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I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (2002) auf der
Grundlage ihrer im Mai 2003 eingereichten
Einkommensteuererklärung zuletzt mit Bescheid vom August 2006
zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Im Rahmen einer
strafbefreienden Selbstanzeige erklärte der Kläger im
Jahr 2010 bislang nicht erklärte Einkünfte aus
Kapitalvermögen und privaten
Veräußerungsgeschäften für die Jahre 1999 bis
2008 nach. Auf das Streitjahr entfielen Einkünfte aus
Kapitalvermögen in Höhe von 13.439 EUR und negative
Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften
von 29.978,44 EUR.
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Im geänderten Einkommensteuerbescheid
für das Streitjahr vom September 2010 berücksichtigte der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) die
Einkünfte aus Kapitalvermögen, die Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften mangels Verrechenbarkeit mit
ebensolchen Gewinnen aber nicht. Mit Schreiben vom Oktober 2010
beantragten die Kläger, auf den 31.12.2002 einen verbleibenden
Verlustvortrag hinsichtlich der Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften von 29.978,44 EUR
festzustellen. Dies lehnte das FA mit Bescheid vom November 2010
wegen eingetretener Verjährung ab.
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Die Klage hatte Erfolg. In seinem in EFG
2012, 1638 = SIS 12 20 61 veröffentlichten Urteil
verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA, den verbleibenden
Verlustvortrag antragsgemäß festzustellen. Nach §
23 Abs. 3 Satz 9, 2. Halbsatz des Einkommensteuergesetzes i.d.F.
des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) -
EStG - gelte § 10d Abs. 4 EStG nach § 52 Abs. 39 Satz 7
EStG auch im Streitjahr entsprechend, da am 1.1.2007 die
Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei. Die
Feststellungsfrist sei auch im Jahr 2010 noch nicht abgelaufen
gewesen, so dass dem Antrag auf Feststellung stattzugeben sei. Zwar
hätte die reguläre Feststellungsfrist mit Ablauf des
31.12.2009 geendet. Die verlängerte Verjährungsfrist des
§ 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) greife nicht ein,
weil hinsichtlich der Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften unstreitig keine
Steuerhinterziehung vorliege. Indes ende die Feststellungsfrist
nach § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG nicht, bevor die
Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen sei,
auf dessen Schluss der verbleibende Verlustvortrag gesondert
festzustellen sei. Diese Festsetzungsfrist des Streitjahres ende
wegen der Steuerhinterziehung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO aber
erst mit Ablauf des 31.12.2013. Die Teilverjährung auf der
Ebene der Steuerfestsetzung hindere die Verlustfeststellung nicht.
Eine entsprechende Einschränkung könne man § 10d
Abs. 4 Satz 6 EStG nicht entnehmen.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
die es auf die Verletzung von Bundesrecht stützt. Die
Auffassung des FG sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dessen
Ausführungen zum Sinn und Zweck der Verjährungsregelungen
überzeugten nicht.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
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Ergänzend zur Argumentation des FG
verweisen die Kläger auch auf die Systematik des Gesetzes.
Sofern der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, nicht auf die
gesamte in § 169 AO geregelte Festsetzungsfrist zu verweisen,
habe er dies stets ausdrücklich klargestellt, so z.B. in
§ 147 Abs. 3 Satz 3 AO oder in § 164 Abs. 4 Satz 2
AO.
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II. Die Revision ist begründet und
führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung zur Entscheidung in der Sache selbst,
nämlich zur Abweisung der Klage. Das FG hat das FA
unzutreffend dazu verpflichtet, verbleibende Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften des Klägers in
Höhe von 29.978,44 EUR festzustellen. Ein derartiger Anspruch
aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 23 Abs. 3 Satz 9 EStG)
ist durch Verjährung (§§ 169 bis 171 AO) erloschen,
§ 47 AO. Es ist dem FG wie auch den Beteiligten
beizupflichten, dass die Feststellungsfrist ohne
Berücksichtigung des § 10d Abs. 4 Satz 6, 1. Halbsatz
EStG am 31.12.2009 abgelaufen wäre. Die Beteiligten streiten
nur darüber, ob die besondere Ablaufhemmung des § 10d
Abs. 4 Satz 6, 1. Halbsatz EStG eingreift. Indes ist auch die
Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum des
Streitjahres abgelaufen, so dass die Voraussetzungen der besonderen
Ablaufhemmung nicht vorliegen.
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1. Nach § 10d Abs. 4 Satz 6, 1. Halbsatz
i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 9, 2. Halbsatz EStG endet die
Feststellungsfrist - auch für das Streitjahr (§ 52 Abs.
39 Satz 7 EStG) - nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den
Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss der
verbleibende Verlustvortrag gesondert festzustellen ist (zum
Hintergrund dieser Regelung s. BTDrucks 16/3368, S. 17; Heuermann
in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 10d Rz D 114).
Festsetzungsfrist ist die Festsetzungsfrist für die
Einkommensteuer des Streitjahres. Diese Festsetzungsfrist begann -
da die Kläger ihre Einkommensteuererklärung im Mai 2003
abgegeben hatten - mit Ablauf des 31.12.2003 (§ 170 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 AO) und endete nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
mit Ablauf des 31.12.2007.
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2. Die Festsetzungsfrist verlängert sich
nicht auf zehn Jahre. § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist nicht
anwendbar.
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a) Nach dieser Vorschrift beträgt die
Festsetzungsfrist zehn Jahre, soweit eine Steuer hinterzogen worden
ist. Hinterzogen wurde im Streitfall nur die Einkommensteuer, die
auf Einkünfte aus Kapitalvermögen entfällt. Aus dem
Gesetz folgt umgekehrt: Soweit die Steuer nicht hinterzogen ist,
bleibt es bei der regulären Festsetzungsfrist. Damit kommt in
Bezug auf die Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften die nicht durch § 169
Abs. 2 Satz 2 AO verlängerte vierjährige
Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO zum Zuge.
Dieser aus dem Gesetz abgeleitete Grundsatz der Teilverjährung
ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
und der dort verwendeten restriktiven Konjunktion
„soweit“. Eine unterschiedliche Verjährung
einzelner Teilbeträge desselben Steueranspruchs ist danach
möglich (einhellige Auffassung, vgl. Bundesfinanzhof - BFH -,
Urteil vom 26.2.2008 VIII R 1/07, BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659
= SIS 08 25 83; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, §
169 AO Rz 66; Kruse in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 169 AO Rz 14;
Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 169 Rz
22; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 169 Rz 25).
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b) Entgegen dem FG lässt sich damit eine
entsprechende Einschränkung aus § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG
entnehmen, indem diese Vorschrift mit der
„Festsetzungsfrist für den
Veranlagungszeitraum“ auf die §§ 169 ff. AO
verweist, an die dort geregelten Tatbestände anknüpft und
insbesondere die Teilverjährung des § 169 Abs. 2 Satz 2
AO in sich aufnimmt. Verlängert sich die Festsetzungsfrist nur
für Steuern, soweit sie hinterzogen wurden, wird auch der
Ablauf der Feststellungsfrist dann nicht gehemmt, soweit es um die
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen geht, welche die
Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung nicht erfüllen (zu
den Folgen bei gesonderter Feststellung vgl. auch Banniza in HHSp,
§ 169 AO Rz 66, m.w.N.). Damit erledigt sich auch die
systematische Argumentation des Klägers: Wenn das Gesetz auf
die gesamten in § 169 AO enthaltenen Regelungen verweist, so
auch auf die in § 169 Abs. 2 Satz 2 AO enthaltenen
Restriktionen.
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c) Das bedeutet bezogen auf den Streitfall:
Die Festsetzungsfrist ist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
lediglich in Bezug auf die Einkommensteuer noch nicht abgelaufen,
die auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen entfällt.
Infolgedessen ist im Übrigen Festsetzungsverjährung
eingetreten (nämlich schon mit Ablauf des Jahres 2007), mit
der weiteren Folge, dass die besondere Ablaufhemmung für die
Feststellungsfrist gemäß § 23 Abs. 3 Satz 9 i.V.m.
§ 10d Abs. 4 Satz 6 EStG nicht eingreift und die
Feststellungsfrist am 31.12.2009 abgelaufen war.
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d) Dieses am Wortlaut der Vorschriften
ausgerichtete Ergebnis entspricht dem Zweck des Gesetzes:
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aa) Wenn es § 169 Abs. 2 Satz 2 AO mit
der auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungsfrist dem durch
die Steuerstraftat geschädigten Steuergläubiger
ermöglichen soll, die ihm vorenthaltenen Steuerbeträge
auch nach Ablauf von vier Jahren zurückzufordern, so darf
diese Grundentscheidung - z.B. in Erstattungsfällen - nicht in
ihr Gegenteil verkehrt werden (eingehend zum Zweck BFH-Urteil in
BFHE 220, 229, BStBl II 2008, 659 = SIS 08 25 83). Genau dies
wäre aber der Fall, wollte man den Ablauf der
Feststellungsfrist durch die wegen Steuerhinterziehung
verlängerte Festsetzungsfrist hemmen. Denn dann würde der
Steuerpflichtige, der seine Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften nicht
vorschriftsgemäß erklärt hat, nur deshalb
begünstigt, weil er darüber hinaus Steuern hinterzogen
hat. Er könnte nun noch innerhalb der gemäß §
23 Abs. 3 Satz 9, § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG, § 169 Abs. 2
Satz 2 AO (verlängerten) Feststellungsfrist Verluste aus
privaten Veräußerungsgeschäften geltend machen,
während derjenige, der keine Steuerhinterziehung begangen hat,
diese Möglichkeit nicht hätte.
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bb) Auch der Zweck des § 10d Abs. 4 Satz
6 i.V.m. § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG fordert keine vom Wortlaut
des Gesetzes abweichende Auslegung: Wenn es Sinn der dienenden
Funktion des Feststellungsverfahrens für das
Festsetzungsverfahren ist, sicherzustellen, dass sich
Veränderungen der für den Verlustvortrag
maßgebenden Bezugsgrößen im
Verlustfeststellungsverfahren auswirken können (BTDrucks
16/3368, S. 17), so gilt dies jedenfalls in der Konstellation des
Streitfalls nicht: Die hinterzogenen Einkünfte aus
Kapitalvermögen haben keinerlei Auswirkungen auf die
vorzutragenden und gesondert festzustellenden verbleibenden
Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften.
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3. Da die Vorentscheidung diesen
Maßstäben nicht entspricht, ist sie aufzuheben. Die
Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Da die
reguläre Feststellungsfrist unstreitig Ende 2009 ablief, war
Feststellungsverjährung eingetreten und eine gesonderte
Feststellung der Verluste aus privaten
Veräußerungsgeschäften des Streitjahres darf nicht
mehr ergehen.
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