verhältnisse nicht eingetreten, weil der Kläger bereits
mit Wirkung zum 1.1.1998 zur Regelbesteuerung gewechselt
habe.
§ 15a UStG 1993/1999 a.F. sei aber
richtlinienkonform dahin gehend auszulegen, dass
„hinsichtlich der Änderung der
Verwendungsverhältnisse in so genannten Folgejahren nicht auf
das Erstjahr der tatsächlichen Verwendung, sondern auf den
konkreten Zeitpunkt des ursprünglichen Vorsteuerabzugs Bezug
genommen“ werde.
Das Urteil ist in EFG 2007, 152 = SIS 07 02 39 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA
Verletzung materiellen Rechts. Es ist der Auffassung, der
Gesetzgeber habe erst ab 1.1.2002 durch die Neufassung des §
15a UStG durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 2001
vom 20.12.2001 - im Folgenden UStG 1999 n.F. - (BGBl I 2001, 3794)
Art. 20 der in den Streitjahren geltenden Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie
77/388/EWG) umgesetzt. Dieser Neuregelung komme zwar nach § 27
Abs. 8 UStG i.d.F. des StÄndG 2003 vom 15.12.2003 (BGBl I
2003, 2645) unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkung zu.
Diese seien aber im Streitfall nicht erfüllt. Das FG habe
daher der Regelung des Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
„unzulässigerweise bereits in den Jahren 1998 und 1999
unmittelbare Geltung“ verschafft.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des
FA als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist hinsichtlich des
Streitjahres 1999 unbegründet (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Sie ist hinsichtlich des
Streitjahres 1998 aus anderen als den geltend gemachten
Gründen teilweise begründet; das Urteil des FG war
insoweit aufzuheben; der Kläger kann die Vorsteuerbeträge
aus dem Jahr 1997 - entgegen der Auffassung des FG - im Jahr 1998
nicht bereits ab 1.1.1998, sondern erst ab dem Zeitpunkt der
erstmaligen Verwendung des Stalles im Dezember 1998 berichtigen
(vgl. § 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Zu Recht geht das FG davon aus, dass der
Wechsel von der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG
zur Regelbesteuerung zur Vorsteuerberichtigung berechtigt. Der
Senat kann offenlassen, ob sich der Anspruch auf Berichtigung aus
nationalem Recht ergibt. Jedenfalls kann sich der Kläger mit
Erfolg auf Gemeinschaftsrecht berufen.
a) Nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie
77/388/EWG wird der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach den von
den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten insbesondere
berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist
als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war,
oder wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des
Vorsteuerabzugs berücksichtigt werden, nach Abgabe der
Erklärung geändert haben.
Für Investitionsgüter - wie der vom
Kläger errichtete Stall - wird nach Art. 20 Abs. 2 der
Richtlinie 77/388/EWG eine Berichtigung des ursprünglichen
Vorsteuerabzugs vorgenommen, „unter Berücksichtigung
der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den
folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in
dem die Güter erworben oder hergestellt wurden“.
b) Der Kläger kann sich unmittelbar auf
Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen. Die unmittelbare
Wirkung einer Richtlinienbestimmung setzt voraus, dass sie
inhaltlich unbedingt auch hinreichend bestimmt ist. Diese
Voraussetzungen werden von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG
erfüllt. Denn der Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften hat in seinem Urteil vom 30.3.2006 Rs. C-184/04,
Uudenkaupungin kaupunki (Slg. 2006, I-3039, BFH/NV Beilage 2006,
286 = SIS 06 25 31 Randnr. 26) entschieden: „Die Regelung
für die Berichtigung der Abzüge ist ein wesentlicher
Bestandteil des durch die Sechste Richtlinie eingeführten
Systems, indem sie die Richtigkeit der Abzüge und damit die
Neutralität der steuerlichen Belastung sichern soll. Artikel
20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, der Investitionsgüter
betrifft, um die es im Ausgangsverfahren geht, ist im Übrigen
so abgefasst, dass kein Zweifel an seinem zwingenden Charakter
besteht.“
c) Die weit gefassten Bestimmungen des Art. 20
Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG sehen eine Berichtigung
des Vorsteuerabzugs nicht nur bei Änderungen der
Verwendungsverhältnisse, sondern für sämtliche
Änderungen der für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug
maßgeblichen Faktoren vor. Wie der Senat bereits entschieden
hat, erfassen sie deshalb auch den Fall, dass der Anspruch auf
Vorsteuerabzug nach § 15 UStG ursprünglich bei einem
Kleinunternehmer i.S. des § 19 UStG lediglich durch die
Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG ausgeschlossen war,
eine Berechtigung zum Vorsteuerabzug aber nach einem Wechsel zur
allgemeinen Besteuerung gegeben ist, weil diese
Ausschluss-Vorschrift dann nicht mehr eingreift (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17.6.2004 V R 31/02, BFHE 205, 549,
BStBl II 2004, 858 = SIS 04 33 38, unter II.1.c).
Gleiches gilt für den - im Streitfall
erfolgten - Wechsel der Besteuerung von § 24 UStG zur
Regelbesteuerung. Denn auch in diesem Fall ist zunächst der
(weitere) Vorsteuerabzug nach § 15 UStG aufgrund der Regelung
des § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG ausgeschlossen und nach dem
Wechsel zur allgemeinen Besteuerung gegeben.
d) Art. 20 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG
steht dem nicht entgegen.
Die Bestimmung lautet: „Geht der
Steuerpflichtige von der normalen Mehrwertsteuerregelung auf eine
Sonderregelung über oder umgekehrt, so können die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Bestimmungen erlassen, um zu
gewährleisten, dass dem Steuerpflichtigen weder
ungerechtfertigte Vorteile noch ungerechtfertigte Nachteile
entstehen.“
Art. 20 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG
räumt den Mitgliedstaaten zwar ein Ermessen
(„können“) zum Erlass entsprechender
Bestimmungen ein. Der Senat hat aber bereits entschieden, dass bei
einem Wechsel von der Nichtbesteuerung nach § 19 UStG zur
Regelbesteuerung eine Vorsteuerberichtigung nach Art. 20 der
Richtlinie 77/388/EWG ohne Abweichungsmöglichkeit des
Mitgliedstaats notwendig ist, damit dem Steuerpflichtigen kein
ungerechtfertigter Nachteil entsteht (BFH-Urteil in BFHE 205, 549,
BStBl II 2004, 858 = SIS 04 33 38, unter II.2.d). Dies gilt auch
für den Wechsel von der Besteuerung nach
Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG zur
Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften.
2. Allerdings beginnt der Zeitraum der
Vorsteuerberichtigung - entgegen der Auffassung des FG - nicht
bereits mit dem Wechsel der Besteuerungsart zum 1.1.1998, sondern
erst mit der erstmaligen Verwendung des Investitionsgutes, hier des
Stalles, im Dezember 1998.
a) Nach Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 2 der
Richtlinie 77/388/EWG können „die Mitgliedstaaten
für die Berichtigung einen Zeitraum ... festlegen, der mit der
erstmaligen Verwendung der Güter beginnt“.
b) In Ausübung dieser Ermächtigung
kommt sowohl nach § 15a Abs. 1 UStG 1993/1999 a.F. als auch
nach § 15a Abs. 1 UStG 1999 n.F. eine Vorsteuerberichtigung
erst ab der Verwendung des Wirtschaftsgutes in Betracht.
Bis zum 31.12.2001 hatte § 15a Abs. 1
UStG folgenden Wortlaut:
„Ändern sich bei einem
Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der
erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend
waren, innerhalb von fünf Jahren“ (bei
Grundstücken gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG
1993/1999 a.F. innerhalb von zehn Jahren) „seit dem Beginn
der Verwendung, so ist für jedes Kalenderjahr der
Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der
auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden
Vorsteuerbeträge vorzunehmen.“
§ 15a Abs. 1 UStG erhielt ab dem 1.1.2002
durch das StÄndG 2001 folgende Fassung:
„Ändern sich bei einem
Wirtschaftsgut innerhalb von fünf Jahren“ (bei
Grundstücken gemäß § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG
1999 n.F. innerhalb von zehn Jahren) „ab dem Zeitpunkt der
erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen
Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für
jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine
Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder
Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge
vorzunehmen.“
Nach dem Wortlaut der Vorschriften kommt es
demnach für die Berichtigung auf den Zeitraum „seit
dem Beginn der Verwendung“ (§ 15a UStG 1993/1999
a.F.) oder „ab dem Zeitpunkt der erstmaligen
Verwendung“ (§ 15a UStG 1999 n.F.) an. Der
Vorsteuerabzug ist daher nach beiden Fassungen erst ab der
erstmaligen Verwendung des Wirtschaftsgutes zu berichtigen (vgl.
BTDrucks 14/7341, S. 22; Abschn. 216 Abs. 1 UStR 2000 und
2002).
Der Senat kann daher offenlassen, ob die in
§ 27 Abs. 8 UStG i.d.F. des StÄndG 2003 vom 15.12.2003
(BGBl I 2003, 2645) angeordnete Rückwirkung des § 15a
UStG 1999 n.F. - richtlinienkonform - auch hier eingreift.
c) Im Streitfall verwendete der Kläger
den Stall erstmals im Dezember 1998. Ab diesem Zeitraum ist der
Vorsteuerabzug zu berichtigen.
3. Das FG ist hinsichtlich des Streitjahres
1998 von anderen Grundsätzen ausgegangen; sein Urteil war
deshalb insoweit aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann auf
Grundlage der Feststellungen des FG selbst entscheiden.
a) Insgesamt betragen die hier streitigen
Vorsteuerbeträge aus dem Jahr 1997 12.218,47 DM.
b) Die Berichtigung dieses Vorsteuerabzugs ist
auf zehn Jahre zu verteilen, da der Stall wesentlicher Bestandteil
eines Grundstücks ist. Hieraus ergibt sich ein jährlicher
Berichtigungsbetrag von 1.221,84 DM (12.218,47 DM : 10).
Zwar beträgt nach Art. 20 Abs. 2
Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG der Berichtigungszeitraum
fünf Jahre. Abweichend hiervon kann aber gemäß Art.
20 Abs. 2 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG bei
Grundstücken, die als Investitionsgüter erworben wurden,
der Zeitraum für die Berichtigung bis auf 20 Jahre
verlängert werden. In Ausübung dieser Ermächtigung
hat der Gesetzgeber übereinstimmend in § 15a Abs. 1 Satz
2 UStG 1993/1999 a.F. und in § 15a Abs. 1 Satz 2 UStG 1999
n.F. für Grundstücke einen Berichtigungszeitraum von zehn
Jahren festgelegt.
c) Im Jahr 1998 ist die Berichtigung - ab der
Verwendung des Stalles - nur für den Monat Dezember
durchzuführen; die Umsatzsteuer ist daher nur um 1/12 des
jährlichen Berichtigungsbetrages, also um 101,82 DM (1.221,84
DM : 12), zu verringern. Ausgehend von der Festsetzung im
Umsatzsteuerbescheid vom 21.10.2002 in Höhe von -42.833 DM
ergibt sich somit für 1998 eine Umsatzsteuer in Höhe von
-42.934,82 DM. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
4. Für das Jahr 1999 hat das FG zu Recht
den gesamten jährlichen Berichtigungsbetrag in Höhe von
1.221,84 DM berücksichtigt. Die Revision des FA war deshalb
hinsichtlich der Umsatzsteuer 1999 zurückzuweisen.