Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Münster vom 03.11.2021 - 6 K 24/21
E,U,F = SIS 22 00 23 wird als
unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Der Beklagte und Revisionsbeklagte
(Finanzamt - FA - ) führte im Jahr 2019 eine
Außenprüfung bei der Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) durch. Die
Prüfungsanordnung wurde an Steuerberater M als
Bevollmächtigten der Klägerin übersandt.
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Nachdem M seine Steuerberatungskanzlei mit
der Kanzlei … GmbH & Co. KG (KG) zusammengelegt hatte,
speicherte das FA ausweislich eines Aktenvermerks vom 12.03.2020
die KG als neue Bevollmächtigte der Klägerin.
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Nach einer
Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, der Haltung von
Pensionspferden durch die Klägerin und ihren Ehemann sei die
ertragsteuerliche Anerkennung als Erwerbsbetrieb zu versagen.
Dementsprechend erließ es unter dem 25.03.2020
Änderungsbescheide, die es an die KG
adressierte.
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Diese legte gegen die
Änderungsbescheide jeweils Einspruch ein, begründete
diese jedoch auch in der Folge nicht.
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Das FA wies die Einsprüche mit an die
KG adressierter Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 (Aufgabe zur
Post am selben Tag) schließlich als unbegründet
zurück. Mit Schreiben vom 02.10.2020 (Eingang beim FA am
selben Tag) sandte die KG dem FA unter Hinweis auf ihre inzwischen
erloschene Vollmacht zur Vertretung der Klägerin in
Steuersachen die Einspruchsentscheidung zu ihrer Entlastung
zurück.
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Das FA gab daraufhin am 08.10.2020 eine
unmittelbar an die Klägerin adressierte Ausfertigung der
Einspruchsentscheidung zur Post.
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Im November 2020 kontaktierte die …
PartG (PartG) das FA und teilte mit, dass die KG das Mandat bereits
im Frühjahr beendet habe. Das FA versandte daraufhin am
04.12.2020 eine Kopie der Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 an
die PartG.
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Die Klägerin erhob am 04.01.2021 Klage
und machte geltend, die KG habe das Mandat bereits Mitte des Jahres
2019 gekündigt. Die Einspruchsentscheidung sei ihr erstmals
durch Zusendung an die PartG bekannt gegeben worden.
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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus
den in EFG 2022, 217 = SIS 22 00 23 veröffentlichten Gründen als unzulässig
ab. Die am 04.01.2021 beim FG eingegangene Klage sei nicht
innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 47 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben worden. Die an die KG
adressierte und am 30.09.2020 zur Post aufgegebene
Einspruchsentscheidung gelte am 05.10.2020 als bekannt gegeben. Die
Klagefrist sei daher am 05.11.2020 abgelaufen. Unerheblich sei,
dass das FA nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post, aber
vor dem 05.10.2020 vom Widerruf der Vollmacht durch die KG Kenntnis
erlangt habe.
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Mit der Revision rügt die
Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Sie ist der
Auffassung, die am 04.01.2021 beim FG eingegangene Klage sei
innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben worden. Für den
Beginn des Fristlaufs sei auf die Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung an die PartG, die am 07.12.2020 erfolgt sei,
abzustellen. Die Einspruchsentscheidung gelte nicht als der KG am
05.10.2020 bekannt gegeben, da das FA bereits am 02.10.2020 von dem
Erlöschen der Vollmacht der KG Kenntnis erlangt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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das FG-Urteil und die
Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 aufzuheben und unter
Änderung der Bescheide vom 25.03.2020 Verluste in Höhe
von … EUR für das Jahr 2008 sowie in Höhe von
… EUR für das Jahr 2009 zu berücksichtigen sowie
den Verlust des Jahres 2008 in das Jahr 2007
zurückzutragen.
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Das FA beantragt,
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die Revision als unbegründet
zurückzuweisen.
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Maßgeblich für die wirksame
Bekanntgabe der an die KG adressierten Einspruchsentscheidung vom
30.09.2020 sei, dass dem FA bei deren Aufgabe zur Post der Widerruf
der Vollmacht noch nicht bekannt gewesen sei.
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Mit Schriftsatz vom 10.10.2022 zeigte die
von der Klägerin im Revisionsverfahren bevollmächtigte
Rechtsanwaltskanzlei A an, dass sie die Klägerin nicht mehr
vertrete.
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II. A. Die Klägerin ist im vorliegenden
Revisionsverfahren weiterhin ordnungsgemäß vertreten.
Denn die durch sie erfolgte Bevollmächtigung der
Rechtsanwaltskanzlei A ist ungeachtet einer etwaigen Kündigung
des Vollmachtsvertrags durch A noch wirksam. Eine solche
Kündigung erlangt gemäß § 62 Abs. 4, §
155 FGO i.V.m. § 87 der Zivilprozessordnung erst durch die
Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten
Wirksamkeit (s. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
14.12.2011 - X B 42/11 = SIS 12 03 88, Rz 6 und vom 08.10.2014 - I B 197/13 = SIS 14 34 70, Rz 3, jeweils m.w.N.). Ein neuer
Prozessbevollmächtigter ist jedoch im Revisionsverfahren von
der Klägerin nicht bestellt worden.
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B. Die Revision ist unbegründet und daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat die Klage
zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die Klägerin die
Klage erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist erhoben hat. Es
hat zutreffend entschieden, dass die Bekanntgabe der
Einspruchsentscheidung an die KG wirksam war und die Klagefrist in
Lauf gesetzt hat.
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1. a) Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1
FGO beträgt die Frist für die Erhebung der
Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der
Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf
(Einspruchsentscheidung).
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b) Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) ist ein Verwaltungsakt gegenüber
demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der
von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der
Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt
gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der
Finanzbehörde mithin ein Ermessen ein, ob sie den
Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen
Bevollmächtigten bekannt gibt.
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c) Wird die Einspruchsentscheidung durch die
Post übermittelt (§ 366 i.V.m. § 122 Abs. 2 AO),
gilt sie gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag
nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn sie
nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist.
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2. Die Einspruchsentscheidung ist der KG am
05.10.2020 wirksam bekannt gegeben worden. Die einmonatige
Klagefrist war daher zum Zeitpunkt der Klageerhebung (04.01.2021)
abgelaufen.
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a) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen,
das FA habe im Zeitpunkt der Absendung der Einspruchsentscheidung
noch davon ausgehen dürfen, dass die KG Bevollmächtigte
der Klägerin gewesen sei. Zwar fehlt es an Feststellungen, ob
die Klägerin der KG für die Durchführung des
Einspruchsverfahrens eine Vollmacht erteilt hatte.
Diesbezügliche Feststellungen waren indes entbehrlich. Denn
die Bevollmächtigung der KG, einer
Berufsausübungsgesellschaft im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2
des Steuerberatungsgesetzes, wird vorliegend jedenfalls für
die Durchführung des Einspruchsverfahrens gemäß
§ 80 Abs. 2 Satz 1 AO vermutet, da sie für die
Klägerin in diesem Verfahren gehandelt hat. So hatte die KG
für die Klägerin am 30.04.2020 die Einsprüche gegen
die streitgegenständlichen Steuerbescheide eingelegt und
überdies in der Folgezeit telefonisch um
Fristverlängerung für die Begründung dieser
Einsprüche gebeten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16.03.2022 - VIII
R 19/19, BFHE 275, 510, BStBl II 2022, 459 = SIS 22 10 04, Rz 19,
m.w.N.).
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b) Das FA hat das ihm damit gemäß
§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die
Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 der KG als der (vermuteten)
Bevollmächtigten der Klägerin anstatt der Klägerin
selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Angesichts des
Auftretens der KG im Einspruchsverfahren der Klägerin ist ein
Ermessensfehler nicht erkennbar.
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c) Die Einspruchsentscheidung ist laut
Absendevermerk des FA am 30.09.2020 zur Post gegeben worden. Sie
gilt daher der KG als am Montag, dem 05.10.2020, bekannt gegeben
(§ 108 Abs. 3 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO).
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d) Der Bekanntgabevermutung gemäß
§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das FA nach
der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihm
am 02.10.2020 eingegangene Schreiben von dem Widerruf der Vollmacht
durch die KG Kenntnis erlangt hat.
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aa) Nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AO wird der
Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst)
wirksam, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das FA
noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1
Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen (s.
BFH-Urteil vom 14.11.2012 - II R 14/11 = SIS 13 10 48, Rz 13).
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bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten
adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt
wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht - anders als im
Streitfall - auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1
AO noch besteht (ebenso FG Brandenburg, Urteil vom 30.08.2000 - 2 K
779/97 E, EFG 2001, 154 = SIS 01 73 50; Wernsmann in
Hübschmann/Hepp/Spitaler - HHSp -, § 80 AO Rz 169;
Burbaum/Uphues, DStR kurzgefaßt - DStRK - 2022, 56).
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(1) Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut
des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, der die Bekanntgabe am dritten Tage
nach der Aufgabe zur Post ohne weitere tatbestandliche
Voraussetzungen vermutet, es sei denn, der Verwaltungsakt ist nicht
oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen.
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(2) Gestützt wird dies durch den Sinn und
Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO. Diese Regelung soll nach dem
Willen des Gesetzesgebers der Rechtssicherheit des FA dienen (s.
BT-Drucks. VI/1982, S. 131), damit dieses nicht im Nachhinein von
dem Umstand einer nicht mehr existierenden Vollmacht
überrascht wird. Die Behörde soll sich insoweit auf eine
erteilte Vollmacht verlassen können, bis ihr der Widerruf der
Vollmacht zugeht. Maßgeblich kann dabei nur der Zeitpunkt der
letzten Behördenhandlung sein (vgl. Wernsmann in HHSp, §
80 AO Rz 169), hier also der Zeitpunkt der Aufgabe der
Einspruchsentscheidung zur Post. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine
Vollmacht vor oder wird deren Vorliegen, wie im Streitfall,
vermutet und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch
zu, kann der Beginn der Klagefrist nicht mehr durch einen Widerruf
der Vollmacht verhindert werden (s. Burbaum/Uphues, DStRK 2022, 56;
für die Wirksamkeit einer Ladung s. BFH-Beschluss vom
21.07.2011 - IV B 99/10 = SIS 11 33 43, Rz 8; Beschluss des Bundessozialgerichts vom 12.03.1975
- 12 RJ 330/74, NJW 1975, 1384 und Beschluss des Hamburgischen
Oberverwaltungsgerichts vom 03.01.2000 - 4 Bf 16/99).
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(3) Für diese Auslegung spricht auch,
dass für die gerichtliche Überprüfung einer
Ermessensentscheidung - hier § 122 Abs. 1 Satz 3 AO - stets
auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungshandlung abzustellen ist.
Danach eintretende Umstände sind für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung daher
regelmäßig nicht mehr heranzuziehen.
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3. a) Durch die Übersendung der
Einspruchsentscheidung an die Klägerin wurde keine neue
Klagefrist in Gang gesetzt. Zwar hat das FA die
Einspruchsentscheidung nach der Anzeige des Widerrufs der Vollmacht
durch die KG am 08.10.2020 noch einmal unmittelbar an die
Klägerin übersandt. Dies ist jedoch unerheblich, da der
Klägerin die Einspruchsentscheidung nach ihrem eigenen Vortrag
nicht zugegangen ist.
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b) Aber auch der Übermittlung der
Einspruchsentscheidung in Kopie an die PartG am 04.12.2020 kommt
angesichts der wirksamen Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an
die KG am 05.10.2020 keine Bedeutung zu.
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Ein Verwaltungsakt wird nach § 124 Abs. 1
Satz 1 AO gegenüber dem Inhaltsadressaten in dem Zeitpunkt
wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. In diesem Fall kommt
es für alle Folgefragen einschließlich des Beginns der
Einspruchs- oder Klagefrist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe
dieses Verwaltungsakts an. Hat das FA wegen bestehender Zweifel am
Zugang eines Verwaltungsakts einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt
bekannt gegeben oder eine Bescheidkopie übermittelt, kommt dem
nur dann Bedeutung zu, wenn die Bekanntgabe zuvor nicht wirksam
gewesen war (s. BFH-Urteile vom 09.12.2009 - X R 54/06, BFHE 228,
111, BStBl II 2010, 732 = SIS 10 09 15, unter II.1.b aa und vom
14.11.2012 - II R 14/11 = SIS 13 10 48, Rz 21).
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Auch ist der Übersendung einer Kopie der
Einspruchsentscheidung vom 30.09.2020 kein neuer Bekanntgabewille
des FA zu entnehmen.
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4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach
§ 56 Abs. 1 FGO kommt hinsichtlich der versäumten
Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO vorliegend nicht in Betracht.
Die Klägerin hat weder innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall
des Hindernisses einen entsprechenden Antrag gemäß
§ 56 Abs. 2 FGO gestellt noch ein etwaiges fehlendes
Verschulden glaubhaft gemacht.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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