Abfindung, Tarifbegünstigung, Zufluss in 2 VZ: Eine die Anwendung von § 34 EStG rechtfertigende Zusammenballung von Einkünften kommt auch dann in Betracht, wenn zu einer Hauptentschädigungsleistung eine in einem anderen Veranlagungszeitraum zufließende minimale Teilleistung hinzukommt. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 17.1.2011, IV C 4 - S 2290/07/10007 :005, BStBl 2011 I S. 39 = SIS 11 00 45) - Urt.; BFH 25.8.2009, IX R 11/09; SIS 09 30 59
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten
(Kläger) erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger
Arbeit und wurden im Streitjahr 2007 als Eheleute zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger schloss im September
2006 mit seinem bisherigen Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag zur
Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30.9.2006, wonach
der Kläger eine einmalige Abfindungszahlung von 77.257 EUR
erhalten sollte. Diese Abfindungszahlung wurde - nach den
finanzgerichtlichen Feststellungen abredewidrig - vom Arbeitgeber
in zwei Teilbeträgen ausgezahlt, nämlich im September
2006 in Höhe von 1.000 EUR und im Januar des Streitjahres in
Höhe von 76.257 EUR.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) unterwarf die im Januar überwiesene
Abfindungszahlung dem vollen Steuersatz. Der Einspruch blieb ohne
Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wandte
demgegenüber auf die Abfindungszahlung von 76.257 EUR den
ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs.
2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an
(vgl. SIS 09 16 97). Die grundsätzlich für eine
ermäßigte Besteuerung erforderliche Zusammenballung
einer Entschädigungszahlung in einem Veranlagungszeitraum sei
ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Teilleistung nur in einer im
Verhältnis zur Hauptentschädigung sehr geringen Höhe
- vorliegend ca. 1,3 % der Hauptleistung - gezahlt und die ganz
überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem
Veranlagungszeitraum geleistet werde.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA,
mit der dieses die Verletzung materiellen Rechts rügt. Eine
Auszahlung in zwei Teilbeträgen in verschiedenen
Veranlagungszeiträumen stehe der Anwendung des
ermäßigten Steuersatzes nach § 34 EStG
entgegen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG
aufzuheben.
Die Kläger beantragen, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Zu Recht hat das FG entschieden,
dass die dem Kläger im Streitjahr zugeflossene
Abfindungszahlung nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG
ermäßigt zu besteuern ist.
1. Sind in dem zu versteuernden Einkommen
außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist nach §
34 Abs. 1 EStG die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem
ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Nach § 34 Abs. 2
Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a.
Entschädigungen in Betracht, die gemäß § 24
Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende
Einnahmen gewährt werden.
a) Eine Entschädigung liegt vor, wenn die
bisherige Grundlage für den Erfüllungsanspruch
weggefallen ist und der an die Stelle der bisherigen Einnahmen
getretene Ersatzanspruch auf einer neuen Rechts- oder
Billigkeitsgrundlage beruht (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 10.9.2003 XI R 9/02, BFHE 204, 65, BStBl II 2004, 349 = SIS 04 05 36, m.w.N.).
b) Außerordentliche Einkünfte i.S.
des § 34 Abs. 1 und 2 EStG werden in ständiger
Rechtsprechung grundsätzlich nur bejaht, wenn die zu
begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu
erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften
erhöhte steuerliche Belastungen entstehen (BFH-Urteil vom
9.10.2008 IX R 85/07, BFH/NV 2009, 558 = SIS 09 08 91). Keine
Zusammenballung in diesem Sinne liegt typischerweise vor, wenn eine
Entschädigung in zwei oder mehreren verschiedenen
Veranlagungszeiträumen gezahlt wird, auch wenn die Zahlungen
jeweils mit anderen laufenden Einkünften zusammentreffen und
sich ein Progressionsnachteil ergibt (ständige Rechtsprechung,
vgl. BFH-Urteil vom 28.6.2006 XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II
2006, 835 = SIS 06 37 73, m.w.N.).
Gleichwohl ist der Zufluss in einem
Veranlagungszeitraum nach dem Wortlaut von § 34 EStG kein
gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Der Zweck des § 34 Abs. 1
EStG wird trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen nicht
verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige
Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende
Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird
(Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 34 Rz 18). Wollte
man in derartigen Fällen an einem ausnahmslosen Erfordernis
eines zusammengeballten Zuflusses der außerordentlichen
Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum festhalten, so
würden über den Gesetzeswortlaut des § 34 Abs. 1
EStG hinaus die Voraussetzungen der Tarifermäßigung ohne
sachlichen Grund verschärft und die ratio legis verfehlt.
2. Nach diesen Grundsätzen ist die vom
Kläger im Streitjahr bezogene Entschädigung i.S. von
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gemäß § 34 Abs. 1
EStG tarifbegünstigt zu besteuern.
Der Kläger erhielt die Abfindung als
Ersatz für den weiteren Bezug seiner Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses.
Eine für die ermäßigte
Besteuerung nach § 34 EStG erforderliche Zusammenballung der
Entschädigungszahlung liegt in Gestalt der im Streitjahr
bezogenen Hauptentschädigungsleistung in Höhe von 76.257
EUR unabhängig davon vor, dass der Kläger zunächst
nur eine sehr geringe Teilleistung erhalten hat. Bei der Auslegung
von § 34 EStG nach Wortlaut und Normzweck ist die Zahlung der
1.000 EUR im Jahr 2006, wie das FG zutreffend festgestellt hat,
unschädlich und das Erfordernis des von § 34 EStG
bezweckten Härteausgleichs für die Hauptleistung im
Streitjahr zu bejahen.