Steuerstraftat, Haftung, Auswahlermessen: 1. Liegt eine vorsätzlich begangene Steuerstraftat vor, ist das Auswahlermessen des FA insoweit vorgeprägt, als die Haftungsschuld gegen den Steuerstraftäter festzusetzen ist und dass es einer besonderen Begründung dieser Ermessensbetätigung nicht bedarf. - 2. Diese Vorprägung des Ermessens gilt insbesondere auch dann, wenn sich mehrere Haftungsschuldner einer Steuerhinterziehung schuldig gemacht haben und deshalb bei der Ausübung des Auswahlermessens grundsätzlich gleichrangig nebeneinander stehen. - 3. Der jeweils betroffene Haftungsschuldner kann in diesem Fall nicht beanspruchen, dass das FA bei der Ermessensausübung in einer Weise differenziert, dass andere Haftungsschuldner abgabenrechtlich in Anspruch genommen werden, er selbst hingegen nicht. - Urt.; BFH 12.2.2009, VI R 40/07; SIS 09 12 01
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig,
ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger)
ermessensfehlerfrei als Haftungsschuldner für verkürzte
Lohnsteuer in Anspruch genommen worden ist.
Der Kläger ist Zahnarzt. Er
betätigte sich auch auf dem Immobiliensektor, indem er
sanierungsbedürftige Geschäftsbauten erwarb und nach
Renovierungs- und Modernisierungsmaßnahmen verkaufte oder
verpachtete. In einem der Objekte betrieb der Kläger mit
Fremdpersonal selbst mehrere Verkaufsstände.
Im Anschluss an eine
Außenprüfung erließ der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) wegen der Zahlung von
Schwarzlöhnen gegen den Kläger einen Haftungs- und
Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern in
Höhe von insgesamt 6.037,82 DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach
erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit den in EFG 2003, 371 =
SIS 03 12 21 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der vom Senat nur wegen
Lohnsteuerhaftung zugelassenen Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts.
Das FG habe verkannt, dass die vorrangige
Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nicht
ermessensfehlerhaft gewesen sei.
Das FA beantragt sinngemäß, das
Urteil des Niedersächsischen FG vom 18.1.2001 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das FG habe zutreffend angenommen, dass die
Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner
ermessensfehlerhaft sei, da das FA sein Auswahlermessen nicht
erkannt und ausgeschöpft habe.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
1. Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 3
des Einkommensteuergesetzes (EStG) haftet der Arbeitgeber für
die Einkommensteuer (Lohnsteuer), die auf Grund fehlender Angaben
im Lohnkonto oder in der Lohnsteuerbescheinigung verkürzt
wird. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind der
Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3
Satz 1 EStG).
a) Das FA hatte - wovon auch das FG zutreffend
ausgegangen ist - bei der Frage der Inanspruchnahme des
Klägers durch Festsetzung der Haftungsschuld eine
Ermessensentscheidung zu treffen. Zwischen den Beteiligten besteht
Einigkeit - und auch das FG ist davon ausgegangen -, dass es
für die streitige Lohnsteuer hier neben dem Kläger mit
den Arbeitnehmern weitere Schuldner gibt, die nach § 42d Abs.
3 Satz 1 EStG mit dem Kläger gesamtschuldnerisch zur
Erfüllung dieser Abgabenschuld verpflichtet sind.
b) Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung
des FG, dass der angefochtene Haftungsbescheid bereits deshalb
rechtswidrig ist, weil das FA das ihm gemäß § 42d
Abs. 3 Satz 2 EStG eingeräumte (Auswahl-)Ermessen nicht
fehlerfrei ausgeübt habe.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) steht im Abgabenrecht als Teil des
öffentlichen Rechts die Entscheidung, welcher von mehreren
grundsätzlich gleichrangigen Schuldnern in Anspruch genommen
werden soll, nicht im freien Belieben, sondern im
pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde,
für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 der
Abgabenordnung gelten. Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb
nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der
wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung
in Anspruch genommen werden. Die Ermessensentscheidung ist nach
§ 102 FGO vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob
der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen
in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung
des Gerichts zur Überprüfung behördlicher
Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für
eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die
Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung
begründet werden. Anderenfalls ist sie im Regelfall fehlerhaft
(BFH-Beschluss vom 8.6.2007 VII B 280/06, BFH/NV 2007, 1822 = SIS 07 31 96; BFH-Urteil vom 2.12.2003 VII R 17/03, BFHE 204, 380 = SIS 04 06 12, jeweils m.w.N.).
bb) Wie intensiv das Auswahlermessen von der
Behörde zu begründen ist, ist allerdings eine Frage des
Einzelfalls und davon abhängig, welche für die
Behörde ersichtlichen besonderen Umstände auf Seiten des
jeweiligen Gesamtschuldners bestehen, die für oder gegen seine
Inanspruchnahme sprechen und die deshalb in die
Ermessenserwägung und dementsprechend in die schriftliche
Begründung des betreffenden Verwaltungsakts einfließen
müssen. So ist für die Inanspruchnahme durch
Haftungsbescheid und die dabei zu treffende behördliche
Ermessensentscheidung vom BFH entschieden, dass im Fall
vorsätzlicher Steuerstraftaten diese Ermessensentscheidung in
der Weise vorgeprägt ist, dass es einer besonderen
Begründung der Ermessensbetätigung nicht bedarf. Hat
jemand als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche
Steuerstraftat begangen, so ist es im Regelfall billig und gerecht,
wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in
Anspruch nimmt; sie würde vielmehr ermessensfehlerhaft
handeln, wenn sie den Betreffenden von der Inanspruchnahme
freistellte; einer besonderen Begründung für die
Ermessensausübung bedarf es in diesen Fällen nicht
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822 = SIS 07 31 96; BFH-Urteil in
BFHE 204, 380 = SIS 04 06 12, jeweils m.w.N.).
cc) Diese Vorprägung des Ermessens gilt
insbesondere auch dann, wenn sich mehrere Gesamtschuldner einer
vorsätzlichen Steuerstraftat schuldig gemacht haben und
deshalb bei der Ausübung des Auswahlermessens
grundsätzlich gleichrangig nebeneinander stehen. Auch in
diesen Fällen würde es sich regelmäßig als
ermessensfehlerhaft erweisen, wenn die Behörde einen
Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat
zu Schulden kommen lassen und damit einen Steuertatbestand
verwirklicht hat, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung
freistellte. Auf die Heranziehung eines vorsätzlich an einer
Steuerstraftat Beteiligten kann grundsätzlich nicht verzichtet
werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822 = SIS 07 31 96). Deshalb
kann der haftende Steuerstraftäter nicht beanspruchen, dass
statt seiner ein gleichrangig haftender Mittäter in Anspruch
genommen wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1822 = SIS 07 31 96;
BFH-Urteil in BFHE 204, 380 = SIS 04 06 12, jeweils m.w.N.), selbst
wenn die Haftungsschuld bei den übrigen Mittätern ebenso
schnell und einfach nacherhoben werden kann.
dd) Nach diesen Grundsätzen ist das
Auswahlermessen des FA im Streitfall im Sinne einer Inanspruchnahme
des Klägers vorgeprägt, wenn dieser die behaupteten
Schwarzlöhne tatsächlich ausgezahlt und damit eine
vorsätzliche Steuerstraftat begangen hat. Hat der Kläger
tatsächlich Lohnsteuer verkürzt, ist dem FA kein Fehler
bei der Ausübung des Auswahlermessens anzulasten.
ee) Offenlassen kann der erkennende Senat, ob
der Umstand, dass das FA - mit einer möglicherweise
fehlerhaften Begründung - nicht auch die Empfänger der
behaupteten Schwarzlohnzahlungen als weitere Haftungsschuldner in
Anspruch genommen hat, den Kläger in eigenen Rechten verletzen
und die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids
bewirken kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 380 = SIS 04 06 12).
Nach den vom Kläger nicht mit zulässigen und
begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen
des FG ist zweifelhaft, ob das FA noch an der im Haftungsbescheid
gegebenen Begründung, die verkürzte Lohnsteuer könne
von den - namentlich bekannten - Empfängern der behaupteten
Schwarzlohnzahlungen nicht nachgefordert werden, festhält.
Damit ist für den Senat nicht ersichtlich, ob das FA
tatsächlich davon abgesehen hat, die Haftungsschuld
gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern festzusetzen.
2. Das auf einer anderen Rechtsauffassung
beruhende Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 FGO) zurückverwiesen. Das FG hat den Haftungsbescheid
allein wegen der vermeintlichen Ermessensunterschreitung des FA
aufgehoben und deshalb offen gelassen, ob der Kläger - wie vom
FA behauptet - den Haftungstatbestand nach § 42d Abs. 1 Nr. 3
EStG verwirklicht hat. Das erstinstanzliche Gericht hat hierzu
Feststellungen nachzuholen und insbesondere zu prüfen, ob der
Kläger aufgrund unrichtiger Angaben in den Lohnkonten oder den
Lohnsteuerbescheinigungen tatsächlich Lohnsteuer verkürzt
hat (vgl. BFH-Urteil vom 22.7.1993 VI R 116/90, BFHE 171, 547,
BStBl II 1993, 775 = SIS 93 19 46). Darüber hinaus hat das FG
zu berücksichtigen, dass dem Kläger als
Steuerstraftäter der Einwand verwehrt ist, das FA hätte
statt seiner die Arbeitnehmer kraft Mitwisserschaft als
Haftungsschuldner in Anspruch nehmen müssen.