§ 8 b Abs. 5 KStG a.F., EU-Widrigkeit: § 8 b Abs. 5 KStG 1999 a.F./KStG 2002 a.F. verstößt gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 43, 48 EG (Anschluss an EuGH-Urteile vom 18.9.2003 Rs. C-168/01 "Bosal", EuGHE 2003 I S. 9409 = SIS 03 46 61, ABlEU 2003, Nr. C 264 S. 8 = SIS 03 46 61, und vom 23.2.2006 Rs. C-471/04 "Keller Holding", ABlEU 2006, Nr. C 131 S. 20 = SIS 06 16 86). (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 30.9.2008, IV C 7 - S 2750-a/07/10001, BStBl 2008 I S. 940 = SIS 08 38 51) - Urt.; BFH 9.8.2006, I R 50/05; SIS 07 04 30
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), eine GmbH, war in den Streitjahren 2001 und 2002
alleinige Gesellschafterin einer Kapitalgesellschaft
niederländischen Rechts (BV).
In den Streitjahren seitens der BV an die
Klägerin ausgeschüttete Gewinne wurden bei Letzterer nach
Art. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 des
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Königreich der Niederlande zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur
Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete (DBA-Niederlande)
bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer aus der
Bemessungsgrundlage ausgenommen. Allerdings rechnete der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) den
Jahresergebnissen der Klägerin unter Hinweis auf § 8b
Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in
den für die Streitjahre maßgeblichen Fassungen des KStG
1999 bis zur Änderung durch das Gesetz zur Fortentwicklung des
Unternehmenssteuerrechts (Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz
- UntStFG - ) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35)
- KStG 1999 a.F. - und des KStG 2002 a.F. 5 v.H. der
ausgeschütteten Dividenden als nicht abziehbare
Betriebsausgaben hinzu.
Die Klage gegen die hiernach ergangenen
Steuerbescheide hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah in dem
Abzugsverbot gemäß § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002
a.F. einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlich
verbürgte Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 des
Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über
die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften - EG -, sowie einiger damit
zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften - ABlEG - 1997 Nr. C-340/1). Es bezog sich zur
Begründung auf das Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 18.9.2003 Rs. C-168/01
„Bosal“ (EuGHE I 2003, 9409, Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - 2003, Nr. C 264, 8 = SIS 03 46 61). Das Urteil des FG Hamburg vom 29.4.2005 III 58/04 ist in EFG
2005, 1725 = SIS 05 33 71 veröffentlicht.
Seine Revision stützt das FA auf
Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Das durch Beschluss des Senats vom
24.10.2005 gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung auf Antrag der
Beteiligten zum Ruhen gebrachte Revisionsverfahren wird
fortgeführt. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem der EuGH
durch Urteil vom 23.2.2006 Rs. C-471/04 „Keller
Holding“ (ABlEU 2006, Nr. C 131, 20 = SIS 06 16 86) über
die im Grundsatz auch hier in Streit stehende Rechtsfrage nach der
Abzugsfähigkeit von Beteiligungsaufwendungen bei steuerfreien
Einnahmen aus der Beteiligung einer inländischen
Kapitalgesellschaft an einer ausländischen Kapitalgesellschaft
mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat entschieden hat.
III. Die Revision ist unbegründet.
1. Die Dividenden, die die BV in den
Streitjahren an die Klägerin ausgeschüttet hat, sind bei
Letzterer nach Art. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 13
Abs. 4 DBA-Niederlande aus der Bemessungsgrundlage der
Körperschaftsteuer, i.V.m. § 7 des Gewerbesteuergesetzes
auch des Gewerbeertrags, auszunehmen. Dieselbe Rechtsfolge ergibt
sich nach § 8b Abs. 1 KStG 1999 a.F./2002 a.F., wonach die
betreffenden Dividenden bei der Ermittlung des Einkommens
außer Ansatz bleiben. Darüber besteht unter den
Beteiligten kein Streit.
2. Nach § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002
a.F. gelten 5 v.H. von den Dividenden aus Anteilen an einer
ausländischen Gesellschaft, die von der
Körperschaftsteuer befreit sind (§ 8b Abs. 5 KStG 1999
a.F.) bzw. den Bezügen i.S. von Abs. 1 der Vorschrift, die bei
der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben (§ 8b
Abs. 5 KStG 2002 a.F.), als Ausgaben, die mit den Einnahmen in
unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (§ 8b Abs.
5 KStG 1999 a.F.) bzw. als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben
abgezogen werden dürfen (§ 8b Abs. 5 KStG 2002 a.F.).
Diese Fiktion ist nicht davon abhängig, ob und in welcher
Höhe der Obergesellschaft tatsächlich Betriebsausgaben
entstanden sind.
3. Die vorgenannte Fiktion von
Betriebsausgaben und das daraus abzuleitende Abzugsverbot sind auf
den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt nicht anzuwenden.
Die Fiktion ebenso wie die Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben
gemäß § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002 a.F.
verstoßen im Zusammenwirken gegen die gemeinschaftsrechtliche
Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 43 und 48
EG, und damit gegen primäres Gemeinschaftsrecht.
Die Gründe dafür ergeben sich im
Ergebnis aus den Urteilen des EuGH in EuGHE I 2003, 9409, ABlEU
2003, Nr. C 264, 8 = SIS 03 46 61, sowie in ABlEU 2006, Nr. C 131,
20 = SIS 06 16 86. In dem letztgenannten Urteil hat der EuGH auf
Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats vom 14.7.2004 I R
17/03 (BFHE 207, 152, BStBl II 2005, 53 = SIS 04 39 94)
entschieden, Art. 52 des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGV), jetzt Art. 43 EG, sei dahin
auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats
entgegensteht, nach der Finanzierungsaufwendungen einer in diesem
Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen
Muttergesellschaft für den Erwerb von Beteiligungen an einer
Tochtergesellschaft steuerlich nicht abzugsfähig sind, soweit
diese Aufwendungen auf Dividenden entfallen, die von der Steuer
befreit sind, weil sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat
ansässigen mittelbaren Tochtergesellschaft stammen, obwohl
solche Aufwendungen dann abzugsfähig sind, wenn sie auf
Dividenden entfallen, die von einer mittelbaren
Tochtergesellschaft, die in demselben Mitgliedstaat wie dem Staat
des Geschäftssitzes der Muttergesellschaft ansässig ist,
ausgeschüttet werden und die faktisch ebenfalls von der Steuer
entlastet sind. Auf die Gründe jener Entscheidung im Einzelnen
wird, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen.
Die Konstellation, die der EuGH zu beurteilen
hatte, stimmt mit jener, die im Streitfall in Rede steht, im Kern
überein. Hier wie dort geht es um die Abzugsfähigkeit von
Aufwendungen einer Muttergesellschaft auf die Beteiligung an einer
Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat und
auf die aus dieser Beteiligung erzielten, im Inland steuerbefreiten
Dividenden. Folgt man der Annahme der Vorinstanz, besteht ein
Unterschied zu jener vom EuGH entschiedenen Konstellation lediglich
insoweit, als der Klägerin im Streitfall tatsächlich
keine Beteiligungsaufwendungen entstanden sind, solche allerdings
kraft Gesetzes in Höhe von 5 v.H. der Dividenden pauschal
fingiert werden. Die Höhe dieser Pauschalierung orientiert
sich ersichtlich an Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 435/90/EWG des
Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten
(Mutter/Tochter-Richtlinie) vom 23.7.1990 (ABlEG Nr. L 225, 6, ber.
ABlEG Nr. L 266, 20 = SIS 06 16 86), wonach jeder Mitgliedstaat bis
zur Höhe eines Pauschalbetrags von 5 v.H. der von der
Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne bestimmen kann,
dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft nicht vom
steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden
können. Auch diese Ermächtigung durch
EG-Sekundärrecht muss sich jedoch an EG-Primärrecht
messen lassen (EuGH-Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20 = SIS 06 16 86, dort Tz. 45 f.). Wird sie - wie in § 8b Abs. 5 KStG 1999
a.F./2002 a.F. - in der Weise umgesetzt, dass die Pauschalierung
lediglich zu Lasten ausländischer Beteiligungsgesellschaften
wirkt, verstößt sie gleichermaßen gegen die
Grundfreiheit des Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, wie das
Abzugsverbot für tatsächlich entstandenen Aufwand
gemäß § 3c Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG) 1997 n.F. Die vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze
sind vorbehaltlos einschlägig. Sie führen innerhalb der
EU zur Nichtanwendbarkeit von § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002
a.F.
4. Der Senat erachtet die
Gemeinschaftsrechtslage in diesem Punkt zwischenzeitlich als
eindeutig. Sie entspricht den Aussagen des EuGH-Urteils in ABlEU
2006, Nr. C 131, 20 = SIS 06 16 86 und war damit bereits Gegenstand
einer Auslegung durch den Gerichtshof. Sie ergibt sich
überdies zweifelsfrei aus dem EG-Vertrag (im Ergebnis ebenso
z.B. Friedrich/Nagler, IStR 2006, 217, 220 f.; Rehm/Nagler, DB
2006, 591, 593; Englisch, Unternehmensbewertung & Management -
UM - 2004, 58, 62; Schraufl/Zech, Praxis der Internationalen
Steuerberatung - PIStB - 2003, 337, 338 ff.; Körner, IStR
2006, 376, 377; Gosch, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für
die Praxis der Steuerberatung - BFH-PR - 2006, 194). Einer Vorlage
an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bedurfte es deshalb
nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81
„C.I.L.F.I.T.“, EuGHE 1982, 3415; s. konkret
bezogen auf die im Streitfall in Rede stehende Problematik auch den
Beschluss des EuGH in der Rechtssache „Keller
Holding“ in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20 = SIS 06 16 86,
gemäß Art. 222 Abs. 2 EG i.V.m. Art. 20 Abs. 5 der
EuGH-Satzung ohne Schlussantrag des Generalanwalts zu entscheiden,
da nach dem Urteil in EuGHE I 2003, 9409, ABlEU 2003, Nr. C 264, 8
= SIS 03 46 61 keine neue Rechtsfrage aufgeworfen wurde).
5. a) Soweit das FA die Rechtsauffassung
vertritt, bei Nichtanwendung von § 8b Abs. 5 KStG 1999
a.F./2002 a.F. seien hilfsweise die der Klägerin
tatsächlich entstandenen und nach § 3c EStG 1997 n.F.
nicht abziehbaren Betriebsausgaben zu ermitteln und ggf. im
Schätzungswege festzusetzen, ist diesem Begehren nicht weiter
nachzugehen. Zwar hat das FA bereits im Klageverfahren dem
Vorbringen der Klägerin widersprochen, es seien für die
in Rede stehende Beteiligung keine Kosten angefallen. Es hat dazu
indes keine näheren Angaben gemacht, vielmehr lediglich
vermutet, „insofern können unmittelbare und
mittelbare Kosten angefallen sein“. Auch mit der Revision
ist dazu nichts weiter ausgeführt worden. Insbesondere ist das
FA mit keinem Wort auf die Ausführungen eingegangen, welche
das FG bewogen haben, von einer Schätzung unter den gegebenen
Umständen des Streitfalls Abstand zu nehmen, nämlich die
Schwierigkeit, die Höhe ggf. entstandener anteiliger
Allgemeinkosten ohne einschlägige Hinweise durch das insoweit
beweisfällige FA zu ermitteln. Der Senat erkennt in dem
hilfsweisen Vorbringen des FA deswegen keine substantiierte und
tragfähige Sachaufklärungsrüge (vgl. § 76 FGO),
die die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung
der Sache an das FG rechtfertigen könnte.
b) Es erübrigt sich angesichts dessen,
auf die umstrittene Rechtsfrage danach einzugehen, ob sich die
pauschale Fiktion und Nichtabzugsfähigkeit von
Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F./2002 a.F. auf
Dividenden aus Auslandsbeteiligungen erstreckt, auf welche nicht
nur § 8b Abs. 1 KStG 2002 a.F., sondern - wie vorliegend -
zugleich das abkommensrechtliche Schachtelprivileg Anwendung finden
(vgl. dazu Senatsurteil vom 22.2.2006 I R 30/05, BFH/NV 2006, 1659
= SIS 06 34 12; anders demgegenüber z.B. Dötsch/Pung in
Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8b
KStG Rz. 112; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8b
KStG Rz. 85a; Watermeyer in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG,
§ 8b KStG Anm. 125).
Es erübrigt sich gleichermaßen, auf
die ebenfalls umstrittene Frage einzugehen, ob § 3c EStG 1997
n.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 a.F. bei Nichtanwendung von
§ 8b Abs. 5 KStG 1999 a.F. subsidiär anzuwenden wäre
(vgl. dazu z.B. einerseits Dötsch/ Pung in
Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 8b Rz. 108b; Gosch KStG
§ 8b Rz. 483; Englisch, UM 2004, 58, 60, 62; Schraufl/ Zech,
PIStB 2003, 337, 343; andererseits Körner, IStR 2006, 376,
377; Friedrich/Nagler, IStR 2006, 217, 220 f.; dieselben, DStR
2005, 403, 412) und ob sich § 3c Abs. 1 EStG 1997 n.F.
tatbestandlich auf § 8b Abs. 1 KStG 1999 a.F./2002 a.F.
bezieht (s. dazu Senatsbeschluss in BFHE 207, 152, BStBl II 2005,
53 = SIS 04 39 94; Gosch, a.a.O., § 8b Rz. 453 f.,
m.w.N.).