Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Sächsischen Finanzgerichts vom 17.09.2019 - 2 K 1701/18
(Kg) = SIS 20 17 82 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sächsische
Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die
Kosten des Verfahrens übertragen.
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I. Streitig ist der Kindergeldanspruch
für den Zeitraum August 2018 bis Oktober 2018.
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Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist der Vater der am 21.04.2000 geborenen Tochter
… (T). T beendete im Juli 2018 ihre Schulausbildung und
begann ab dem 05.09.2018 einen Freiwilligendienst bei der
Organisation „X“ in Großbritannien.
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Die Beklagte und Revisionsklägerin
(Familienkasse) hob mit Bescheid vom 09.07.2018 die
Kindergeldbewilligung ab August 2018 auf. Der Kläger teilte
der Familienkasse mit, dass T ab September 2018 für elf Monate
ein freiwilliges soziales Jahr in Großbritannien ableisten
werde. Hierzu legte er eine E-Mail der Organisation „X“
vor, nach der T in der …ab September 2018 ihren Dienst
leisten werde, ebenso eine Teilnahmebestätigung vom 19.08.2018
der Organisation „X“. Zugleich legte er Einspruch gegen
den Aufhebungsbescheid ein.
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Die Familienkasse wies den Einspruch als
unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom
22.10.2018), da nicht nachgewiesen sei, dass es sich bei dem von T
absolvierten Freiwilligendienst um einen Freiwilligendienst i.S.
des Programms „Erasmus+“ gehandelt habe.
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Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht
(FG) vertrat die Ansicht, dass T an einem Freiwilligendienst i.S.
der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 11.12.2013 zur Einrichtung von
„Erasmus+“ - VO Nr. 1288/2013 - (Amtsblatt der
Europäischen Union Nr. L 347, S. 50) teilgenommen habe und
daher die Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch nach
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes
(EStG) erfüllt seien. Die Einrichtung „X“ sei
ausweislich des Europäischen Jugendportals ein von der
Europäischen Kommission anerkannter Veranstalter für das
Programm „Erasmus+“, die die Kommission auf ihrer
Webseite aufgeführt habe. Ein privatrechtlicher
Fördervertrag, wie von der Dienstanweisung der Familienkassen
(DA-KG 2019 = SIS 19 11 83) vorgesehen, sei nicht
erforderlich.
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Mit der Revision rügt die
Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
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Zur Begründung führt sie aus, mit
der VO Nr. 1288/2013 sei das Programm „Erasmus+“
eingerichtet worden. Bestandteil des Programms
„Erasmus+“ sei u.a. der Europäische
Freiwilligendienst (EFD). Der EFD werde auf Grundlage eines
privatrechtlichen Fördervertrags geleistet, der zwischen dem
Freiwilligen, der (meist inländischen) Entsendeorganisation,
der (meist im Gebiet der Europäischen Union - EU - bzw. des
Europäischen Wirtschaftsraums ihren Sitz habenden)
Aufnahmeorganisation und der die Förderung bewilligenden
Stelle geschlossen werde. Die die Förderung bewilligende
Stelle könne für in der Bundesrepublik Deutschland
ansässige Freiwillige die Nationalagentur JUGEND für
Europa mit Sitz in Bonn oder eine mit der Abwicklung betraute
Nationalagentur in einem der anderen 32 Programmländer sein,
in Ausnahmefällen auch unmittelbar die Europäische
Kommission in Brüssel. Nach den für die Familienkassen
verbindlichen Weisungen in A 18.3 Abs. 2 Satz 3 bzw. Abs. 3 DA-KG
2019 = SIS 19 11 83 sei der Vertrag - der erst mit
abschließender Unterzeichnung durch die bewilligende Stelle
zustande komme - zwingende Voraussetzung für die
Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d
EStG.
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Die Familienkasse beantragt, das Urteil des
Sächsischen FG vom 17.09.2019 - 2 K 1701/18 (Kg) = SIS 20 17 82 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG nach § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat kann
aufgrund der Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob T im
Streitzeitraum an einem Freiwilligendienst i.S. des § 32 Abs.
4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG teilgenommen hat.
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1. Für ein volljähriges Kind besteht
nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32
Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG ein Anspruch auf Kindergeld,
wenn das Kind einen Freiwilligendienst i.S. der VO Nr. 1288/2013
leistet.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs können Kinder nach § 32 Abs. 4 Satz 1
Nr. 2 Buchst. d EStG wegen der Teilnahme an einem
Freiwilligendienst nur berücksichtigt werden, wenn es sich
hierbei um die konkret im Gesetz direkt umschriebenen Dienste
handelt (Senatsurteile vom 18.03.2009 - III R 33/07, BFHE 224, 508,
BStBl II 2009, 1010 = SIS 09 19 64; vom 24.05.2012 - III R 68/11,
BFHE 238, 394, BStBl II 2013, 864 = SIS 12 31 01). Daher werden
Kinder, die einen Freiwilligendienst leisten, steuerrechtlich nur
berücksichtigt, wenn der Dienst die Voraussetzungen des §
32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG i.V.m. der in der Norm
genannten Verweisungsnorm (Senatsurteil in BFHE 238, 394, BStBl II
2013, 864 = SIS 12 31 01, Rz 11) bzw. - im Streitfall - mit der
genannten europäischen Verordnung erfüllt. Es liegt im
Rahmen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers, nur anerkannte,
bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen genügende Dienste zu
fördern, bei denen die mit der Förderung verfolgten Ziele
gewährleistet werden (Senatsurteile vom 07.04.2011 - III R
11/09, BFH/NV 2011, 1325 = SIS 11 23 31, Rz 13; in BFHE 224, 508,
BStBl II 2009, 1010 = SIS 09 19 64; Senatsbeschluss vom 18.06.2014
- III B 19/14, BFH/NV 2014, 1541 = SIS 14 24 45, Rz 6).
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b) Mit der VO Nr. 1288/2013 wurde das Programm
„Erasmus+“ eingerichtet. Ein Bestandteil des
Programms ist der EFD. Aus der VO Nr. 1288/2013 ergibt sich, dass
ein Freiwilligendienst i.S. dieser VO nur vorliegt, wenn
gewährleistet ist, dass das Projekt, an dem der Freiwillige
teilnimmt, die von der VO in Art. 4 im Allgemeinen und für den
Bereich der Jugend in Art. 11 ff. speziell genannten Ziele
verfolgt. Denn gemäß Art. 3 Abs. 1 der VO Nr. 1288/2013
werden im Rahmen des Programms „Erasmus+“
„ausschließlich Maßnahmen und Aktivitäten
mit potentiellem europäischen Mehrwert
unterstützt“, die zur Erreichung der in Artikel 4
genannten allgemeinen Ziele beitragen. Hierzu gehören auch
Jugendaktivitäten außerhalb der Schule im Rahmen der
jugendpolitischen Zusammenarbeit, beispielsweise im Bereich des
Freiwilligendienstes (vgl. Art. 2 Nr. 17). Insbesondere sollen
Freiwilligentätigkeiten im Rahmen des EFD die Mobilität
von jungen Menschen zwischen den EU-Ländern
(Programmländern) im Bereich des nicht formalen und
informellen Lernens unterstützen (Art. 11 Abs. 1 Buchst. a
i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 1288/2013).
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Ein Freiwilligendienst i.S. der VO Nr.
1288/2013 setzt daher voraus, dass der Freiwillige im
europäischen Ausland seine Tätigkeit im Rahmen eines
geförderten Projekts erbringt, das dieser Zielsetzung
entspricht. Ein solches EFD-Projekt liegt vor, wenn der Freiwillige
an einer im Rahmen von „Erasmus+“
unterstützten Aktion, d.h. an einem durch die Nationale
Agentur oder Exekutivagentur (entsprechende Behörde oder
Stelle) genehmigten Projekt teilnimmt. Eine Genehmigung erfolgt nur
dann, wenn das vorgeschlagene Projekt der antragstellenden
Organisation die finanzielle und operative Leistungsfähigkeit
anhand der Förderkriterien erfüllt und damit den in der
VO genannten Zielen dient.
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c) Entgegen der Ansicht des FG reicht es
für einen Freiwilligendienst i.S. der VO Nr. 1288/2013 nicht
aus, wenn die Organisation, bei der das Kind seinen Dienst leistet,
als Veranstalter für das Programm
„Erasmus+“ registriert und akkreditiert ist.
Registrierung und Akkreditierung sind lediglich die ersten Schritte
zum Zugang zum EFD und gewährleisten, dass die Grundsätze
und die Mindestanforderungen an die Qualität Europäischer
Freiwilligendienste erfüllt werden (s.
Akkreditierungsrichtlinien - EFD-Charta - : website der
Europäischen Kommission). Mit der Registrierung und
Akkreditierung, die für den gesamten Programmzeitraum (2014
bis 2020) von „Erasmus+“ erfolgen kann, wird der
Einrichtung, die einen Freiwilligendienst anbieten möchte, die
Bewerbung für eine Teilnahme an einem EFD-Projekt
ermöglicht. Die Akkreditierung ist daher lediglich eine von
mehreren Voraussetzungen für eine entsprechende
EFD-Projektbewilligung. Hat der Freiwillige die Zusage einer
akkreditierten Aufnahmeorganisation erreicht, so muss sich
spätestens danach das Antrags- und Genehmigungsverfahren durch
die entsprechenden Organisationen anschließen.
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d) Die Voraussetzungen für die
Genehmigung eines EFD-Projektes i.S. der VO Nr. 1288/2013 ergeben
sich zum einen aus der VO selbst, zum anderen aus den
entsprechenden Durchführungsbestimmungen, die im
Programmleitfaden (programme guide, s. website der
Europäischen Kommission) niedergelegt sind und für die
beteiligten Organisationen verbindlich sind.
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aa) Das Programm wird nach Art. 26 der VO Nr.
1288/2013 in einheitlicher Weise von der Kommission auf Unionsebene
und von den nationalen Agenturen auf nationaler Ebene in den
Programmländern durchgeführt (Art. 26 VO Nr. 1288/2013).
Die nationalen Agenturen, die den Anforderungen der Union für
interne Kontrollnormen und den Bestimmungen für die Verwaltung
von Programmmitteln zur Gewährung von Finanzhilfen
genügen (Art. 27 Abs. 4 VO Nr. 1288/2013) müssen,
vergeben nach einer entsprechenden Prüfung des Projekts
entweder auf der Grundlage einer Vereinbarung oder im Wege eines
Finanzhilfebeschlusses Finanzhilfen an den Empfänger (Art. 28
Abs. 5 VO Nr. 1288/2013). Das Programm wird daher weitgehend
dezentralisiert verwaltet; d.h. die meisten Europäischen
Freiwilligen nehmen an einem Projekt teil, das von einer der 33
Nationalen Agenturen der teilnehmenden Programmländer
bewilligt wurde. Ausnahmsweise kann ein Projekt auch von der in
Brüssel angesiedelten Exekutivagentur bewilligt werden.
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bb) Gemäß Art. 23 Abs. 1 der VO Nr.
1288/2013 können grundsätzlich alle öffentlichen und
privaten Einrichtungen, die in den Bereichen allgemeine und
berufliche Bildung, Jugend und Breitensport tätig sind, im
Rahmen dieses Programms Anträge auf Fördermittel stellen.
Hierfür ist - wie bereits dargestellt - erforderlich, dass
sich diese zunächst registrieren und akkreditieren lassen.
Diese Voraussetzung erfüllt die Organisation
„X“.
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cc) Weiterhin ist aber erforderlich, dass der
Freiwillige im Rahmen eines von der entsprechenden Nationalagentur
genehmigten Projekts den Freiwilligendienst erbringt. Es muss
insbesondere u.a. sichergestellt werden, dass keine gelegentlichen,
unstrukturierten und in Teilzeit ausgeübten
Freiwilligentätigkeiten, Praktika in einem Unternehmen,
bezahlte Tätigkeiten, Aktivitäten zu Erholungs- und
touristischen Zwecken, Sprachkurse oder Maßnahmen zur
Ausnutzung billiger Arbeitskräfte vorliegen. Diese
Aktivitäten stellen auch dann keinen Freiwilligendienst dar,
wenn sie bei einer akkreditierten Organisation erbracht werden.
Letztlich kann nur bei genehmigten Projekten die Einhaltung der
Förderziele gewährleistet werden.
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2. Bei Anwendung dieser Grundsätze kann
das FG-Urteil keinen Bestand haben, weil das FG allein die
Registrierung und Akkreditierung des Projektanbieters
„X“ festgestellt hat. Hingegen liegen keine
Feststellungen vor, ob T im Rahmen eines von einer Nationalagentur
anerkannten Projekts tätig geworden ist. Diese Frage kann nach
den o.g. Rechtsgrundsätzen grundsätzlich nicht
offenbleiben.
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3. Die Sache ist nicht spruchreif und deshalb
an das FG zurückzuverweisen, damit das FG die erforderlichen
Feststellungen nachholt.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
auf das FG folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
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