Auf die Revision des Klägers wird das
Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 06.12.2018 - 14 K
1668/17 Kg = SIS 20 13 89
aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht
Düsseldorf zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
1
|
I. Streitig ist der Kindergeldanspruch
für den Zeitraum September 2015 bis einschließlich Mai
2017.
|
|
|
2
|
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist der Vater von zwei im Oktober 2006 und im August
2008 geborenen Kindern. Eltern und Kinder sind deutsche
Staatsangehörige. Die Familie lebte zunächst in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Die Kinder besuchten den
Kindergarten und zunächst auch die Grundschule in Deutschland.
Damit die Kinder die arabische Sprache lernten, sollten sie im
streitbefangenen Zeitraum bei ihren Großeltern in Z-Land
leben und dort zur Schule gehen. Anfang September 2015 reisten die
Kinder aus Deutschland aus. Die Mutter der Kinder begleitete diese
nach Z-Land. Mutter und Kinder hielten sich in diesem Zeitraum
größtenteils in Z-Land auf, unterbrochen durch folgende
Zeiten in Deutschland:
|
|
|
|
...01. bis ...02.2016
|
|
...06. bis ...09.2016
|
|
...01. bis ...02.2017
|
|
|
3
|
Zum ...09.2015 gab der Kläger die
bisher mit der Familie bewohnte Wohnung auf und verzog in eine nur
etwa 200 Meter entfernte Wohnung. Im Juni 2017 kehrten die Kinder
nach Deutschland zurück und nahmen den Schulbesuch wieder auf.
Die Familie zog zum ...06.2017 in eine wiederum in unmittelbarer
Nähe befindliche Wohnung ein.
|
|
|
4
|
Am 26.01.2016 beantragte der Kläger
Kindergeld, wobei er als Adresse der Kinder die Anschrift der
Großeltern in Z-Land angab. Die Beklagte und
Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte die Anträge mit
Bescheid vom 06.10.2016 für den Zeitraum ab September 2015
unter Hinweis auf § 63 Abs. 1 Satz 6 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) ab, da der Wohnsitz der Kinder nicht
in Deutschland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union
(EU) oder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)
liege.
|
|
|
5
|
Hiergegen legte der Kläger unter dem
08.11.2016 Einspruch ein und führte im Wesentlichen aus, dass
der Aufenthalt bei den Großeltern nur vorübergehender
Natur gewesen sei. Die Kinder seien regelmäßig und nicht
nur in den Ferien in Deutschland gewesen und ihre endgültige
Rückkehr nach Deutschland sei spätestens 2017 geplant. Es
liege daher durchgängig ein Wohnsitz i.S. des § 8 der
Abgabenordnung (AO) in Deutschland vor.
|
|
|
6
|
Die Familienkasse wies den Einspruch mit
Einspruchsentscheidung vom 24.05.2017 als unbegründet
zurück.
|
|
|
7
|
Die hiergegen gerichtete Klage wies das
Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück.
|
|
|
8
|
Mit der hiergegen gerichteten Revision
rügt der Kläger die Verletzung materiellen
Rechts.
|
|
|
9
|
Der Kläger beantragt
sinngemäß,
|
|
das angefochtene Urteil sowie den
Ablehnungsbescheid vom 06.10.2016 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 24.05.2017 aufzuheben und die
Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für die beiden
Kinder des Klägers für den Zeitraum September 2015 bis
einschließlich Mai 2017 festzusetzen.
|
|
|
10
|
Die Familienkasse beantragt,
|
|
die Revision zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
|
|
|
12
|
Das FG hat einen inländischen Wohnsitz
der Kinder des Klägers verneint. Die Feststellungen des FG
reichen indes nicht aus, um abschließend beurteilen zu
können, ob die Kinder des Klägers im Streitzeitraum ihren
Wohnsitz im Inland aufgegeben oder beibehalten haben.
|
|
|
13
|
1. Für Kinder, die weder einen Wohnsitz
noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, in einem EU-
oder EWR-Mitgliedstaat haben und die auch nicht im Haushalt eines
Berechtigten i.S. des § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
leben, wird nach § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG in der im
Streitzeitraum geltenden Fassung kein Kindergeld gewährt. Das
Existenzminimum dieser Kinder wird nur durch die Freibeträge
nach § 32 Abs. 6 EStG von der Besteuerung freigestellt, die
keine unbeschränkte Steuerpflicht des Kindes voraussetzen
(vgl. § 32 Abs. 1 und 6 EStG).
|
|
|
14
|
2. Die Grundsätze, nach denen sich
bestimmt, ob jemand einen Wohnsitz (§ 8 AO) im Inland hat,
sind durch langjährige Rechtsprechung im Wesentlichen
geklärt (z.B. Senatsurteile vom 20.11.2008 - III R 53/05,
BFH/NV 2009, 564 = SIS 09 08 96, und vom 25.09.2014 - III R 10/14,
BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 = SIS 14 33 30; Senatsbeschluss
vom 19.09.2013 - III B 53/13, BFH/NV 2014, 38 = SIS 13 32 94). Auf
die in den vorgenannten Entscheidungen dargelegten
Rechtsgrundsätze wird zur Vermeidung von Wiederholungen
verwiesen. Im Urteil vom 25.07.2019 -
III R 46/18 (BFH/NV 2020, 208 = SIS 20 00 52), das das FG bei seiner Entscheidung noch nicht
berücksichtigen konnte, hat der Senat diese Grundsätze in
einem Fall präzisiert, in dem sich minderjährige Kinder
ebenfalls zusammen mit einem Elternteil zum Zwecke des Schulbesuchs
mehrjährig im außereuropäischen Ausland aufhielten.
Dort ging der Senat davon aus, dass es bei der vorzunehmenden
Gesamtwürdigung der Umstände für eine Beibehaltung
des Inlandswohnsitzes spricht, wenn ein minderjähriges Kind
die ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland
verbringt (Senatsurteil in BFH/NV 2020, 208 = SIS 20 00 52 Rz
21).
|
|
|
15
|
3. Die Beurteilung, ob objektiv erkennbare
Umstände auf eine Beibehaltung und Nutzung der Wohnung
schließen lassen, obliegt zwar im Wesentlichen dem FG,
weshalb seine Würdigung der tatsächlichen
Verhältnisse nur begrenzt überprüfbar ist (vgl.
§ 118 Abs. 2 FGO).
|
|
|
16
|
a) Die vom FG im Streitfall vorgenommene
Würdigung ist jedoch auch unter Berücksichtigung dieses
eingeschränkten Prüfungsmaßstabs zu beanstanden.
Das FG-Urteil enthält keine tragfähige Tatsachengrundlage
für die Annahme, dass die Kinder während des
Streitzeitraums keinen inländischen Wohnsitz hatten (zum
Fehlen einer tragfähigen Tatsachengrundlage vgl. Senatsurteil
in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 = SIS 14 33 30, Rz 28,
m.w.N.). Das FG hat nicht, wie von der Senatsrechtsprechung
gefordert (Senatsurteil in BFH/NV 2020, 208 = SIS 20 00 52, Rz 14),
die gesamten Umstände des Einzelfalls berücksichtigt.
Hierin liegt ein Rechtsfehler, den der erkennende Senat auch ohne
Rüge von Amts wegen zu beachten hat (Senatsurteil in BFHE 247,
239, BStBl II 2015, 655 = SIS 14 33 30, Rz 28, m.w.N.).
|
|
|
17
|
aa) Zunächst hat das FG keine
hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob, gegebenenfalls
wodurch und wann die Kinder in der vom Kläger in zeitlichem
Zusammenhang mit der Ausreise der Kinder und der Ehefrau zum
...09.2015 bezogenen Zwischenwohnung einen Wohnsitz begründet
haben und ob es sich um auch für die Kinder zum dauerhaften
Wohnen geeignete Räume handelte. Vielmehr hat es nur aus der
Kaltmiete der Zwischenwohnung und den Quadratmeterpreisen der vor
und nach dem Auslandsaufenthalt der Kinder und der Ehegattin
gemieteten größeren Wohnungen eine
Wohnungsgröße der Zwischenwohnung errechnet. Ob diese
errechnete Größe der tatsächlichen Größe
der Zwischenwohnung entspricht, bleibt offen. Ebenso wurde nicht
festgestellt, wie diese Wohnung aufgeteilt und ausgestattet war und
wie sich die Wohnverhältnisse bis zur Ausreise der Kinder und
während des Inlandsaufenthalts der Kinder darstellten. Sofern
die Kinder in der Zwischenwohnung keinen Wohnsitz begründet
haben, würde es an einem inländischen Wohnsitz
fehlen.
|
|
|
18
|
bb) Keine näheren Feststellungen hat das
FG auch zu den Wohnverhältnissen in Z-Land getroffen. Dabei
ist zwar zu beachten, dass der Kläger im Hinblick auf diesen
Auslandssachverhalt auch im finanzgerichtlichen Verfahren einer
erhöhten Mitwirkungs- und Beweisvorsorgepflicht unterliegt
(§ 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO). Aus den
Entscheidungsgründen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das
FG von einer unzureichenden Mitwirkung des Klägers ausgegangen
ist.
|
|
|
19
|
cc) Des Weiteren bleibt unklar, ob das FG
davon ausging, dass bei Ausreise der Kinder ein
vorübergehender Aufenthalt in Z-Land oder ein Aufenthalt von
unbestimmter Zeit geplant war; hierauf kommt es allerdings nur an,
wenn das FG im zweiten Rechtsgang zu der Auffassung kommt, dass die
Kinder in der vom Kläger im September 2015 bezogenen Wohnung
vor ihrer Ausreise einen Wohnsitz begründet haben.
Während das FG im Tatbestand der Entscheidung festgestellt
hat, dass die Kinder „im streitbefangenen Zeitraum bei
ihren Großeltern in Z-Land leben und dort zur Schule
gehen“ sollten, legt es in den
Entscheidungsgründen einen Rechtsmaßstab zugrunde, der
einen Sachverhalt betrifft, in dem „ein Kind auf
unbestimmte Zeit im Heimatland der Familie bei Verwandten
untergebracht ist“. Auch die weitere
Aussage in den Entscheidungsgründen: „Soweit der
Kläger geltend gemacht hat, der Aufenthalt in Z-Land sei von
Anfang (an) nur für einen begrenzten Zeitraum geplant gewesen,
kommt dem wegen der festgestellten tatsächlichen Umstände
kein Beweiswert zu.“, lässt offen, ob
das FG diesen Punkt für unerheblich hält oder vom
Gegenteil überzeugt war.
|
|
|
20
|
Insoweit ist nach der Senatsrechtsprechung
(Urteil in BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 = SIS 14 33 30, Rz 32,
s.a. Avvento in Gosch, § 8 AO Rz 43) zu beachten, dass bei
voraussichtlicher Rückkehr innerhalb eines Jahres
regelmäßig keine Aufgabe des Wohnsitzes vorliegt, sodass
Inlandsaufenthalte für die Beibehaltung des Wohnsitzes nicht
erforderlich sind. Wird die Absicht zur Rückkehr innerhalb
eines Jahres aufgegeben, so kann in diesem Moment eine Aufgabe des
Wohnsitzes erfolgen. Entscheidend ist insoweit, in welchem
Zeitpunkt Umstände eintreten, die nunmehr
Rückschlüsse auf einen längerfristigen
Auslandsaufenthalt zulassen. Ab diesem Zeitpunkt kommt den
Inlandsaufenthalten bei der Frage der Beibehaltung des Wohnsitzes
im Elternhaus - der
„Zwischenwohnung“ - wieder
erhebliche Bedeutung zu.
|
|
|
21
|
dd) Offen bleibt, in welchem Umfang die Kinder
im Streitzeitraum ausbildungsfreie Zeiten hatten und welchen Teil
der Ferien sie in Deutschland verbrachten. Das FG hat zwar die
Anzahl der Tage festgestellt, an denen sich die Kinder im Inland
befanden, und dass davon zehn Tage außerhalb der Ferien in
Z-Land lagen. Ob die Kinder im Sinne des Senatsurteils in BFHE 247,
239, BStBl II 2015, 655 = SIS 14 33 30, Rz 22, die
ausbildungsfreien Zeiten zumindest überwiegend im Inland
verbracht haben, hat das FG weder festgestellt noch
gewürdigt.
|
|
|
22
|
ee) Ferner hat das FG nicht festgestellt, ob
die Kinder während des Streitzeitraums soziale oder
persönliche Beziehungen am bisherigen Wohnort aufrechterhalten
und bei ihren Inlandsaufenthalten weiter gepflegt haben.
|
|
|
23
|
b) Die Sache ist nicht spruchreif. Die
Feststellungen des FG lassen keine Beurteilung darüber zu, ob
und gegebenenfalls wann die Kinder ihren Wohnsitz in der vom
Kläger angemieteten Zwischenwohnung begründet haben und
ob sie ihn im gesamten Streitzeitraum beibehalten, zunächst
beibehalten und später aufgegeben oder bereits im September
2015 aufgegeben und erst später, etwa im Juni 2017, wieder neu
begründet haben. Das FG hat die fehlenden tatsächlichen
Feststellungen zum Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes im
zweiten Rechtsgang nachzuholen.
|
|
|
24
|
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
|