Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 23.11.2023 - 2 K
349/21 = SIS 24 08 72 insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur
Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen zu 1. und zu
2. verurteilt worden ist.
Die Klage wird insoweit abgewiesen.
Die Revision des Klägers wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der
Kläger zu tragen.
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I. Die Beteiligten streiten um einen
Auskunftsanspruch des Klägers, Revisionsklägers und
Revisionsbeklagten (Kläger) auf der Grundlage des Gesetzes zur
Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land
Mecklenburg-Vorpommern (Informationsfreiheitsgesetz MV - IFG MV -
vom 10.07.2006, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land
Mecklenburg-Vorpommern 2006, 556).
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Der Kläger beantragte beim Beklagten,
Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzministerium des
betreffenden Bundeslandes als oberste Behörde bei den
Landesfinanzbehörden, § 2 Abs. 1 Nr. 1 des
Finanzverwaltungsgesetzes [FVG] - Beklagter - ) die Beantwortung
von Fragen hinsichtlich der Erstellung der steuerlichen
Richtsatzsammlung. Im Einzelnen handelte es sich um die folgenden Fragen:
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1. Wie viele Betriebe in
Mecklenburg-Vorpommern (MV) wurden in MV in den Jahren 2016 bis
2020 einer Außenprüfung unterzogen mit dem Ziel, die
Prüfungsdaten in die Richtsatzsammlung einfließen zu
lassen?
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2. Nach welchen Kriterien werden diese
Betriebe ausgewählt und gibt es dazu Vorgaben, zum Beispiel
nach Branche, Betriebsgröße und
Finanzamtszuständigkeit? Wer entscheidet letztlich, welche
Betriebsprüfung in die Richtsatzsammlung eingebracht
wird?
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3. Werden die Prüfungsergebnisse auch
dann in die Richtsatzsammlung eingepflegt, wenn die Ergebnisse ganz
oder zum Teil auf Schätzungen beruhen?
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4. Welche Prüfungsjahre sind jeweils
in die Richtsatzsammlung 2016 bis 2020 eingeflossen?
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Zudem bat der Kläger um die
Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre
2016 und 2019.
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Der Beklagte erteilte dem Kläger unter
anderem mit Schreiben vom 22.04.2021 und vom 05.08.2021
Auskünfte in Form allgemeiner Ausführungen zur
Entstehung, Bekanntgabe und Anwendung der Richtsatzsammlung. Unter
anderem wurde auch ausgeführt, dass Hinzuschätzungen
aufgrund von Nachkalkulationen und aufgrund betriebsinterner Daten
im Rahmen der Richtsatzermittlungen berücksichtigt werden.
Weitere Informationen seien gemäß § 21a Abs. 1 Satz
4 und 5 FVG vertraulich und nicht zur Weitergabe an Dritte
außerhalb der Finanzverwaltung bestimmt.
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Einer Aufhebung der Vertraulichkeit und
damit einer Offenlegung hatte die für die Richtsatzsammlung
zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe nicht
zugestimmt.
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Der Beklagte lehnte daher mit Bescheid vom
05.08.2021 die Erteilung weiterer Informationen ab. Ein dagegen
angestrengtes Widerspruchsverfahren blieb mit
Widerspruchsentscheidung vom 23.11.2021 ohne Erfolg.
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Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern
(FG) wies mit der in EFG 2024, 1449 veröffentlichten Entscheidung
vom 23.11.2023 - 2 K 349/21 = SIS 24 08 72 die dagegen erhobene
Klage teilweise als unzulässig und teilweise als
unbegründet ab. Im Übrigen gab es der Klage statt. Die
Klage sei unzulässig hinsichtlich der unter 4. aufgeworfenen
Frage, welche Prüfungsjahre jeweils in die Richtsatzsammlung
2016 bis 2020 eingeflossen seien. Denn insoweit habe der
Kläger sein Ziel bereits erreicht. Soweit der Kläger mit
seiner Frage unter 1. die Information begehre, wie viele Betriebe
in den Jahren 2016 bis 2020 einer Außenprüfung
unterzogen worden seien, mit dem Ziel, die Prüfungsdaten in
die Richtsatzsammlung einfließen zu lassen (sogenannte
Richtsatzprüfung), sei die Klage begründet. Dies gelte
auch für die unter 2. angesprochenen weiteren Fragen, nach
welchen Kriterien diese Betriebe ausgewählt werden, ob es
Vorgaben dazu gebe und wer entscheide, welche Betriebsprüfung
zur Grundlage gemacht werde. Die begehrten Informationen
unterfielen nicht dem Anwendungsbereich des § 21a Abs. 1 Satz
4 und 5 FVG. Durch diese Regelungen werde ein Informationsanspruch
nach dem Informationsfreiheitsgesetz MV nicht ausgeschlossen. Die
Klage sei aber unbegründet, soweit der Kläger die
Information begehre, ob die Prüfungsergebnisse auch dann in
die Richtsatzsammlung eingepflegt würden, wenn die Ergebnisse
ganz oder teilweise auf Schätzungen beruhten. Auch eine
Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre
2016 und 2019 scheide aus.
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Gegen das Urteil des FG haben sowohl der
Kläger als auch der Beklagte Revision eingelegt.
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Mit seiner Revision hält der
Kläger daran fest, dass ihm auch die Frage unter 3., ob die
Prüfungsergebnisse in Schätzungsfällen in die
Richtsatzsammlung eingepflegt würden, zu beantworten sei.
Zudem sei ihm entgegen der Entscheidung des FG die
Prüfungsauswertung für die Jahre 2016 und 2019 zu
überlassen. Des Weiteren bringt der Kläger vor, die
Ermittlung der Daten für die Richtsatzsammlung sei nicht
ausreichend. Die Daten seien nicht repräsentativ. Wie die
Richtsatzsammlung zustande komme, sei nicht bekannt. Das
Informationsfreiheitsgesetz MV gewährleiste jedoch einen
möglichst umfassenden und voraussetzungslosen
Informationszugang. Entziehe man die mit der Richtsatzsammlung
gewonnenen Daten einer gerichtlichen Kontrolle, werde gegen Art. 19
Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verstoßen. Es gehe zudem nicht
um personenbezogene, sondern um allgemeine, von der
Finanzverwaltung verarbeitete Daten. Sollten sich Hinweise auf
Datenherkunft, Namen oder Steuernummern ergeben, könnten diese
geschwärzt werden.
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Der Kläger beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG vom 23.11.2023 - 2 K
349/21 und den Widerspruchsbescheid vom 23.11.2021 aufzuheben,
soweit die Beantwortung der unter 3. aufgeworfenen Frage und die
Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre
2016 und 2019 abgelehnt worden war sowie die Revision des Beklagten
zurückzuweisen.
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Der Beklagte beantragt
sinngemäß,
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das Urteil des FG vom 23.11.2023 - 2 K
349/21 hinsichtlich der Verpflichtung zur Beantwortung der unter 1.
und 2. gestellten Fragen aufzuheben und die Klage insgesamt
abzuweisen sowie die Revision des Klägers
zurückzuweisen.
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Der Beklagte hält daran fest, dass
kein Anspruch auf den geltend gemachten Zugang zu Informationen zur
Erstellung der Richtsatzsammlung bestehe. Er weist darauf hin, dass
er die unter 2. gestellten Fragen bereits teilweise beantwortet
habe. Zudem habe der Kläger die Verletzung von Bundesrecht
nicht geltend gemacht. Das FG habe die Anwendbarkeit und die
Voraussetzung der Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflicht nach
§ 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG verkannt. Die Regelung gehe der
landesrechtlichen Regelung nach dem Informationsfreiheitsgesetz MV
vor. Das FG habe die Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes
MV nicht zutreffend angewandt. Das FG habe bei der Anwendung des
§ 32e der Abgabenordnung (AO) Bundesrecht verletzt. Die
Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes MV würden durch
§ 32e AO bereichsspezifisch verdrängt. Es handele sich
bei § 32e AO um eine Rechtsgrundverweisung und nicht - wie das
FG annehme - um eine Rechtsfolgenverweisung. Der Kläger sei
jedoch kein Betroffener im datenschutzrechtlichen Sinn. Ihm stehe
kein Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Datenschutz-Grundverordnung
(DSGVO) zu, so dass er nach § 32e Satz 2 AO auch keinen
darüber hinausgehenden Informationsanspruch aus dem
Informationsfreiheitsgesetz MV herleiten könne. Das FG
betrachte schließlich die Ablehnungsgründe der
§§ 32a bis 32d AO rechtsfehlerhaft als nicht
einschlägig. Denn durch § 32e AO werden die in den
§§ 32a bis 32d AO vorgesehenen Beschränkungen des
Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO sowohl für die betroffene
Person als auch für Dritte mittels Rechtsfolgenverweisung auf
Auskunftsansprüche erstreckt, die sich aus den
Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes oder der Länder
ergeben.
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II. Die Revision des Beklagten ist
begründet. Das Urteil des FG ist daher im Umfang der
Klagestattgabe aufzuheben (dazu unter 1.). Die Revision des
Klägers ist unbegründet (dazu unter 2.). Die Klage ist in
vollem Umfang abzuweisen (dazu unter 3.).
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1. Die Revision des Beklagten ist
begründet. Das FG hat Bundesrecht verletzt, indem es den
Beklagten verpflichtet hat, die zu 1. und 2. vom Kläger
gestellten Fragen zu beantworten. Denn insoweit steht § 21a
Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG einem Auskunftsanspruch des Klägers
nach § 32e AO i.V.m. dem Informationsfreiheitsgesetz MV
entgegen.
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a) Die Revision kann dabei nur auf die
Verletzung von Bundesrecht gestützt werden (§ 118 Abs. 1
Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). An die Feststellung und
Auslegung von Landesrecht durch das FG ist der Bundesfinanzhof
(BFH) gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Bei der Auslegung von
Landesrecht durch das FG hat das Revisionsgericht lediglich zu
überprüfen, ob diese Auslegung mit (höherrangigem)
Bundesrecht übereinstimmt und ob die Auslegung durch das FG
bundesrechtlichen Auslegungsregeln entspricht, also insbesondere
nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verstößt (vgl. BFH-Beschluss vom 18.03.2003 - I B 97/02,
BFH/NV 2003, 1190 = SIS 03 37 24, m.w.N.; BFH-Urteile vom
10.07.2002 - X R 89/98, BFHE 199, 441, BStBl II 2003, 72 = SIS 03 01 36, unter II.3.b; vom 25.01.2005 - I R 63/03, BFHE 209, 195,
BStBl II 2005, 501 = SIS 05 18 96, unter II.3. und 4. und vom
12.10.2022 - II R 7/20, BFHE 277, 489, BStBl II 2023, 402 = SIS 23 01 63, Rz 26).
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b) § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG
schließt ein Auskunftsrecht nach dem
Informationsfreiheitsgesetz MV aus.
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aa) Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG
können zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzugs von
Steuergesetzen und im Interesse des Zieles der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung vom Bundesministerium
der Finanzen (BMF) mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden
der Länder unter anderem einheitliche
Verwaltungsgrundsätze bestimmt werden. Damit soll der
bundeseinheitliche Verwaltungsvollzug bei im Auftrag des Bundes
verwalteten Steuern und bei anderen bundesgesetzlich geregelten
Steuern im Landeseigenvollzug geregelt werden (vgl. BT-Drucks.
16/814, S. 19; BT-Drucks. 19/13436, S. 183; vgl. auch Heller/Kniel,
NVwZ 2019, 935, 937; Nonnenmacher, DStR 2023, 1984, 1985). Nach
§ 21a Abs. 1 Satz 4 FVG ist die Vertraulichkeit
zugehöriger Sitzungen zu wahren, wenn nicht im Einzelfall
einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Entsprechendes gilt
nach § 21a Abs. 1 Satz 5 FVG für Beratungen im
schriftlichen Verfahren.
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Das Informationsfreiheitsgesetz MV wird nur
durch bundesrechtliche Normen verdrängt, die einen mit ihm
identischen sachlichen Regelungsgegenstand aufweisen (vgl. Urteil
des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 03.11.2011 - 7 C 4.11,
Rz 9). Bei § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG handelt es sich um
eine spezialgesetzliche Regelung, die nach ihrem Wortlaut eine
Vertraulichkeitspflicht anordnet und insbesondere einen Anspruch
auf Einsicht in die Dokumente nach den
Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder
ausschließen soll (vgl. Schmieszek in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 21a FVG Rz 6 und
10a; Krumm in Tipke/Kruse, § 21a FVG Rz 4b; Nonnenmacher, DStR
2023, 1984, 1986; offengelassen in Gutachten
„Informationsfreiheitsgesetz: Sitzungen der
Finanzverwaltung“ des wissenschaftlichen
Dienstes des Bundestags vom 18.12.2019 - WD 3 - 3000 - 281/19, S. 5
f.).
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Der Ausschluss landesrechtlicher
Ansprüche auf Informationszugang folgt aus dem Sinn und Zweck
der Regelung des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG. Die Sitzungen
der für die Ermittlung der Richtsätze zuständigen
Gremien erfordern den freien, vertrauensvollen Austausch aller
Beteiligten. Die Sitzungen sind daher ebenso wie vorbereitende und
nachbereitende Sitzungsunterlagen (zum Beispiel Protokolle,
Konzepte) grundsätzlich vertraulich und die Unterlagen sind
nicht zur Weitergabe an Empfänger außerhalb der
(Finanz-)Verwaltung bestimmt. Dies dient dazu, dass in den
vertraulichen Beratungen in einer Atmosphäre der Offenheit und
ohne Zwang zur Berücksichtigung von außen eingebrachter
Interessen oder Rechtfertigungsforderungen ein allein an der Sache
orientierter Austausch von Argumenten sowie eine unbeeinflusste
Abstimmung erfolgen können (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 183
f.).
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Dies deckt sich mit der Vorschrift des §
6 Abs. 3 IFG MV, wonach Protokolle vertraulicher Beratungen nicht
zugänglich sind. Geschützt werden soll der Prozess der
Entscheidungsfindung, nicht aber der Beratungsgegenstand oder das
Beratungsergebnis selbst. Die offene Meinungsbildung sowie die
effektive und neutrale Entscheidungsfindung sollen nicht
gefährdet werden (vgl. die im Zeitpunkt der Entscheidung
über www.datenschutz-mv.de abrufbaren Erläuterungen des
Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit
Mecklenburg-Vorpommern zum Informationsfreiheitsgesetz MV, S. 59
von 120 als PDF-Datei „Gesetz zur Regelung des Zugangs zu
Informationen für das Land Mecklenburg-Vorpommern
(Informationsfreiheitsgesetz - IFG M-V) mit
Erläuterungen“). Dies wäre nicht der
Fall, wenn die Unterlagen der für die Ermittlung der
Richtsätze zuständigen Gremien einem Auskunftsrecht nach
dem Informationsfreiheitsgesetz MV unterliegen.
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bb) Bei der vom BMF veröffentlichten
Richtsatzsammlung handelt es sich um Verwaltungsgrundsätze,
die der Verbesserung und Erleichterung des Steuervollzugs dienen
und auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung
sicherstellen. Die Richtsatzsammlung, die das BMF jährlich in
Form eines BMF-Schreibens im Einvernehmen mit den
Finanzbehörden der Länder herausgibt und im
Bundessteuerblatt veröffentlicht, enthält statistische
Kennzahlen zum Rohgewinnaufschlagsatz, zum Rohgewinn I und II, zum
Halbreingewinn und zum Reingewinn hinsichtlich verschiedener
Branchen (Gewerbeklassen) (vgl. Klein, DStR 2024, 1335 f.;
BT-Drucks. 19/4238, S. 1). Sie ist ein Hilfsmittel zur Verprobung
und Schätzung der Umsätze und Gewinne von
Steuerpflichtigen und hat bundesweite Geltung. Die
Richtsatzsammlung fällt daher unter den Begriff der
„einheitlichen
Verwaltungsgrundsätze“ im Sinne des
§ 21a Abs. 1 Satz 1 FVG (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG,
Art. 108 Rz 1; a.A. wohl Bilsdorfer/Heintz/Sutor, Steuer und
Studium 2011, 497, 498).
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Die Richtsatzsammlung wird von einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf der Grundlage von § 21a
Abs. 1 Satz 1 FVG erarbeitet. Für die Ermittlung der amtlichen
Richtsatzsammlung gilt daher die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz
4 und 5 FVG. Diese schließt als speziellere
(bundesrechtliche) Norm (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 IFG MV) die
vom Kläger geltend gemachten Auskunftsansprüche nach dem
Informationsfreiheitsgesetz MV aus, sofern nicht im Einzelfall
einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Dies gilt für alle
vorbereitenden Unterlagen, Ergebnisse und nachbereitenden
Unterlagen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erstellung von
Richtsatzsammlungen und damit auch für die Zulieferungen, die
der Beklagte mittels seiner nachgeordneten Finanzbehörden
für das Land MV erbringt. Nach den Feststellungen des FG ist
auch kein einstimmiger Beschluss zur Offenlegung der Daten und
Unterlagen für die Erstellung der Richtsatzsammlung gefasst
worden.
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c) Der Bundesgesetzgeber ist dazu
ermächtigt, mittels der Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4
und 5 FVG Auskunftsansprüche nicht nur nach dem
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes, sondern auch nach den
Informationsfreiheitsgesetzen der Bundesländer
auszuschließen.
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aa) Verfassungsrechtliche Grundlage für
§ 21a FVG ist die Regelung des Art. 108 Abs. 4 Satz 1
Alternative 1 GG (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 72; Krumm in
Tipke/Kruse, Kommentierung des FVG, Einführung, Rz 2b und 4;
Schmieszek in HHSp, Gesetz über die Finanzverwaltung, Rz 27;
BeckOK GG/Kube, 61. Ed. 15.03.2025, GG Art. 108 Rz 4.1). Danach
kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
bei der Verwaltung von Steuern unter anderem ein Zusammenwirken von
Bundes- und Landesfinanzbehörden vorgesehen werden, wenn und
soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert
oder erleichtert wird.
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Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG betrifft als
verfassungsrechtliche Kompetenzregelung die Ermächtigung
für den Bund, Regelungen zur Verbesserung oder Erleichterung
des Vollzugs der Steuergesetze zu erlassen. Die Regelung erlaubt
als Ausprägung des kooperativen Föderalismus ein
Zusammenwirken von Bund und Ländern (vgl. u.a. F. Kirchhof in
Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 108 Rz 65;
Schwarz in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 108 Rz 44;
Seer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz,
Art. 108 Rz 130; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 2
Rz 2.78; Krumm in Tipke/Kruse, Kommentierung des FVG,
Einführung, Rz 2). Art. 108 GG ermächtigt nur zur
Regelung des auf die Steuerverwaltung bezogenen Organisations- und
Verfahrensrechts (vgl. Schmieszek in HHSp, Gesetz über die
Finanzverwaltung, Rz 12). Eine Ermächtigung,
Informationsansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen
von Bund und Ländern auszuschließen, ist in Art. 108
Abs. 4 Satz 1 GG unmittelbar nicht geregelt (vgl. Krumm in
Tipke/Kruse, § 21a FVG Rz 4d). Denn bei den Vorschriften zu
den Informationszugangsansprüchen nach Landesrecht handelt es
sich nicht um Regelungen zum Vollzug der Steuergesetze.
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26
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Die Ermächtigung, zur erheblichen
Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze
Informationsansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen
der Bundesländer auszuschließen, ist jedoch als
Annexkompetenz in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG
enthalten. Eine Annexkompetenz liegt vor, wenn eine dem Bund
ausdrücklich zugewiesene Materie die Inanspruchnahme
vorbereitender, unterstützender oder flankierender Aufgaben
und Befugnisse erfordert und beide Sachgebiete damit nicht anders
als im Zusammenhang geregelt werden können (vgl.
Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 29.04.1958 - 2
BvO 3/56, BVerfGE 8, 143, unter B.III.1.a; Urteil vom 18.07.1967 -
2 BvF 3/62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62, 2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF
8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2 BvR 334/62, 2 BvR 335/62,
BVerfGE 22, 180, unter C.II.1.; Beschlüsse vom 24.10.2002 - 2
BvF 1/01, BVerfGE 106, 62, unter C.I.1.a dd (1) f [Rz 207] und vom
03.07.2012 - 2 PBvU 1/11, BVerfGE 132, 1, Rz 17; F. Kirchhof in
Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 108 Rz 65; Uhle
in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 71; Heintzen
in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 70
Rz 178; BeckOK GG/Seiler, 61. Ed. 15.03.2025, GG Art. 70 Rz 23;
Degenhart in Sachs, Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 70 Rz 36). Die
Annexkompetenz zeichnet sich durch einen dienenden Charakter aus.
Voraussetzung für ihre Inanspruchnahme ist, dass der Bund von
einer ihm ausdrücklich zugewiesenen
Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch macht, dass der
Regelungsschwerpunkt des betreffenden Bundesgesetzes auf dem Gebiet
eines ausdrücklich dem Bund unterstellten
Kompetenzgegenstandes liegt und dass die kraft Annexes dem
ausdrücklich normierten Kompetenztitel zugeschlagene Materie
nicht den Hauptregelungsgegenstand darstellt. Notwendig ist ferner,
dass die Annexmaterie in einem funktionalen Zusammenhang zur
Inanspruchnahme der ausdrücklich normierten Bundeskompetenz
steht (vgl. Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70
Rz 71; Heintzen in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum
Grundgesetz, Art. 70 Rz 178). Die Annexkompetenz ermächtigt
daher insbesondere zum Erlass von ergänzenden
verfahrensrechtlichen Regelungen (vgl. Uhle in
Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 73). Es muss sich
jedoch um eine punktuelle Annexregelung zu einer dem
Bundesgesetzgeber zugewiesenen materiellen Regelung handeln (vgl.
BVerfG-Urteil vom 18.07.1967 - 2 BvF 3/62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62,
2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF 8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2
BvR 334/62, 2 BvR 335/62, BVerfGE 22, 180, unter C.II.1.; Uhle in
Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 72).
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27
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bb) Die Vertraulichkeitsregelung im § 21a
Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG kann als den Steuervollzug punktuell
unterstützende und flankierende Regelung auf Art. 108 Abs. 4
Satz 1 Alternative 1 GG gestützt werden. Die Vorschrift dient
der Verbesserung oder Erleichterung des Steuervollzugs (vgl.
BT-Drucks. 19/13436, S. 72) und steht mit diesem in einem
funktionalen Zusammenhang. Bei beiden Sätzen der Norm handelt
es sich um Verfahrensregelungen, die sich - wie aus § 21a Abs.
1 Satz 1 FVG folgt - auf den Steuervollzug beziehen und dessen
Effektivität und Wirksamkeit im Rahmen der Abstimmung zwischen
Bund und Ländern sicherstellen und erheblich fördern
sollen. Die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG sichert
mit der Vertraulichkeit der Beratungen in den
Bund-Länder-Arbeitsgruppen den an der Sache orientierten
Austausch von Argumenten und eine unbeeinflusste Abstimmung. Sie
sichert damit die uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit der
entsprechenden Gremien. Stünde dem Bund nicht die Kompetenz
zur Regelung der Vertraulichkeit zu, besteht die Gefahr, dass in
den Bund-Länder-Gremien sachbezogene Diskussionen nicht
stattfinden oder in den informellen Bereich außerhalb der
Sitzungen verlagert werden (vgl. BT-Drucks. 19/13436, S. 184). Die
von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 108 Abs. 4 Satz 1
Alternative 1 GG umfasste Ermächtigung zur Verbesserung oder
Erleichterung des Steuervollzugs durch ein Zusammenwirken von Bund
und Ländern bliebe daher unvollständig, wenn sie nicht
gleichzeitig durch Vertraulichkeitsregelungen auf
Informationszugangsansprüche nach Landesrecht gestützte
Begehren auf Informationen aus gemeinsamen Bund-Länder-Gremien
ausschließen könnte. Ansonsten wäre es dem
Bundesgesetzgeber nicht möglich, eine für ihn mit Blick
auf den Steuervollzug sinnvolle oder sogar gebotene Vertraulichkeit
von Informationen aus den Bund-Länder-Arbeitsgruppen auch im
Verhältnis zum jeweiligen Landesrecht zu regeln (vgl. zur
Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich von Informationsansprüchen
von Insolvenzverwaltern BVerwG-Urteil vom 25.02.2022 - 10 C 4.20,
BVerwGE 175, 62 = SIS 22 19 05, Rz 15).
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28
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cc) Die Vertraulichkeitsregelung in § 21a
Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG bewirkt auch keine Verkürzung des dem
Steuerpflichtigen zustehenden gerichtlichen Rechtsschutzes nach
Art. 19 Abs. 4 GG. Steuerbescheide, die Besteuerungsgrundlagen
enthalten, die mittels Schätzung (§ 162 AO) auf der
Grundlage der Richtsatzsammlung ermittelt worden sind, können
vom Adressaten mit Einspruch und finanzgerichtlicher Klage
angefochten werden. Die Schätzung anhand der Werte der
Richtsatzsammlung unterliegt in vollem Umfang der
tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung (vgl. u.a.
Klein, DStR 2024, 1335, 1338).
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d) Das FG hat daher rechtsfehlerhaft die
Anwendbarkeit des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG verneint und
auf der Grundlage des § 32e AO i.V.m. den Regelungen des
Informationsfreiheitsgesetzes MV einen Auskunftsanspruch des
Klägers bejaht. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei der
Bezugnahme in § 32e AO auf die Art. 12 bis 15 DSGVO um eine
Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung handelt (für
Rechtsfolgenverweisung: BVerwG-Beschluss vom 04.07.2019 - 7 C 31.17
= SIS 19 16 67, Rz 15 und BVerwG-Urteile vom 16.09.2020 - 6 C 10.19
= SIS 20 19 16, Rz 31 und vom 25.02.2022 - 10 C 4.20, BVerwGE 175,
62 = SIS 22 19 05, Rz 17; Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 3.
Aufl., § 1 Rz 311; BeckOK AO/Rosenke, 31. Ed. 01.01.2025, AO
§ 32e Rz 27; für Rechtsgrundverweisung: Drüen in
Tipke/Kruse, § 32e AO Rz 10; Tormöhlen in HHSp, §
32e AO Rz 8; Schober in Gosch, AO § 32e Rz 9). Einem
Auskunftsanspruch stehen jedenfalls insoweit die Regelung in §
21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG als spezielle
Vertraulichkeitsvorschrift des Bundesrechts entgegen.
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Ob die vom FG ausgesprochene
Auskunftserteilung gegen § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1
Nr. 1 Buchst. a AO (Gefährdung der ordnungsgemäßen
Erfüllung der in der Zuständigkeit der
Finanzbehörden liegenden Aufgaben), § 32c Abs. 1 Nr. 1
i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Geheimhaltungspflicht)
oder gegen § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 2
und § 32a Abs. 2 AO (die betroffene Person wird in die Lage
versetzt, steuerlich bedeutsame Sachverhalte zu verschleiern,
steuerlich bedeutsame Spuren zu verwischen oder sich bei Art und
Umfang der Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten auf den
Kenntnisstand der Finanzverwaltung einzustellen)
verstößt, ist daher ebenfalls nicht
entscheidungserheblich.
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2. Die Revision des Klägers, die sich
gegen die Nichtbeantwortung der Frage 3 sowie auf die
Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre
2016 und 2019 bezieht, ist unbegründet. Die Klage war bereits
unzulässig (dazu unter a) beziehungsweise steht die Regelung
in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG der vom Kläger begehrten
Auskunftserteilung entgegen (dazu unter b).
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a) Soweit der Kläger mit seiner Frage 3
Informationen darüber erhalten will, ob
Prüfungsergebnisse auch dann in die Richtsatzsammlung
eingepflegt werden, wenn die Ergebnisse ganz oder zum Teil auf
Schätzungen beruhen, war die Klage bereits unzulässig.
Insoweit fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, weil diese Frage
bereits im Verwaltungsverfahren mit Schreiben des Beklagten vom
22.04.2021 beantwortet worden war.
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b) Des Weiteren steht die Regelung in §
21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG der vom Kläger geltend gemachten
Auskunftserteilung entgegen.
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Auch eine teilweise Informationsgewährung
zum Beispiel unter Schwärzung von Passagen scheidet aus.
§ 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG schließt die Anwendung des
Informationsfreiheitsgesetzes MV und des § 32e AO in vollem
Umfang aus und sieht keine nur teilweise Informationsgewährung
vor. Eine Einschränkung der Vertraulichkeit in Bezug auf
bestimmte Themen oder Dokumente ist dem Wortlaut nicht zu
entnehmen. Eine Beschränkung der Informationsgewährung
auf den Beitrag zur Entscheidungsfindung, den das Land MV über
den Beklagten zwecks Ermittlung der Werte für die
Richtsatzsammlung weitergegeben hat, scheidet daher ebenfalls
aus.
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3. Soweit das FG einen Auskunftsanspruch
hinsichtlich der Fragen 1 und 2 bejaht hat, ist die Entscheidung
aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist hinsichtlich
der zu den Fragen 1 und 2 geltend gemachten Auskunftsansprüche
abzuweisen. Dem Kläger stehen zudem der geltend gemachte
Auskunftsanspruch in Bezug auf die Frage 3 und der Anspruch auf die
Überlassung der Prüfungsauswertungen 2016 und 2019
ebenfalls nicht zu. Zwar hätte das FG die Klage richtigerweise
zu der Frage 3 als unzulässig abweisen müssen. Das
angefochtene Urteil ist trotz dieses Rechtsfehlers aber insoweit
nicht aufzuheben, weil der Tenor des Urteils richtig ist. Die Klage
ist insoweit vom FG zu Recht abgewiesen worden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 und 2 FGO. Der Kläger trägt die gesamten
Kosten des Verfahrens.
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