Grundlagenbescheid, Anfechtungsklage, Prozesszinsen: Prozesszinsen nach § 236 AO erhält der Feststellungsbeteiligte, dessen Einkommensteuerfestsetzung aufgrund der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheides durch einen früheren Mitgesellschafter einer KG geändert wird, selbst dann, wenn er nicht Beteiligter im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid war. - Urt.; BFH 17.1.2007, X R 19/06; SIS 07 20 78
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war als Kommanditist an einer KG beteiligt.
Zunächst waren für ihn folgende Einkünfte
festgestellt und in den Einkommensteuerbescheiden erfasst
worden:
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1974
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1975
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Laufende Einkünfte
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61.517,41 DM
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-
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Veräußerungsgewinn
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-
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196.680,54 DM
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Sonderbetriebsausgaben
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2.400,00 DM
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-
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Gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1974
und 1975 erhob am 3.7.1987 ein anderer Kommanditist der KG Klage.
Im Verlauf des Klageverfahrens entsprach das zuständige
Finanzamt dem Klagebegehren. Der Rechtsstreit war in der Hauptsache
erledigt. Die Gewinnfeststellungsbescheide für die KG wurden
am 3.6.2004 bzw. 23.12.2002 geändert. Für den Kläger
wurden hierin folgende Einkünfte festgestellt:
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1974
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1975
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Laufende Einkünfte
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0
DM
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-
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Veräußerungsgewinn
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-
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0
DM
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Sonderbetriebsausgaben
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2.400 DM
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) änderte daraufhin die
Einkommensteuerbescheide des Klägers. Die
Änderungsbescheide vom 10. März bzw. 11.4.2005 (für
1974) und vom 10.3.2005 (für 1975) führten zu folgenden
Steuererstattungen:
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1974
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1975
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Einkommensteuer
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14.640,85 EUR
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24.630,97 EUR
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r.-k. Kirchensteuer
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1.509,74 EUR
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2.263,16 EUR
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Stabilitätszuschlag
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754,67 EUR
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Ergänzungsabgabe
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452,49 EUR
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Den Antrag des Klägers, Prozesszinsen
gemäß § 236 der Abgabenordnung (AO) festzusetzen,
lehnte das FA ab.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit in
EFG 2006, 1398 = SIS 06 27 98 veröffentlichtem Urteil
abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Prozesszinsen
gemäß § 236 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a
AO, weil er nicht Beteiligter des finanzgerichtlichen Verfahrens
gewesen sei, das zur Herabsetzung der Einkommensteuer 1974 und 1975
geführt habe.
Mit seiner Revision rügt der
Kläger Verletzung von § 236 AO. Er beantragt
sinngemäß, das FG-Urteil und die den ablehnenden
Verwaltungsakt vom 14.4.2005 bestätigende
Einspruchsentscheidung vom 11.5.2005 aufzuheben und das FA zu
verpflichten, Prozesszinsen nach § 236 AO zur Steuererstattung
für 1974 und 1975 gemäß Bescheiden vom
10.3.2005/11.4.2005 (für 1974) und 10.3.2005 (für 1975)
festzusetzen und an ihn auszuzahlen.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des Klägers ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Entgegen der
Auffassung des FG ist das FA verpflichtet, die
Erstattungsbeträge vom Tag der Rechtshängigkeit der Klage
gegen die Gewinnfeststellungsbescheide bis zum Auszahlungstag zu
verzinsen.
1. Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies
gesetzlich vorgeschrieben ist (§ 233 Satz 1 AO).
Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 1 AO ist der zu erstattende
Betrag vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag
zu verzinsen, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche
Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine
festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Dies gilt nach § 236
Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO entsprechend, wenn eine
rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein
unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit
erledigt hat, zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid
festgesetzten Steuer führt.
Auch nach Einführung der Vollverzinsung
nach Maßgabe des § 233a AO gibt es keinen allgemeinen
Rechtsgrundsatz, dass rückständige Staatsleistungen
(angemessen) zu verzinsen sind. Das Gesetz kennt vielmehr nur die
Verzinsung auf der Grundlage genau umschriebener Tatbestände
(Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29.4.1997 VII R 91/96,
BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476 = SIS 97 21 98) wie der
Vorschrift betreffend Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge
(§ 236 AO). Deren Zweck ist es, dem Gläubiger eines
Erstattungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und
der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für
die Zeit ab Rechtshängigkeit eine Entschädigung zu
gewähren (vgl. BFH-Urteile vom 13.7.1994 I R 38/93, BFHE 175,
496, BStBl II 1995, 37 = SIS 95 06 50; vom 16.11.2000 XI R 31/00,
BFHE 196, 1, BStBl II 2002, 119 = SIS 01 14 43; vom 15.10.2003 X R
48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169 = SIS 04 05 35). Davon ist
bei der Auslegung des § 236 AO auszugehen (BFH-Beschluss vom
20.1.1999 IV B 40/98, BFH/NV 1999, 1055 = SIS 98 59 29, unter
Hinweis auf die Entscheidung in BFHE 182, 253, BStBl II 1997, 476 =
SIS 97 21 98).
2. Die Voraussetzungen des § 236 AO sind
im Streitfall erfüllt. Unabhängig davon, welcher
Kommanditist mit seiner Klage die Änderung der
Gewinnfeststellungsbescheide der vollbeendeten KG für 1974 und
1975 erreicht hat, war dieser Rechtsstreit für die
Herabsetzung der Einkommensteuer des Klägers kausal (so auch
Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, §
236 AO Rz 28; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -,
§ 236 AO Rz 33; Wagner in: Kühn/v.Wedelstädt, 18.
Aufl., AO, § 236 Rz 13; Schwarz in Schwarz, AO, § 236 Rz
12). Allein darauf stellt § 236 AO ab.
a) Weder der Wortlaut des § 236 Abs. 2
Nr. 2 Buchst. a AO noch der des § 236 Abs. 1 AO lassen die
Auslegung zu, dass Prozesszinsen nur derjenige beanspruchen kann,
der durch die Anfechtung des Grundlagenbescheides mittelbar die
Änderung seiner Einkommensteuerfestsetzung eingeklagt hat.
Voraussetzung für den Zinsanspruch ist vielmehr lediglich,
dass ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich - wie im
Streitfall - ein Rechtsstreit erledigt hat, zur Herabsetzung der im
Folgebescheid festgesetzten Steuer führt.
b) Gegenteiliges kann auch nicht aus §
236 Abs. 3 AO entnommen werden. Diese Vorschrift schließt den
Zinsanspruch aus, wenn einem Beteiligten die Kosten des
Rechtsbehelfs nach § 137 Satz 1 FGO auferlegt worden sind.
Derjenige, der sich einen Tatsachenvortrag bis zum
finanzgerichtlichen Verfahren vorbehält, soll keinen Vorteil
gegenüber demjenigen erlangen, der seiner Mitwirkungspflicht
(§ 90 AO) bereits im Verwaltungsverfahren nachkommt. Ein
allgemeiner Rechtsgrundsatz dahingehend, dass nur Beteiligten im
Rechtsstreit gegen den Grundlagenbescheid ein Zinsanspruch bei
Änderung des Folgebescheides zusteht, kann daraus jedoch nicht
abgeleitet werden.
c) Auch die verfahrensrechtliche Symmetrie
(„Waffengleichheit“) gebietet,
Feststellungsbeteiligten Prozesszinsen zuzuerkennen, die von der
gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheides durch einen
früheren Mitgesellschafter profitieren. Die Aussetzung der
Vollziehung eines Grundlagenbescheides hemmt dessen Vollziehbarkeit
insgesamt. Nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO bzw. § 69 Abs. 2
Satz 4 FGO sind deshalb im Falle einer vollbeendeten Gesellschaft
sämtliche Folgebescheide auszusetzen. Bleibt ein gegen einen
Grundlagenbescheid gerichtetes Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren
endgültig erfolglos, sind Aussetzungszinsen nach § 237 AO
somit auch von den Steuerpflichtigen zu erheben, die den
Grundlagenbescheid nicht angefochten haben.
d) Zudem verlangt die Prozessökonomie,
früheren Gesellschaftern einer vollbeendeten
Personengesellschaft auch dann Prozesszinsen zuzusprechen, wenn sie
den Grundlagenbescheid nicht selbst angefochten haben. Könnten
nur (Haupt-)Beteiligte im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid
Prozesszinsen beanspruchen (so aber das Urteil des Hessischen FG
vom 7.11.2002 7 K 2143/02, EFG 2003, 508 = SIS 03 15 87),
würden nicht nur die FG, sondern auch die Steuerpflichtigen
und Finanzbehörden mit einer Vielzahl vermeidbarer Prozesse
belastet.
e) Die in § 236 Abs. 2 AO angeordnete
entsprechende Anwendung des § 236 Abs. 1 AO gebietet es, den
Streitfall anders zu behandeln als die Fälle eines
Musterverfahrens, wonach ein Steuerpflichtiger, dessen
Einspruchsverfahren im Hinblick auf ein von einem anderen
Steuerpflichtigen angestrengtes Musterverfahren ausgesetzt wurde,
bei einem günstigen Ausgang dieses Prozesses ebenso wenig
einen Anspruch auf Prozesszinsen (BFH-Urteil vom 31.10.1974 IV R
160/69, BFHE 114, 397, BStBl II 1975, 370 = SIS 75 02 20) hat wie
wenn die Steuerfestsetzung wegen eines Musterverfahrens für
einen anderen Steuerabschnitt zu Gunsten des Steuerpflichtigen
geändert wird. Für diese Fälle fehlt es an der
Anordnung der entsprechenden Anwendung des § 236 Abs. 1
AO.
3. Nach alledem ist die dem Kläger
erstattete Einkommensteuer für 1974 und 1975 zu verzinsen.
Gleiches gilt für die erstattete Kirchensteuer für 1974
und 1975 (vgl. Heuermann in HHSp, § 236 AO Rz 11). Zudem sind
auch die Ergänzungsabgabe und der Stabilitätszuschlag als
„Folgesteuern“ (vgl. BFH-Beschluss vom 24.1.1979
I R 91/78, BFHE 127, 300, BStBl II 1979, 441 = SIS 79 02 19) zu
verzinsen. Der Zinslauf begann mit Rechtshängigkeit der Klage
gegen die Gewinnfeststellungsbescheide (3.7.1987) und endete mit
der Auszahlung der Erstattungsbeträge.