Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil
des Hessischen Finanzgerichts vom 15.12.2016 - 1 K 1507/16
aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu
tragen.
1
|
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist der leibliche, aber nicht rechtliche Vater
(biologischer Vater) der 1987 geborenen Tochter. Zum Zeitpunkt der
Geburt war deren Mutter mit einem anderen Mann verheiratet. Eine
Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des Ehemanns der Mutter
erfolgte nicht.
|
|
|
2
|
Der Kläger schenkte seiner Tochter am
15.03.2016 einen Geldbetrag in Höhe von 30.000 EUR und sagte
zu, etwa anfallende Schenkungsteuer zu übernehmen. In seiner
Schenkungsteuererklärung beantragte er die Anwendung der
Steuerklasse I.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) unterwarf den Erwerb der Schenkungsteuer nach
der Steuerklasse III. In dem Bescheid vom 04.05.2016
erläuterte er, die rechtliche Vaterschaft zu einer anderen
Person schließe die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft
als biologischer Vater nach § 1594 Abs. 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aus.
|
|
|
4
|
Den Einspruch des Klägers, mit dem er
geltend machte, die günstigere Steuerklasse I finde nicht nur
im Verhältnis des Kindes zu seinem rechtlichen, sondern auch
zu seinem biologischen Vater Anwendung, wies das FA mit
Einspruchsentscheidung vom 16.09.2016 zurück. Kinder i.S. des
§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) seien nur die vom Vater nach den
Regeln des Zivilrechts „abstammenden“ Kinder und
Adoptivkinder.
|
|
|
5
|
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Eine einschränkende - zivilrechtliche - Auslegung des
Kindsbegriffs sei weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und
Zweck des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG zwingend.
Sie trage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
und der mit Rücksicht auf Urteile des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) eingefügten
Vorschrift des § 1686a BGB auch nicht hinreichend Rechnung.
Eine schenkungsteuerrechtliche Privilegierung des biologischen
Vaters stehe zudem mit der Begünstigung der biologischen
Eltern im Falle der Adoption des Kindes (§ 15 Abs. 1a ErbStG)
im Einklang. Das Urteil ist in EFG 2017, 610 = SIS 17 07 58,
veröffentlicht.
|
|
|
6
|
Mit der Revision macht das FA eine
Verletzung des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG
geltend.
|
|
|
7
|
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
8
|
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
9
|
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der
Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass auf den Erwerb der
Tochter von ihrem biologischen Vater die Steuerklasse I anzuwenden
ist. Es gilt die Steuerklasse III.
|
|
|
10
|
1. Nach § 15 Abs. 1 ErbStG richtet sich
die Steuerklasseneinteilung im Regelfall für jeden einzelnen
Erb- oder Schenkungsfall nach dem persönlichen Verhältnis
des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker. Die Einteilung der
Steuerpflichtigen in unterschiedliche Steuerklassen ist
maßgebend für die Bestimmung der persönlichen
Freibeträge (§§ 16, 17 ErbStG) und die Höhe des
Steuersatzes (§ 19 ErbStG). Zur Steuerklasse I gehören
u.a. Kinder und Stiefkinder (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2
ErbStG). In die Steuerklasse III fallen alle übrigen Erwerber
(§ 15 Abs. 1 Steuerklasse III ErbStG). Die Steuerklasse III
gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift auch für den Erwerb
eines Kindes von dessen biologischem Vater.
|
|
|
11
|
a) Für die Steuerklasseneinteilung nach
§ 15 Abs. 1 ErbStG sind die bürgerlich-rechtlichen
Vorschriften über die Abstammung und Verwandtschaft
maßgebend (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
14.05.1986 - II R 37/84, BFHE 146, 471, BStBl II 1986, 613 = SIS 86 15 03; BFH-Beschlüsse vom 27.10.1982 - II B 77/81, BFHE 137,
76, BStBl II 1983, 114 = SIS 83 02 04, unter 2.b bb, und vom
24.11.2005 - II B 27/05, BFH/NV 2006, 743 = SIS 06 15 24; FG
München, Urteil vom 09.10.1986 - X 79/85 Erb, EFG 1987, 255;
Kugelmüller-Pugh in Viskorf/ Schuck/Wälzholz,
Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 5.
Aufl., § 15 ErbStG Rz 2; Weinmann in Moench/Weinmann, §
15 ErbStG Rz 14; Stein in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 15 Rz
16, 18 f.; Längle in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 6. Aufl.,
§ 15 Rz 16; BeckOK ErbStG/Gräfe, § 15 Rz 11;
Halaczinsky in Daragan/ Halaczinsky/Riedel, ErbStG, BewG, 3. Aufl.,
§ 15 ErbStG Rz 5; a.A. für den Streitfall Jülicher
in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 15 Rz 40;
von Oertzen, Zeitschrift für Erbrecht und
Vermögensnachfolge 2017, 291).
|
|
|
12
|
b) Nach § 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB sind
Personen, deren eine von der anderen abstammt, in gerader Linie
verwandt. Vater eines Kindes in diesem Sinne ist der Mann, der zum
Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, der die
Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich
festgestellt ist (§ 1592 BGB; Überschrift des Buches 4,
Abschn. 2, Titel 2 BGB: „Abstammung“; BFH-Urteil
vom 28.07.2005 - III R 68/04, BFHE 211, 107, BStBl II 2008, 350 =
SIS 06 00 20, unter II.1.a, zu § 32 Abs. 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes; Rauscher in Staudinger/Rauscher (2011),
BGB, § 1592 Rz 10 f., 14 ff., Vorbem. zu §§
1591-1600d Rz 1; Werner in Staudinger/Werner (2017), BGB, Vorbem.
zu §§ 1924-1936 Rz 20, 22b, 26; Hammermann in Ermann,
BGB, 15. Aufl., § 1592 Rz 1 ff.; Wellenhofer in Münchener
Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 1589 Rz 1, § 1592 Rz 1
f.). Das Vorliegen einer der drei Voraussetzungen führt dazu,
dass ein Mann als rechtlicher Vater angesehen wird. Aus der
rechtlichen Vaterschaft leiten sich Rechte und Pflichten ab. Der
Vater ist z.B. dem Kind zum Unterhalt verpflichtet (vgl. §
1601 i.V.m. § 1589 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1592 BGB). Das
Kind ist gegenüber seinem rechtlichen Vater erb- (vgl. §
1924 Abs. 1 BGB) und pflichtteilsberechtigt (vgl. § 2303 Abs.
1 Satz 1 BGB).
|
|
|
13
|
c) Die biologische Abstammung allein
führt nicht zur rechtlichen Vaterschaft (vgl. z.B. Rauscher in
Staudinger/Rauscher (2011), a.a.O., § 1592 Rz 20; Hammermann
in Ermann, a.a.O., § 1592 Rz 3; Wellenhofer in Münchener
Kommentar zum BGB, a.a.O., § 1589 Rz 9). Dies begegnet keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Begründung
familiärer Rechtsbeziehungen ist gesetzlich zwar so zu
gestalten, dass den leiblichen Eltern eines Kindes in der Regel
auch die rechtliche Stellung als Eltern eingeräumt wird. Der
Gesetzgeber ist aber nicht verpflichtet, die rechtliche Anerkennung
der Elternschaft stets von der Prüfung abhängig zu
machen, von wem das Kind im Einzelfall biologisch abstammt. Es
genügt, aus bestimmten tatsächlichen Umständen und
sozialen Situationen auf die leibliche Abstammung eines Kindes zu
schließen und aufgrund dieser Vermutung die Zuweisung der
rechtlichen Elternstellung vorzunehmen, wenn dies in aller Regel zu
einem Zusammentreffen von leiblicher und rechtlicher Elternschaft
führt. Konsequenz der gesetzlichen Vermutungsregelung ist,
dass leibliche und rechtliche Vaterschaft im Einzelfall
auseinanderfallen können (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom
09.04.2003 - 1 BvR 1493/96, 1 BvR 1724/01, BVerfGE 108, 82, unter
C.I.1.a, b, 3.a, und vom 13.10.2008 - 1 BvR 1548/03, NJW 2009, 423,
unter II.1., jeweils m.w.N.).
|
|
|
14
|
2. Die Systematik des § 15 ErbStG
verlangt die Anwendung der Steuerklasse I im Verhältnis des
Kindes zu seinem biologischen Vater nicht.
|
|
|
15
|
a) § 15 Abs. 1a ErbStG spricht nicht
für, sondern gegen die Einordnung des Erwerbs vom biologischen
Vater in die Steuerklasse I.
|
|
|
16
|
aa) Gemäß § 15 Abs. 1a ErbStG
gelten die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 auch dann, wenn die
Verwandtschaft durch Annahme als Kind bürgerlich-rechtlich
erloschen ist. Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur
Änderung und Vereinfachung des Einkommensteuergesetzes und
anderer Gesetze vom 18.08.1980 (BGBl I 1980, 1537) eingefügt
und beruht auf einer Änderung des Adoptionsrechts (vgl.
BTDrucks 8/3688, S. 23). Gemäß § 1755 Abs. 1 Satz 1
BGB i.d.F. des Adoptionsgesetzes vom 02.07.1976 (BGBl I 1976, 1749)
erlöschen mit der Annahme Minderjähriger
(Überschrift des Buches 4, Abschn. 2, Titel 7, Untertitel 1
BGB: „Annahme Minderjähriger“) mit Ausnahme
bestimmter Verwandtenadoptionen nach § 1756 BGB das
Verwandtschaftsverhältnis des Kindes und seiner
Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm
ergebenden Rechte und Pflichten. Bei einem Erwerb des Kindes von
seinen bisherigen Verwandten hätte dies
erbschaftsteuerrechtlich zur Anwendung der Steuerklasse III
geführt. Um diesen Nachteil zu verhindern, wurde § 15
Abs. 1a ErbStG geschaffen (vgl. BFH-Urteil vom 17.03.2010 - II R
46/08, BFHE 228, 191, BStBl II 2010, 554 = SIS 10 12 86).
|
|
|
17
|
bb) § 15 Abs. 1 und Abs. 1a ErbStG haben
zur Folge, dass die Steuerklassen I und II Nr. 1 bis 3 sowohl bei
Erwerben in dem durch Adoption Minderjähriger neu
begründeten Verwandtschaftskreis als auch bei Erwerben im
bisherigen Verwandtschaftskreis gelten, also eine
Doppelbegünstigung eintritt (BFH-Urteil in BFHE 228, 191,
BStBl II 2010, 554 = SIS 10 12 86, Rz 16), obwohl im bisherigen
Verwandtschaftskreis Unterhalts- sowie Erb- und
Pflichtteilsansprüche für die Zukunft erlöschen
(Palandt/Götz, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., §
1755 Rz 3). Damit trägt der Gesetzgeber aber nicht der
biologischen Abstammung des Kindes Rechnung. Die Begünstigung
von Erwerben im bisherigen Verwandtschaftskreis beruht vielmehr auf
der - durch Adoption erloschenen - rechtlichen Verwandtschaft des
Kindes.
|
|
|
18
|
cc) Gerade der Umstand, dass der Gesetzgeber
mit § 15 Abs. 1a ErbStG eine besondere
erbschaftsteuerrechtliche Regelung für die
Minderjährigenadoption getroffen hat, spricht dafür, dass
der Kindsbegriff i.S. des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2
ErbStG grundsätzlich nach bürgerlich-rechtlichen
Vorschriften auszulegen ist. § 15 Abs. 1a ErbStG bewirkt eine
- gesetzgeberisch gebilligte - ausnahmsweise
Doppelbegünstigung. Für den gesetzlich nicht geregelten
Fall eines ehemaligen Adoptionsverhältnisses hat der BFH
dementsprechend die Möglichkeit einer solchen
Doppelbegünstigung verneint (vgl. BFH-Urteil in BFHE 228, 191,
BStBl II 2010, 554 = SIS 10 12 86, Rz 17).
|
|
|
19
|
b) Des Weiteren hat der Gesetzgeber in §
15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG ausdrücklich Stiefkinder
einbezogen. Stiefkinder sind keine Kinder i.S. des
bürgerlich-rechtlichen Kindsbegriffs und fielen ohne diese
explizite Nennung nicht in Steuerklasse I. Eine solche
ausdrückliche Regelung der Anwendung der Steuerklasse I fehlt
für das Verhältnis eines Kindes zu seinem biologischen
Vater.
|
|
|
20
|
3. Die Einordnung des Kindes als übriger
Erwerber i.S. des § 15 Abs. 1 Steuerklasse III ErbStG bei
einem Erwerb von seinem biologischen Vater entspricht dem Sinn und
Zweck des § 15 ErbStG.
|
|
|
21
|
a) Mit der Besserstellung von Erwerbern der
Steuerklasse I begünstigt § 15 Abs. 1 ErbStG die
Weitergabe von Familienvermögen an Ehegatten und Lebenspartner
sowie an vorhergehende und nachfolgende Generationen. Die
Begünstigung dient dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz
von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - ) und
verwirklicht das Familienprinzip als Grenze für das Maß
der Steuerbelastung. Danach ist die familiäre Verbundenheit
der nächsten Angehörigen zum Erblasser oder Schenker
erbschaftsteuerrechtlich zu berücksichtigen. Der steuerliche
Zugriff ist bei Familienangehörigen derart zu
mäßigen, dass diesen der Nachlass zumindest zum deutlich
überwiegenden Teil oder, bei kleineren Vermögen,
völlig steuerfrei zugutekommt (vgl. z.B.
BVerfG-Beschlüsse vom 22.06.1995 - 2 BvR 552/91, BVerfGE 93,
165, BStBl II 1995, 671 = SIS 95 17 09, unter C.I.2.b aa, und vom
21.07.2010 - 1 BvR 611/07, BVerfGE 126, 400 = SIS 10 22 40, unter
B.I.3.a cc (1); BFH-Urteil vom 03.06.2014 - II R 45/12, BFHE 245,
374, BStBl II 2014, 806 = SIS 14 21 66, Rz 23 f.; Hannes/Holtz in
Meincke/Hannes/Holtz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 17. Aufl., § 15 Rz 2; BeckOK ErbStG/Gräfe,
§ 15 Rz 18, 30; Milatz in Burandt/Rojahn, ErbStG, § 15 Rz
1).
|
|
|
22
|
b) Die erbschaftsteuerrechtliche
Begünstigung von Kindern folgt aus der im bürgerlichen
Familien- und Erbrecht angelegten Mitberechtigung der Kinder am
Familiengut. Kinder haben aufgrund ihres Unterhaltsanspruchs gegen
ihre Eltern (§ 1601 BGB) an deren
Vermögensverhältnissen teil (vgl. BVerfG-Beschluss vom
22.06.1995 - 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 = SIS 95 17 08, unter C.II.5.b, c). Beim Tode der Eltern stehen ihnen ein
gesetzliches Erbrecht als Erben der ersten Ordnung (§ 1924
BGB) und ein Pflichtteilsanspruch (§ 2303 Abs. 1 BGB) zu.
Diese Rechte sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die Weitergabe
des in der Familie gebildeten Vermögens an die nächste
Generation fördern. Damit korrespondiert das Schutzziel des
Familienprinzips, kleine und mittlere Vermögen als Grundlage
der privaten Lebensgestaltung möglichst ungeschmälert in
der Generationenfolge zu erhalten. Dem trägt die Einordnung
von Kindern in die Steuerklasse I Rechnung (vgl. BVerfG-Beschluss
in BVerfGE 126, 400 = SIS 10 22 40, unter B.I.3.a cc (2)(b); vgl.
auch Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, BTDrucks 13/4839, S.
63; Hannes/Holtz in Meincke/Hannes/Holtz, a.a.O., § 15 Rz 2;
BeckOK ErbStG/Gräfe, § 15 Rz 18, 30).
|
|
|
23
|
c) Unter Beachtung dieses Gesetzeszwecks ist
es sachgerecht, den erbschaftsteuerrechtlichen Kindsbegriff auf
Kinder i.S. des Abstammungsrechts (§ 1592 BGB) zu
beschränken. Allein die bürgerlich-rechtliche Abstammung
begründet Unterhaltspflichten sowie das gesetzliche Erbrecht
und den Anspruch auf den Pflichtteil. Demgegenüber bestehen im
Rahmen der biologischen Vaterschaft diese gesetzlichen finanziellen
Verpflichtungen, die zur Bildung und Weitergabe von
Familienvermögen beitragen, nicht. Dies rechtfertigt es, ein
Kind bei Erwerben von seinem biologischen Vater auf die
ungünstigere Steuerklasse III zu verweisen.
|
|
|
24
|
4. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG erfordert keine
Auslegung des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG
dahingehend, dass auf den Erwerb des Kindes von seinem biologischen
Vater die Steuerklasse I anzuwenden ist. Die grundrechtlich
geschützte Elternposition, mit der die Anwendung der
Steuerklasse I verknüpft ist, hat nur der rechtliche Vater
inne.
|
|
|
25
|
a) Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG
sind Pflege und Erziehung des Kindes Recht und Pflicht der Eltern.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG steht zwar auch der leibliche,
nicht rechtliche Vater eines Kindes unter dem Schutz der
Grundrechtsnorm. Leiblicher Vater eines Kindes zu sein, macht ihn
allerdings noch nicht zum Träger des Elternrechts aus Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG. Die Norm schützt den leiblichen Vater
lediglich in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des
Kindes einzunehmen. Sie gewährleistet ihm den Zugang zu einem
Verfahren, in dem die Vaterschaft überprüft und das
Elternrecht gegebenenfalls rechtlich neu zugeordnet wird. Art. 6
Abs. 2 Satz 1 GG garantiert dem leiblichen Vater danach nicht das
Elternrecht, sondern nur einen verfahrensrechtlichen Zugang zu
jenem Recht (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 108, 82, unter
C.I.1. und 3.; in NJW 2009, 423, unter II.2.a; vom 24.02.2015 - 1
BvR 562/13, Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht - FamRZ
- 2015, 817, Rz 7, und vom 25.09.2018 - 1 BvR 2814/17, NJW 2018,
3773, Rz 18; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH - vom
15.11.2017 - XII ZB 389/16, NJW 2018, 947, Rz 24, 27).
|
|
|
26
|
b) Träger des Elternrechts ist, wer -
ggf. infolge eines solchen Verfahrens - rechtlicher Vater eines
Kindes ist (z.B. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 108, 82, unter
C.I.2.b, und vom 20.09.2006 - 1 BvR 1337/06, FamRZ 2006, 1661,
unter II.2.a). Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann der
biologische Vater die Elternposition auch nicht neben dem
rechtlichen Vater einnehmen. Ein Nebeneinander von zwei
Vätern, denen zusammen mit der Mutter jeweils die gleiche
grundrechtlich zugewiesene Elternverantwortung für das Kind
zukommt, entspricht nicht der Vorstellung von elterlicher
Verantwortung, die Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zugrunde liegt. Auch der
gesellschaftliche Wandel familiärer Lebenszusammenhänge
fordert dies nicht. Dass rechtliche und leibliche Vaterschaft
auseinanderfallen können, ist kein neues Phänomen, das
sich auf die Veränderung familiärer Strukturen
zurückführen ließe. Es findet seine Ursache
vielmehr in der Rechtstradition, die Vaterschaft aufgrund
bestimmter sozialer Sachverhalte zu vermuten, darauf die rechtliche
Zuordnung des Kindes zu stützen und nur dann im Einzelfall die
leibliche Vaterschaft als Grundlage für die rechtliche
festzustellen, wenn die gesetzliche Vermutung nicht mehr trägt
(BVerfG-Beschluss in BVerfGE 108, 82, unter C.I.2.a und
III.1.a).
|
|
|
27
|
5. Die Anwendung der Steuerklasse I auf den
Erwerb des Kindes von seinem biologischen Vater ist auch im Lichte
des Art. 6 Abs. 1 GG nicht geboten.
|
|
|
28
|
Gemäß Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe
und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG bildet auch der leibliche, aber
nicht rechtliche Vater eines Kindes mit diesem eine Familie, die in
den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG fällt, wenn zwischen
ihm und dem Kind eine soziale Beziehung besteht, die darauf beruht,
dass er zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung
für das Kind getragen hat. Für diesen Fall hat das BVerfG
aus Art. 6 Abs. 1 GG aber lediglich ein Umgangsrecht des leiblichen
Vaters abgeleitet (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 108, 82,
unter C.II.1. und III.1.b; vom 04.12.2013 - 1 BvR 1154/10, FamRZ
2014, 191, Rz 5, und in FamRZ 2015, 817, Rz 7). Es wurden ihm weder
weitergehende Rechte zugesprochen noch Pflichten auferlegt, die
denen des rechtlichen Vaters entsprächen und eine
steuerrechtliche Privilegierung der Erwerbe vom leiblichen Vater
rechtfertigten.
|
|
|
29
|
6. Eine Berücksichtigung der - als
Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite
von Grundrechten heranzuziehenden - Europäischen Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der
dazu ergangenen Rechtsprechung des EGMR (vgl. z.B. auch
BVerfG-Beschlüsse vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111,
307 = SIS 04 39 67, unter C.I.1.a, und vom 27.01.2015 - 1 BvR
471/10, BVerfGE 138, 296, Rz 149; BFH-Urteil vom 17.05.2017 - V R
52/15, BFHE 258, 124, BStBl II 2018, 218 = SIS 17 12 80, Rz 39)
führt zu keinem anderen Ergebnis.
|
|
|
30
|
a) Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat
jede Person u.a. das Recht auf Achtung ihres Privat- und
Familienlebens. Nach dessen Abs. 2 darf eine Behörde in die
Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff
gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft
notwendig ist für die nationale oder öffentliche
Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur
Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten,
zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte
und Freiheiten anderer.
|
|
|
31
|
b) Nach der Rechtsprechung des EGMR kann Art.
8 EMRK dahingehend ausgelegt werden, dass er den Mitgliedstaaten
die Verpflichtung auferlegt zu prüfen, ob es dem Kindeswohl
dient, dem leiblichen Vater den Aufbau einer Beziehung zu seinem
Kind zu ermöglichen, insbesondere durch die Gewährung
eines Umgangsrechts (z.B. EGMR-Urteile Anayo/Deutschland vom
21.12.2010 - 20578/07, NJW 2011, 3565, und Schneider/ Deutschland
vom 15.09.2011 - 17080/07, NJW 2012, 2781). Dies bedeutet
gegebenenfalls die Feststellung der leiblichen Vaterschaft in einem
Umgangsverfahren, wenn unter den besonderen Umständen der
Rechtssache davon ausgegangen wird, dass ein Umgang zwischen
leiblichem Vater und Kind dem Kindeswohl dienen würde (z.B.
EGMR-Urteil Kautzor/Deutschland vom 22.03.2012 - 23338/09, NJW
2013, 1937, Rz 77). Eine konventionsrechtliche Pflicht, dem
mutmaßlichen leiblichen Vater zu gestatten, die Stellung des
rechtlichen Vaters anzufechten, oder eine separate Klage auf
Feststellung der leiblichen Vaterschaft zuzulassen, besteht aber
nicht. Insoweit besteht ein staatlicher Ermessensspielraum (z.B.
EGMR-Urteile in NJW 2013, 1937, Rz 78, und Ahrens/Deutschland vom
22.03.2012 - 45071/09, juris, Rz 74; EGMR-Entscheidungen
Hülsmann/ Deutschland Nr. 2 vom 05.11.2013 - 26610/09, NJW
2014, 3083, Rz 47 f.; vom 02.12.2014 - 546/10, juris, Rz 23 f., und
vom 10.03.2015 - 42719/14, FamRZ 2016, 437, Rz 22 f., jeweils
m.w.N.; vgl. auch BGH-Beschlüsse vom 18.10.2017 - XII ZB
525/16, FamRZ 2018, 41, Rz 15, und in NJW 2018, 947, Rz 29).
|
|
|
32
|
c) Aus dieser Rechtsprechung lässt sich
keine konventionsrechtliche Pflicht ableiten, Erwerbe vom
biologischen Vater steuerrechtlich genauso wie Erwerbe vom
rechtlichen Vater zu behandeln. Der EGMR hat Art. 8 EMRK nicht
entnommen, dass biologische und rechtliche Väter
gleichzustellen wären. Er unterscheidet vielmehr zwischen
rechtlicher Vaterschaft, die Elternverantwortung mit
sämtlichen elterlichen Rechten und Pflichten bedeutet, und
biologischer Vaterschaft, die lediglich einzelne Rechte, etwa zum
Umgang mit dem Kind, vermittelt.
|
|
|
33
|
d) Etwas anderes ergibt sich nicht aus den
Entscheidungen des EGMR, nach denen die erbrechtliche
Ungleichbehandlung von nichtehelichen und ehelichen Kindern
(EGMR-Urteile Brauer/Deutschland vom 28.05.2009 - 3545/04, FamRZ
2009, 1293, und Mitzinger/Deutschland vom 09.02.2017 - 29762/10,
FamRZ 2017, 656) und die Ungleichbehandlung von Vätern
nichtehelicher Kinder bezüglich des Zugangs zur elterlichen
Sorge (EGMR-Urteil Zaunegger/Deutschland vom 03.12.2009 - 22028/04,
NJW 2010, 501) Art. 14 (Diskriminierungsverbot) i.V.m. Art. 8 EMRK
verletzen. Grund für die Nichtanwendung der Steuerklasse I auf
den erbschaftsteuerrechtlichen Erwerb des Kindes von seinem
biologischen Vater ist nicht dessen fehlende Ehe mit der Mutter bei
der Geburt des Kindes, sondern der Umstand, dass ein anderer Mann,
der nicht mit der Mutter verheiratet sein muss, rechtlicher Vater
des Kindes ist.
|
|
|
34
|
7. Entgegen der Ansicht des FG und des
Klägers rechtfertigt schließlich auch § 1686a BGB
keine andere Entscheidung.
|
|
|
35
|
a) Gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 1
BGB hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind
gezeigt hat, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht,
ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl
dient, und gemäß § 1686a Abs. 1 Nr. 2 BGB ein Recht
auf Auskunft von jedem Elternteil über die persönlichen
Verhältnisse des Kindes, soweit er ein berechtigtes Interesse
hat und dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Die Regelungen
wurden durch das Gesetz zur Stärkung der Rechte des
leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vom 04.07.2013 (BGBl I 2013,
2176) eingefügt und sind am 13.07.2013 in Kraft getreten. Dem
leiblichen Vater, dessen Kind mit den rechtlichen Eltern in einer
Familie lebt und der zu seinem Kind keine enge persönliche
Beziehung aufbauen konnte, soll unter bestimmten Voraussetzungen
ein Umgangs- und Auskunftsrecht eingeräumt werden (BTDrucks
17/13269, S. 1).
|
|
|
36
|
b) § 1686a Abs. 1 BGB setzt voraus, dass
das Kind einen anderen rechtlichen Vater hat. Fehlt ein solcher,
ermöglicht § 1686a BGB nicht eine „Elternschaft
light“ mit Rechten ohne Pflichten (vgl. BTDrucks
17/12163, S. 12).
|
|
|
37
|
Mit § 1686a BGB hat der Gesetzgeber dem
leiblichen Vater punktuelle Rechte eingeräumt, ohne die
Regelungen über die Abstammung zu ändern. An der
Unterscheidung zwischen rechtlicher Vaterschaft mit umfassender
Elternverantwortung und (nur) biologischer Vaterschaft ohne
Elternrechte und -pflichten hat er festgehalten (vgl.
Peschel-Gutzeit in Staudinger/Dürbeck (2019), BGB, §
1686a Rz 4-6). Dass er die Stellung des biologischen Vaters
darüber hinaus insgesamt aufwerten wollte, ist nicht
erkennbar. Dem Protokoll der zweiten und dritten Beratung des
Gesetzentwurfs im Bundestag lässt sich entnehmen, dass eine
noch weiter gehende Stärkung der Rechtsposition des leiblichen
Vaters letztlich nicht gewollt war (vgl. Plenarprotokoll 17/237, S.
29840 ff.). Insbesondere ein uneingeschränktes
Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters, das diesen in die Stellung
des rechtlichen Vaters einrücken und Unterhalts- sowie
Erbansprüche entstehen ließe, wurde abgelehnt
(Plenarprotokoll 17/237, S. 29843, 29845 f.). Gleiches gilt
für die Überlegung, das Umgangsrecht des biologischen
Vaters an dessen Bereitschaft, seinem Kind Unterhalt zu
gewähren, zu knüpfen (Plenarprotokoll 17/237, S. 29846).
Die Beibehaltung der Regelungen in § 1592 BGB, die bei der
Anwendung des § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG
heranzuziehen sind, war daher eine bewusste gesetzgeberische
Entscheidung. Ob die bestehenden gesetzlichen Vorschriften auch
zukünftig noch rechtspolitisch wünschenswert erscheinen
oder ob den Interessen des biologischen Vaters im Erbschaft- und
Schenkungsteuerrecht ein höherer Stellenwert gebühren
soll, hat allein der Gesetzgeber zu entscheiden (vgl. auch
BGH-Beschlüsse in FamRZ 2018, 41, Rz 15, und in NJW 2018, 947,
Rz 27).
|
|
|
38
|
8. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Sache ist spruchreif und
die Klage ist abzuweisen. Der Schenkungsteuerbescheid vom 4.5.2016
und die Einspruchsentscheidung vom 16.9.2016 sind
rechtmäßig. Das FA hat den Erwerb zutreffend der
Schenkungsteuer nach der Steuerklasse III unterworfen. Die
leibliche Tochter des Klägers gehört zu den übrigen
Erwerbern i.S. des § 15 Abs. 1 Steuerklasse III ErbStG. Sie
ist kein Kind des Klägers i.S. des § 15 Abs. 1
Steuerklasse I Nr. 2 ErbStG, da der Kläger - zwischen den
Beteiligten unstreitig - ihr biologischer, nicht aber ihr
rechtlicher Vater ist.
|
|
|
39
|
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 1 FGO.
|