Grundstückserwerb von Erschließungsträger, GrESt: Ist Gegenstand der Übereignungsverpflichtung ein unerschlossenes Grundstück und verpflichtet sich der Grundstücksverkäufer, der gleichzeitig Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB ist, gegenüber dem Erwerber zur Grundstückserschließung nach Maßgabe des mit der Gemeinde geschlossenen Erschließungsvertrags, gehört das vom Erwerber zu zahlende Entgelt für die künftige Erschließung nicht zur grunderwerbsteuerrechtlichen Gegenleistung. - Urt.; BFH 21.3.2007, II R 67/05; SIS 07 16 75
I. Die Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 18.1.2002
von der V-GmbH je zur ideellen Hälfte ein in der Stadt B
belegenes Baugrundstück, das bei Vertragsschluss nicht
erschlossen war und in dem vorhandenen Zustand verkauft wurde. Die
V-GmbH verpflichtete sich gegenüber den Klägern, die
Erschließung des Kaufgrundstücks nach Maßgabe des
noch zwischen ihr und der Stadt B für das gesamte Baugebiet
abzuschließenden Erschließungsvertrags
durchzuführen (§ 1 Abs. 3 des
Grundstückskaufvertrags). Die Kläger hatten, jeweils
zahlbar bis zum 1.5.2002, an die V-GmbH neben dem
Grundstückskaufpreis einen Betrag zur Abgeltung der
zukünftigen Erschließung des Grundstücks von ...
EUR je qm zu zahlen. Die Zahlung brauchte nicht zu erfolgen,
solange nicht die Baustraße so weit erstellt war, dass mit
Baumaßnahmen auf dem Kaufobjekt begonnen werden konnte
(§ 5 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrags). Die V-GmbH war
zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, falls der
Erschließungsvertrag nach § 124 Abs. 1 des
Baugesetzbuches (BauGB) mit der Stadt B nicht bis zum 31.1.2002
rechtsverbindlich abgeschlossen wurde. Dieser
Erschließungsvertrag wurde am 28.1.2002 geschlossen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) setzte gegen die Kläger für ihren
Erwerb durch Bescheide vom 13.2.2002 Grunderwerbsteuer fest und
bezog den Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten in
die Bemessungsgrundlage ein. Mit den hiergegen erhobenen
Einsprüchen machten die Kläger geltend, das
Grundstück sei in unerschlossenem Zustand erworben worden und
daher sei der Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten
keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks. Durch
Einspruchsbescheide vom 12.9.2002 setzte das FA die
Grunderwerbsteuer aus anderen Gründen auf jeweils ... EUR
herab und wies die Einsprüche im Übrigen als
unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(vgl. SIS 06 40 06). Die V-GmbH habe sich verpflichtet, den
Klägern das Grundstück in erschlossenem Zustand zu
verschaffen. Es mache grunderwerbsteuerrechtlich keinen
Unterschied, ob ein Grundstück unerschlossen mit der
Verpflichtung des Veräußerers zur Erschließung
oder bereits in erschlossenem Zustand erworben werde. Die
Kläger hätten, da sich die V-GmbH sowohl ihnen als auch
der Stadt B zur Erschließung verpflichtet habe, im Ergebnis
(wirtschaftlich) ein bebaubares Grundstück erworben.
Mit ihrer Revision rügen die
Kläger Verletzung von § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 des
Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Die Kläger beantragen
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die
Grunderwerbsteuerbescheide vom 13.2.2002 in der Gestalt der
Einspruchsentscheidungen vom 12.9.2002 dahin abzuändern, dass
die Grunderwerbsteuer auf jeweils ... EUR herabgesetzt
wird.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
antragsgemäßen Herabsetzung der Steuer (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu
Unrecht den von den Klägern an die V-GmbH zur Abgeltung der
Erschließungskosten gezahlten Betrag als Gegenleistung
für den Erwerb des Grundstücks behandelt.
1. Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
grunderwerbsteuerbaren Grundstückskaufvertrag bemisst sich die
Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem
Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung gilt nach § 9 Abs. 1
Nr. 1 GrEStG u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom
Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Für den
Umfang der Gegenleistung ist entscheidend, in welchem
tatsächlichen Zustand das Grundstück zum Gegenstand des
Erwerbsvorgangs gemacht wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 15.3.2001 II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89, m.w.N.).
a) Ob Erschließungskosten als
Gegenleistung zu erfassen sind, ist danach zu beurteilen, ob das
Grundstück unerschlossen oder erschlossen bzw. mit der
Verpflichtung des Veräußerers, es erschlossen zu
verschaffen, Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (BFH-Urteile in
BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89; vom 15.3.2001 II R
51/00, BFH/NV 2001, 1297 = SIS 01 75 74; vom 11.2.2004 II R 31/02,
BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521 = SIS 04 21 07). Ein
Grundstück ist tatsächlich erschlossen, wenn die
Erschließungsanlagen i.S. des BauGB, z.B. Straßen,
Verkehrs- und Grünanlagen (vgl. § 127 Abs. 2 BauGB)
vorhanden sind.
b) Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des
Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits
tatsächlich erschlossen, kann Gegenstand eines solchen
Vertrages nur das erschlossene Grundstück sein; der zur
Abgeltung der Erschließung neben dem eigentlichen
Grundstückskaufpreis gesondert ausgewiesene Betrag gehört
in diesem Fall zur Gegenleistung.
Ist das Grundstück im Zeitpunkt des
Abschlusses des Grundstückskaufvertrages noch nicht
erschlossen, verpflichtet sich jedoch der Veräußerer,
das Grundstück dem Erwerber in erschlossenem Zustand zu
verschaffen, so ist das Grundstück in diesem Zustand
Gegenstand des Erwerbsvorgangs i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG. Der auf die Erschließung entfallende Teil des
Kaufpreises ist Entgelt für den Grundstückserwerb
(BFH-Urteile vom 9.5.1979 II R 56/74, BFHE 128, 92, BStBl II 1979,
577 = SIS 79 02 93, und in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89). Ob das erschlossene Grundstück Gegenstand der
Übereignungsverpflichtung ist, ist jeweils im Wege der
Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln.
2. Im Streitfall hat das FG zu Unrecht
angenommen, die V-GmbH habe sich verpflichtet, den Klägern das
Grundstück in erschlossenem Zustand zu verschaffen.
a) Das von den Klägern erworbene
Grundstück war bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags
tatsächlich noch nicht erschlossen. Nach § 3 Abs. 1 des
Grundstückskaufvertrags wurde das Grundstück auch in
diesem vorhandenen (unerschlossenen) Zustand verkauft.
b) Das Grundstück war nicht deshalb im
erschlossenen Zustand Gegenstand der
Übereignungsverpflichtung, weil die V-GmbH gleichzeitig
Veräußerin des Grundstücks und
Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB war
und sich sowohl gegenüber den Klägern als auch der Stadt
B vertraglich zur Erschließung nach Maßgabe des
Erschließungsvertrags verpflichtet hat.
aa) Wird ein im Zeitpunkt des Abschlusses
eines Grundstückskaufvertrages noch unerschlossenes
Grundstück als solches („unerschlossen“)
zum Gegenstand der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung
gemacht und übernimmt der Erwerber gleichzeitig mit dem
Abschluss des Kaufvertrages gegenüber einem von der Gemeinde
nach § 124 Abs. 1 BauGB beauftragten - nicht mit dem
Grundstücksveräußerer identischen -
Erschließungsträger die Verpflichtung, einen bestimmten
Betrag für die zukünftige Erschließung des
Grundstücks zu zahlen, liegt hierin kein Entgelt für den
Erwerb des Grundstücks. Gegenstand eines solchen
Erwerbsvorgangs ist nach dem Inhalt der hier allein
maßgeblichen zivilrechtlichen Übereignungspflicht nur
das „unerschlossene“ Grundstück
(BFH-Urteile in BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577 = SIS 79 02 93,
und in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89).
Die von der Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze zum grunderwerbsteuerrechtlich einheitlichen
Erwerbsgegenstand bei Erwerb eines Grundstücks im
zukünftig bebauten Zustand sind wegen des sich aus der
öffentlich-rechtlichen Erschließungslast der Gemeinde
(vgl. § 123 BauGB) ergebenden besonderen Charakters der
Grundstückserschließung nicht anwendbar (BFH-Urteil in
BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89). Dies gilt auch
dann, wenn die Erschließung von einem privaten
Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB
vorgenommen wird. Auch in diesem Fall bleibt die Erschließung
eine öffentliche Aufgabe und stellt keine mit der
zivilrechtlichen Übereignungspflicht objektiv
zusammenhängende Leistung an einen bestimmten
Grundstückserwerber dar (BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II
2002, 93 = SIS 01 10 89). Die rechtliche Wirkung der Vereinbarung
des Erschließungsträgers mit den
Grundstückserwerbern über die Höhe ihrer
Kostenbeteiligung erschöpft sich in der Regelung der
Kostenbeteiligung und macht die - ihrem Rechtscharakter nach
öffentlich-rechtliche - Erschließung nicht zu einer
Leistung an den Zahlungsverpflichteten.
bb) Diese Grundsätze gelten ebenso dann,
wenn - wie im Streitfall - der Grundstücksverkäufer
gleichzeitig Erschließungsträger i.S. des § 124
Abs. 1 BauGB ist und sich vertraglich gegenüber dem
Grundstückskäufer verpflichtet, die Erschließung
des veräußerten Grundstücks entsprechend dem mit
der Gemeinde geschlossenen Erschließungsvertrag
durchzuführen. Auch in diesem Fall erschöpfen sich die
getroffenen Vertragsregelungen im Verhältnis zwischen
Grundstücksveräußerer und Erwerber in einer
(privatrechtlichen) Regelung der Kostenbeteiligung. Auf diese
Vertragsgestaltung können die Grundsätze zum
grunderwerbsteuerrechtlich einheitlichen Erwerbsgegenstand keine
Anwendung finden, weil die Durchführung der Erschließung
nach Maßgabe des Erschließungsvertrags i.S. des §
124 Abs. 1 BauGB ausschließlich im öffentlichen
Interesse erfolgt und eine öffentliche Aufgabe der Gemeinde
bleibt. Denn eine Gemeinde kann nach § 124 Abs. 1 BauGB nur
die technische Durchführung und kostenmäßige
Abwicklung der Erschließung auf den
Erschließungsunternehmer übertragen, nicht aber die ihr
gemäß § 123 Abs. 1 BauGB obliegende
Erschließungslast (Driehaus, Erschließungs- und
Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 6 Rz 6). Dementsprechend
hat auch das privatrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem
Erschließungsunternehmer und den von ihm erwerbenden
Grundstückskäufern keinen rechtlich relevanten Einfluss
auf das durch einen Erschließungsvertrag begründete
Rechtsverhältnis zwischen der Gemeinde und dem
Erschließungsunternehmer (Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 9.11.1984 8 C 77.83,
BVerwGE 70, 247). Kommt der Erschließungsträger seinen
Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde bzw. einem
Grundstückserwerber nicht nach, aktualisiert sich wiederum die
Erschließungsaufgabe der Gemeinde mit der Folge, dass sie die
Erschließung (wieder) selbst übernehmen bzw. vollenden
muss (dazu BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93 = SIS 01 10 89, m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 6 Rz 52, 62).
c) Dem Grundstückskaufvertrag kann auch
im Übrigen nicht entnommen werden, dass das Grundstück in
erschlossenem Zustand zum Gegenstand der zivilrechtlichen
Übereignungsverpflichtung gemacht wurde.
aa) Die von der V-GmbH gegenüber den
Klägern eingegangene Verpflichtung zur Erschließung des
Grundstücks war Gegenstand einer eigenständigen
vertraglichen Verpflichtung, für die eine gegenüber der
Kaufpreisvereinbarung verselbständigte Entgeltvereinbarung
getroffen wurde. Auch war die Wirksamkeit des
Grundstückskaufvertrags nicht von der vollständigen
Durchführung der Erschließungsmaßnahmen
abhängig. Andernfalls hätte es nicht des der V-GmbH
eingeräumten Rücktrittsrechts für den Fall bedurft,
dass es nicht zum rechtverbindlichen Abschluss des
Erschließungsvertrags mit der Stadt B bis zum 31.1.2002 kommt
(§ 12 Abs. 1 des Grundstückskaufvertrags).
bb) Die Kläger haben auch nicht etwa
deshalb ein erschlossenes Grundstück erworben, weil der
Kaufpreis und der Abgeltungsbetrag für
Erschließungskosten nicht fällig waren, solange nicht
die Baustraße so weit erstellt war, dass mit
Baumaßnahmen auf dem Kaufgrundstück begonnen werden
konnte (§ 5 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrages). Die
Herstellung der Baustraße war lediglich ein erster Teilakt
der Gesamterschließung, der - wie sich aus § 1 Abs. 4
des Grundstückskaufvertrags ergibt - die
„endgültige Fertigstellung der
Erschließungsanlagen, insbesondere der Endausbau der
Straßen“ noch zu einem späteren Zeitpunkt
nachzufolgen hatte.
cc) Schließlich war - entgegen der
Auffassung des FG - der Abgeltungsbetrag für
Erschließungskosten auch nicht etwa deshalb eine
Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks, weil die
Kläger ein (wirtschaftlich) bebaubares Grundstück
erworben haben. Die Bebaubarkeit des Grundstücks ist für
die Frage, ob ein Abgeltungsbetrag für
Erschließungskosten grunderwerbsteuerrechtlich eine
Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks ist, ohne
Bedeutung.
Da das FG von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
3. Die Sache ist spruchreif. Die
Grunderwerbsteuerbescheide vom 13.2.2002 in der Fassung der
Einspruchsentscheidungen vom 12.9.2002 sind insoweit rechtswidrig,
als das FA den von den Klägern zu zahlenden Abgeltungsbetrag
für Erschließungskosten in die Bemessungsgrundlage der
Grunderwerbsteuer einbezogen hat. Die angefochtenen Bescheide waren
gemäß § 100 Abs. 1 FGO zu ändern und die
Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage
von jeweils ... EUR auf jeweils ... EUR herabzusetzen.