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I. Streitig ist die
Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes
(StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433).
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Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Gründungsgesellschafter einer im Jahr 1993
errichteten und im Jahr 2000 in eine AG umgewandelten GmbH. Seine
Beteiligung bewegte sich bis zu der vorliegend streitbefangenen
Anteilsveräußerung im August 2003 zwischen 4,9 % und 7
%. Aus dieser Veräußerung erzielte der Kläger
unstreitig einen Veräußerungsgewinn von 389.187,50 EUR,
den der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) im
Einkommensteuerbescheid 2003 unter Anwendung des
Halbeinkünfteverfahrens mit 194.593 EUR als Einkünfte
i.S. von § 17 EStG erfasste. Der im März 2011 ergangene
Änderungsbescheid erfasst diese Einkünfte nur noch mit
142.187 EUR; der Teil des vom Kläger erzielten Gewinns aus der
Aktienveräußerung, der auf den Zeitraum bis zum
26.10.2000, dem Tag der Verkündung des Steuersenkungsgesetzes
entfällt, wird nicht mehr besteuert.
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Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) entschied mit seinem in EFG 2012, 516 = SIS 12 17 20, veröffentlichten Urteil, der angefochtene
Steuerbescheid sei rechtmäßig, § 17 Abs. 1 Satz 1
EStG i.d.F. des StSenkG verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1
des Grundgesetzes (GG).
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Hiergegen richtet sich die Revision des
Klägers, mit der er allein geltend macht, dass die Regelung in
§ 17 Abs. 1 Satz 1 EStG („(1) Zu den Einkünften aus
Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der
Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft,
wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf
Jahre unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt
war. ...“) gegen das Grundgesetz verstoße und so seine
in 2003 angefallenen Veräußerungsgewinne aus dem Verkauf
der Aktien der AG ohne Rechtsgrund versteuert worden seien.
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Erreiche oder überschreite der
Steuerpflichtige mit einer Kapitalbeteiligung 1 % des
Gesellschaftskapitals, so sei der gesamte Gewinn aus der
Veräußerung von Anteilen zu versteuern, d.h. Gewinne aus
Veräußerungen beträfen nicht nur die
Kapitalbeteiligung, die die Schwelle von 1 % übertreffe,
sondern sie erfasse auch die Beteiligungsanteile, die - separat
betrachtet - „unter 1 % liegen“. Im Gegensatz hierzu
blieben Gewinne aus Kapitalbeteiligungen dann steuerfrei, wenn die
Kapitalbeteiligung insgesamt 1 % nicht erreiche. Ein sachlicher
Grund für die Einführung der 1 %-Schwelle sei nicht
erkennbar. Sie sei lediglich fiskalisch motiviert. Die
Gesetzesbegründung hierzu sei nicht tragfähig, sie gehe
weitgehend ins Leere.
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Die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG sei
auch darin begründet, dass die 1 %-Regelung zum 1.1.2002 in
Kraft getreten sei und in dem angefochtenen Steuerbescheid für
die Feststellung des Einstandskurses nur die Wertsteigerungen
berücksichtigt worden seien, die bis zur Verkündung am
26.10.2000 stattgefunden hätten. Wertsteigerungen bis zum
31.12.2001 seien aber von der Steuer auszunehmen. Da die
Veräußerung von Anteilen generell bis zum 31.12.2001
unbesteuert geblieben sei, seien auch die bis zu diesem Zeitpunkt
entstandenen Wertsteigerungen aus der Steuerbarkeit
auszuklammern.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2003 dahingehend zu
ändern, dass die Einkommensteuer auf 70.012 EUR herabgesetzt
wird,
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hilfsweise, den Einkommensteuerbescheid
2003 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf
85.760 EUR herabgesetzt wird.
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Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
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II. Die Revision ist unbegründet und
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung).
Zutreffend hat das FG den angegriffenen Einkommensteuerbescheid
für rechtmäßig und § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG (1
%-Grenze) für verfassungsgemäß erachtet.
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Die in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG in der im
Streitjahr geltenden Fassung des StSenkG enthaltene 1 %-Grenze
für die Steuerbarkeit von Gewinnen aus
Beteiligungsveräußerungen verstößt nicht
gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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a) Art. 3 Abs. 1 GG begrenzt die
gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers im Bereich
des Steuerrechts in einer speziell diesem Regelungsgegenstand
Rechnung tragenden Weise (dazu Urteil des Bundesverfassungsgerichts
- BVerfG - vom 9.12.2008 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL
2/08, BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42, BGBl I 2008, 2888 -
Pendlerpauschale - C.I.2.a ff., m.w.N.). So hat der Gesetzgeber bei
der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des
Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die
grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen
Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen
knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird
hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem
durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch
das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der
finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der
Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich
gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden,
Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich
hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während
(in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im
Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen
sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen
Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene
Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der
Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen
folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen
Grundes.
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b) Nach diesen Grundsätzen bewegt sich
die 1 %-Grenze des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG im Rahmen der
gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit.
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aa) Die Entscheidung, ob Gewinne aus der
Veräußerung von Gegenständen des
Privatvermögens besteuert werden, ist eine solche politischer
Gestaltung und liegt - wie der Dualismus der Einkunftsarten -
innerhalb des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der
Erschließung von Steuerquellen zukommt (vgl.
BVerfG-Entscheidungen vom 9.7.1969 2 BvL 20/65, BVerfGE 26, 302 =
SIS 70 00 87; allgemein in BVerfGE 122, 210 = SIS 08 43 42, m.w.N.;
in BVerfGE 127, 61 = SIS 10 22 39, BGBl I 2010, 1296, unter
B.II.).
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Der Gesetzgeber trifft mit der Einführung
der 1 %-Grenze eine neue Systementscheidung. Entsprechend
erklärt er in der Gesetzesbegründung, dass es auf eine
Wesentlichkeit nicht mehr ankommt (BTDrucks 14/3366, S. 118).
Vielmehr kommt § 17 EStG eine neue Funktion zu, nämlich
grundsätzlich sicherzustellen, dass es nicht durch
Veräußerung der Beteiligung möglich ist, die
Halbeinkünftebesteuerung auf der Ebene des Anteilseigners, der
seine Anteile nicht in einem Betriebsvermögen hält, zu
vermeiden (BTDrucks 14/3366, S. 118). Insoweit erachtet es der
Gesetzgeber zur Vermeidung von Steuerumgehungen für geboten,
die Grenze für die wesentliche Beteiligung auf mindestens 1 %
zu senken (BTDrucks 14/2683, S. 114). Die Wahl dieser Minimalgrenze
ist von der Gestaltungsfreiheit und Typisierungsbefugnis des
Steuergesetzgebers umfasst. Darauf, dass der Gesetzgeber sein
genanntes Ziel - wie der Kläger meint - treffsicher und in
folgerichtiger Fortführung seiner - schon mit der Absenkung
der Wesentlichkeitsgrenze auf 10 % sowie der Verlängerung der
sog. Spekulationsfristen des § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das
Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 begonnenen -
Gesetzgebungslinie einer zunehmend weitergehenden Besteuerung
privater Wertzuwächse auch mit einer ausnahmslosen
Gewinnbesteuerung bei Beteiligungsveräußerungen
hätte erreichen können, kommt es nicht an. Auch dass ein
prozentualer Anteil an einer Kapitalgesellschaft die
Leistungsfähigkeit des Gesellschafters in Abhängigkeit
von der Größe der Gesellschaft abbildet, macht die
prozentuale Beteiligung nicht zum gleichheitswidrigen
Anknüpfungspunkt für die Einkommensbesteuerung (vgl. auch
Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar,
§ 17 Rz 6 und 9; zur Kritik an der 1 %-Grenze
demgegenüber Gosch in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 17 Rz
2). Vielmehr fügt sich diese typisierende tatbestandliche
Abbildung einer Minimalgrenze für den Steuerzugriff in die
bisherige Struktur des § 17 EStG ein. Es handelt sich im
Gesamtkontext des Einkommensteuergesetzes um ein praktikables
Kriterium für die Abgrenzung steuerbarer und nichtsteuerbarer
Anteilsveräußerungen, um eine hinreichend klare
Differenzierung für den Gesetzesvollzug.
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bb) Nicht zu beanstanden ist auch die
steuerliche Erfassung von Wertsteigerung von der
Gesetzesverkündung bis zum Inkrafttreten der 1 %-Grenze. Zur
rückwirkenden Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25 % auf
10 % bei der Besteuerung privater Veräußerungen von
Kapitalanteil hat das BVerfG mit Beschluss vom 7.7.2010 2 BvR
748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 (BVerfGE 127, 61 = SIS 10 22 39) jedoch lediglich entschieden, dass § 17 Abs. 1 Satz 4
i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 gegen die
verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes
verstoße und nichtig sei, soweit in einem
Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst
werden, die bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 entstanden sind und die entweder - bei einer
Veräußerung bis zu diesem Zeitpunkt - nach der zuvor
geltenden Rechtslage steuerfrei realisiert worden sind oder - bei
einer Veräußerung nach Verkündung des Gesetzes -
sowohl zum Zeitpunkt der Verkündung als auch zum Zeitpunkt der
Veräußerung nach der zuvor geltenden Rechtslage
steuerfrei hätten realisiert werden können. Eine
Gleichheitswidrigkeit im Hinblick auf Wertsteigerungen zwischen
Verkündung und Inkrafttreten der neuen Rechtslage hat das
BVerfG nicht angenommen. Die Erfassung von Wertsteigerungen von der
Verkündung bis zum Inkrafttreten der 1 %-Grenze ist eine
solche des Vertrauensschutzes, nicht eine von Art. 3 Abs. 1 GG.
Eine Gleichheitswidrigkeit ist insoweit nicht ersichtlich.
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