Betriebsaufgabe auch bei späterer Tätigkeit für Erwerber: Eine Veräußerung i.S. des § 16 EStG liegt auch dann vor, wenn der Übertragende als selbständiger Unternehmer nach der Veräußerung des (Teil-)Betriebs für den Erwerber tätig wird. - Urt.; BFH 17.7.2008, X R 40/07; SIS 08 40 94
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer
veranlagt.
Mit Vertrag vom 8.12.2001 verkaufte der
Kläger seinen Gewerbetrieb (Vertrieb von Klimasystemen) an
einen Mitarbeiter, nachdem ihm die Schweizerische Rentenanstalt
eine Berufsunfähigkeitsrente bewilligt hatte. Der Erwerber sei
- so die Einlassung des Klägers - „ein typischer
Techniker, verliebt in technische Details, aber mit Schwächen
in der kaufmännischen Dimension, der Menschenführung und
im Umgang mit Kunden“. Deshalb schlossen der Kläger und
der Erwerber zeitgleich einen Beratervertrag. Danach hatte der
Kläger die Fa. C in allen grundsätzlichen Fragen der
Unternehmensführung und Akquisition zu beraten. Zu dieser
Beratungstätigkeit gehörten insbesondere auch
„Organisation und Systeme, Akquisition und Vertrieb, Werbung
und kaufmännische Verwaltung“. Als Vergütung war
für die Jahre 2002 bis 2004 ein Honorar von jährlich
45.000 DM zuzüglich Umsatzsteuer vereinbart. Ferner sollte der
Kläger ein umsatzabhängiges Honorar von 5 % des
Mehrumsatzes gegenüber dem Jahresabschluss 2001 von
geschätzt 550.000 DM erhalten. Dieses Honorar hätte sich
um die Umsatzsteuer erhöht. Bei einem Umsatz von 650.000 DM im
Jahr 2002 hätte das umsatzabhängige Honorar somit 5.000
DM ausgemacht. Tatsächlich wurde später kein
umsatzabhängiges Honorar bezahlt.
Die Ergebnisse der Fa. C beliefen sich
in
1999 auf 478.561 DM Umsatz und 89.604 DM
Gewinn
2000 auf 532.272 DM Umsatz und 111.443 DM
Gewinn sowie
2001 auf 491.686 DM Umsatz und 102.385 DM
Gewinn.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) gewährte für den
Veräußerungsgewinn von unstreitig 86.725 DM weder den
Freibetrag nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
noch behandelte es den Veräußerungsgewinn als
außerordentliche Einkünfte i.S. von § 34
EStG.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage nach
erfolglosem Vorverfahren mit in EFG 2008, 608 = SIS 08 19 22
veröffentlichtem Urteil abgewiesen. Der
Veräußerungsgewinn sei nicht gemäß
§§ 16, 34 EStG steuerbegünstigt. Der Kläger
habe seine bisherige Tätigkeit nicht nach der
Veräußerung der Aktiva und Passiva beendet, sondern
über den geschlossenen Beratervertrag fortgesetzt.
Mit der Revision rügen die Kläger
sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts. Bei
Freiberuflern verlange die Rechtsprechung für die Annahme
einer Betriebsveräußerung im Ganzen, dass die
Tätigkeit wenigstens für eine gewisse Zeit am Ort der
bisherigen Betätigung ihr Ende finde. Gleichwohl stehe nach
dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 18.5.1994 I R 109/93
(BFHE 175, 249, BStBl II 1994, 925 = SIS 94 22 12) die Fortsetzung
der Berufstätigkeit als Arbeitnehmer oder freier und damit
selbständiger Mitarbeiter des Praxiserwerbers der Annahme
einer begünstigten Praxisveräußerung nicht
entgegen, weil die Berufstätigkeit nunmehr für Rechnung
des Erwerbers ausgeübt werde, dieser über Praxiswert und
Mandantenstamm verfüge und sie für sich allein nutze,
auch wenn er sich dabei des Veräußerers bediene. Diese
Rechtsprechung müsse auch auf die Veräußerung eines
Gewerbebetriebs übertragbar sein, dessen wesentliche
Betriebsgrundlagen nicht in der für Freiberufler typischen
Weise gebunden seien und bei der anders als bei Freiberuflern sehr
viel weitergehende Wettbewerbsklauseln vereinbart werden
können und im Streitfall auch vereinbart worden seien.
Die Kläger beantragen
sinngemäß, unter Aufhebung des FG-Urteils den
Einkommensteuerbescheid des FA für das Jahr 2002 vom 8.6.2004
in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16.9.2004 dahingehend
abzuändern, dass bezüglich des Gewinns aus der
Veräußerung des Gewerbebetriebs des Klägers die
Steuervergünstigungen nach § 16 Abs. 4 und § 34 EStG
gewährt werden.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen. Der Kläger habe auch
nach der Veräußerung des Gewerbebetriebs dem Grunde nach
seine bisherige Tätigkeit nahezu unverändert
fortgeführt. Er habe seinen bisherigen Kundenstamm genutzt und
sei für den kaufmännischen Bereich sowie für die
Akquisition zuständig gewesen. Das mit dem Erwerber
vereinbarte Wettbewerbsverbot habe nicht verhindert, dass der
Kläger diese Tätigkeiten auch nach der
Betriebsveräußerung weiter ausgeübt habe. Im
Übrigen habe der Kläger auch nicht zweifelsfrei
nachgewiesen, dass er ausschließlich für fremde Rechnung
tätig gewesen sei.
II. Die Revision ist begründet. Zu
Unrecht hat das FG in der Veräußerung des
Gewerbebetriebs des Klägers keinen steuerbegünstigten
Vorgang i.S. der §§ 16, 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG gesehen.
1. Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1
EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch
Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen
Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs erzielt werden. Der Gewinn
aus einer solchen Veräußerung wird nach § 16 Abs. 4
EStG zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er die dort
bezeichneten Freibeträge übersteigt, und gemäß
§ 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur ermäßigt
besteuert.
2. Die Veräußerung eines
Gewerbebetriebs im Ganzen setzt voraus, dass das wirtschaftliche
Eigentum an allen wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem
einheitlichen Vorgang auf einen Erwerber übertragen wird
(ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 29.11.1988
VIII R 316/82, BFHE 156, 408, BStBl II 1989, 602 = SIS 89 13 22).
Zudem muss gleichzeitig die bisher in diesem Betrieb entfaltete
gewerbliche Tätigkeit enden (BFH-Urteil vom 12.6.1996 XI R 56,
57/95, BFHE 180, 436, BStBl II 1996, 527 = SIS 96 19 14,
m.w.N.).
3. Die Beendigung der bisherigen gewerblichen
Tätigkeit ist als selbständiges Merkmal der
Tatbestandsverwirklichung und losgelöst von dem Merkmal der
Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zu sehen. Denn
bereits der Begriff des Gewerbebetriebs i.S. von § 15 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG ist tätigkeitsbezogen definiert. Er
wird begründet durch eine mit Gewinnabsicht unternommene,
selbständige und nachhaltige Tätigkeit, die sich u.a. als
Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Da
der Begriff „Gewerbebetrieb“ eine
tätigkeitsbezogene Komponente aufweist, ist Voraussetzung
einer Betriebsveräußerung, dass der Gewerbetreibende
nicht nur die Betriebsmittel überträgt, sondern auch
seine durch den betrieblichen Organismus bestimmte gewerbliche
Tätigkeit aufgibt (BFH-Urteil in BFHE 180, 436, BStBl II 1996,
527 = SIS 96 19 14, m.w.N.).
4. Nach der Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil
vom 29.6.1994 I R 105/93, BFH/NV 1995, 109 = SIS 94 23 24; offen
insoweit Urteil vom 10.6.1999 IV R 11/99, BFH/NV 1999, 1594 = SIS 99 54 12) ist eine „Veräußerung“ i.S.
des § 18 Abs. 3 EStG auch dann gegeben, wenn der
Veräußerer einer Arztpraxis - selbständig oder
nichtselbständig - im bisherigen örtlichen
Wirkungsbereich, aber im Auftrag und für Rechnung des
Erwerbers tätig wird. Dies folge aus dem Wortlaut und dem Sinn
der Vorschrift. Entscheidend sei, ob die bisherige Praxis mit ihren
immateriellen Wirtschaftsgütern definitiv auf einen Erwerber
übertragen werde. Das Erfordernis einer zeitweiligen
Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit beruhe auf der
Überlegung, dass bei fortdauernder Tätigkeit des
Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis
eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den
bisherigen Patienten für Rechnung des
„Veräußerers“ nahe liege. Dies stehe
einer echten Übertragung der wesentlichen wirtschaftlichen
Grundlagen der Praxis auf den Erwerber entgegen. Diese
Überlegung greife jedoch dann nicht durch, wenn der
Veräußerer seine Tätigkeit nur noch für
Rechnung des Erwerbers ausübe. Zwar könne die Mitarbeit
des Praxisveräußerers den Umfang und die Art der
Beziehungen des Erwerbers zu dem übertragenen Patientenstamm
beeinflussen. Daraus folge jedoch nicht, dass keine
„Veräußerung“ i.S. des § 18 Abs.
3 EStG stattgefunden habe. Für die Anwendung der Vorschrift
sei allein entscheidend, ob der Veräußerer die
wesentlichen Grundlagen seiner Praxis definitiv auf den Erwerber
übertragen habe. Dies sei der Fall, wenn der Erwerber
zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage sei, diese
Beziehungen zu verwerten. Beschäftige er den bisherigen
Praxisinhaber noch als Arbeitnehmer oder freien Mitarbeiter, so
bestünden zwischen dem Praxisveräußerer und den
Patienten keine selbständigen Rechtsbeziehungen mehr. Die
Patienten würden Rechtsbeziehungen nur zu dem Erwerber
unterhalten. Er allein sei Inhaber des Honoraranspruchs gegen den
Patienten. Damit verfüge er allein zivilrechtlich und
wirtschaftlich über die Vorteile aus dem Patientenstamm. Der
Praxisveräußerer habe denselben endgültig
übertragen.
5. Diese Grundsätze, die der BFH für
die Übertragung einer freiberuflichen Praxis entwickelt hat,
gelten auch bei der Übertragung eines Gewerbebetriebs (so auch
Tiedtke/Wälzholz, Deutsches Steuerecht - DStR - 1999, 217, 219
f.; Sieker in Lademann, EStG, § 16 EStG Rz 313; Geissler in
Herrmann/Heuer/ Raupach - HHR -, § 16 EStG Rz 136; Reiß
in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 16 Rz 54; Hörger/Rapp in
Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 16
Rz 41; a.A. FG Hamburg, Urteil vom 11.2.1998 III 23/97, EFG 1998,
871).
a) Wird der Veräußerer vom Erwerber
als Angestellter beschäftigt, erzielt der Übertragende
keine Gewinneinkünfte mehr, sondern Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit gemäß § 19 EStG.
Bereits aus diesem Umstand folgt, dass der Veräußerer
seine bisherige berufliche Tätigkeit endgültig aufgegeben
hat. Angesichts der normativen Wertungen des Gesetzgebers, der in
der rechtlichen Behandlung zwischen den Gewinneinkunfts- und den
Überschusseinkunftsarten unterscheidet, rechtfertigt bereits
die Veränderung der Einkunftsart die Annahme, die vorher und
nachher ausgeübten Tätigkeiten seien nicht identisch. Der
ehemalige Betriebsinhaber bietet seine Dienste oder Produkte nicht
mehr selbständig am Markt an, sondern erbringt seine
Arbeitsleistungen gegenüber seinem Arbeitgeber, dem Erwerber
(so z.B. auch Tiedtke/Wälzholz, DStR 1999, 217, 219;
HHR/Brandt, § 18 EStG Rz 322).
b) Ein Gewinn aus der Veräußerung
eines Gewerbebetriebs i.S. von § 16 EStG liegt aber auch dann
vor, wenn der Übertragende als selbständiger Unternehmer
nach der Veräußerung des (Teil-) Betriebs für den
Erwerber tätig wird. Als Betriebsinhaber hat sich der
Übertragende an den allgemeinen Markt, seine bisherigen
Kunden, gewendet; als freier Mitarbeiter des Erwerbers verwertet er
hingegen seine unternehmerischen Leistungen nur gegenüber
seinem Nachfolger. Nur der Erwerber geht rechtliche Beziehungen zu
den bisherigen Kunden des Übertragenden ein. Der
Veräußerer hat nach der Übertragung nur noch den
Erwerber als Kunden. Ausschließlich zu diesem steht er in
Rechtsbeziehungen und ihm gegenüber verwertet er seine
Leistungen (so auch Tiedtke/Wälzholz, DStR 1999, 217, 220).
Gewerbliche Produktionsbetriebe sind zudem in erheblichem Umfang
auf den Einsatz ihres Betriebsvermögens angewiesen. Vor der
Übertragung des Betriebs hat die Wertschöpfung in
erheblichem Umfang auf der Nutzung dieses Produktivvermögens
beruht. Nach der Übertragung wird das Betriebsvermögen
hingegen nicht mehr im Rahmen des Gewerbebetriebs des
Veräußerers eingesetzt. Er verwertet nur seine eigene
Arbeitskraft ohne Kapitaleinsatz (vgl. Tiedtke/Wälzholz, DStR
1999, 217, 220). Die beiden unterschiedlichen Arten der
Wertschöpfung sind wirtschaftlich nicht identisch. Der
Übertragende hat seine auf das veräußerte
Betriebsvermögen bezogene unternehmerische Tätigkeit
eingestellt (Sieker in Lademann, a.a.O., § 16 EStG Rz 313) und
sich eine neue Einkunftsquelle erschlossen.
6. Im Streitfall hat der Kläger
sämtliche wesentlichen Betriebsgrundlagen seines
Gewerbebetriebs an den Erwerber übertragen und seine
unternehmerische Tätigkeit - bezogen auf das
veräußerte Betriebsvermögen - eingestellt.
a) Es kann dahinstehen, ob die Rechtsprechung
des BFH zur Veräußerung einer freiberuflichen Praxis,
wonach von einer Veräußerung der wesentlichen
Betriebsgrundlagen auch dann auszugehen ist, wenn einzelne Mandate
zurückbehalten werden, auf die in den letzten drei Jahren
weniger als 10 % der gesamten Einnahmen entfielen (BFH-Urteil in
BFHE 175, 249, BStBl II 1994, 925 = SIS 94 22 12), auf die
Veräußerung eines Gewerbebetriebs übertragbar ist
(so FG Münster, Urteil vom 18.6.1998 8 K 1483/94 G, EFG 1998,
1465 = SIS 99 02 31; ablehnend Reiß in Kirchhof, a.a.O.,
§ 16 Rz 54). Im Streitfall hat der Kläger sämtliche
wesentlichen Betriebsgrundlagen einschließlich des ganzen
Kundenstammes an den Erwerber, seinen früheren Mitarbeiter
übertragen.
b) Der Kläger hat seine auf das
veräußerte Betriebsvermögen bezogene
unternehmerische Tätigkeit vollständig eingestellt.
Unternehmerinitiative hat er nur im Rahmen seines neu
gegründeten Gewerbebetriebs
„Beratertätigkeit“ entfaltet; auch das von
ihm zu tragende Unternehmerrisiko bezieht sich nur auf diesen
Betrieb. Seine langjährigen Kundenkontakte und sein Know-how
haben dem Kläger als Grundlage für seine
Beratertätigkeit gedient; er hat diese ab dem Zeitpunkt der
Betriebsveräußerung im Interesse des Erwerbers genutzt.
Unschädlich wäre im Streitfall auch die Zahlung des
vereinbarten erfolgsabhängigen Honorars, weil dadurch der
Gewinn des Erwerbers nur unwesentlich gemindert worden
wäre.
7. Die Berechnung der Einkommensteuer für
2002 unter Berücksichtigung eines nach §§ 16, 34
Abs. 2 Nr. 1 EStG begünstigten Veräußerungsgewinns
in Höhe von 86.725 DM wird nach § 100 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) dem FA übertragen.