Schenkungsteuer, Verjährung: Erlangt das FA erst mehr als drei Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung. - Urt.; BFH 6.6.2007, II R 54/05; SIS 07 34 56
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) erwarb mit Vertrag vom 22.12.1989 von ihrem Vater
(V) 9.299 Aktien einer AG zu einem Preis von 55 DM je Aktie. Diese
Aktien veräußerte die Klägerin am 4.4.1991 an eine
GmbH, deren Geschäftsführer V war, zu einem Preis von 250
DM je Aktie. Von diesen Verkäufen erfuhr der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) aufgrund einer am
4.4.1995 eingegangenen Mitteilung des Finanzamts M. In dieser
Mitteilung wurde ausgeführt, dass Erkenntnisse, die eine
Wertsteigerung der Aktien erkennen ließen, nicht
vorlägen. Der Verkaufspreis je Aktie in Höhe von 250 DM
sei von dem Finanzamt für Großbetriebsprüfung
(Groß-BP) als angemessen gewertet worden. Das FA forderte die
Klägerin mit Schreiben vom 17.7.1995 zur Abgabe einer
Schenkungsteuererklärung auf und wies darauf hin, dass eine
Schenkung entweder wegen eines zu niedrigen Ankaufspreises im
Vertrag vom 22.12.1989 oder wegen eines zu hohen Verkaufspreises im
Vertrag vom 4.4.1991 in Betracht komme. Die Klägerin kam
dieser Aufforderung nicht nach.
Das FA hatte gegen die Klägerin
für ihren Aktienerwerb von V - beruhend auf der Annahme eines
unter dem gemeinen Wert liegenden Ankaufspreises - durch Bescheid
vom 27.3.1996 Schenkungsteuer festgesetzt. Dieser Bescheid wurde
nach erfolglosem Einspruch im anschließenden
finanzgerichtlichen Verfahren vom FA im Jahre 2001
aufgehoben.
Im Jahr 2000 nahm das FA Ermittlungen
hinsichtlich des Weiterverkaufs der Aktien an die GmbH auf und
setzte sodann mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung
gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO)
ergangenem Bescheid vom 23.4.2001 gegen die Klägerin für
den Weiterveräußerungsvorgang vom 4.4.1991
Schenkungsteuer in Höhe von 116.064 DM fest, wobei die
Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden. Das FA vertrat die
Auffassung, der Beginn des Laufs der vierjährigen
Festsetzungsfrist sei zunächst gemäß § 170
Abs. 5 Nr. 2 AO bis zum Ablauf des Jahres 1995 gehemmt gewesen, da
ihm der Aktienverkauf erst in diesem Jahr bekannt geworden sei.
Wegen Nichtabgabe der noch 1995 angeforderten Steuererklärung
sei der Anlauf der Festsetzungsfrist anschließend
gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO um weitere drei
Jahre gehemmt gewesen.
Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren
erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in EFG 2006,
470 = SIS 06 19 50 veröffentlichten Urteil statt, da der
Steueranspruch gegen die Klägerin verjährt sei. Die
Festsetzungsfrist habe unter Berücksichtigung der vom FA im
Jahre 1995 erlangten Kenntnis des Aktienverkaufs an die GmbH
gemäß § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO am
31.12.1999 geendet. Einer weiteren Anlaufhemmung nach § 170
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO stehe entgegen, dass der Fristbeginn nach
dieser Vorschrift auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung und nicht
den der Kenntniserlangung der Finanzbehörde abstelle. §
170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 Nr. 2 AO seien jeweils
selbständige Hemmungstatbestände, die je für sich
die Festsetzungsfrist auslösten. Die der Finanzbehörde ab
Kenntnis von der vollzogenen Schenkung zur Verfügung stehende
vierjährige Festsetzungsfrist sei ausreichend
bemessen.
Mit der Revision macht das FA geltend, das
FG habe das Verhältnis des § 170 Abs. 5 AO zu Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 dieser Vorschrift verkannt. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO
bestimme lediglich den frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem
die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AO
beginnen könne. Soweit nach Kenntnis von der vollzogenen
Schenkung beim Erwerber eine Steuererklärung angefordert
werde, sei eine weitere Verlängerung des Anlaufs der
Festsetzungsfrist gesetzlich zulässig und sachlich
geboten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend erkannt,
dass der mit dem Erlass des angefochtenen Bescheids geltend
gemachte Steueranspruch wegen Eintritts der
Festsetzungsverjährung erloschen ist und seine Festsetzung
deshalb unzulässig war.
1. Nach § 47 AO erlöschen
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis u.a. durch
Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und
Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die
Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Die
Festsetzungsfrist beträgt für die Schenkungsteuer
regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AO). Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer
entstanden oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden
ist (§ 170 Abs. 1 AO).
2. Abweichend von § 170 Abs. 1 AO beginnt
gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (i.d.F. des
Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs und zur Bereinigung
des Steuerrechts - StMBG - vom 21.12.1993, BGBl I, 2310) die
Festsetzungsfrist u.a. dann, wenn eine Steuererklärung
einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des
Kalenderjahres, in dem die Erklärung oder Anzeige eingereicht
wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres,
das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
Diese Gesetzesfassung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist
vorliegend anzuwenden, weil sie nach Art. 97 § 10 Abs. 5 des
Einführungsgesetzes zur Abgabenordung (EGAO) für alle bei
Inkrafttreten des StMBG noch nicht abgelaufenen Festsetzungsfristen
gilt.
Im Streitfall ist die Schenkungsteuer - auf
der Grundlage der vom FA angenommenen (gemischten) Schenkung der
GmbH an die Klägerin im Vertrag vom 4.4.1991 - mit Ablauf des
31.12.1991 entstanden. Da die Klägerin ihren Erwerb entgegen
der ihr durch § 30 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) auferlegten Verpflichtung nicht
angezeigt hat, hätte die Festsetzungsfrist nach Maßgabe
des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des Jahres 1994
begonnen und mit Ablauf des 31.12.1998 geendet.
3. Abweichend hiervon begann jedoch aufgrund
der für die Schenkungsteuer getroffenen Sonderregelung des
§ 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO die Festsetzungsfrist erst
mit Ablauf des Kalenderjahres 1995, weil das FA erst in diesem Jahr
Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt hat. Das FG hat
zutreffend erkannt, dass keine (nochmalige) Hemmung des Anlaufs der
Festsetzungsfrist nach Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 AO eintritt, wenn das FA nach erlangter Kenntnis von der
vollzogenen Schenkung den Erwerber gemäß § 31
ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert. Im
Streitfall endete die vierjährige Festsetzungsfrist daher mit
Ablauf des 31.12.1999. Der angefochtene Steuerbescheid wurde jedoch
vom FA erst 2001 erlassen.
a) Nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt
für die Schenkungsteuer die Festsetzungsfrist nach § 170
Abs. 1 oder 2 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der
Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der
vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Der Fristbeginn nach
§ 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO wird durch den Zeitpunkt
der Kenntniserlangung nicht vorverlegt, sondern allenfalls auf
einen späteren Zeitpunkt verschoben (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26.10.2006 II R 16/05, BFH/NV 2007,
852 = SIS 07 61 31).
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO
enthält einen auf die Schenkungsteuer beschränkten
selbständigen Hemmungstatbestand, der den Beginn der
Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170
Abs. 1 und 2 AO) auf den Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung
des FA von der vollzogenen Schenkung festlegt. Durch diese
Vorschrift wird bei einer nach § 30 ErbStG bestehenden
Anzeigepflicht die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO enthaltene
Drei-Jahres-Grenze, bis zu der der Anlauf der Festsetzungsfrist
längstens gehemmt ist, außer Kraft gesetzt und bei einer
lediglich für Gerichte und Notare bestehenden Anzeigepflicht
nach § 34 ErbStG der Anlauf der sonst nach § 170 Abs. 1
AO beginnenden Festsetzungsfrist gehemmt (BFH-Urteil vom 5.2.2003
II R 22/01, BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502 = SIS 03 23 73).
Entgegen der Revision ergibt sich jedoch aus § 170 Abs. 5 Nr.
2 AO keine Rechtsgrundlage für eine weitere Anlaufhemmung nach
Maßgabe des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, sofern das FA
den Erwerber nach Kenntniserlangung gemäß § 31
ErbStG zur Abgabe einer Steuererklärung auffordert.
Soweit nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 5
Nr. 2 AO unter Berücksichtigung seines Eingangssatzes die
Festsetzungsfrist nach Abs. 2 der Vorschrift „nicht
vor“ Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das FA von
der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, erschöpft sich
diese Regelung - lediglich - in der Anordnung eines späteren
Beginns der Festsetzungsfrist. Erlangt das FA erst mehr als drei
Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen
Schenkung, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres der
Kenntniserlangung. Soweit daher das FA - wie im Streitfall - erst
im vierten Jahr nach der Steuerentstehung Kenntnis von der
vollzogenen Schenkung i.S. des § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative
2 AO erlangt und sodann noch im Jahr der Kenntniserlangung eine
Steuererklärung beim Erwerber anfordert, ist die Fristhemmung
nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des dritten Jahres
verbraucht (BFH-Urteile vom 18.10.2000 II R 50/98, BFHE 193, 48,
BStBl II 2001, 14 = SIS 01 01 96; vom 6.12.2000 II R 44/98, BFH/NV
2001, 574 = SIS 01 64 05) und hat die Anordnung des § 170 Abs.
5 Nr. 2 AO, wonach die vierjährige Festsetzungsfrist
„nicht vor“ Ablauf des Kalenderjahres beginnt,
lediglich zur Folge, dass die vierjährige Festsetzungsfrist
erst mit Ablauf des Jahres der Kenntniserlangung - im Streitfall
mit Ablauf des Jahres 1995 - beginnt.
bb) Dieser Beurteilung steht der mit §
170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verfolgte Sicherungszweck nicht
entgegen. Diese Bestimmung soll verhindern, dass durch eine
späte Einreichung u.a. der Steuererklärung oder Anzeige
die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende
Bearbeitungszeit (ggf. gezielt) verkürzt wird (BFH-Urteil vom
6.7.2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780 = SIS 05 39 35, m.w.N.). Dieser Sicherungszweck kann nicht beeinträchtigt
sein, wenn der Fristbeginn infolge des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO
hinausgeschoben wird. Die Finanzbehörde ist aufgrund der von
§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO vorausgesetzten Kenntnis von der
vollzogenen Schenkung auch regelmäßig in der Lage, die
Schenkungsteuer - ggf. im Wege der Schätzung (§ 162 AO) -
festzusetzen oder von den Möglichkeiten des § 165 Abs. 1
Satz 1 und 4 AO Gebrauch zu machen. Insoweit trägt § 170
Abs. 5 Nr. 2 AO dem mit § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO verfolgten
Sicherungszweck Rechnung (vgl. BFH-Urteil vom 28.5.1998 II R 54/95,
BFHE 186, 128, BStBl II 1998, 647 = SIS 98 20 07).
b) Im Ergebnis zutreffend hat das FG auch
erkannt, dass das FA im Jahr 1995 mit Eingang der Mitteilung des
Finanzamts M Kenntnis von der vollzogenen Schenkung i.S. des §
170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO erlangt hat.
aa) § 170 Abs. 5 Nr. 2 Alternative 2 AO
verlangt positive Kenntnis des FA von der vollzogenen Schenkung.
Diese Kenntnis ist gegeben, wenn das für die Verwaltung der
Schenkungsteuer zuständige Finanzamt nicht durch eine Anzeige
gemäß § 30 ErbStG, sondern anderweitig in dem
erforderlichen Umfang (Name und Anschrift des Schenkers und des
Bedachten; Rechtsgrund des Erwerbs) Kenntnis erlangt hat
(BFH-Urteil in BFHE 201, 403, BStBl II 2003, 502 = SIS 03 23 73).
bb) Im Streitfall hat das FA durch die am
4.4.1995 eingegangene Mitteilung des Finanzamts M im erforderlichen
Umfang Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt, weil dieser
Mitteilung die erforderlichen Angaben sowohl zur Person des
Schenkers und des Bedachten als auch zum Rechtsgrund des Erwerbs
(§ 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG) entnommen werden konnten. Zwar
können die in der Mitteilung bezeichneten Kaufverträge
vom 22.12.1989 bzw. 4.4.1991 - als entgeltliche
Rechtsgeschäfte - für sich nicht Rechtsgrund eines
Erwerbs i.S. des § 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG sein. Die Mitteilung
enthielt jedoch wegen der für beide Kaufverträge
angegebenen Kaufpreise sowie des Hinweises, dass keine Erkenntnisse
über eine Wertsteigerung der Aktien vorlägen,
hinreichende Anhaltspunkte für eine durch diese
Erwerbsgeschäfte verdeckte Schenkung. Daran vermag der in der
Mitteilung weiter enthaltene Hinweis, dass die Groß-BP den
Verkaufspreis je Aktie von 250 DM als angemessen gewertet habe,
nichts zu ändern. Die dem FA bekannt gewordenen Umstände,
die - worauf das FA in seiner anschließend an die
Klägerin ergangenen Aufforderung zur Abgabe einer
Steuererklärung vom 17.7.1995 ausdrücklich hingewiesen
hat - auf eine (gemischte) Schenkung schließen lassen
konnten, begründen eine Kenntniserlangung über den
Rechtsgrund des Erwerbs. Mit der einmal erlangten Kenntnis ist die
Wirkung des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO verbraucht und eine weitere
Verlängerung der Anlaufhemmung über 1995 hinaus nicht
mehr möglich.