Die Revision der Klägerin gegen das
Urteil des Finanzgerichts Nürnberg vom 08.08.2019 - 3 K 504/19
= SIS 20 14 01 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die
Klägerin zu tragen.
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I. Streitig ist, ob in den Streitjahren
2015 bis 2017 (Streitjahre) die Voraussetzungen dafür
vorliegen, dass die auf den Kindsvater entfallenden
Kinderfreibeträge auf die Kindsmutter übertragen werden
können.
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Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter eines im
März 1998 geborenen Sohnes (M) und einer im April 2001
geborenen Tochter (L). Mit dem Vater der beiden Kinder lebte die
Klägerin in den Streitjahren in nichtehelicher
Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. M befand sich
nach Erreichen der Volljährigkeit zunächst noch in Schul-
und dann in Berufsausbildung.
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Die Klägerin erzielte in den
Streitjahren aus nichtselbstständiger Arbeit sowie aus
Vermietung und Verpachtung einen Gesamtbetrag der Einkünfte
zwischen xx EUR und xx EUR. Vom Kindsvater wurde der
Einkommensteuerbescheid für 2016 vorgelegt, aus dem sich
aufgrund negativer Einkünfte aus Gewerbebetrieb und
Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ein
Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von xx EUR
ergibt.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte - das
Finanzamt (FA) - berücksichtigte in den
Einkommensteuerbescheiden für 2015 vom 05.04.2017, für
2016 vom 06.02.2018 und für 2017 vom 22.02.2019 nur jeweils
die auf die Klägerin entfallenden Kinderfreibeträge und
Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder
Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag) in Höhe von je Kind 3.576
EUR (2.256 EUR + 1.320 EUR) für 2015, 3.624 EUR (2.304 EUR +
1.320 EUR) für 2016 und 3.678 EUR (2.358 EUR + 1.320 EUR)
für 2017.
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Gegen alle drei Bescheide erhob die
Klägerin mit der Begründung Einspruch, dass dem Antrag,
die kindbedingten Freibeträge vom Kindsvater auf sie zu
übertragen, nicht entsprochen worden sei.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 10.04.2019
wegen Einkommensteuer 2015 und 2016 wies das FA den Einspruch
für 2015 mit der Begründung ab, dass eine
Übertragung der kindbedingten Freibeträge ausscheide,
weil die beiden Kinder während des gesamten
Veranlagungszeitraums minderjährig gewesen seien. Die
festgesetzte Einkommensteuer betrug danach unverändert xx EUR.
Für 2016 gab das FA dem Einspruch insoweit statt, als es ab
dem Monat der Volljährigkeit des M sowohl den Kinderfreibetrag
als auch den BEA-Freibetrag des Kindsvaters für M und mithin
einen Betrag von 3.020 EUR (10/12 von 3.624 EUR) auf die
Klägerin übertrug. Die Einkommensteuer 2016 setzte das FA
auf xx EUR herab und wies den Einspruch im Übrigen als
unbegründet zurück.
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Mit weiterer Einspruchsentscheidung vom
05.06.2019 wegen Einkommensteuer 2017 entsprach das FA dem
Einspruch insoweit, als es sowohl den Kinderfreibetrag als auch den
BEA-Freibetrag des Kindsvaters für M in vollem Umfang von
3.678 EUR auf die Klägerin übertrug. Die Einkommensteuer
2017 setzte das FA auf xx EUR herab und wies den Einspruch im
Übrigen als unbegründet zurück.
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Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die
Klägerin begehrte, in allen Streitjahren sowohl den auf den
Kindsvater entfallenden Kinderfreibetrag als auch den
BEA-Freibetrag für beide Kinder vollständig auf sie zu
übertragen, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet
ab.
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Mit der hiergegen gerichteten Revision
rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Zur
Begründung trägt sie vor, aus § 32 Abs. 6 Satz 6 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) ergebe sich nicht, dass der
finanziell nicht leistungsfähige Ehegatte seiner
Unterhaltspflicht auch durch Leistung des Betreuungsunterhalts
nachkommen könne. § 1606 Abs. 3 Satz 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei nicht anwendbar, da sich
diese Bestimmung nur auf einen Elternteil beziehe, der ein
minderjähriges Kind allein betreue, was im vorliegenden Fall
nicht gegeben sei.
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Die Klägerin beantragt
sinngemäß,
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das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Einkommensteuerbescheide für 2015 vom 05.04.2017 und für
2016 vom 06.02.2018 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung
vom 10.04.2019 sowie den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom
22.02.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05.06.2019
dahingehend abzuändern, dass der Klägerin jeweils der
doppelte Kinderfreibetrag für beide Kinder gewährt und
die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Zur Begründung verweist es im
Wesentlichen darauf, dass Betreuungsunterhalt und Barunterhalt
gleichwertig seien. Im Streitfall sei der Kindsvater seiner
Unterhaltsverpflichtung durch Übernahme der Pflege und
Erziehung der Kinder in vollem Umfang nachgekommen. Eine
Beschränkung des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB auf
Elternteile, die ein minderjähriges Kind allein betreuten, sei
dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen.
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II. Die Revision ist jedenfalls im Ergebnis
unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2,
Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zutreffend
entschieden, dass die Voraussetzungen für die Übertragung
des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 1 Alternative 1,
Satz 6 EStG auf die Klägerin nicht vorliegen.
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1. Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der in
den Streitjahren geltenden Fassung wird bei der Veranlagung zur
Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des
Steuerpflichtigen ein Freibetrag von 2.256 EUR
(Veranlagungszeitraum 2015), 2.304 EUR (Veranlagungszeitraum 2016)
bzw. 2.358 EUR (Veranlagungszeitraum 2017) für das
sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie
ein BEA-Freibetrag von 1.320 EUR vom Einkommen abgezogen.
Abweichend hiervon wird bei einem unbeschränkt
einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen
des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines
Elternteils, der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag
auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere
Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind
für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere
Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht
unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).
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Die Unterhaltspflicht im Sinne dieser
Vorschrift bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Für den
Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs.
2 BGB), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern
anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen
(§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB; z.B. Senatsurteile vom 24.03.2006 -
III R 57/00, BFH/NV 2006, 1815 = SIS 06 38 19, unter II.1., zu
§ 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der für das Jahr 1989
gültigen Fassung, und vom 15.06.2016 - III R 18/15, BFHE 254,
314, BStBl II 2016, 893 = SIS 16 19 54, Rz 11).
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a) Insoweit hat der Senat in dem Urteil in
BFHE 254, 314, BStBl II 2016, 893 = SIS 16 19 54 darauf abgestellt,
dass der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes
Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes
beizutragen, nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Regel durch
dessen Pflege und Erziehung erfüllt. Der andere, nicht
betreuende Elternteil hat den Unterhalt durch Entrichtung einer
Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die
gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das
minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere
Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur
Verfügung zu stellen hat (Beschluss des Bundesgerichtshofs -
BGH - vom 12.03.2014 - XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958, unter
B.II.2.a). Liegt das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei
einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung
für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die
Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht i.S. des
§ 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. BGH-Urteil vom 28.02.2007 - XII
ZR 161/04, NJW 2007, 1882, unter 2.b).
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b) Diese Rechtsgrundsätze lassen sich
entgegen der Auffassung des FG nicht ohne Weiteres auf den
vorliegenden Fall übertragen. Denn der vorgenannten
Senatsentscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass die
Elternteile getrennt leben und ein Elternteil das Kind in seinem
Haushalt betreut, während der andere Elternteil Barunterhalt
leistet. Demgegenüber leben die Elternteile im vorliegenden
Fall zusammen in einem gemeinsamen Haushalt, leisten den Kindern
Natural- und gegebenenfalls auch Barunterhalt und betreuen sie -
während der im Revisionsverfahren noch zu beurteilenden Zeit
der Minderjährigkeit der Kinder - gemeinsam.
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aa) Insoweit ist der Klägerin
einzuräumen, dass in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur
die Auffassung vertreten wird, § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB gehe
davon aus, dass die Eltern getrennt lebten und das Kind von einem
Elternteil allein gepflegt und erzogen werde. Die Vorschrift greift
nach dieser Auffassung daher nicht bei einem Zusammenleben der
Eltern und Kinder in einem gemeinsamen Haushalt
(Staudinger/Klinkhammer (2018), BGB § 1606 Rz 46). Diese
Auffassung wird durch Ausführungen des BGH zu einer Betreuung
des Kindes im paritätischen Wechselmodell bestätigt.
Danach betrifft § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB das sog.
Residenzmodell und die damit verbundene herkömmliche
Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung. Die
Vorschrift soll den kinderbetreuenden Elternteil in solchen
Fällen vom Barunterhalt freistellen (BGH-Beschlüsse vom
05.11.2014 - XII ZB 599/13, Zeitschrift für das gesamte
Familienrecht - FamRZ - 2015, 236, Rz 17, und vom 11.01.2017 - XII
ZB 565/15, FamRZ 2017, 437, Rz 20 ff.). Dabei versteht der BGH
unter dem Residenzmodell den Fall, dass ein Kind sich in der Obhut
desjenigen Elternteils befindet, bei dem der Schwerpunkt der
tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin
die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege,
Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs
und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig
befriedigt oder sicherstellt (BGH-Beschluss vom 12.03.2014 - XII ZB
234/13, FamRZ 2014, 917, Rz 16).
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bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin
folgt daraus jedoch im Hinblick auf die nach § 32 Abs. 6 Satz
6 EStG zu beurteilende Unterhaltspflicht des Kindsvaters nicht,
dass allein darauf abzustellen wäre, ob und in welchem Umfang
die Elternteile zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen beitragen.
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Der Unterhaltsanspruch des Kindes erfasst nach
§ 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf
einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu
einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch
die Kosten der Erziehung. Dazu gehören im Wesentlichen
Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Versorgung, Betreuung, Erziehung,
Bildung, Ausbildung, Erholung sowie Gesundheits- und
Krankheitsfürsorge (Klinkhammer in Wendl/Dose, Das
Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl.,
§ 2 Rz 16, m.w.N.). Haben minderjährige unverheiratete
Kinder den elterlichen Haushalt noch nicht verlassen, wird der
materielle Unterhaltsbedarf üblicherweise nicht in Form einer
Geldrente (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB), sondern aufgrund einer
entsprechenden Bestimmung der Eltern in Form von Naturalunterhalt
(§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB) befriedigt. Selbst wenn
ergänzend (z.B. als Taschengeld sowie für sonstige
Sachaufwendungen) Geldleistungen erbracht werden, sind auch diese
Teil des in Form von Naturalleistungen gewährten Unterhalts
(BGH-Urteil vom 06.03.1985 - IVb ZR 74/83, NJW 1985, 1339, unter
1.a, m.w.N.; Klinkhammer in Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rz 35).
Daneben wird der immaterielle Bedarf, der dem Kind im Hinblick auf
seine Versorgung, Betreuung, Erziehung und die
Haushaltsführung geschuldet wird (reiner Leistungsaufwand) in
Form von Betreuungsunterhalt befriedigt (Klinkhammer in Wendl/Dose,
a.a.O., § 2 Rz 19, m.w.N.). Die Frage, wie die beiden
Elternteile die Befriedigung der unterschiedlichen Bedarfe des
Kindes untereinander verteilen, ist eine Frage des elterlichen
Sorgerechts (§ 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB). Da bei einem
Zusammenleben nicht miteinander verheirateter Eltern die
Bestimmungen über den Familienunterhalt (§§ 1360 ff.
BGB) nicht anwendbar sind, regeln die Eltern ihre Unterhaltspflicht
gegenüber ihren Kindern grundsätzlich durch Absprache
oder tatsächliche Handhabung (Staudinger/Klinkhammer, a.a.O.,
Rz 48).
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Insofern kann nach Auffassung des Senats
für Zwecke des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich
davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der
Unterhaltsleistungen innerhalb einer nichtehelichen
Lebensgemeinschaft dem Willen des allein sorgeberechtigten
Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile
entspricht. Ausnahmefälle sind allerdings denkbar, etwa
wenn nachgewiesen wird, dass sich ein Elternteil nicht an
bestehende Unterhaltsvereinbarungen oder gerichtliche
Unterhaltsregelungen gehalten und damit seine Unterhaltspflicht
nicht im Wesentlichen erfüllt hat (§ 32 Abs. 6 Satz 6
Alternative 1 EStG). Ebenso ist denkbar, dass ein Elternteil, der
die Betreuung des Kindes übernehmen soll, dazu
krankheitsbedingt nicht in der Lage und deshalb insoweit -
entsprechend einer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit -
mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (s.
hierzu BGH-Urteil vom 15.09.2010 - XII ZR 148/09, FamRZ 2010, 1888,
Rz 35) (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG).
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2. Übertragen auf die Verhältnisse
des Streitfalls ist das FG im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen,
dass eine (weitergehende) Übertragung der dem Kindsvater
für die Veranlagungszeiträume 2015, 2016 und 2017
zustehenden Kinderfreibeträge auf die Klägerin
ausgeschlossen ist.
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a) Dem Kindsvater steht für M und L
gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in den
Veranlagungszeiträumen 2015 bis 2017 jeweils ein
Kinderfreibetrag in der im Revisionsverfahren noch strittigen
Höhe (für M ein voller Kinderfreibetrag in 2015 und 2/12
eines vollen Kinderfreibetrags in 2016; für L jeweils ein
voller Kinderfreibetrag in 2015 bis 2017) zu, da beide Kinder
während der betreffenden Zeiträume minderjährig
waren und daher nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 EStG zu
berücksichtigen sind.
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b) Es liegen jedoch nicht sämtliche
Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG für eine
Übertragung der Kinderfreibeträge vom Kindsvater auf die
Klägerin vor.
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aa) Die Klägerin und der Kindsvater sind
zwar ein unbeschränkt einkommensteuerpflichtiges Elternpaar,
bei dem mangels Eheschließung die Voraussetzungen des §
26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen. Die Klägerin hat auch
den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags gestellt.
Dass die Klägerin ihre Unterhaltspflicht im Wesentlichen
erfüllt hat, war im erstinstanzlichen Verfahren nicht
strittig.
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bb) Der Kindsvater ist jedoch auch seiner
Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen, weshalb die
Voraussetzung des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG nicht
gegeben ist.
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(1) Die Unterhaltspflicht des Kindsvaters
umfasst zum einen eine Pflicht zur Erbringung von Bar- oder
Naturalunterhalt. Der Unterhaltsbedarf richtet sich beim
Verwandtenunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach
der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt).
Bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt (mindestens)
eines Elternteils leben, handelt es sich dabei um eine abgeleitete
Lebensstellung. Sie leitet sich grundsätzlich von beiden
Elternteilen ab, sodass bei der Bedarfsbemessung auf die
zusammengerechneten Einkünfte beider Eltern abzustellen ist
(BGH-Urteil vom 15.02.2017 - XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711, Rz
11). Auf diesen Unterhaltsbedarf des Kindes ist mangels
Anwendbarkeit des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB gemäß
§ 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BGB das volle Kindergeld
anzurechnen. Für diesen Unterhaltsbedarf haften die beiden
Elternteile nach der Grundregel des § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB
anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.
Auch wenn der Kindsvater in den Streitjahren deutlich geringere
Einkünfte erzielt haben sollte als die Klägerin, war er verpflichtet, aus diesen
Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt an die Kinder zu leisten
(BGH-Urteil in FamRZ 2017, 711, Rz
14). Dies gilt jedenfalls insoweit, als er nicht außerstande
war, dies ohne Gefährdung seines (eigenen) angemessenen
Unterhalts (§ 1603 Abs. 1 BGB) oder - im Falle des Eingreifens
der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber
minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Sätze 1 und 3
BGB) - seines notwendigen Unterhalts zu tun. Mangels gegenteiliger
Anhaltspunkte und Feststellungen ist davon auszugehen, dass der
Kindsvater dieser materiellen Unterhaltspflicht genügt
hat.
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(2) Die Unterhaltspflicht des Kindsvaters
umfasst zum anderen eine Pflicht zur Erbringung von
Betreuungsunterhalt. Dieser Unterhaltspflicht hat der Kindsvater
ebenfalls genügt, da er nach den auf den eigenen Vortrag der
Klägerin gestützten Feststellungen des FG (s. dazu 2.a aa
der Entscheidungsgründe des angegriffenen FG-Urteils) seiner
Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder in vollem Umfang
nachgekommen ist.
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cc) Der Kindsvater war auch nicht i.S. des
§ 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG mangels
Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig.
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Soweit er unter Berücksichtigung seines
eigenen angemessenen oder notwendigen Unterhalts im Stande war,
Bar- oder Naturalunterhalt für die Kinder zu leisten, ist -
auch wenn es sich hierbei um im Verhältnis zu den
Unterhaltsbeiträgen der Klägerin geringe Leistungen
gehandelt haben mag - von (wirtschaftlicher)
Leistungsfähigkeit und (materieller) Unterhaltspflicht
auszugehen.
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Aber auch, wenn der Kindsvater in materieller
Hinsicht nicht unterhaltspflichtig gewesen sein mag, bestand
jedenfalls im Hinblick auf den von ihm geleisteten
Betreuungsunterhalt Leistungsfähigkeit, da er diesen nach den
Feststellungen des FG in vollem Umfang geleistet hat. Der vom
Kindsvater geleistete Betreuungsunterhalt ist in beiden Fällen
auch nicht etwa zu monetarisieren und ergänzt um etwaige
Naturalunterhaltsleistungen des Kindsvaters in das Verhältnis
zu den von der Klägerin erbrachten Natural- und
Betreuungsunterhaltsbeiträgen zu setzen. Vielmehr ist für
den Regelfall der funktionsfähigen nichtehelichen
Lebensgemeinschaft davon auszugehen, dass die Verteilung der
Unterhaltsaufgaben dem gemeinsamen Willen der Elternteile und der
Bestimmung des oder der Sorgeberechtigten entspricht. Gegenteiliges
- etwa die Nichteinhaltung einer Unterhaltsvereinbarung oder
-entscheidung durch den Kindsvater - wurde im Streitfall von der
Klägerin weder behauptet noch vom FG festgestellt. Der
Kindsvater war daher auch für den Fall, dass er nur betreut
haben sollte, leistungsfähig und unterhaltspflichtig i.S. des
§ 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG.
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3. Nachdem der Revision der Klägerin
somit der Erfolg versagt bleibt, braucht der Senat auch nicht
weiter darauf eingehen, ob das FA der Klägerin ab der
Volljährigkeit des Kindes M zu Recht den (anteiligen) Kinder-
und BEA-Freibetrag des Kindsvaters übertragen hat.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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