1
|
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen
der W-KG (KG). Die KG war als Großhändlerin vorwiegend
im Handel mit Getränkedosen tätig. Die von ihr in das
europäische Ausland verkaufte Ware wurde von Spediteuren, die
von den Abnehmern in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union beauftragt worden waren, aus einem inländischen Lager
abgeholt. Der jeweilige Fahrer quittierte auf dem gemäß
dem Beförderungsvertrag im internationalen
Straßengüterverkehr (Convention on the Contract for International Carriage of
Goods by Road - CMR-Übereinkommen -, BGBl II 1961,
1120) ausgestellten Frachtbrief (CMR-Frachtbrief), die Ware in
Empfang genommen zu haben. Die Aufträge der ausländischen
Kunden erfolgten per Telefon oder Telefax. Die Ware wurde bei
Abholung bar bezahlt.
|
|
|
2
|
Die KG meldete mit
Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar, Februar und Juni 2005
überwiegend innergemeinschaftliche Lieferungen an und machte
jeweils Umsatzsteuerguthaben geltend. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) erklärte zu den
Voranmeldungen für Januar und Februar 2005 seine Zustimmung.
Im August 2005 teilte er der KG mit, eine Zustimmung für die
Voranmeldung Juni 2005 komme nicht in Betracht. Hiergegen legte die
KG noch im August 2005 Einspruch ein.
|
|
|
3
|
Das FA änderte mit Bescheiden vom
November 2005 die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für
Januar und Februar 2005 und setzte mit Bescheid vom Dezember 2005
die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für Juni 2005 abweichend von
der Voranmeldung mit dem Hinweis fest, dass sich hierdurch der
Einspruch vom August 2005 erledigt habe. Gegen die
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Januar und Februar
2005 vom November 2005 legte die KG Einspruch ein. Eine
Einspruchsentscheidung ist nicht ergangen. Mit Bescheid vom Januar
2006 änderte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für
Februar 2005 erneut.
|
|
|
4
|
Den Änderungsbescheiden lagen die
Ermittlungen der Steuerfahndung zugrunde, wonach von der KG als
innergemeinschaftliche Lieferungen erklärte Umsätze nicht
an die genannten Unternehmen ausgeführt worden seien, sondern
an Abnehmer in Deutschland.
|
|
|
5
|
Die KG erhob im März 2006 Klage und
begehrte, die im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens mit
Bescheiden vom Oktober 2006 erneut geänderten
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Januar, Februar und
Juni 2005 unter Berücksichtigung steuerfreier
innergemeinschaftlicher Lieferungen zu ändern.
|
|
|
6
|
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Die als Untätigkeitsklage nach § 46 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Klage sei
unbegründet. Die i.S. des § 6a des Umsatzsteuergesetzes
(UStG) als innergemeinschaftliche Lieferungen angemeldeten
Umsätze seien nicht steuerfrei. CMR-Frachtbriefe seien keine
i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) als
Versendungsbelege geeigneten Dokumente. Dies gelte insbesondere,
wenn sie wie im Streitfall unvollständig ausgefüllt
seien, weil sie ganz überwiegend keine Angaben zum Ort und
Zeitpunkt des Empfangs der Lieferung in Feld 24, zu Name und
Anschrift des Frachtführers oder zum Ort der Lieferung in Feld
3 enthielten. Einen Nachweis über die Versendung auf andere
Weise habe die KG nicht geführt. Die Lieferungen seien bereits
mangels vollständig erfüllter Nachweispflichten nicht
nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG als steuerfrei zu behandeln. Das
Urteil ist in EFG 2008, 653 = SIS 08 13 16
veröffentlicht.
|
|
|
7
|
Nachdem die KG wegen Nichtzulassung der
Revision gegen die Vorentscheidung Beschwerde eingelegt hatte,
wurde über ihr Vermögen im August 2008 das
Insolvenzverfahren eröffnet. Das unterbrochene
Beschwerdeverfahren wurde durch den Kläger aufgenommen und mit
Beschluss des Senats vom April 2009 wurde die Revision
zugelassen.
|
|
|
8
|
Mit seiner Revision rügt der
Kläger die Verletzung materiellen Rechts sowie
Verfahrensmängel. Die KG habe mit den vorliegenden
CMR-Frachtbriefen trotz des Fehlens einer gesonderten
Empfängerbestätigung in Feld 24 den Belegnachweis
über die Versendung i.S. der §§ 17a Abs. 4 Satz 1
Nr. 2, 10 Abs. 1 Nr. 1 UStDV erbracht. Die KG könne
Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG beanspruchen.
Sie habe trotz beachteter kaufmännischer Sorgfaltspflicht
nicht erkennen können, dass die Angaben der Abnehmer unrichtig
gewesen seien und die Ware das Inland nicht verlassen habe. Das FG
habe entgegen § 76 FGO den Sachverhalt unvollständig
ermittelt, den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und
gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens
verstoßen.
|
|
|
9
|
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG Hamburg vom 5.12.2007 7 K 71/06 aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
zurückzuverweisen.
|
|
|
10
|
Das FA beantragt die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
|
|
|
11
|
Das FG habe in revisionsrechtlich nicht zu
beanstandender Weise festgestellt, dass die KG den nach § 17a
UStDV erforderlichen Belegnachweis nicht erbracht habe, und
rechtsfehlerfrei entschieden, dass die Lieferungen nicht nach
§ 6a Abs. 4 Satz 1 UStG als steuerfrei zu behandeln seien. Die
vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel seien nicht
gegeben oder könnten infolge Rügeverzichts nicht mehr
gerügt werden.
|
|
|
12
|
II. Die Revision des Klägers ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
FGO).
|
|
|
13
|
1. Das FG hat die Klage zu Recht als
zulässig behandelt. Die Voraussetzungen einer
Untätigkeitsklage i.S. des § 46 Abs. 1 FGO liegen vor.
Darüber besteht auch kein Streit zwischen den Beteiligten.
|
|
|
14
|
2. Entgegen der Auffassung des FG kann im
Rahmen des Nachweises einer innergemeinschaftlichen Lieferung ein
CMR-Frachtbrief ein geeigneter Versendungsbeleg i.S. des § 6a
Abs. 3 UStG i.V.m. § 17a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und § 10
Abs. 1 UStDV sein.
|
|
|
15
|
Versendet wie im Streitfall der Unternehmer
oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige
Gemeinschaftsgebiet, soll der Unternehmer den Nachweis
hierüber durch das Doppel der Rechnung i.S. der §§
14, 14a UStG und durch einen Beleg entsprechend § 10 Abs. 1
UStDV führen (§ 17a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 UStDV).
|
|
|
16
|
a) Diesen Belegnachweis soll der Unternehmer
durch einen Versendungsbeleg, insbesondere durch Frachtbrief,
Konnossement, Posteinlieferungsschein (§ 10 Abs. 1 Nr. 1
UStDV) oder sonstigen handelsüblichen Beleg, insbesondere
durch eine Spediteurbescheinigung oder eine Versandbestätigung
des Lieferers (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 UStDV) erbringen.
|
|
|
17
|
b) Ein CMR-Frachtbrief ist entgegen der
Vorentscheidung als Frachtbrief i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1
UStDV anzusehen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
12.5.2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511 = SIS 09 25 68, unter II.B.3.b). Auch die Finanzverwaltung erkennt nunmehr
einen CMR-Frachtbrief als belegmäßigen Nachweis an
(Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 5.5.2010
IV D 3 - S 7141/ 08/10001, 2010/0334195, BStBl I 2010, 508 = SIS 10 11 54, Rz 37).
|
|
|
18
|
c) Entgegen der Ansicht des FG scheidet ein
CMR-Frachtbrief nicht bereits deshalb als geeigneter
Versendungsbeleg aus, weil das Formular in Feld 24 nicht oder
unvollständig ausgefüllt ist. Für die Anerkennung
eines CMR-Frachtbriefs als Versendungsbeleg nach § 10 Abs. 1
Nr. 1 UStDV kommt es nicht darauf an, dass dieser die in Feld 24
vorgesehene Empfängerbestätigung aufweist (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511 = SIS 09 25 68,
unter II.B.3.c; a.A. BMF-Schreiben in BStBl I 2010, 508 = SIS 10 11 54, Rz 38).
|
|
|
19
|
3. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung war daher
aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Den tatsächlichen
Feststellungen des FG lässt sich nicht entnehmen, in welchem
Umfang die vorgelegten CMR-Frachtbriefe - abgesehen von dem Feld 24
- ausgefüllt waren.
|
|
|
20
|
a) Wie das FG zutreffend erkannt hat, ist die
Angabe des Bestimmungsortes grundsätzlich erforderlich, um die
Beförderung oder Versendung in das übrige
Gemeinschaftsgebiet belegmäßig nachzuweisen. Denn die
für die Ablieferung vorgesehene Stelle muss sowohl nach §
408 Abs. 1 Nr. 4 des Handelsgesetzbuchs als auch nach Art. 6 Nr. 1
Buchst. d CMR-Übereinkommen aus einem Frachtbrief hervorgehen.
Ob ausnahmsweise bei einem Reihengeschäft zum Schutz der
Geschäftsbeziehungen auch die Angabe des Bestimmungslandes
ausreichend sein kann (vgl. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
14.10.2010 6 K 1643/08, EFG 2011, 670 = SIS 10 42 20, Revision
eingelegt, Az. XI R 42/10), kann im Streitfall offenbleiben. Denn
einen solchen Fall hat das FG nicht festgestellt.
|
|
|
21
|
Mit dieser Auffassung, dass sich die für
die Ablieferung vorgesehene Stelle aus dem Frachtbrief ergeben
muss, weicht der Senat nicht von der Rechtsprechung des V. Senats
des BFH ab. Dieser hat es in Abholfällen unter Hinweis auf das
Fehlen handelsüblicher Belege nicht beanstandet, dass das FG
für die Angabe des Bestimmungsortes die Rechnungsanschrift als
ausreichend angesehen hat (vgl. BFH-Urteil vom 7.12.2006 V R 52/03,
BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420 = SIS 07 06 41, unter II.2.c).
Dagegen gibt es in Fällen einer Versendung mit einem
Frachtbrief einen handelsüblichen Beleg, in dem - wie
dargelegt - der Bestimmungsort anzugeben ist.
|
|
|
22
|
b) Deshalb vermag der Senat auch der in der
Literatur zum Nachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in
Beförderungsfällen nach § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV
vertretenen Ansicht, die Angabe des Bestimmungsortes dürfe in
den nationalen Nachweis- und Kontrollregeln nicht maßgebend
sein, weil sie kein Kriterium nach Art. 28c Teil A Buchst. a
Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - nunmehr Art. 138 Abs.
1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Amtsblatt der Europäischen
Union Nr. L 347/1) - sei (vgl. Wagner, Haufe Steuer Office,
Haufe-Index 1969513, Stand 8.11.2007), nicht zu folgen. Im
Übrigen ist es Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung der
allgemeinen Rechtsgrundsätze der Europäischen Union zu
bestimmen, welche Beweise die Steuerpflichtigen vorlegen
müssen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu
gelangen, eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und
Steuerhinterziehungen zu verhindern (vgl. z.B. Urteil des
Gerichtshofs der Europäischen Union vom 7.12.2010 Rs. C-285/09
- R -, DStR 2010, 2572, UR 2011, 15 = SIS 11 00 36, Rz 43 f.,
m.w.N.).
|
|
|
23
|
c) Da es sich bei § 17a Abs. 4 Satz 1
UStDV um eine Sollvorschrift über die an den Nachweis nach
§ 17a Abs. 1 UStDV zu stellenden Anforderungen handelt (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 216, 367, BStBl II 2007, 420 = SIS 07 06 41,
unter II.2.c), bleibt es dem Unternehmer allerdings unbenommen,
einen geeigneten Ersatzbeleg vorzulegen, soweit sich der Ort der
voraussichtlichen Auslieferung der vom Frachtführer in Empfang
genommenen Ware nicht aus dem Frachtbrief ergibt.
|
|
|
24
|
d) Soweit das FG danach im zweiten Rechtsgang,
den Beleg- und Buchnachweis als geführt ansehen sollte, wird
es nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens
gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu
entscheiden haben, ob Vertrauensschutz zu gewähren ist. Der
Senat sieht entgegen dem Begehren des Klägers im
gegenwärtigen Verfahrensstadium auf der Grundlage des bisher
festgestellten Sachverhalts keinen Anlass, der insoweit ggf.
erforderlichen Gesamtwürdigung aller Umstände
vorzugreifen.
|