Gebietsfremde Anteilseigner, Ausschüttungen aus EK 02, EU-Recht: Dem EuGH werden zur Vorabentscheidung folgende Rechtsfragen vorgelegt: - 1. Stellt es einen Abzug von der Quelle i.S. von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 435/90/EWG des Rates vom 23.7.1990 (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt ABlEG Nr. L 266, 20) über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter/Tochter-Richtlinie, nunmehr Art. 5 i.d.F. der Richtlinie 2003/123/EG vom 22.12.2003, ABlEG 2004 Nr. L 7, 41) dar, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass bei der Ausschüttung von Gewinnen durch eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft Einkünfte und Vermögensmehrungen der Kapitalgesellschaft besteuert werden, die nach nationalem Recht nicht besteuert würden, wenn sie bei der Tochtergesellschaft verblieben und nicht an die Muttergesellschaft ausgeschüttet würden. - 2. Falls die erste Frage verneint wird: Ist es mit Art. 73 b und 73 d EGV (bzw. Art. 56 und 58 EG) sowie Art. 52 EGV (bzw. Art. 43 EG) vereinbar, wenn eine nationale Regelung die abweichende Verrechnung der Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft mit Eigenkapitalanteilen dieser Gesellschaft mit der Folge einer dadurch ausgelösten steuerlichen Belastung auch in Fällen vorsieht, in denen die Kapitalgesellschaft nachweist, dass sie an gebietsfremde Anteilseigner Dividenden ausgeschüttet hat, obwohl ein solcher Anteilseigner nach nationalem Recht anders als ein gebietsansässiger Anteilseigner nicht berechtigt ist, die festgesetzte Körperschaftsteuer auf seine eigene Steuer anzurechnen? - Urt.; BFH 22.2.2006, I R 56/05; SIS 06 27 10
I. Sachverhalt und Streitstand
Anteilseigner der Klägerin und
Revisionsbeklagten (Klägerin), einer GmbH, waren in den
Streitjahren 1996 und 1997 zu gleichen Teilen eine
niederländische sowie eine deutsche Kapitalgesellschaft, die
in den Niederlanden ansässige BV und die in der Bundesrepublik
ansässige Holding GmbH (Holding).
Nach Durchführung einer
Außenprüfung setzte der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die zum 31.12.1997
gegen die Klägerin festgestellten Teilbeträge des
verwendbaren Eigenkapitals (vEK), die ungemildert der
Körperschaftsteuer unterlegen haben, das sog. EK 45, von
6.049.925 DM auf 4.915.490 DM herab. Die Feststellungen, die dieser
Minderung zugrunde liegen, sind zwischen den Beteiligten
unstreitig.
Da das ursprüngliche EK 45 in voller
Höhe für Gewinnausschüttungen der Streitjahre
verwendet worden war, verrechnete das FA gemäß § 28
Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1996 die nach
Herabsetzung nicht mehr durch tariflich belastetes vEK gedeckten
Ausschüttungen mit Eigenkapital i.S. des § 30 Abs. 2 Nr.
2 KStG 1996 (EK 02), wodurch sich für beide Streitjahre
Erhöhungen der Körperschaftsteuer ergaben. Gegen die
geänderten Körperschaftsteuerbescheide und die Bescheide
über die Feststellungen nach § 47 Abs. 2 KStG 1996 erhob
die Klägerin Klage, mit der sie sich insoweit gegen die
Anwendung des § 28 Abs. 4 KStG 1996 wandte, als die
Gewinnausschüttungen an die BV mit dem EK 02 verrechnet worden
waren. Die Verrechnung entspreche nicht dem Sinn und Zweck der
Vorschrift.
Mit Urteil vom 29.4.2005 III 371/02 gab das
Finanzgericht (FG) Hamburg der Klage statt. Sein Urteil ist in EFG
2005, 1470 = SIS 05 35 25 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA eine
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
Dem EuGH sind die im Leitsatz formulierten
Rechtsfragen vorzulegen.
Gemäß Art. 234 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1
Buchst. a des Vertrags über die Gründung der
Europäischen Gemeinschaften (hier nach der Zählung des
Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über
die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaften - EG -, sowie einiger damit
zusammenhängender Rechtsakte, Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften - ABlEG - 1997 Nr. C-340/1) ist der Senat zur
Vorlage verpflichtet. Die Rechtsfragen sind für das
Revisionsverfahren entscheidungserheblich und betreffen die
Auslegung von Europarecht. Diese ist dem EuGH vorbehalten, wenn die
zutreffende Auslegung des o.g. Vertrages nicht derart offenkundig
ist, dass für einen vernünftigen Zweifel an der richtigen
Anwendung des Gemeinschaftsrechts keinerlei Raum bleibt (s.
EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81
„C.I.L.F.I.T.“, EuGHE 1982, 3415). Letzteres ist
nicht der Fall.
A. Rechtslage nach deutschem Steuerrecht
1. a) Nach dem bis einschließlich 1999
geltenden Körperschaftsteuerrecht ist das Eigenkapital einer
Kapitalgesellschaft zum Schluss jedes Wirtschaftsjahres in das
für Ausschüttungen verwendbare Eigenkapital (vEK) und das
übrige Eigenkapital aufzuteilen. Das vEK ist der Teil des
Eigenkapitals, der das Nennkapital übersteigt (§ 29 Abs.
2 Satz 2 KStG 1996). Es wird gegliedert in Einkommensteile, die der
Körperschaftsteuer unterlegen, und Vermögensmehrungen,
die der Körperschaftsteuer nicht unterlegen haben (§ 30
Abs. 1 KStG 1996). Der Teilbetrag, der der Körperschaftsteuer
nicht unterlegen hat, wird wiederum gemäß § 30 Abs.
2 KStG 1996 unterteilt in Eigenkapitalanteile, die aus
ausländischen Einkünften entstanden sind (EK 01),
sonstige Vermögensmehrungen, die der Körperschaftsteuer
nicht unterlegen haben (EK 02), Eigenkapital, das vor dem 1.1.1977
entstanden ist (EK 03) sowie Einlagen (EK 04).
b) Das zu versteuernde Einkommen, das eine
Kapitalgesellschaft erzielt, unterliegt regelmäßig einem
Steuersatz von 45 v.H. (§ 23 Abs. 1 KStG 1996). Schüttet
die Kapitalgesellschaft Gewinne aus, reduziert sich die
Körperschaftsteuer auf 30 v.H. (§ 27 Abs. 1 KStG 1996).
Auch Ausschüttungen von unbelastetem vEK werden
grundsätzlich mit einem Steuersatz von 30 v.H. belegt. Die
Körperschaftsteuer erhöht oder mindert sich entsprechend
um den Unterschiedsbetrag zwischen der bei der Kapitalgesellschaft
eingetretenen Belastung des Eigenkapitals (Tarifbelastung), das
nach § 28 KStG 1996 als für die Ausschüttung
verwendet gilt, und der Belastung, die sich hierfür bei
Anwendung eines Steuersatzes von 30 v.H. des Gewinns vor Abzug der
Körperschaftsteuer ergibt (Ausschüttungsbelastung, §
27 Abs. 1 KStG 1996). Die hiernach im Ausschüttungsfall bei
der Kapitalgesellschaft erhobene Körperschaftsteuer in
Höhe von 30 v.H. des Ausschüttungsbetrags wird unter
bestimmten weiteren Voraussetzungen auf die vom
Ausschüttungsempfänger zu zahlende Steuer angerechnet.
Der Anrechnung liegt eine Steuerbescheinigung zu Grunde, die von
der Kapitalgesellschaft ausgestellt wird und in der die auf den
Ausschüttungsbetrag entfallende (anrechenbare)
Körperschaftsteuer ausgewiesen wird (§ 44 Abs. 1 KStG
1996).
Die vorstehend beschriebene Regelung gilt
allerdings nach § 40 Satz 1 Nr. 1 und 2 KStG 1996 (u.a.) nicht
für Gewinnausschüttungen von steuerfreien
ausländischen Einkünften (EK 01) und Einlagen (EK 04).
Diese Ausschüttungen beziehen sich auf
Vermögensmehrungen, die bei der ausschüttenden
Kapitalgesellschaft nicht zur Entstehung einer Ertragsteuer
geführt haben, und fließen auch den Anteilseignern
unabhängig davon, ob sie gebietsansässig oder
gebietsfremd sind, unbelastet zu. Bei Ausschüttungen von
sonstigen steuerfreien Vermögensmehrungen (EK 02) und solchen
aus dem EK 03 bleibt es hingegen bei der
Ausschüttungsbelastung von 30 v.H. Da die
Körperschaftsteuer bei Ausschüttungen aus dem EK 03
nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern auf Antrag unter
bestimmten Voraussetzungen vergütet wird (§ 52 KStG
1996), wird die Steuerbefreiung der Vermögensmehrungen bei der
Kapitalgesellschaft auf der Ebene der Anteilseigner letztlich nur
bei Ausschüttungen aus dem EK 02 rückgängig
gemacht.
Während unbeschränkt
steuerpflichtigen Anteilseignern die Körperschaftsteuer jedoch
- wie bei allen anderen Ausschüttungen auch - auf die
Einkommen- oder Körperschaftsteuer wieder angerechnet wird
(§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 36 Abs. 2 Nr. 3 des
Einkommensteuergesetzes - EStG - 1990, § 49 Abs. 1 KStG 1996),
gilt dies nicht für Ausschüttungen aus dem EK 02 bei
Anteilseignern, die nicht zur Anrechnung berechtigt sind.
Hierdurch kommt es in diesen Fällen zu
einer definitiven Körperschaftsteuerbelastung von zuvor bei
der Kapitalgesellschaft steuerfreien Vermögensmehrungen.
Nichtanrechnungsberechtigt sind gemäß § 51 KStG
1996 Anteilseigner, bei denen die Einnahmen i.S. des § 20 Abs.
1 Nr. 1 bis 3 EStG 1990 nicht steuerpflichtig oder nach § 50
Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KStG 1996 bei der Veranlagung nicht erfasst
werden, in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle also
Gebietsfremde.
c) In welcher Reihenfolge das Eigenkapital
für Ausschüttungen als verwendet gilt, unterliegt nicht
dem Belieben der Kapitalgesellschaft, sondern ist in § 28 Abs.
3 i.V.m. § 30 KStG 1996 vorgeschrieben: Zuerst gilt das mit
Körperschaftsteuer belastete, danach das unbelastete vEK als
für die Ausschüttung verwendet. Innerhalb des
unbelasteten vEK gilt zunächst das EK 01, sodann EK 02, EK 03
und schließlich EK 04 als verwendet.
Eine Ausnahme von dieser
regelmäßigen Verwendungsreihenfolge schreibt § 28
Abs. 4 KStG 1996 für die Fälle vor, in denen
zunächst Teilbeträge des vEK i.S. von § 30 Abs. 1
Satz 3 Nr. 1 oder 2 KStG 1996, also Teilbeträge, die der
Körperschaftsteuer unterlegen haben, als verwendet galten,
später aber für die Verrechnung der
Gewinnausschüttung nicht mehr ausreichten. In dieser Situation
ist die Ausschüttung insoweit, als sie nicht durch die
belasteten vEK-Beträge abgedeckt wird, mit dem EK 02 zu
verrechnen.
§ 28 Abs. 4 KStG 1996 dient dem Ziel,
Systembrüche im Zusammenhang mit der Weiterausschüttung
ausländischer Einkünfte zu verhindern. Solche hätten
sich ergeben, wenn eine unbeschränkt steuerpflichtige
Körperschaft steuerfreie ausländische Einkünfte
erzielt, die in das EK 01 eingehen, deren Ausschüttung aber
nicht zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung führt
(§ 40 Satz 1 Nr. 1 KStG 1996). In Fällen dieser Art
hätte es bei Einhaltung der Verwendungsreihenfolge des §
28 Abs. 3 KStG 1996 dazu kommen können, dass zunächst mit
belastetem vEK verrechnete Ausschüttungen später mit EK
01 verrechnet worden wären, ohne dass die den Gesellschaftern
als Voraussetzung für die Steueranrechnung erteilten
Steuerbescheinigungen (§ 44 KStG 1996) hätten
rückgängig gemacht und zurückgefordert werden
können. Die Folge wäre gewesen, dass den Gesellschaftern
eine Körperschaftsteuer angerechnet worden wäre, die die
Gesellschaft letztlich nicht gezahlt hat (BTDrucks 12/4487, S. 40;
Senatsurteil vom 25.4.2001 I R 43/00, BFH/NV 2001, 1607 = SIS 01 81 90, m.w.N.). Dies verhindert § 28 Abs. 4 KStG 1996, indem er
eine Verrechnung mit EK 02 anordnet, dessen Ausschüttung bei
der Gesellschaft zur Herstellung der Ausschüttungsbelastung
führt.
2. Die Gefahr einer Anrechnung nicht gezahlter
Körperschaftsteuer, der § 28 Abs. 4 KStG 1996 begegnen
soll, besteht für den Regelfall nur im Verhältnis zu in
Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern.
Denn für nur beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner
schließt § 50 Abs. 5 Satz 2 EStG 1990 die Anrechnung von
Körperschaftsteuer generell aus, sofern nicht die
Ausschüttungen Betriebseinnahmen des Anteilseigners aus einem
von diesem unterhaltenen inländischen Betrieb sind (§ 50
Abs. 5 Satz 3 EStG 1990). Dementsprechend kann im Streitfall, in
dem die letztgenannte Voraussetzung unstreitig nicht erfüllt
ist, die BV im Zusammenhang mit der Ausschüttung der
Klägerin unabhängig von der Ausstellung einer
Steuerbescheinigung keine Körperschaftsteuer anrechnen. Dies
führt indessen nicht dazu, dass § 28 Abs. 4 KStG 1996 im
Streitfall nicht anwendbar wäre.
Denn der Wortlaut des § 28 Abs. 4 KStG
1996 ist eindeutig und belässt keine
Auslegungsmöglichkeiten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift
kann nicht ihrem Zweck entsprechend auf anrechnungsberechtigte
Anteilseigner eingeschränkt werden. Auch für die Annahme
einer Regelungslücke ist kein Raum; dem Gesetzgeber kann nicht
unterstellt werden, er habe übersehen, dass die Vorschrift bei
nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern zu zweckwidrigen
Ergebnissen führt. Er hat die insoweit
überschießende Rechtsfolge vielmehr ersichtlich in Kauf
genommen. § 28 Abs. 4 KStG 1996 ist daher auch bei
nichtanrechnungsberechtigten Anteilseignern anzuwenden.
B. Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht
Der Revision wäre deswegen zu
entsprechen. Das erstinstanzliche Urteil müsste aufgehoben und
die Klage abgewiesen werden. Anders verhielte es sich nur, wenn die
Herstellung der Ausschüttungsbelastung von Ausschüttungen
aus dem EK 02 gegen Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 435/90/EWG (EWGRL
435/90) des Rates vom 23.7.1990 (ABlEG Nr. L 225, 6, berichtigt
ABlEG Nr. L 266, 20) über das gemeinsame Steuersystem der
Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (im
Folgenden als Mutter/Tochter-Richtlinie - MTR - bezeichnet),
nunmehr Art. 5 i.d.F. der Richtlinie 2003/123/EG vom 22.12.2003
(ABlEG 2004 Nr. L 7, 41) verstößt oder § 28 Abs. 4
KStG 1996 mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 73b und 73d mit
Art. 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen
Gemeinschaft - EGV -, jetzt Art. 56, 58 und 48 EG oder mit der
Niederlassungsfreiheit (Art. 52 EGV, Art. 43 EG) insoweit
unvereinbar ist, als er eine abweichende Verwendungsreihenfolge bei
Ausschüttungen auch dann vorschreibt, wenn an gebietsfremde
Anteilseigner ausgeschüttet wird und die Kapitalgesellschaft
dies zweifelsfrei nachweist.
1. Die Richtlinie bezweckt, jede
Benachteiligung der Zusammenarbeit zwischen Gesellschaften
verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber der Zusammenarbeit
zwischen Gesellschaften desselben Mitgliedstaates zu beseitigen und
damit den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Gemeinschaftsebene
zu erleichtern. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sieht Art. 5
Abs. 1 MTR vor, dass im Staat der Tochtergesellschaft bei der
Gewinnausschüttung eine Befreiung vom Steuerabzug an der
Quelle gewährt wird.
Die Körperschaftsteuer, die durch die
Ausschüttung von EK 02 ausgelöst wird, ist zwar eine
Steuer der Kapitalgesellschaft. Die Besteuerung wird jedoch durch
die Zahlung der Dividende ausgelöst. Auch der Umfang der
Besteuerung richtet sich unmittelbar nach der Höhe der
vorgenommenen Ausschüttung. Ohne Gewinnausschüttung
bleibt die Steuerfreiheit der Teilbeträge des EK 02 hingegen
erhalten.
In seinem Urteil vom 4.10.2001 Rs. C-294/99
„Athinaiki Zythopoiia AE“ (EuGHE I 2001, 6797 =
SIS 01 13 11) hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Steuerabzug
von der Quelle i.S. von Art. 5 Abs. 1 MTR auch dann vorliegt, wenn
das nationale Recht vorschreibt, dass bei der Ausschüttung von
Gewinnen durch eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft
Einkünfte und Vermögensmehrungen der Tochtergesellschaft
besteuert werden, die nach nationalem Recht nicht besteuert
würden, wenn sie bei der Tochtergesellschaft verblieben.
In ähnlicher Weise werden auch bei der im
Streitfall zu beurteilenden Situation Vermögensmehrungen, die
bei der Kapitalgesellschaft selbst steuerfrei sind, im Ergebnis
erst und nur insoweit der Besteuerung unterworfen, als sie an
Anteilseigner ausgeschüttet werden. Diese Besteuerung wird nur
deswegen definitiv, weil der betreffende Anteilseigner als
Gebietsfremder nicht zur Anrechnung der Körperschaftsteuer
berechtigt ist. § 27 KStG 1996 könnte gegen Art. 5 Abs. 1
MTR verstoßen, da Ausschüttungen an gebietsfremde
Muttergesellschaften auch dann der Körperschaftsteuer
unterworfen werden, wenn das hierzu verwendete vEK aus steuerfreien
Vermögensmehrungen herrührt.
2. Verstößt § 27 KStG 1996
nicht gegen Art. 5 Abs. 1 MTR, erhebt sich die Frage, ob § 28
Abs. 4 KStG 1996 deshalb mit Art. 73b und 73d EGV bzw. Art. 56 und
58 EG (Freiheit des Kapitalverkehrs) oder mit Art. 52 EGV bzw. Art.
43 EG (Freiheit der Niederlassung) unvereinbar ist, weil er eine
Abweichung von der normalen Verwendungsreihenfolge von
Ausschüttungen auch in Fällen vorsieht, in denen die
Kapitalgesellschaft an gebietsfremde Anteilseigner Dividenden
ausschüttet und diese Voraussetzungen nachweist.
a) § 28 Abs. 4 KStG 1996 zielt allein
darauf ab, zu verhindern, dass Körperschaftsteuer bei den
Anteilseignern angerechnet wird, die die Kapitalgesellschaft nicht
entrichtet hat. Obwohl diese Gefahr nur bei anrechnungsberechtigten
Anteilseignern besteht, behandelt § 28 Abs. 4 KStG 1996
anrechnungsberechtigte und nichtanrechnungsberechtigte
Anteilseigner gleich. Dies führt bei Ausschüttungen an -
regelmäßig nicht anrechnungsberechtigte - gebietsfremde
Anteilseigner zu einer definitiven
Körperschaftsteuerbelastung, während
gebietsansässige Anteilseigner unter ansonsten gleichen
Voraussetzungen die Körperschaftsteuer anrechnen
können.
b) Dieser Nachteil kann sich beschränkend
auf die Beteiligung von gebietsfremden Muttergesellschaften an
gebietsansässigen Tochtergesellschaften auswirken, indem
gebietsfremde Unternehmen davon abgehalten werden, sich an
Unternehmen in Deutschland zu beteiligen. Art. 73b und 73d EGV bzw.
Art. 56 und 58 EG sowie Art. 52 EGV bzw. Art. 43 EG verlangen nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs aber nicht nur die Beseitigung
jeglicher, auch versteckter Diskriminierung des Gebietsfremden,
sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen des freien
Kapitalverkehrs und der freien Niederlassung, die darauf beruhen,
dass derjenige, der von diesen Rechten Gebrauch machen will, in
einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in
dem er sich beteiligen will. In diesem Zusammenhang verleihen Art.
73b und 73d EGV (bzw. Art. 56 und 58 EG) und Art. 52 EGV (bzw. Art.
43 EG) nicht nur der gebietsfremden Muttergesellschaft selbst,
sondern auch dem gebietsansässigen Tochterunternehmen
entsprechende Rechte, weil deren Möglichkeit, bei nicht in
Deutschland ansässigen Investoren Kapital aufzunehmen,
eingeschränkt wird (vgl. - bezogen auf die
Kapitalverkehrsfreiheit - z.B. EuGH-Urteil vom 19.1.2006 Rs.
C-265/04 „Bouanich“, IStR 2006, 169 = SIS 06 10 93 Tz. 34, und - bezogen auf die Niederlassungsfreiheit - z.B.
Scheuer in Lenz/Borchardt, EU- und EG-Vertrag, 3. Aufl., Art. 43
Rz. 7 ff., m.w.N., zur ständigen Rechtsprechung des EuGH). Die
Klägerin kann deswegen als Beteiligungsgesellschaft Rechte aus
diesen Bestimmungen geltend machen.
c) Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine
derartige Beschränkung zulässig sein, wenn mit ihr ein
berechtigtes, mit dem EG-Vertrag zu vereinbarendes Ziel verfolgt
wird und wenn sie durch zwingende Gründe des
Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem solchen Fall muss
allerdings ihre Anwendung zur Erreichung des damit verfolgten
Zieles geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was
hierzu erforderlich ist (ständige Rechtsprechung des EuGH,
vgl. z.B. Urteile vom 13.12.2005 Rs. C-446/03 „Marks &
Spencer plc“, DB 2005, 2788 = SIS 06 02 17; Rs. C-411/03
„SEVIC Systems AG“, Betriebs Berater - BB -
2006, 11 = SIS 06 06 84).
aa) Das mit § 28 Abs. 4 KStG 1996
verfolgte Ziel, zu verhindern, dass Anteilseignern
Körperschaftsteuer angerechnet wird, die die
ausschüttende Körperschaft nicht bezahlt hat, ist ein
berechtigtes Anliegen, das die Regelung nach Auffassung des Senats
grundsätzlich rechtfertigt. Zwar sind im Ausland
ansässige Gesellschafter nach der Regelungslage
nichtanrechnungsberechtigt. Jedoch rechtfertigen die
Schwierigkeiten, insbesondere bei Publikumsgesellschaften die
Anteilseigner zu ermitteln, die Ungleichbehandlung von
Ausschüttungen an gebietsansässige und an gebietsfremde
Anteilseigner. Es fällt in die Risikosphäre der
Kapitalgesellschaft, wenn sie Ausschüttungen vornimmt, obwohl
zweifelhaft ist, dass ausreichendes belastetes vEK vorhanden
ist.
bb) Es ist aber fraglich, ob die Regelung
nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um das
verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. EuGH-Urteil in DB 2005, 2788 =
SIS 06 02 17 Tz. 53). Jedenfalls in Fällen, in denen die
Kapitalgesellschaft zweifelsfrei nachweist, dass an einen
gebietsfremden Anteilseigner ausgeschüttet wurde, und daher
die Gefahr einer Steuererstattung nicht entrichteter
Körperschaftsteuer nicht gegeben ist, ist es
möglicherweise gemeinschaftsrechtlich geboten, diesen Umstand
bei der Besteuerung der ausschüttenden Gesellschaft zu
berücksichtigen. Es spricht viel dafür, dass § 28
Abs. 4 KStG 1996 gebietsfremde Anteilseigner insofern
willkürlich diskriminiert (vgl. Art. 73d Abs. 3 EGV, Art. 58
Abs. 3 EG).
d) Eine Verpflichtung, die besondere Situation
gebietsfremder Anteilseigner bei der Regelung des § 28 Abs. 4
KStG 1996 zu berücksichtigen, könnte sich auch aus den
Grundsätzen der Entscheidung des Gerichtshofs der European
Free Trade Association (EFTA) vom 23.11.2004 E-1/04 „Fokus
Bank“ (IStR 2005, 55) ergeben.
aa) Darin hat der EFTA-Gerichtshof
ausgeführt, es sei mit Art. 40 des Abkommens über den
Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.1992 (BGBl II 1993, 267),
der inhaltlich mit Art. 56 EG übereinstimmt, nicht vereinbar,
dass ansässige Anteilseigner ein Steuerguthaben auf
Dividendenzahlungen einer gebietsansässigen Gesellschaft
erhalten, gebietsfremde Anteilseigner dagegen nicht. Gebietsfremde
und Gebietsansässige befänden sich in einer
vergleichbaren Situation. Dividenden, die ansässige
Gesellschaften an gebietsfremde Anteilseigner zahlten, seien daher
nicht anders zu behandeln als Dividenden, die nicht ansässige
Gesellschaften an ansässige Anteilseigner zahlten (sog.
Inbound-Dividenden, siehe hierzu EuGH-Urteil vom 7.9.2004 Rs.
C-319/02 „Manninen“, EuGHE I 2004, 7477 = SIS 04 38 00).
Der Zweck des Anrechnungssystems sei es, die
wirtschaftliche Doppelbelastung zu vermeiden, die eintrete, wenn
Gewinne, die bereits auf der Ebene der Kapitalgesellschaften
besteuert worden seien, nachfolgend auf der Ebene der
Gesellschafter besteuert würden. Dieser Zweck könne nur
erreicht werden, wenn allen Anteilseignern der Vorteil des
Anrechnungsguthabens gewährt werde, unabhängig davon, wo
sie ansässig seien.
bb) Hieraus könnte zu folgern sein, dass
die wirtschaftliche Doppelbelastung, die bei Ausschüttungen
aus dem EK 02 entsteht, entweder dadurch beseitigt werden muss,
dass das nationale Recht nichtansässigen Anteilseignern die
Körperschaftsteuer vergütet, oder aber, wenn das Gesetz
diese Möglichkeit nicht vorsieht, dass Ausschüttungen von
zuvor steuerfreien Vermögensmehrungen der Kapitalgesellschaft
jedenfalls dann nicht besteuert werden, wenn die
Kapitalgesellschaft nachweist, dass sie an gebietsfremde
Anteilseigner ausgeschüttet hat und die Gefahr einer
Steueranrechnung nicht gegeben ist, weil diesen Personen keine
Steuerbescheinigung ausgestellt wird.
III. Aussetzung des Revisionsverfahrens
Das Revisionsverfahren wird in entsprechender
Anwendung der §§ 74, 121 der Finanzgerichtsordnung bis
zur Bekanntgabe der Entscheidung des EuGH über die vorgelegten
Rechtsfragen ausgesetzt.