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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 2006 und 2007
im Inland einen gemeinsamen Wohnsitz unterhielten und zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Die Klägerin arbeitete in
jenen Jahren in Österreich als Auslandskorrespondentin
für einen inländischen Verlag. Die zuständige
Finanzbehörde hatte dem Arbeitgeber mit Bescheinigungen vom
16.11.2005 und 7.12.2007 mitgeteilt, dass der Arbeitslohn der
Klägerin nach § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.
6 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) und dem Abkommen zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen (BGBl II 2002, 735, BStBl I 2002,
584) - DBA-Österreich 2000 - nicht dem Steuerabzug in der
Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unterliege. Die
Klägerin wurde in Österreich für die Streitjahre mit
ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zur
Einkommensteuer veranlagt.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) stellte die Einkünfte der Klägerin,
mit denen diese in Österreich veranlagt worden war, nach
Maßgabe von Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15
Abs. 1 DBA-Österreich 2000 steuerfrei. Allerdings erfasste er
die Vergütungen, soweit diese anteilig auf Reiseaufenthalte in
Drittstaaten außerhalb von Österreich entfielen, sowie
die Unterschiedsbeträge zwischen den
Arbeitslohnbescheinigungen des Arbeitgebers der Klägerin und
denjenigen Einkünften, welche ausweislich der
österreichischen Steuerbescheide der Besteuerung in
Österreich zugrunde gelegt worden waren. Die betreffenden
Vergütungsanteile beliefen sich auf 4.182,21 EUR (2006) sowie
11.668,71 EUR (2007); die besagten Unterschiedsbeträge
errechneten sich mit 1.948,44 EUR (2006) und 2.074,01 EUR
(2007).
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Die dagegen gerichtete Klage war
erfolgreich; das stattgebende Urteil des Finanzgerichts (FG)
Düsseldorf vom 19.2.2013 10 K 2438/11 E ist in EFG 2013, 1010
= SIS 13 16 14 abgedruckt.
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Seine Revision stützt das FA auf
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
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Das dem Revisionsverfahren beigetretene
Bundesministerium der Finanzen hat keine Anträge
gestellt.
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II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Dieses hat zu Unrecht
die tätigkeitsbedingten Anwesenheiten der Klägerin in
sog. Drittstaaten genügen lassen, um Österreich und nicht
Deutschland das Besteuerungsrecht an den anteiligen
Arbeitslöhnen zuzuweisen. Die vom FG getroffenen
tatrichterlichen Feststellungen erlauben es gegenwärtig
allerdings nicht, abschließend darüber zu entscheiden,
ob Deutschland aus abkommensrechtlicher Sicht überhaupt der
maßgebende Ansässigkeitsstaat der Klägerin ist. Es
bedarf dazu ebenso noch weiterer Sachaufklärung, wie zu der
Frage, ob es gerechtfertigt ist, in Österreich steuerlich
gegebenenfalls nicht erfasste Einkunftsteile infolge der
Rückfallregelung in § 50d Abs. 8 EStG 2002 in Deutschland
zu besteuern.
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1. Die Klägerin hatte in den Streitjahren
in Deutschland einen Wohnsitz und war hier deswegen nach § 1
Abs. 1 EStG 2002 unbeschränkt steuerpflichtig; sie unterlag
daher mit allen in den Streitjahren erzielten Einkünften der
Einkommensteuer.
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2. Das deutsche Besteuerungsrecht an dem von
der Klägerin vereinnahmten Arbeitslohn (§ 19 EStG 2002)
wird durch das DBA-Österreich 2000 eingeschränkt.
Vorausgesetzt, es handelt sich bei der Klägerin um eine in
Deutschland ansässige Person, ist der Lohn deswegen nach Art.
23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Art. 15 Abs. 1
DBA-Österreich 2000 von der Bemessungsgrundlage der deutschen
Steuer auszunehmen. Das betrifft entgegen der Annahme der
Vorinstanz aber nicht jene Vergütungsbestandteile, welche
anteilig auf die Reisetätigkeit und Reisezeit der
Klägerin in Drittstaaten entfallen.
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a) Nach Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich
2000 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche
Vergütungen, die eine in Deutschland ansässige Person aus
unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert
werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat
ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen
die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat
besteuert werden. Ausnahmen davon enthält Art. 15 Abs. 2, 3
und 4 DBA-Österreich 2000, von dessen Voraussetzungen im
Streitfall jedoch nur jene des Absatzes 4 einschlägig sind.
Die Arbeit gilt danach im anderen Vertragsstaat nur dann als
ausgeübt, wenn die Vergütungen in Übereinstimmung
mit diesem Abkommen im anderen Vertragsstaat besteuert worden sind.
Das alles wird nach den tatrichterlichen Feststellungen der
Vorinstanz und ausweislich der von der Klägerin beigebrachten
Einkommensteuerbescheide der österreichischen
Finanzbehörden erfüllt.
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b) Nach Auffassung der Vorinstanz erstreckt
sich die Zuweisung des Besteuerungsrechts an Österreich auf
die gesamte Tätigkeit der Klägerin als
Auslandskorrespondentin, also auch insoweit, als sie von ihrem
Redaktionsbüro in Österreich aus Dienstreisen in die
angrenzenden Länder unternommen hat. Dem ist indessen nicht
beizupflichten. Der Arbeitsort befindet sich dort, wo der
Arbeitnehmer sich zur Ausübung seiner Tätigkeit
tatsächlich aufhält. Ausschlaggebend ist die physische
Anwesenheit im Tätigkeitsstaat, nicht eine
„vertragliche“ Anwesenheit, also eine
Anwesenheit, welche sich allein daraus ableitet, dass der
Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet ist, im Rahmen seiner
Tätigkeit auch Tätigkeiten in seinem Wohnsitzstaat oder
in Drittstaaten zu erbringen und sich dafür (auch) dort
tatsächlich aufzuhalten. Für die Vergütung, die er
für solche Aufenthalte anteilig erhält, kann der
Tätigkeitsstaat kein Besteuerungsrecht beanspruchen (vgl.
Kempermann in Flick/Wassermeyer/Kempermann, DBA
Deutschland-Schweiz, Art. 15 Rz 38; Bourseaux/Levedag in
Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 15 Rz 87; Wassermeyer/Schwenke in
Wassermeyer, DBA, MA Art. 15 Rz 72; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA,
6. Aufl., Art. 15 Rz 31a). Das gilt für alle Berufsgruppen
(vgl. beispielsweise Senatsurteile vom 31.3.2004 I R 88/03, BFHE
206, 64, BStBl II 2004, 936 = SIS 04 27 47, für
Berufskraftfahrer; vom 5.10.1994 I R 67/93, BFHE 175, 424, BStBl II
1995, 95 = SIS 95 04 54, für Geschäftsführer); es
gibt keinen tragfähigen Grund, für
Auslandskorrespondenten davon abzuweichen.
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Aus der Protokollerklärung in Abs. 7 Satz
1 zu Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich 2000 folgt nichts anderes.
Danach besteht zwar „Einverständnis darüber,
dass der Begriff ‘Vergütungen, wenn sie im anderen
Vertragsstaat besteuert worden sind’, sich auf jegliche
Arbeit bezieht, die im anderen Vertragsstaat steuerlich
erfaßt worden ist“. Doch ist dieses
„Einverständnis“ nicht geeignet, das
tatsächliche Tätigkeitserfordernis nach Maßgabe des
vorstehend beschriebenen Verständnisses zu modifizieren. Die
danach bestehende räumlich-physische Verengung des
Tätigkeitsbegriffs nach Maßgabe von Art. 15 Abs. 1
DBA-Österreich 2000 verbleibt vielmehr uneingeschränkt.
Es wird durch den Protokollpassus lediglich verdeutlicht, dass die
Erfassung der betreffenden Vergütungen im Tätigkeitsstaat
ebenso erforderlich ist wie zugleich auch genügt, um den
Besteuerungsrückfall auszuschließen (vgl. Stefaner in
Wassermeyer, a.a.O., Österreich Art. 15 Rz 8). Bezieht der
Tätigkeitsstaat trotzdem auch solche Einkünfte ein, die
anteilig auf Tätigkeiten des Arbeitnehmers außerhalb
seines Territoriums entfallen, verlässt er den Bereich des ihm
abkommensrechtlich zugewiesenen Besteuerungsrechts. Eine sich
daraus womöglich ergebende Doppelbesteuerung wäre
indessen nicht dem anderen Vertragsstaat, also dem Wohnsitzstaat,
anzulasten. Sie wäre gegebenenfalls im Wege einer
zwischenstaatlichen Verständigung zu beseitigen (Art. 25
DBA-Österreich 2000; vgl. auch dazu Stefaner, ebenda, Rz
12).
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c) Folge dieses Normenverständnisses ist,
dass der Arbeitslohn der Klägerin, der anteilig auf deren
Reisen in Drittstaaten entfällt, der deutschen Besteuerung
unterfällt. Das FA hat diese Anteile zeitanteilig gegriffen.
Die Beteiligten haben dagegen keine Einwände erhoben und auch
der Senat hat dazu keine Veranlassung.
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d) Voraussetzung all dessen ist allerdings,
dass die Klägerin überhaupt eine im Inland ansässige
Person i.S. von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1
DBA-Österreich 2000 ist. Davon gehen die Beteiligten ganz
offensichtlich aus. Ungeklärt bleibt in diesem Zusammenhang
bislang jedoch, ob die Klägerin in Österreich als dem
Vertragsstaat, in dem und von dem aus sie ihrer Tätigkeit als
Auslandskorrespondentin nachgegangen ist, in den Streitjahren
über einen weiteren Wohnsitz verfügt hat, der als
ständige Wohnstätte i.S. von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a
DBA-Österreich 2000 zu qualifizieren ist. Wäre dies der
Fall, müsste ihre Ansässigkeit nach Maßgabe von
Art. 4 Abs. 2 DBA-Österreich 2000 bestimmt werden.
Insbesondere wird zu klären sein, ob sie in Deutschland
zusammen mit dem Kläger den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen
innegehabt hat. Das FG wird dazu die notwendigen tatrichterlichen
Feststellungen nachzuholen haben.
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3. Die Beteiligten streiten darüber
hinaus darum, ob das Österreich abkommensrechtlich zugewiesene
Besteuerungsrecht an den Arbeitsvergütungen zusätzlich in
jenem Umfang an Deutschland zurückfällt, in welchem die
Vergütungen vom österreichischen Fiskus nicht in dem
vorbezeichneten Umfang erfasst worden sind. Der
Besteuerungsrückfall könnte in jenem Umfang auf der Basis
von Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich 2000 i.V.m. Nr. 7 des
zitierten Protokolls gründen. Er könnte vor allem aber
durch § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002 ausgelöst sein.
Hiernach wird die Freistellung von Einkünften eines
unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbständiger
Arbeit, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer
auszunehmen sind, nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige
nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das
Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet
hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte
festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Zu den tatbestandlichen
Voraussetzungen beider Rückfallvorschriften fehlt es an
notwendigen tatrichterlichen Feststellungen. Die Vorinstanz hat im
Wesentlichen nur darauf abgestellt, dass die Klägerin ihre
Einkünfte in Österreich vermutlich zutreffend deklariert
habe und sie sich „jedenfalls darauf verlassen (durfte),
dass ihre in Österreich gemachten Angaben zu ihren
Bezügen nicht zu einer Anwendung von § 50d Abs. 8 EStG
führen würden“. Ein derartiger „guter
Glaube“ gehört aber nicht zum Tatbestand von §
50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002; vielmehr bedarf es danach der
erwähnten Nachweise des Steuerpflichtigen. Der „gute
Glaube“ gehört auch nicht zum Tatbestand des Art. 15
Abs. 4 DBA-Österreich 2000 i.V.m. Nr. 7 des dazu
veröffentlichten Protokolls. Die Vorinstanz wird (auch) dem im
zweiten Rechtsgang weiter nachzugehen haben, gegebenenfalls unter
Beiziehung der seinerzeitigen Steuererklärungen, die von der
Klägerin in Österreich vorgelegt worden sind. Dass diese
Erklärungen bislang nicht Gegenstand der Steuerakten sind,
steht dem nach den Maßstäben des finanzgerichtlichen
Amtsermittlungsgrundsatzes (vgl. § 88 der Abgabenordnung,
§ 76 Abs. 1 FGO) - abweichend von der diesbezüglichen
Bemerkung des FG - nicht entgegen.
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Sollte es nach der gebotenen
Sachaufklärung in entscheidungserheblicher Weise auf einen
Besteuerungsrückfall nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG 2002
ankommen, wäre es allerdings wohl allein sachgerecht, das
Klageverfahren im Hinblick auf das diese Vorschrift betreffende
Normenkontrollersuchen des Senats an das Bundesverfassungsgericht
durch Beschluss vom 10.1.2012 I R 66/09 (BFHE 236, 304 = SIS 12 12 75) nach § 74 FGO auszusetzen.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung
beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
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