ESt-Erklärung, Einreichung auf Kopie eines Vordruckes: Eine Einkommensteuererklärung ist auch dann "nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck" abgegeben, wenn ein - auch einseitig - privat gedruckter oder fotokopierter Vordruck verwendet wird, der dem amtlichen Muster entspricht. - Urt.; BFH 22.5.2006, VI R 15/02; SIS 06 37 14
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger), der in Polen wohnt, übte im Streitjahr 1996
eine nichtselbständige Tätigkeit im Inland aus.
Am 4.1.1999 ging beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) die
Einkommensteuererklärung des Klägers für das
Streitjahr ein. Die Einkommensteuererklärung war sowohl unter
Verwendung eines Ausdrucks der Seite 1 des Mantelbogens als auch
mit Hilfe von Kopien der Seiten 2 bis 4 des Mantelbogens, der
Anlage N und der Anlage Kinder erstellt worden. Die einzelnen
Seiten waren einseitig bedruckt.
Der Arbeitgeber des Klägers hatte die
Einkommensteuererklärung zusammen mit weiteren
Einkommensteuererklärungen anderer polnischer Arbeitnehmer am
30.12.1998 um 14.39 Uhr als Paket bei einer Filiale der Post in
Frankfurt/Oder aufgegeben.
Das FA lehnte den Antrag des Klägers
auf Veranlagung zur Einkommensteuer ab, da der Antrag nicht
rechtzeitig innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist des
§ 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
eingegangen sei. Der Kläger legte hiergegen Einspruch ein und
beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur
Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nahm der Kläger
unter anderem Bezug auf eine eidesstattliche Versicherung seines
Arbeitgebers. Hierin erklärte der Arbeitgeber, er habe sich
vor Aufgabe des Pakets bei der zuständigen
Schalterbediensteten durch Rückfrage vergewissert, ob die
Sendung am nächsten Tag in S zugestellt werde. Dies habe ihm
die Schalterbedienstete ausdrücklich zugesichert. Das FA wies
den Einspruch als unbegründet zurück. Anders als bei
einem einfachen Brief habe der Kläger bei einem Post-Paket
nicht davon ausgehen dürfen, es werde bereits am Tag nach der
Aufgabe zur Post beim Empfänger eingehen. Nach Auskunft der
Deutschen Post AG hätte die Paketsendung in der betreffenden
Filiale in Frankfurt/Oder spätestens am 29.12.1998 um 17.00
Uhr aufgegeben werden müssen, um die Auslieferung in S am
31.12.1998 zu ermöglichen.
Die Klage hatte aus den in EFG 2002, 660 =
SIS 02 65 04 veröffentlichten Gründen Erfolg. Das FA sei
verpflichtet, den Kläger für das Streitjahr zur
Einkommensteuer zu veranlagen. Dem Kläger sei Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand zu gewähren. Die Frist des § 46 Abs.
2 Nr. 8 Satz 2 EStG sei unverschuldet versäumt worden. Nach
der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung habe die
Postbedienstete zugesichert, das Paket werde noch vor Jahresende
beim FA eintreffen. Der Kläger habe die versäumte
Antragstellung auch rechtzeitig nachgeholt. Die Einreichung der
Einkommensteuererklärung auf Kopien der amtlichen
Erklärungsvordrucke sei ausreichend.
Mit der Revision rügt das FA mangelnde
Sachaufklärung und Verletzung materiellen Rechts. Die
eingereichte Steuererklärung entspreche nicht den
Formerfordernissen des § 150 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung
(AO 1977). Die Abgabe einer Erklärung nach amtlichem Vordruck
habe den Sinn, Verwechselungen, Abweichungen und
Unvollständigkeiten zu vermeiden. Zudem solle die Auswertung
der angegebenen Daten mittels elektronischer Datenverarbeitung ohne
zeit- und personalaufwändige Abänderungen
durchgeführt werden können. Würden die
Finanzbehörden Erklärungen in der Form akzeptieren, wie
sie der Kläger eingereicht habe, seien sie an einer
zügigen Durchführung der Veranlagung gehindert.
Erschwerend komme hinzu, dass der Kläger Kopien der Anlage N
und der Anlage Kinder unter Verwendung des Vordrucks eines anderen
Bundeslandes eingereicht habe. Hierdurch komme zusätzlicher
Prüfaufwand auf die Finanzbehörde zu.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das Finanzgericht (FG) hat das FA zu Recht
verpflichtet, den Kläger für das Streitjahr zur
Einkommensteuer zu veranlagen.
1. Der Senat hat die vom FA erhobene
Verfahrensrüge geprüft. Er erachtet sie nicht für
durchgreifend und sieht insoweit von einer Begründung ab
(§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).
2. Die Sachrüge hat ebenfalls keinen
Erfolg. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein
Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter
den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten
Voraussetzungen durchgeführt. Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
wird die Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird.
Der Antrag ist gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG
bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten
Kalenderjahrs durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu
stellen. Das Erfordernis, den Antrag „durch Abgabe einer
Einkommensteuererklärung“ zu stellen, wurde durch
das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.7.1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl
I 1988, 224) in das EStG eingefügt. Das Formerfordernis hat
den Zweck, den Antrag auf Veranlagung eindeutig zum Ausdruck zu
bringen, um den zuvor erforderlichen Überlegungen, was noch
als Antrag zu werten ist und was nicht, ein Ende zu bereiten (vgl.
Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, § 46 EStG Anm. 175; Schmidt/
Glanegger, EStG, 25. Aufl., § 46 Rz. 86).
a) Das EStG enthält keine Definition des
Begriffs der Einkommensteuererklärung. Im Schrifttum wird
allerdings einhellig die Meinung vertreten, der durch Abgabe einer
Einkommensteuererklärung zu stellende Veranlagungsantrag
müsse den für die Einkommensteuererklärung
maßgeblichen Formvorschriften des § 150 AO 1977 und des
§ 25 Abs. 3 EStG genügen; ansonsten sei der Antrag nicht
wirksam gestellt (Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff,
EStG, § 46 Rdnr. B 49; Schmidt/Glanegger, a.a.O., § 46
Rz. 86; Blümich/Heuermann, § 46 EStG Rz. 114; Frotscher,
EStG, § 46 Rz. 32, 32a; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 5. Aufl.,
§ 46 Rn. 50; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 46 EStG Rz.
94; Tormöhlen in Korn, § 46 EStG Rn. 31). Auch nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verknüpft § 46
Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG die Wirksamkeit des Antrags auf
Veranlagung mit den Anforderungen an eine formal wirksame
Einkommensteuererklärung. Liegt eine ordnungsgemäße
Einkommensteuererklärung vor, ist die Finanzbehörde
verpflichtet, die Einkommensteuerveranlagung durchzuführen.
Fehlt es daran, so ist der Antrag nicht wirksam gestellt
(BFH-Urteile vom 7.11.1997 VI R 45/97, BFHE 184, 381, BStBl II
1998, 54 = SIS 98 02 77; vom 18.8.1998 VII R 114/97, BFHE 187, 1,
BStBl II 1999, 84 = SIS 99 01 35; vom 29.2.2000 VII R 109/98, BFHE
191, 311, BStBl II 2000, 573 = SIS 00 07 26, und vom 10.4.2002 VI R
66/98, BFHE 198, 62, BStBl II 2002, 455 = SIS 02 08 98). Die FG
sind dieser Rechtsprechung des BFH gefolgt (z.B. FG München,
Urteil vom 21.4.1998 2 K 3415/96, EFG 1998, 1102; FG Nürnberg,
Urteil vom 16.1.2002 III 12/98, DStR/E 2002, 713 = SIS 02 66 18; FG
des Saarlandes, Urteil vom 30.6.2005 1 K 259/01, FGReport 2005, 62
= SIS 05 35 79).
b) Gemäß § 150 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 sind Steuererklärungen „nach amtlich
vorgeschriebenem Vordruck“ abzugeben. Dies bedeutet, dass
die Erklärung insbesondere auch auf einem privat gedruckten
oder fotokopierten Vordruck abgegeben werden kann, wenn er dem
amtlichen Muster entspricht (vgl. BFH-Urteile vom 4.7.2002 V R
31/01, BFHE 198, 337, BStBl II 2003, 45 = SIS 02 85 78; vom
21.10.1999 V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214 = SIS 00 04 03; vom 15.10.1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286,
290 = SIS 99 02 33, und vom 13.4.1972 V R 16/69, BFHE 105, 416,
BStBl II 1972, 725 = SIS 72 04 22; BFH-Beschluss vom 26.3.1999 X B
196/98, BFH/NV 1999, 1309 = SIS 99 51 09; FG Nürnberg, Urteil
vom 31.1.1990 V 67/89, EFG 1990, 339; FG Köln, Urteil vom
30.4.1998 2 K 7853/96, EFG 1998, 1442; Tipke in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 150 AO Tz. 2;
Stöcker in Beermann/Gosch, AO § 150 Rz. 6;
Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung § 150 Rz. 5;
Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl., § 150 Rz. 2). Hierdurch wird
sichergestellt, dass der Antrag alle Angaben enthält, die die
Finanzverwaltung im Regelfall als entscheidungserheblich ansieht.
Die Finanzverwaltung verlangt bei der Verwendung nichtamtlicher
Vordrucke ferner, dass sie beidseitig bedruckt sind. Soweit die
Seiten des vierseitigen Hauptvordrucks der Steuererklärung auf
zwei getrennten Blättern gedruckt werden, fordert die
Finanzverwaltung, dass sie dem amtlichen Vordruck entsprechend
miteinander zu verbinden sind (Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 14.11.1996 IV A 6 - O 2250 - 112/96, IV A 4 - S 0082 -
9/96, BStBl I 1996, 1411 = SIS 97 02 45, und vom 27.12.1999 IV A 6
- O 2250 - 120/99, IV A 4 - S 0082 - 17/99, BStBl I 1999, 1049 =
SIS 00 02 71).
c) Im Streitfall ist die
Einkommensteuererklärung des Klägers wirksam. Sie ist
„nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck“
abgegeben worden. Der vom Kläger verwendete Ausdruck der Seite
1 des Mantelbogens und die Kopien stimmen mit den amtlichen
Vordrucken inhaltlich überein. Die Auswertung der angegebenen
Daten und die Eingabe in die in der Steuerverwaltung
eingeführte elektronische Datenverarbeitung kann damit ohne
zeit- und personalaufwändige Abänderungen
durchgeführt werden. Dass der vom Kläger eingereichte
Ausdruck und die Kopien - anders als die amtlichen Vordrucke - nur
einseitig bedruckt sind, hält der Senat für
unschädlich. Ebenso wenig ist die Steuererklärung
unwirksam, weil der Kläger für die Anlage N und die
Anlage Kinder Kopien der amtlichen Vordrucke eines Bundeslandes
verwendet hat, zu dessen Verwaltung das beklagte FA nicht
gehört.
3. Das FG hat dem Kläger auch zu Recht
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110
AO 1977 gewährt. Die Frage, ob der Kläger die
Versäumung der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2
EStG verschuldet hat, betrifft in erster Linie die
tatsächliche Würdigung des FG. Die Würdigung des FG,
der Kläger sei an der Einhaltung der Frist ohne Verschulden
gehindert gewesen, ist im Streitfall möglich. Sie
verstößt nicht gegen Denkgesetze oder
Erfahrungssätze. Der Senat ist daran nach § 118 Abs. 2
FGO gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und
begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat. Bei dieser
Sachlage kommt es auf die Frage, ob die Antragsfrist des § 46
Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG mit dem Grundgesetz überhaupt
vereinbar ist, nicht an.
4. Ebenfalls kann im Streitfall dahinstehen,
ob der Kläger schon von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1
EStG zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Das Vorliegen etwaiger
ausländischer Einkünfte des Klägers ist im Rahmen
des Veranlagungsverfahrens zu prüfen. Sollte sich dabei
ergeben, dass eine Veranlagung unabhängig vom Antrag des
Klägers bereits nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG
durchzuführen ist, wird das FA auch § 46 Abs. 3 bzw. Abs.
5 EStG zu beachten haben.