1
|
I. Streitig ist die Festsetzung des
Gewerbesteuermessbetrags im Hinblick auf den sog. Sanierungserlass
(Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - zur
ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen vom 27.3.2003,
BStBl I 2003, 240 = SIS 03 19 23).
|
|
|
2
|
Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) beantragte für das Streitjahr (2003) mehrfach
eine abweichende Festsetzung von Steuern nach § 163 Satz 1 der
Abgabenordnung (AO) aus sachlichen Billigkeitsgründen. Sie
trug vor, in dem Gewerbeertrag für das Streitjahr in Höhe
von 1.710.595 EUR sei ein Sanierungsgewinn in Höhe von
5.462.906 EUR aus dem Erlass von Bankschulden enthalten. Zum Zwecke
einer Sanierung hätten verschiedene Banken auf Forderungen
verzichtet. Entsprechende Unterlagen über die Vereinbarungen
mit den Banken einschließlich eines
Restrukturierungskonzeptes wurden vorgelegt. Hierdurch seien die
Voraussetzungen für einen Steuererlass aus sachlichen
Billigkeitsgründen nach dem Sanierungserlass erfüllt. Der
Gewerbesteuermessbetrag sei daher auf 0 EUR herabzusetzen. Zu
berücksichtigende vortragsfähige Fehlbeträge zur
Gewerbesteuer lagen nicht vor.
|
|
|
3
|
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) war zwar der Auffassung, dass ein
Sanierungsgewinn i.S. des Sanierungserlasses vorliege, setzte den
Gewerbesteuermessbetrag des Streitjahres aber dennoch mit Bescheid
vom 26.3.2010 auf 107.805 EUR fest. Das FA berief sich darauf, dass
der Sanierungserlass keine allgemeine Verwaltungsvorschrift
für die abweichende Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags
nach § 184 Abs. 2 Satz 1 AO sei. Dies entsprach der Auffassung
der Oberfinanzdirektion Rheinland, die auf eine Anfrage des FA
mitgeteilt hatte, der Sanierungserlass regele in Randnummer 15 in
Bezug auf die Gewerbesteuer, dass für Stundung und Erlass der
Gewerbesteuer die Gemeinde zuständig sei; dies entspräche
der Regelung in Abschn. 3 Abs. 1 Satz 7 der
Gewerbesteuer-Richtlinien 1998. Demnach habe die Gemeinde im Rahmen
der Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer in eigener
Zuständigkeit zu prüfen, ob ein Sanierungsgewinn
vorliege.
|
|
|
4
|
Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf gab
der dagegen erhobenen Klage mit Urteil vom 16.3.2011 7 K 3831/10 AO
(veröffentlicht in EFG 2011, 1685 = SIS 11 25 14)
statt.
|
|
|
5
|
Mit seiner Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Während des Revisionsverfahrens
ist das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen dem
Rechtsstreit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.
|
|
|
6
|
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
|
|
|
7
|
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
8
|
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FA
konnte vom FG nicht dazu verpflichtet werden, den
Gewerbesteuermessbetrag für das Streitjahr im Billigkeitswege
niedriger festzusetzen (§§ 184 Abs. 2 i.V.m. 163 AO); es
ist dafür nicht zuständig.
|
|
|
9
|
Steuern können nach § 163 Satz 1 AO
niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen,
die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer
unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach
Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 184 Abs. 2
Satz 1 AO schließt die Befugnis des Betriebsfinanzamtes
(§ 22 Abs. 1 AO), Realsteuermessbeträge festzusetzen,
auch die Befugnis zu Billigkeitsmaßnahmen i.S. von § 163
Satz 1 AO ein, soweit für solche Maßnahmen in einer
allgemeinen Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung oder einer
obersten Landesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden
sind. Diese Voraussetzungen des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO liegen
im Streitfall nicht vor.
|
|
|
10
|
a) Der Sanierungserlass ist weder eine
allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung noch eine
allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten
Landesfinanzbehörde i.S. des § 184 Abs. 2 AO. Aus dem
Sanierungserlass kann sich damit grundsätzlich keine
Zuständigkeit des FA zur abweichenden Festsetzung aus
sachlichen Billigkeitsgründen nach § 163 AO ergeben.
|
|
|
11
|
aa) Bei dem Sanierungserlass handelt es sich
zwar um eine allgemeine Anordnung des BMF, in der mit bindender
Wirkung für die nachgeordneten Landesfinanzbehörden
allgemeine Grundsätze dazu niedergelegt sind, wann ein sog.
Sanierungsgewinn vorliegt und wie ein solcher ertragsteuerlich zu
behandeln ist. Dadurch soll eine einheitliche Verwaltungspraxis
sichergestellt werden.
|
|
|
12
|
Eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der
Bundesregierung i.S. der 1. Alternative des § 184 Abs. 2 Satz
1 AO ist der Sanierungserlass aber nicht. Denn dafür
bedürfte es der Entschließung der Bundesregierung als
Kollegium und einer Zustimmung des Bundesrates (vgl. im Einzelnen
Broß/Mayer in: v. Münch/ Kunig, Grundgesetz, 6. Aufl.,
2012, Rz 45 ff. zu Art. 84, m.w.N.). Die entsprechenden
Erfordernisse ergeben sich aus Art. 108 Abs. 7, Art. 84 Abs. 2
sowie Art. 85 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG), welche auch für
das Rechtsverständnis des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO
einschlägig sind. Hier wie dort geht es darum, die
Hoheitsbefugnisse zwischen Bund und Ländern im Bereich der
Steuerverwaltung rational und effektiv zu verteilen. Dafür,
dass der Gesetzgeber davon abweichend in § 184 Abs. 2 Satz 1
AO den Verwaltungserlass eines Bundesministeriums hätte
genügen lassen wollen, ist nichts ersichtlich. Die prinzipiell
zu beachtende Einheit der Rechtsordnung gebietet das Gegenteil.
|
|
|
13
|
Die einschlägigen Regelungsanforderungen
werden für den Sanierungserlass nicht erfüllt. Dieser ist
weder von der Bundesregierung noch mit Zustimmung des Bundesrates
erlassen worden (im Ergebnis ebenso Verwaltungsgericht - VG -
Halle, Urteil vom 22.6.2011 5 A 289/09, juris, Rz 36 ff.). Dass in
H 1.5. Abs. 1 im Amtlichen Gewerbesteuer-Handbuch 2009
ausdrücklich auf den Sanierungserlass verwiesen wird,
ändert daran nichts. Zum einen ergehen die
„Hinweise“ im Gegensatz zu den
Gewerbesteuer-Richtlinien nicht im Verfahren nach Art. 108 Abs. 7
GG. Zum anderen genügt der bloße Hinweis auf den
Sanierungserlass ohnehin nicht, um eine allgemeine
Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung annehmen zu
können.
|
|
|
14
|
bb) Bei dem Sanierungserlass handelt es sich
auch nicht um eine allgemeine Verwaltungsvorschrift einer obersten
Landesfinanzbehörde i.S. der 2. Alternative des § 184
Abs. 2 AO. Der Senat muss nicht entscheiden, ob dem Begriff der
allgemeinen Verwaltungsvorschrift in diesem Zusammenhang eine
andere Bedeutung zukommt als im Zusammenhang mit einer allgemeinen
Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung. Denn Erlassgeber ist
jedenfalls keine oberste Landesfinanzbehörde. Der
Sanierungserlass ergeht zwar - ausweislich des Einleitungssatzes -
im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der
Länder. Gleichwohl bleibt es dabei, dass Erlassgeber allein
das BMF ist und dass dies nicht die obersten
Länderfinanzbehörden sind. Bestätigt wird dies durch
die Regelung des § 21a des Gesetzes über die
Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz). Dort ist
ausdrücklich vorgesehen, dass das BMF mit Zustimmung der
obersten Finanzbehörden der Länder einheitliche
Verwaltungsgrundsätze bestimmen kann.
|
|
|
15
|
Für die im Streitfall maßgebende
Rechtsfrage nach der Zuständigkeit für die Festsetzung
und Erhebung der Gewerbesteuer in Nordrhein-Westfalen sind
überdies §§ 1 und 3 des Gesetzes über die
Zuständigkeit für die Festsetzung und Erhebung der
Realsteuern vom 16.12.1981 (GV NRW 1981, 732) einschlägig.
Darin ist die Zuständigkeit der Gemeinden festgelegt und
werden der Finanzminister und der Innenminister ermächtigt,
Verwaltungsvorschriften zur Durchführung dieses Gesetzes zu
erlassen. Auch daran fehlt es hier.
|
|
|
16
|
b) Dementsprechend erübrigen sich die
weiteren Überlegungen der Vorinstanz, inwieweit der
Erlassgeber in Randnummer 15 des Sanierungserlasses
ausschließlich die Stundung und den Erlass nach §§
222, 227 AO, nicht aber auch die abweichende Steuerfestsetzung
gemäß §§ 163, 184 AO (vgl. Seer, FR 2010, 306,
310) regeln wollte und dies auch nur bezogen auf die Gewerbesteuer,
nicht aber auf den Gewerbesteuermessbetrag. Gleiches gilt für
die Ausführungen zur Verwaltungsökonomie (s. auch VG
Halle, a.a.O., juris, Rz 46).
|
|
|
17
|
Unbeantwortet bleiben können ebenso die
nach wie vor umstrittenen Fragen danach, ob der Sanierungserlass
den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts sowie des
unionsrechtlichen Beihilfeverbots (vgl. z.B. Breuninger/Ernst,
GmbHR 2011, 673 Fußn. 94; Frey/Mückl, GmbHR 2010, 1193)
uneingeschränkt genügt.
|