Grenzgänger Schweiz, mehrtägige Arbeitszeiten: Muss ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über mehrere Tage hinweg ohne Unterbrechung in der Schweiz tätig werden, so ist bei der Anwendung der Grenzgängerregelung in Art. 15 a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht jeder dieser Tage als ein Tag zu zählen, an dem der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnsitz zurückkehrt (Bestätigung des Senatsurteils vom 16.5.2001 I R 100/00, BFHE 195 S. 341, BStBl 2001 II S. 633 = SIS 01 12 79; Abgrenzung zum Senatsurteil vom 15.9.2004 I R 67/03, BFHE 207 S. 452 = SIS 05 03 67). - Urt.; BFH 27.8.2008, I R 10/07; SIS 08 42 87
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) in den
Streitjahren (1994 bis 1996) Grenzgängerin i.S. des Art. 15a
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen vom 11.8.1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519)
i.d.F. des Protokolls vom 21.12.1992 (BGBl II 1993, 1888, BStBl I
1993, 928) - DBA-Schweiz 1971/1992 - war.
Die Klägerin ist Sozialarbeiterin und
wohnte in den Streitjahren im Inland. Sie war bis zum 31.3.1996 bei
einem in der Schweiz ansässigen Verein (V-Verein) angestellt.
In der Zeit vom 1.4.1996 bis zum 30.6.1996 war sie arbeitslos;
anschließend war sie bei einem deutschen Arbeitgeber
beschäftigt.
Der V-Verein führte auf einem
ehemaligen Bauernhof in der Schweiz Therapiemaßnahmen zum
Drogenentzug durch. Die einzelnen Maßnahmen dauerten in der
Regel 15 Tage. Dabei wurde jeweils eine Gruppe von
Drogenabhängigen von vier Mitarbeitern des V-Vereins rund um
die Uhr betreut. Die Mitarbeiter, zu denen u.a. die Klägerin
zählte, wohnten während dieser Zeiten auf dem
Therapiegelände und führten täglich
Gruppentherapiesitzungen und Einzelgespräche mit den
Drogenabhängigen durch. Aus Sicherheitsgründen mussten
stets mindestens zwei Therapiemitarbeiter anwesend sein.
Während einer 15-tägigen Maßnahme hatte jeder
Mitarbeiter Anspruch auf zwei Pausen von 24 bis 48 Stunden; die
Klägerin hat dazu vorgetragen, sie selbst habe die erste Pause
jeweils am sechsten und die zweite am elften oder zwölften Tag
genommen und sei jeweils am Folgetag auf das Gelände
zurückgekehrt. Nach Abschluss einer Therapiemaßnahme
habe sie vom V-Verein in Verwahrung genommene Habe der
Drogenabhängigen abgeholt und die Teilnehmer der
Maßnahme in stationäre Therapieeinrichtungen gebracht;
wenn diese Einrichtungen sich im Tessin befunden hätten, habe
sie auch dort im Hotel übernachtet.
Der V-Verein hat der Klägerin
schriftlich bestätigt, in den Streitjahren sechs (1994) bzw.
sieben (1995) Mal für jeweils elf Tage und außerdem im
Jahr 1996 zwei Mal für sieben, einmal für acht und einmal
für vier Tage an Therapiemaßnahmen mitgewirkt zu haben.
Die Zahl der bestätigten Arbeitstage in der
Therapieeinrichtung beläuft sich mithin auf 66 (1994), 77
(1995) und 26 (1996). Ferner heißt es in der Bescheinigung,
auf Grund der Besonderheit ihrer Arbeitseinsätze sei der
Klägerin jeweils an mehr als sechzig Tagen im Jahr eine
Rückkehr an ihren Wohnort in Deutschland nicht möglich
gewesen. Wegen der organisatorischen Notwendigkeit, jeweils mehrere
Tage und Nächte in Folge in der Entzugsstation zu verbringen,
habe für sie keine „normale“
Grenzgängerbewilligung eingeholt werden können; da
Grenzgänger nach Schweizer Recht die Nacht nicht in der
Schweiz verbringen dürften, habe die Klägerin nur eine
befristete Aufenthaltsbewilligung für jeweils maximal 120 Tage
im Kalenderjahr erhalten.
Die Klägerin war nach ihrem
Arbeitsvertrag zudem berechtigt und verpflichtet, vom V-Verein
durchgeführte Fortbildungsmaßnahmen zu besuchen. Auf
Grund dessen nahm sie in 1994 an 22, in 1995 an 17 und in 1996 an
zwei Tagen an entsprechenden Veranstaltungen teil, die jeweils in
der Schweiz stattfanden. Der V-Verein behielt von den der
Klägerin geschuldeten Brutto-Arbeitslöhnen (1994:
60.963,60 sFr.; 1995: 63.965,30 sFr.; 1996: 19.818 sFr.) jeweils
Quellensteuern ein; außerdem forderten die Schweizer
Steuerbehörden von der Klägerin weitere Quellensteuer
nach.
Das seinerzeit für die Besteuerung der
Klägerin zuständige Finanzamt (FA F) erließ
gegenüber der Klägerin Einkommensteuerbescheide, in denen
es die Steuer auf 10.794 DM (1994), 12.859 DM (1995) und 6.402 DM
(1996) festsetzte; auf diese Beträge rechnete es Schweizer
Quellensteuer in Höhe von 3.210 DM (1994), 3.455 DM (1995) und
1.071 DM (1996) an. Der gegen die Bescheide gerichtete Einspruch
der Klägerin hatte keinen Erfolg. Nachdem die Klägerin
daraufhin eine gegen das FA F gerichtete Klage erhoben hatte, ist
durch eine Neuordnung der örtlichen Zuständigkeiten der
Finanzämter an Stelle des FA F der Beklagte und
Revisionskläger (das FA) für die Besteuerung der
Klägerin zuständig geworden.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage
stattgegeben; es hob die Steuerbescheide für 1994 und 1995 auf
und änderte den Bescheid für 1996 dahin ab, dass die in
der Schweiz erzielten Einkünfte der Klägerin nur bei der
Bemessung des Steuersatzes berücksichtigt werden (FG
Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom
28.9.2006 14 K 202/01). Das Urteil des FG ist in EFG 2007, 1055 =
SIS 07 11 28 abgedruckt.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision
rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,
das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
und das Finanzministerium Baden-Württemberg sind
gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
dem Revisionsverfahren beigetreten. Sie unterstützen die
Rechtsansicht des FA, haben aber keine Anträge
gestellt.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FA
hat die Einkünfte der Klägerin aus deren Tätigkeit
für den V-Verein zu Recht in die Bemessungsgrundlage der
Einkommensteuer einbezogen. Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 steht
dieser Sachbehandlung nicht entgegen.
1. Die Klägerin hatte in den Streitjahren
in Deutschland einen Wohnsitz. Sie war daher gemäß
§ 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
unbeschränkt steuerpflichtig. Ferner kann nach den
Feststellungen des FG davon ausgegangen werden, dass sie aus
abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig war (Art. 4
DBA-Schweiz 1971/1992).
2. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d
DBA-Schweiz 1971/1992 werden bei einer in Deutschland
ansässigen Person Vergütungen für eine in der
Schweiz ausgeübte Tätigkeit i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz
1971/1992 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer
ausgenommen, soweit sie nach dem DBA-Schweiz 1971/1992 in der
Schweiz besteuert werden können. Diese Vorschrift hat das FG
für im Streitfall einschlägig erachtet. Es ist davon
ausgegangen, dass es um Vergütungen für eine in der
Schweiz ausgeübte unselbständige Tätigkeit der
Klägerin gehe, die nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz
1971/1992 in der Schweiz besteuert werden könnten und deshalb
nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 in
Deutschland steuerfrei seien. Dem stehe Art. 15a DBA-Schweiz
1971/1992 nicht entgegen, da die Klägerin nicht
Grenzgängerin im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei. Diese
Beurteilung greift die Revision zu Recht an.
a) Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz
1971/1992 können ungeachtet des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992
Einkünfte eines Grenzgängers aus unselbständiger
Arbeit in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der
Grenzgänger ansässig ist. Grenzgänger ist nach Art.
15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 jede in einem Vertragsstaat
ansässige Person, die im anderen Vertragsstaat ihren
Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz
zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende
an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre
Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer
Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr
als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an
ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz
1971/1992). Ergänzend dazu heißt es in Nr. II.1. des
Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18.12.1991
(BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen
Rückkehr an den Wohnsitz i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1
DBA-Schweiz 1971/1992 werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich
die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände -
wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit
Bereitschaftsdienst - über mehrere Tage erstreckt. Diese
Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die
Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 (Senatsurteile
vom 16.5.2001 I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633 = SIS 01 12 79; vom 15.9.2004 I R 67/03, BFHE 207, 452 = SIS 05 03 67;
vom 20.10.2004 I R 31/04, BFH/NV 2005, 840 = SIS 05 21 87,
m.w.N.).
b) Der Streitfall ist in tatsächlicher
Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass die Klägerin ihrem
Arbeitgeber gegenüber u.a. verpflichtet war, in der Schweiz
stattfindende Therapiemaßnahmen zu betreuen und zu diesem
Zweck jeweils über mehrere Tage hinweg ununterbrochen auf dem
Therapiegelände anwesend zu sein. Dementsprechend hat sie sich
nach ihrer Darstellung, der das FA nicht widersprochen hat,
während der jeweils 15 Tage lang dauernden Maßnahmen
zunächst vom ersten bis zum sechsten Tag auf dem Gelände
aufgehalten und insbesondere dort übernachtet; im Anschluss an
eine eintägige Pause hat sie sich sodann vom siebten bis zum
elften oder zwölften Tag erneut ohne Unterbrechung auf dem
Gelände aufgehalten, was sich - nach einer weiteren
eintägigen Pause - in der Zeit vom zwölften oder
dreizehnten bis zum fünfzehnten Tag wiederholt hat. Im
Ergebnis war daher jede Maßnahme aus der Sicht der
Klägerin in drei mehrtägige Arbeitseinheiten unterteilt,
während derer die Klägerin jeweils nicht an ihren
Wohnsitz in Deutschland zurückgekehrt ist. Das FA hat unter
Berufung auf das zitierte Verhandlungsprotokoll angenommen, dass
bei einem solchen Sachverhalt für Zwecke der Anwendung des
Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 jede mehrtägige
Arbeitseinheit als nur ein Tag zu zählen sei, an dem der
Arbeitnehmer „nicht an seinen Wohnsitz
zurückkehrt“. Dem ist im Ergebnis
beizupflichten.
aa) Der Senat hat dem Verhandlungsprotokoll
ursprünglich entnommen, dass bei einer sich über mehrere
Tage erstreckenden Arbeitsausübung eine
„regelmäßige“ Rückkehr i.S. von
Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 unterstellt und damit
eine zwischenzeitliche Rückkehr an den Wohnsitz fingiert werde
(Senatsurteil in BFHE 195, 341, 342, BStBl II 2001, 633, 634 = SIS 01 12 79). Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den
Fällen der hiernach „fingierten“
Rückkehr und der beruflich bedingten Nichtrückkehr hat er
darin gesehen, ob der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus
seiner Arbeit nachgeht oder ob er - aus beruflichen Gründen -
nach getaner Arbeit außerhalb des Ansässigkeitsstaates
verbleibt. Diese Unterscheidung hat er in der Folge dahin
modifiziert, dass es für die Anwendung des Art. 15a
DBA-Schweiz 1971/1992 nicht darauf ankomme, ob das Ende der
Arbeitszeit oder der Zeitpunkt der Ankunft am Wohnort auf den Tag
des Arbeitsantritts oder auf einen nachfolgenden Tag fällt;
deshalb könne ein „Nichtrückkehrtag“
i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 auch dann
vorliegen, wenn der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus
seiner Tätigkeit nachgeht und erst nach Mitternacht seine
Arbeitsstätte verlässt (Senatsurteile in BFHE 207, 452 =
SIS 05 03 67, und in BFH/NV 2005, 840 = SIS 05 21 87). An dieser
Rechtsprechung hält der Senat fest.
bb) Im Streitfall geht es nicht um einen
Sachverhalt, in dem der Arbeitnehmer nur geringfügig über
die Tagesgrenze hinaus tätig war, sein Arbeitstag also
gleichermaßen nach Mitternacht geendet hat. Vielmehr hat sich
die Arbeitszeit der Klägerin ununterbrochen über mehr als
zwei Tage erstreckt. Für diese Situation ist aus Nr. II.1. des
Verhandlungsprotokolls abzuleiten, dass der Arbeitnehmer so zu
behandeln ist, als habe er an jedem Tag der mehrtägigen
Arbeitseinheit nach Hause zurückkehren können. Das ergibt
sich aus folgenden Überlegungen:
aaa) Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls
betrifft die Frage der „regelmäßigen
Rückkehr“ i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1
DBA-Schweiz 1971/1992. Er regelt insoweit, dass die
regelmäßige Rückkehr bei einer mehrtägigen
Arbeitsausübung „nicht ausgeschlossen“ ist.
Das soll erkennbar bedeuten, dass der Fall der mehrtägigen
Arbeitsausübung eine Sonderbehandlung erfahren soll, bei der
die Regelmäßigkeit der Rückkehr abweichend von den
tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt wird. Dabei nimmt das
Verhandlungsprotokoll namentlich auf die Situation des
Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdienst Bezug, das
erfahrungsgemäß nicht selten über mehr als zwei
Tagesgrenzen hinaus im Einsatz ist. Angesichts dessen muss die
Protokollregelung bei verständiger Würdigung dahin
gedeutet werden, dass in jenen Fällen das Fehlen einer
arbeitstäglichen Rückkehr die Grenzgängereigenschaft
nicht berühren soll. Vielmehr sollen hier als
„Nichtrückkehrtage“ nur diejenigen Tage
gezählt werden, an denen der Arbeitnehmer im Anschluss an die
mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort
zurückkehrt; das entspricht insoweit dem Wortlaut des Art. 15a
Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992, als dieser auf die
Regelmäßigkeit der Rückkehr „nach
Arbeitsende“ abstellt. Im Ergebnis läuft die
Protokollbestimmung mithin darauf hinaus, dass ein mehrtägiger
ununterbrochener Arbeitseinsatz nicht zu mehreren, sondern
allenfalls zu einem einzigen
„Nichtrückkehrtag“ i.S. des Art. 15a Abs. 2
DBA-Schweiz 1971/1992 führen kann (ebenso FG
Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Beschluss vom
27.2.1997 2 V 3/97, EFG 1997, 625, und Urteil vom 3.12.1997 2 K
89/96, EFG 1998, 483).
bbb) Diese Deutung entspricht zudem dem
historischen Hintergrund der Protokollregelung. Dazu haben das FA
und das Finanzministerium Baden-Württemberg vorgetragen, dass
Ausgangspunkt jener Regelung ein Streit über die Besteuerung
von in Deutschland ansässigen Assistenzärzten gewesen
sei, bei denen Bereitschaftsdienste zur Nichtrückkehr
geführt hätten. Nach dem insoweit maßgeblichen
Schweizer Arbeitsrecht sei für Bereitschaftsdienste
grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren, der nur
nachrangig durch eine Bezahlung abgegolten werden dürfe. Die
Vertragsstaaten seien davon ausgegangen, dass der Zeitausgleich
sich regelmäßig im Ansässigkeitsstaat vollziehe und
der Bereitschaftsdienst daher keinen gesteigerten Bezug des
Arbeitnehmers zum Tätigkeitsstaat
(„Verwurzelung“) nach sich ziehe; deshalb sei
man zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ableistung von
Bereitschaftsdienst die Grenzgängereigenschaft nicht entfallen
lassen solle. Auf dieser Überlegung beruhe die in Nr. II.1.
des Verhandlungsprotokolls getroffene Regelung. Die Klägerin
hat die genannte Darstellung zwar bestritten; die Erläuterung
seitens der Finanzbehörden ist aber plausibel und daher
jedenfalls geeignet, ein aus Wortlaut und Systematik der
einschlägigen Vorschriften abzuleitendes Verständnis der
Protokollregelung zusätzlich zu stützen. In diesem Sinne
kann es daher bei der revisionsgerichtlichen Entscheidung verwertet
werden.
ccc) Schließlich kann nicht unbeachtet
bleiben, dass nach dem übereinstimmenden Vortrag des BMF und
des Finanzministeriums Baden-Württemberg die
Finanzbehörden der Vertragsstaaten die Protokollregelung
bisher in dem vorstehend beschriebenen Sinne verstanden haben. Die
einschlägige Vertragspraxis spiegelt sich u.a. in einem
BMF-Schreiben vom 19.9.1994 (BStBl I 1994, 683 = SIS 94 20 90)
wider, das ausweislich seines Einleitungssatzes auf einer
Verständigungsvereinbarung gemäß Art. 15a Abs. 4
DBA-Schweiz 1971/1992 beruht. Danach ist ein
„Nichtrückkehrtag“ nicht schon deshalb
anzunehmen, weil sich die Arbeitszeit am Arbeitsort entweder
bedingt durch die Anfangszeiten oder durch die Dauer der
Arbeitszeit über mehr als einen Kalendertag erstreckt (Tz. 12
des Schreibens); ergänzend wird dort erneut auf den Fall des
Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdiensten verwiesen. Diese
Regelung soll ersichtlich zwei unterschiedliche Grundsachverhalte
betreffen: Der klassische Fall der Schichtarbeit - Arbeitsbeginn
gegen Ende eines Tages und Arbeitsende am Folgetag - wird durch die
Formulierung „bedingt durch die Anfangszeiten“
abgedeckt, während die in der Vereinbarung enthaltene
Anknüpfung an die „Dauer der Arbeitszeit“
den Fall des mehrtägigen Arbeitseinsatzes im Blick hat, der
mithin ebenfalls die Zahl der
„Nichtrückkehrtage“ nicht erhöhen
soll. In diesem Sinne sind nach dem Vortrag der beteiligten
Finanzbehörden denn auch einzelfallbezogene
Verständigungsverfahren in der Vergangenheit stets
abgeschlossen worden.
Der Streitfall bietet keine Veranlassung, die
in der mündlichen Verhandlung vom BMF aufgeworfene Frage zu
erörtern, ob die genannte Vereinbarung und die ihr folgende
Verwaltungspraxis die Auslegung des Abkommens und des
Verhandlungsprotokolls durch die Gerichte binden können (vgl.
dazu auch Senatsurteil vom 17.10.2007 I R 5/06, BFHE 219, 518 = SIS 08 14 73, m.w.N.). Denn unabhängig davon kann ein
übereinstimmendes Verständnis seitens der Vertragsstaaten
für die gerichtliche Entscheidung zumindest insoweit bedeutsam
sein, als sie ein aus anderen Umständen abgeleitetes
Auslegungsergebnis bestätigen kann (vgl. dazu schon
Senatsurteil in BFHE 207, 452, 455). Diese Wirkung kommt der
zitierten Vereinbarung und der ihr folgenden tatsächlichen
Übung im Streitfall zu.
cc) Im Ergebnis sind daher diejenigen Tage, an
denen die Klägerin auf dem Therapiegelände
übernachten musste, für Zwecke des Art. 15a DBA-Schweiz
1971/1992 nicht als Tage der berufsbedingten Nichtrückkehr der
Klägerin an ihren Wohnsitz anzusehen. Unter
Berücksichtigung dieses Umstands überstieg die Zahl der
„Nichtrückkehrtage“ in keinem der
Streitjahre die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992
bestimmte Grenze; das ist zwischen den Beteiligten unstreitig und
bedarf keiner näheren Erläuterung. Daher hat die
Klägerin die in Rede stehenden Einkünfte als
Grenzgängerin erzielt, weshalb jene Einkünfte nach Art.
15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 in Deutschland besteuert
werden dürfen. Dem entsprechen die angefochtenen Bescheide,
die deshalb rechtmäßig sind.