1
|
I. Die zusammen zur Einkommensteuer
veranlagte Klägerin und Revisionsklägerin und der
inzwischen verstorbene Kläger und Revisionskläger
(Kläger) erzielten im Streitjahr (1998) Einkünfte aus
Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit. Der Gesamtbetrag der
Einkünfte belief sich auf 663.618 DM. Die 1975 geborene
Tochter A leidet an Down-Syndrom. Ihr Schwerbehindertenausweis ist
mit dem Merkmal „H“ gekennzeichnet. A war im Streitjahr
in einer sozialtherapeutischen Hofgemeinschaft untergebracht und
ging in einer angeschlossenen Behindertenwerkstatt einer
Tätigkeit nach. Sie wurde im Streitjahr bei den Klägern
gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt.
|
|
|
2
|
A ist Eigentümerin eines ihr 1993 vom
Großvater geschenkten Mehrfamilienhauses in B. Sie erzielte
im Streitjahr aus der Vermietung dieses Objekts negative
Einkünfte in Höhe von 10.486 DM.
|
|
|
3
|
Die Kläger machten im Streitjahr
Aufwendungen für die Unterbringung und den Werkstattbesuch
ihrer Tochter als außergewöhnliche Belastung
gemäß § 33 EStG geltend. Sie bezifferten die Kosten
nach Abzug von vereinnahmtem Pflegegeld und
Verpflegungsaufwendungen auf 77.114 DM. Der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die
Aufwendungen nicht. Das FA ließ jedoch den
Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) und den
Pflege-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 6 EStG) zum Abzug zu.
|
|
|
4
|
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2008, 1710 = SIS 08 27 11). Es führte u.a. aus, dass
Aufwendungen von Eltern erwachsener behinderter Menschen in
vollstationärer Heimunterbringung grundsätzlich eine
außergewöhnliche Belastung seien. Im Streitfall bestehe
jedoch die Besonderheit, dass A über ein nicht unerhebliches
Vermögen - ein Mehrfamilienhaus - verfüge. Deshalb komme
eine steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen nicht in
Betracht. Dies sei in § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG
ausdrücklich normiert, gelte aber auch in den Fällen des
§ 33 EStG.
|
|
|
5
|
Die Kläger beantragen
sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid dahingehend zu ändern, dass 77.114 DM,
hilfsweise 73.176 DM, als außergewöhnliche Belastungen
abgezogen werden.
|
|
|
6
|
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
|
|
|
7
|
II. Die Revision der Kläger ist
begründet; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die
Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die
Unterstützungsleistungen der Kläger für ihre Tochter
zu Unrecht vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen
ausgeschlossen.
|
|
|
8
|
1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die
Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem
Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen
als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher
Einkommensverhältnisse, gleicher
Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes
erwachsen (außergewöhnliche Belastungen). Aufwendungen
sind außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer
Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach
außerhalb des Üblichen liegen. Aufwendungen erwachsen
einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus
rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht
entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig
sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§
33 Abs. 2 EStG).
|
|
|
9
|
2. Im Streitfall sind den Klägern die
Aufwendungen für die Heimunterbringung der Tochter aus
rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen.
|
|
|
10
|
a) Die Kläger hatten ihrer Tochter
angemessenen Unterhalt zu leisten (§§ 1601, 1610 Abs. 1
des Bürgerlichen Gesetzbuchs i.d.F. des Streitjahres - BGB -
). Ihr von den Klägern aufzubringender Lebensbedarf umfasste
auch den behinderungsbedingten Mehrbedarf (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30.10.2008 III R 97/06, BFH/NV 2009,
728 = SIS 09 12 37, m.w.N; s. auch BFH-Urteil vom 23.5.2002 III R
24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567 = SIS 02 84 94).
|
|
|
11
|
b) Unterhaltsaufwendungen sind nur dann
zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande
ist, sich selbst zu unterhalten (§ 1602 Abs. 1 BGB; BFH-Urteil
vom 14.8.1997 III R 68/96, BFHE 184, 315, BStBl II 1998, 241 = SIS 98 02 08). Diese Voraussetzung ist im Streitfall gegeben. A war im
Streitfall nicht verpflichtet, den Stamm ihres Vermögens
einzusetzen.
|
|
|
12
|
Ein volljähriges Kind ist
grundsätzlich verpflichtet, vorrangig seinen
Vermögensstamm zu verwerten, bevor es seine Eltern auf
Unterhalt in Anspruch nimmt. Dies folgt im Umkehrschluss aus §
1602 Abs. 2 BGB. Der Grundsatz kommt jedoch nicht zur Anwendung,
wenn die Vermögensverwertung im Einzelfall unzumutbar ist.
Inwieweit das Vermögen einzusetzen ist, muss daher jeweils
aufgrund einer Zumutbarkeitsabwägung unter
Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände und
insbesondere auch der Lage der Unterhaltsverpflichteten entschieden
werden (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5.11.1997 XII ZR 20/96,
NJW 1998, 978; Urteil des Oberlandesgerichts - OLG - Hamm vom
11.8.2006 11 UF 25/06, NJW 2007, 1217; BFH-Urteil in BFH/NV 2009,
728 = SIS 09 12 37; MünchKommBGB/ Born, 5. Aufl., § 1602
Rz 58). Nach diesen Grundsätzen dürfen schwerbehinderte
volljährige Kinder, die ihren angemessenen Bedarf nicht selbst
decken können und bei denen ungewiss ist, ob ihr
Unterhaltsbedarf im Alter durch Unterhaltsleistungen der Eltern
gedeckt werden kann, maßvoll Vermögen bilden; eine als
Altersvorsorge dienende vermietete Eigentumswohnung braucht deshalb
nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhalts verwertet zu
werden (Urteil des OLG Karlsruhe vom 10.11.1999 2 UF 229/98,
Zeitschrift für das Familienrecht 2001, 47).
|
|
|
13
|
Nach diesen Grundsätzen konnte auch der
schwerbehinderten Tochter der Kläger die
Veräußerung des Grundstücks nicht zugemutet werden,
da sie hierauf zur Altersvorsorge und zur Abdeckung ihres weiteren
lebenslangen behinderungsbedingten Mehrbedarfs angewiesen war (s.
BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 728 = SIS 09 12 37). Da ungewiss ist, ob
und gegebenenfalls in welchem Umfang A mit zunehmendem Alter ihren
Grundbedarf und vor allem den behinderungsbedingten Mehrbedarf
durch Unterhaltsleistungen der Kläger wird decken können,
war eine Altersvorsorge zu treffen. Diese Vorsorge ist angesichts
der Schwere und der Dauer der Krankheit maßvoll ausgefallen.
Mit den Vermögenserträgnissen kann der durch die
Behinderung bedingte Bedarf im Alter wenigstens teilweise gedeckt
werden. Da andererseits nach den Feststellungen des FG wegen des
außerordentlich hohen Unterhaltsbedarfs der A bei Verwertung
des Grundstücks „der
Veräußerungserlös schnell verbraucht
wäre“, wäre es unbillig, von A zu verlangen,
den Stamm ihres Vermögens anzugreifen.
|
|
|
14
|
c) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
kommt die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers
betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG im Rahmen
des § 33 EStG nicht ergänzend zur Anwendung. § 33a
EStG stellt gegenüber der allgemeinen Regelung des § 33
EStG eine Sondervorschrift dar. Das bedeutet auch, dass die in
§ 33a EStG enthaltenen Sonderbestimmungen nicht auf die
Generalklausel des § 33 EStG ausgedehnt werden dürfen
(Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 33a EStG Rz
10).
|
|
|
15
|
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer
anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Der Senat kann
jedoch nicht durcherkennen, da die Sache nicht spruchreif ist. Von
seinem Standpunkt aus zu Recht hat das FG keine Feststellungen zur
Höhe der nach § 33 EStG abziehbaren Aufwendungen gemacht.
Zum Verhältnis dieser Aufwendungen zum
Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) wird darauf
hingewiesen, dass im Fall der Übertragung dieses Pauschbetrags
(§ 33b Abs. 5 EStG) der Steuerpflichtige Aufwendungen für
sein behindertes Kind zusätzlich abziehen kann, weil der
Pauschbetrag nur Aufwendungen des Kindes abgilt (HHR/Kanzler,
§ 33b EStG Rz 80). Im Übrigen wird § 33 Abs. 3 EStG
zu beachten sein.
|