Strafbefreiende Erklärung ohne Unterschrift, Einspruchsfrist: 1. Ist eine Steueranmeldung entgegen der gesetzlichen Anordnung nicht eigenhändig unterschrieben, ist sie unwirksam, steht deshalb einer Steuerfestsetzung nicht gleich und führt mit ihrem Eingang bei der Finanzbehörde nicht zum Beginn der Einspruchsfrist. - 2. Wenn die Finanzverwaltung eine strafbefreiende Erklärung trotz fehlender - aber innerhalb einer vom FA gesetzten Frist nachgeholter - Unterschrift allgemein als von Anfang an wirksam behandelt, so kann dies ohne Rechtsgrundlage jedenfalls nicht zu Lasten des Erklärenden die Einspruchsfrist auslösen. - Urt.; BFH 22.5.2007, IX R 55/06; SIS 07 31 83
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Einspruch gegen eine strafbefreiende Erklärung
rechtzeitig eingelegt wurde.
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist als Versicherungsvertreter gewerblich tätig
und erzielt ferner Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Er reichte am 13.2.2004 eine strafbefreiende Erklärung nach
dem Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) beim Beklagten
und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) ein, in der er Einnahmen
aus dem Verkauf von Wertpapieren im Jahr 1998 in Höhe von
13.254,01 EUR erklärte. Die Erklärung war nicht
unterschrieben. Die sich aus ihr ergebende Abgabe von 3.313,72 EUR
zahlte der Kläger am 13.2.2004. Am 23.2.2004 reichte er ein
von ihm unterschriebenes Exemplar der Erklärung ein. Er legte
am 22.3.2004 Einspruch gegen die strafbefreiende Erklärung
ein, den er mit der Verfassungswidrigkeit der Einkünfte aus
Spekulationsgewinnen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 9.3.2004 2 BvL 17/02 (BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59) begründete.
Das FA verwarf den Einspruch als
unzulässig, weil der Kläger die Einspruchsfrist nicht
eingehalten habe. Nach der Textziffer 12.5 des Merkblatts zum
Strafbefreiungserklärungsgesetz (Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 3.2.2004, BStBl I 2004,
225 = SIS 04 05 49) sei die strafbefreiende Erklärung von
Anfang an wirksam, wenn der Erklärende - wie hier der
Kläger - den formalen Mangel - hier das Fehlen der
Unterschrift - innerhalb der ihm gesetzten Frist behoben habe.
Deshalb stehe bereits die am 13.2.2004 eingegangene Erklärung
nach § 10 Abs. 2 StraBEG einer Steuerfestsetzung ohne
Vorbehalt der Nachprüfung gleich, so dass der Einspruch am
22.3.2004 verspätet eingegangen sei.
Das Finanzgericht (FG) bestätigte
diese Entscheidung und wies die Klage als unbegründet ab. In
seinem in EFG 2007, 545 = SIS 07 01 53 veröffentlichten Urteil
hielt es überdies eine Zustimmung des FA i.S. von § 168
Satz 2 der Abgabenordnung (AO) nicht für erforderlich und
§ 356 Abs. 2 Satz 1 AO mit seiner einjährigen
Einspruchsfrist bei fehlender oder unrichtiger
Rechtsbehelfsbelehrung nicht für anwendbar. Wiedereinsetzung
wegen Irrtums über die Verfassungswidrigkeit der materiellen
Steuernorm nach § 110 AO sei nicht zu gewähren.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen das
Strafbefreiungserklärungsgesetz bestünden nicht.
Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers, die er auf Verletzung materiellen Rechts stützt.
§ 356 AO mit seiner einjährigen Einspruchsfrist sei
anzuwenden.
Der Kläger beantragt, das angefochtene
Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet und
führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Stattgabe der Klage.
1. Das FG hat unzutreffend den Einspruch gegen
die strafbefreiende Erklärung als nicht fristgerecht beurteilt
und damit § 355 Abs. 1 Satz 2 AO verletzt.
Nach dieser Vorschrift ist der Einspruch
innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der
Finanzbehörde einzulegen. Auch die strafbefreiende
Erklärung nach § 1 StraBEG ist eine Steueranmeldung i.S.
des § 150 Abs. 1 Satz 3 AO, denn der Erklärende muss nach
§ 3 Abs. 1 StraBEG den gemäß § 1 StraBEG zu
entrichtenden Betrag selbst berechnen.
Weil die am 13.2.2004 beim FA eingegangene
Erklärung nicht unterschrieben und damit unwirksam war, begann
die Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 Satz 2 AO im Streitfall
erst mit dem Eingang der unterschriebenen Erklärung am
23.2.2004 und ist mit dem am 22.3.2004 eingelegten Einspruch
ersichtlich eingehalten.
a) Die Erklärung vom 13.2.2004 war nicht
wirksam; sie war nicht unterschrieben.
Steuererklärungen müssen nach §
150 Abs. 3 Satz 1 AO eigenhändig unterschrieben werden, soweit
dies nach einem Steuergesetz vorgesehen ist. Das ist hier der Fall.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StraBEG ist die strafbefreiende
Erklärung eigenhändig zu unterschreiben. Das
Strafbefreiungserklärungsgesetz ist ein Steuergesetz. denn es
regelt eine Steuer (§ 1 Abs. 1 AO). Gemäß § 10
Abs. 1 StraBEG gilt der zu entrichtende Betrag als
Einkommensteuer.
Fehlt die Unterschrift, ist die Erklärung
unwirksam. Sie wird erst mit der eigenhändigen Unterschrift
autorisiert und authentifiziert und ist nur unter dieser Bedingung
dem Erklärenden zuzurechnen (vgl. zum Zweck der Unterschrift
auch Bundesfinanzhofs - BFH -, Urteil vom 10.10.1986 VI R 208/83,
BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77 = SIS 87 01 48; Tipke in
Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 150 AO
Rz 22, m.w.N.). Mit einer nicht unterzeichneten und damit nicht
wirksamen Steuererklärung beginnt die Festsetzungsfrist
gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteil vom
14.1.1998 X R 84/95, BFHE 185, 111, BStBl II 1999, 203 = SIS 98 10 48) ebenso wenig wie die Einspruchsfrist nach § 355 Abs. 1
Satz 2 AO.
Zwar ist der Mangel der Form unbeachtlich,
wenn auf eine solche unwirksame Steuererklärung ein wirksamer
Steuerbescheid ergeht (BFH-Urteil vom 28.2.2002 V R 42/01, BFHE
198, 27, BStBl II 2002, 642 = SIS 02 09 24). Indes steht nach
§ 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG die strafbefreiende Erklärung
einer Steuerfestsetzung nur gleich; sie ist kein Steuerbescheid.
Einer Zustimmung des FA gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 168 Satz 2 AO, die ein Verwaltungsakt i.S. des §
118 Satz 1 AO ist (BFH-Urteile vom 28.2.1996 XI R 42/94, BFHE 179,
248, BStBl II 1996, 660 = SIS 96 10 24, und in BFHE 198, 27, BStBl
II 2002, 642 = SIS 02 09 24), bedurfte es nicht. Überdies hat
eine nicht unterzeichnete Erklärung steuerrechtlich keine
Wirkungen und steht damit auch keiner Steuerfestsetzung ohne
Vorbehalt der Nachprüfung nach § 10 Abs. 2 Satz 1 StraBEG
gleich.
b) Ist dementsprechend erst die vom
Kläger unterschriebene strafbefreiende Erklärung vom
23.2.2004 wirksam, löst sie die Rechtsfolge des § 10 Abs.
2 Satz 1 StraBEG wie auch des § 355 Abs. 1 Satz 2 AO aus. Eine
Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Eingangs der nicht
unterschriebenen Erklärung - hier auf den 13.2.2004 - sieht
das Gesetz nicht vor.
Zwar behandelt die Finanzverwaltung die
strafbefreiende Erklärung als von Anfang an wirksam, wenn der
Erklärende innerhalb der vom FA gesetzten Frist den
beanstandeten Formmangel behebt und z.B. - wie hier - die
Unterschrift nachholt (so BMF-Schreiben vom 3.2.2004, a.a.O., Tz.
12.5). Der Senat kann unerörtert lassen, ob man dieser
Selbstverpflichtung mit Seer (in Tipke/Kruse, a.a.O., § 3
StraBEG Rz 3) eine den Erklärenden schützende
Präklusionswirkung zuerkennt, um etwa in Bezug auf die
Erklärungsfrist des § 1 Abs. 6 StraBEG die Straffreiheit
durch den persönlichen Strafaufhebungsgrund nicht zu
gefährden. Jedenfalls kann sich diese
„Rückwirkung“ oder Heilung ohne
Rechtsgrundlage nicht zu Lasten des Erklärenden auswirken, und
zwar insbesondere dann nicht, wenn er die positiven Wirkungen der
Selbstverpflichtung nicht für sich in Anspruch genommen
hat.
c) Nach diesen Maßstäben ist das
angefochtene Urteil aufzuheben. Die einmonatige Einspruchsfrist des
§ 355 Abs. 1 Satz 2 AO begann erst mit dem Eingang der vom
Kläger unterschriebenen strafbefreienden Erklärung am
23.2.2004 und war demgemäß am 22.3.2004 noch nicht
abgelaufen. Deshalb durfte das FA den Einspruch nicht als
unzulässig verwerfen, sondern musste zur Sache
entscheiden.
2. Die Sache ist spruchreif; der Senat
entscheidet in der Sache selbst. Er kann gemäß §
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO durcherkennen, obwohl der Kläger
im Revisionsverfahren nur die Zurückverweisung der Sache
beantragt hat (BFH-Urteil vom 28.4.1994 V R 80/91, BFH/NV 1995,
557, m.w.N.). Der Senat gibt der Klage statt und hebt die
strafbefreiende Erklärung vom 23.2.2004 auf. Das Begehren des
Klägers hat auch in der Sache Erfolg; denn die Voraussetzungen
für eine strafbefreiende Erklärung liegen ersichtlich
nicht vor. Der Kläger hatte keine unrichtigen oder
unvollständigen Angaben i.S. des § 1 Abs. 1 StraBEG
gemacht, als er es unterließ, für das Jahr 1998
Verkäufe von Wertpapieren zu erklären. Denn die
Steuernorm, auf der derartige Angaben beruhen (§ 23 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 Buchst. b des Einkommensteuergesetzes in der für
die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Fassung vom
16.4.1997, BGBl I, 821 - EStG - ) ist vom BVerfG mit Beschluss vom
9.3.2004 2 BvL 17/02 a.a.O. für nichtig erklärt worden.
Anhaltspunkte dafür, dass die in der Erklärung
aufgeführten Verkäufe einer anderen, vorrangigen
Einkunftsart zuzuordnen sind (vgl. § 23 Abs. 2 EStG), bestehen
nicht; hiervon gehen auch die Beteiligten nicht aus.