Dividendenstripping: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zum sog. Dividendenstripping fest (Bestätigung des Senatsurteils vom 15.12.1999 I R 29/97, BFHE 190 S. 446, BStBl 2000 II S. 527 = SIS 00 04 84). - Urt.; BFH 20.11.2007, I R 85/05; SIS 08 43 33
I. Die Beteiligten streiten um die
steuerrechtliche Anerkennung des Erwerbs und der
Veräußerung von Aktien.
Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der
B-GmbH i.K., die im Streitjahr 1988 noch als A-GmbH firmierte.
Gegenstand des Unternehmens der A-GmbH war der Handel mit
Wertpapieren für eigene Rechnung und die Tätigkeit als
Börsenmakler.
Im Streitjahr tätigte die A-GmbH
verschiedene Wertpapiergeschäfte an der Börse. In sechs
Fällen (nachfolgend: Geschäfte „Alt gegen
Alt“) kaufte sie in zeitlicher Nähe zum jeweiligen
Dividendenstichtag (Tag der Beschlussfassung der Hauptversammlung
über die Ausschüttung) von einem inländischen
Kreditinstitut dividendenberechtigte Aktien („cum
Dividende“). Jeweils am Tag nach dem Dividendenstichtag
(Ex-Tag) verkaufte sie Aktien desselben Emittenten in derselben
Anzahl (nunmehr „ex Dividende“). Einmal erfolgte der
Verkauf an denselben Kontrahenten, die übrigen Male an ein
anderes inländisches Kreditinstitut. In 42 Fällen
(nachfolgend: Geschäfte „Alt gegen Jung“) kaufte
die A-GmbH ebenfalls in zeitlicher Nähe zum jeweiligen
Dividendenstichtag Aktien „cum Dividende“ und verkaufte
am selben Tag noch nicht dividendenberechtigte Aktien (junge
Aktien) desselben Emittenten in derselben Anzahl. Lediglich in
einem Fall erfolgte der Verkauf nicht taggleich. Der Verkauf
erfolgte in 35 Fällen an denselben Kontrahenten, in sieben
Fällen an andere inländische Kreditinstitute. Nach
Auskunft der jeweiligen Kontrahenten handelten sie im Auftrag von
im Ausland ansässigen Kunden (Banken und sonstige Kunden). In
allen Fällen wurde der A-GmbH die beschlossene Dividende
gutgeschrieben. Aus den Verkaufsgeschäften ergab sich jeweils
ein Veräußerungsverlust. Für die A-GmbH ergab sich
jeweils eine Courtage.
Hinsichtlich eines Teils der Geschäfte
„Alt gegen Jung“, bei dem die A-GmbH
Lieferverpflichtungen über insgesamt 669.421 Stück junge
Aktien eines bestimmten Emittenten eingegangen war, gab die
Zulassungsstelle der Börse die Auskunft, dass zu dem
entsprechenden Zeitpunkt lediglich 21.680 Stück junge Aktien
dieses Emittenten theoretisch verfügbar waren.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erkannte die insgesamt 48
Wertpapiergeschäfte nicht an. Er war der Ansicht, sowohl
Erwerb und Veräußerung der Aktien als auch die
Dividendenzuflüsse seien unbeachtlich. Die Anrechnung der
Körperschaft- und der Kapitalertragsteuer sei zu versagen. In
der Folge ergingen geänderte Bescheide über
Körperschaftsteuer 1988 sowie über die gesonderte
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47
Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1984) zum
31.12.1988. Der geänderte Körperschaftsteuerbescheid wies
ein niedrigeres zu versteuerndes Einkommen sowie eine niedrigere
festgesetzte Körperschaftsteuer aus.
Der von der Klägerin erhobenen Klage
gab das Finanzgericht (FG) statt (Hessisches FG, Urteil vom
30.8.2005 4 K 2557/99, EFG 2006, 277 = SIS 06 14 38).
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt
sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
II. Der Senat entscheidet gemäß
§ 126a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss.
Er hält die Revision einstimmig für unbegründet und
eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die
Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Das FG hat die Klage zu Recht als
zulässig und begründet angesehen.
1. Die von der A-GmbH im Rahmen der
Geschäfte „Alt gegen Jung“ sowie
„Alt gegen Alt“ erworbenen Aktien waren dieser
an den jeweiligen Dividendenstichtagen gemäß § 39
der Abgabenordnung (AO) zuzurechnen. Die A-GmbH erzielte damit als
Anteilseignerin Einkünfte aus Kapitalvermögen
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 3 des
Einkommensteuergesetzes (EStG 1987) i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG
1984 (siehe nunmehr auch § 20 Abs. 2a EStG i.d.F. des
Standortsicherungsgesetzes - StandOG - vom 13.9.1993, BGBl I 1993,
1569, BStBl I 1993, 774), die aus den beschlossenen Dividenden und
der gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG 1987 anrechenbaren
Körperschaftsteuer bestehen. Die um die Courtagen verminderten
Veräußerungsverluste sind gewinnmindernd zu
berücksichtigen.
Es handelt sich im Streitfall um die
Konstellation, die bereits dem Senatsurteil vom 15.12.1999 I R
29/97 (BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 = SIS 00 04 84) zugrunde
lag. Nach dieser Entscheidung, an der der Senat festhält,
erlangt bei der Veräußerung von alten Aktien cum
Dividende der Erwerber auch dann wirtschaftliches Eigentum an
diesen, wenn er noch am selben Tag junge Aktien desselben
Emittenten ex Dividende an den Veräußerer der alten
Aktien verkauft. Gleiches gilt beim Ankauf von Aktien cum Dividende
und anschließendem zeitnahen Rückverkauf gleicher oder
gleichwertiger Aktien ex Dividende. Hiervon ist auch im Streitfall
auszugehen. Ein Unterschied zwischen dem hier und jenem im
damaligen Urteil zu beurteilenden Sachverhalt ist nicht zu
erkennen. Wegen der Einzelheiten wird, um Wiederholungen zu
vermeiden, auf dieses verwiesen.
Den vom Senat aufgestellten Grundsätzen
haben sich seitdem mehrere Finanzgerichte angeschlossen (vgl.
Hessisches FG, Urteil vom 17.1.2001 1 K 2287/00, EFG 2001, 898 =
SIS 01 83 51; FG Düsseldorf, Urteil vom 10.9.2002 6 K 3666/98
K, F, EFG 2003, 20 = SIS 03 10 02; ebenso aus der Literatur z.B.
Sorgenfrei, FR 2000, 441; Unfried, DStR 2000, 993, 996 f.; vgl.
bereits zuvor derselbe, Steuerrecht und Dividenden-Stripping, 1998,
S. 33 und 139; Frotscher, EStG, § 50c Rz 99). Die Vorinstanz
geht ebenfalls von ihnen aus. Der III. Senat des Bundesfinanzhofs -
BFH - (vgl. BFH-Beschluss vom 30.7.2002 III B 50/01, BFH/NV 2003,
55 = SIS 03 06 65) ebenso wie der Senat selbst (vgl.
Senatsbeschluss vom 27.8.2003 I B 186/02, BFH/NV 2003, 1581 = SIS 03 49 71) sahen die Rechtsfrage nicht mehr als
klärungsbedürftig an. Die Finanzverwaltung wendet die
Entscheidung demgegenüber nicht über den entschiedenen
Einzelfall hinaus an (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der
Finanzen vom 6.10.2000, BStBl I 2000, 1392 = SIS 00 13 48; krit.
auch Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz 515;
Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 26. Aufl., § 5 Rz 153; Schiffers
in Korn, EStG, § 5 Rz 210; Kempermann in Kirchhof/Söhn/
Mellinghoff, EStG, § 5 Rz B 237; Rau/Sahl, BB 2000, 1112, 1114
f.; Rau, DStR 2007, 1192, 1193 f.). In der Folge sah der XI. Senat
die Frage der Zurechnung bei Geschäften „Alt gegen
Jung“ als weiterhin klärungsbedürftig an (vgl.
BFH-Beschluss vom 14.1.2004 XI B 137/02, BFH/NV 2004, 638 = SIS 04 17 69). Die dort angeführten Gesichtspunkte führen nach
Auffassung des Senats jedoch im Ergebnis nicht zu einer
abweichenden Beurteilung der Rechtsfrage.
Zwar dürfte es bei den in der
Vergangenheit getätigten Wertpapiergeschäften „Alt
gegen Jung“ zum Zwecke des sog. Dividendenstripping
tatsächlich häufig so gelegen haben, dass mehr junge
Aktien vertraglich geschuldet wurden als im fraglichen Zeitraum
überhaupt in Umlauf waren und daher von vornherein klar war,
dass die Lieferverpflichtung nach dem Dividendenstichtag mit den
zuvor erworbenen alten Aktien ex Dividende erfüllt werden
würde (vgl. auch Unfried, a.a.O., S. 34; derselbe, DStR 2000,
993, 995). Hiervon ging auch der XI. Senat für den damals von
ihm zu beurteilenden Streitfall aus. Im Streitfall ergab die vom FA
eingeholte Auskunft jedenfalls für einen Teil der
Geschäfte ebenfalls eine derartige Relation der verkauften und
der verfügbaren Aktien.
Dies ändert jedoch nichts am
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums in solchen
Konstellationen. Es bleibt nämlich auch dann dabei, dass es
entweder bereits zum zivilrechtlichen Eigentumsübergang
gekommen ist oder jedenfalls dem Erwerber nach den
einschlägigen Börsenusancen und den üblichen
Abläufen die mit den Anteilen verbundenen Gewinnansprüche
regelmäßig nicht mehr entzogen werden konnten, was nach
dem Gesamtbild der Verhältnisse für den Übergang des
wirtschaftlichen Eigentums genügt (siehe hierzu im Einzelnen
bereits Senatsurteil in BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 = SIS 00 04 84). Auf der anderen Seite ist der Rückverkauf nicht auf
eine sofortige Rückübertragung der erworbenen Aktien
(noch cum Dividende) gerichtet, sondern allenfalls darauf, diese
oder auch andere Aktien der gleichen Gattung nach dem
Dividendenstichtag ex Dividende, also nach der dort erfolgten
Abtrennung des Gewinnanspruchs, zu übertragen. Auch eine
solche nur kurzfristige Übertragung genügt für den
Übergang des wirtschaftlichen Eigentums (ebenso Frotscher,
a.a.O., § 50c Rz 99).
Auch aus einem Vergleich mit echten
Wertpapierpensionsgeschäften sowie mit der Wertpapierleihe
ergibt sich nichts anderes. Der Senat hat bereits im Beschluss in
BFH/NV 2003, 1581 = SIS 03 49 71 zum Ausdruck gebracht, dass in
taggleichen An- und Verkaufsgeschäften der vorliegend in Rede
stehenden Art keine echten Wertpapierpensionsgeschäfte (vgl.
hierzu inzwischen die Legaldefinition in § 340b Abs. 1, 2 des
Handelsgesetzbuchs - HGB - i.d.F. des Bankbilanzrichtlinie-Gesetzes
vom 30.11.1990, BGBl I 1990, 2570) zu sehen sind, da diese gerade
eine vertragliche Verbundenheit der Kauf- und
Rückkaufverpflichtung des Pensionsnehmers voraussetzen (siehe
dort auch für weitere Nachweise; a.A. wohl Rau, BB 2004, 1600,
1601; derselbe, BB 2000, 2338, 2339). Wie der Senat in dem
genannten Beschluss ebenfalls ausgeführt hat, können die
für Wertpapierpensionsgeschäfte geltenden
Bilanzierungsgrundsätze aus diesem Grund keinen Einfluss auf
die Beurteilung solcher An- und Verkäufe haben. Dies gilt
insbesondere auch für die Regelung des § 340b Abs. 4 HGB,
die im Streitjahr zudem noch gar nicht galt (vgl. Art. 30 des
Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch - EGHGB - ). Aus dem
gleichen Grund liegt keine Wertpapierleihe vor, die sich vom echten
Wertpapierpensionsgeschäft lediglich dadurch unterscheidet,
dass nicht wie bei diesem vorausgesetzt jeweils ein Betrag als
Äquivalent für die Wertpapiere als solche gezahlt wird,
sondern vielmehr eine Leihgebühr als Entgelt für ihre
zeitweilige Überlassung (vgl. Adler/Düring/Schmaltz,
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., §
246 HGB Rz 355; Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski,
Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl., Bd. III, § 105 Rz 13). Auch die
für die Wertpapierleihe geltenden Bilanzierungsgrundsätze
sind für den Streitfall daher ohne Bedeutung.
Wie der Senat ebenfalls in BFHE 190, 446,
BStBl II 2000, 527 = SIS 00 04 84 ausgeführt hat, zeigt nicht
zuletzt die im Streitfall noch nicht anwendbare Neuregelung der
sog. Börsenklausel in § 50c Abs. 10 EStG i.d.F. des
StandOG, dass auch der Gesetzgeber bei Geschäften wie den
vorliegenden von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums
ausging.
2. Hiervon abweichende Rechtsfolgen ergeben
sich weder aus § 50c Abs. 1 bis 7 EStG 1987 noch aus § 42
AO. Auch insoweit hält der Senat an seiner Entscheidung in
BFHE 190, 446, BStBl II 2000, 527 = SIS 00 04 84 fest. Die sog.
Börsenklausel in § 50c Abs. 8 Satz 2 EStG 1987 i.d.F. bis
zum StandOG erfasst „über die Börse“
ausgeführte Geschäfte unabhängig von der Motivation
der Beteiligten und von etwaigen Individualabsprachen. Es muss sich
nicht um börsentypische Geschäfte handeln, bei denen die
Handelspartner anonym bleiben. Wie der Senat in der genannten
Entscheidung weiterhin ausgeführt hat, schadet es zudem nicht,
wenn - wie im Streitfall - eine zugelassene Börsenmaklerin
selbst als Erwerberin der Anteile auftritt. Darüber hinaus
enthält § 50c EStG 1987 eine spezialgesetzliche
Konkretisierung der allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42
AO. Der spezielleren Regelung des § 50c EStG 1987 kommt
insoweit eine Abschirmwirkung zu, aufgrund derer neben und in ihrem
Anwendungsbereich die Zurechnung von Dividendenbezügen bzw.
anrechenbarer Körperschaftsteuer beim anrechnungsberechtigten
Steuerpflichtigen nicht unter Berufung auf § 42 AO als
rechtsmissbräuchlich versagt werden kann. Dies gilt auch dann,
wenn aufgrund der Börsenklausel des § 50c Abs. 8 Satz 2
EStG 1987 die in § 50c Abs. 1 bis 7 EStG 1987 enthaltenen
Bestimmungen nicht zur Anwendung kommen, da auch dieser Klausel ein
abschließender Schutzcharakter beizumessen ist. Wegen der
Einzelheiten wird auch hier auf das genannte Urteil verwiesen.
Gegenteiliges ergibt sich schließlich
nicht aus § 42 Abs. 2 AO i.d.F. des
Steueränderungsgesetzes 2001 vom 20.12.2001 (BGBl I 2001,
3794, BStBl I 2002, 4). Die vom FG erörterte erstmalige
Anwendbarkeit der Neuregelung (vgl. hierzu auch Schmieszek in
Beermann/Gosch, Abgabenordnung, § 42 Rz 4.3, m.w.N.) kann hier
dahinstehen, da es aufgrund des spezialgesetzlichen
Wertungsvorrangs bereits an einem Missbrauchsvorwurf i.S. des
§ 42 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt. § 42 Abs. 2 AO läuft
aus diesem Grund für den Streitfall leer (vgl. Senatsurteil
vom 20.3.2002 I R 63/99, BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50 = SIS 02 84 92).