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I. Anlässlich einer polizeilichen
Durchsuchung des Kraftfahrzeugs des Klägers und
Revisionsklägers (Kläger) am 23.2.2007 wurden 40 Kartons
mit je 25 Stangen Zigaretten der Marke Marlboro ohne Steuerzeichen
gefunden sowie bei der anschließenden Durchsuchung der
Wohnung des Klägers weitere zehn - darunter eine angebrochene
- Schachteln Zigaretten dieser Marke, die ebenfalls nicht mit
Steuerzeichen versehen waren. Bei seiner Vernehmung vom selben Tag
gab der Kläger an, er habe die Kartons von einer Person, deren
Vornamen (J) er lediglich nannte, mit dem Auftrag erhalten, diese
mit seinem Kraftfahrzeug zu einem bestimmten Parkplatz zu bringen,
das Fahrzeug dort stehen und den Fahrzeugschlüssel auf dem
Vorderreifen liegen zu lassen. Im Beisein des J habe er einen
Karton geöffnet und dabei entdeckt, dass sich darin nicht -
wie zuvor von J behauptet - Porzellanwaren, sondern Zigaretten
befunden hätten. Er habe den Transport gleichwohl
ausgeführt, weil er im Fall der Weigerung Repressalien
befürchtet habe.
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Mit Einfuhrabgabenbescheid vom 15.1.2008
setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt - HZA -
) die auf die Zigaretten entfallenden Einfuhrabgaben (3.920,38 EUR
Zoll, 7.232,46 EUR Einfuhrumsatzsteuer und 27.338,99 EUR
Tabaksteuer) gegen den Kläger fest.
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Die hiergegen nach erfolglosem
Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
Die Zollschuld sei gemäß Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1
Buchst. a des Zollkodex (ZK) entstanden. In Anbetracht der
fehlenden Steuerzeichen an den Zigarettenschachteln sei davon
auszugehen, dass die Zigaretten vorschriftswidrig in das Zollgebiet
der Union verbracht worden seien. Nach Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3
ZK sei der Kläger Zollschuldner. Da es nach dem Ergebnis der
strafrechtlichen Ermittlungen gegen andere an dem
Zigarettenschmuggel beteiligte Personen als geklärt angesehen
werden könne, dass die aus einem Drittland stammenden
Zigaretten zunächst nach Polen verbracht worden seien, und die
Zollschuld weniger als 5.000 EUR betrage, gelte sie
gemäß Art. 215 Abs. 4 ZK als in Deutschland entstanden.
Auf die Einfuhrumsatzsteuer seien diese Vorschriften
sinngemäß anzuwenden. Deren Höhe sei unter
Berücksichtigung der Tabaksteuer zu ermitteln. Die Tabaksteuer
sei nach § 19 des Tabaksteuergesetzes (TabStG) mit dem
Verbringen der Zigaretten in das deutsche Steuergebiet entstanden.
Der Kläger sei Schuldner der Tabaksteuer, da er die Zigaretten
als Empfänger in Besitz genommen habe.
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II. Die Revision ist unbegründet und
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat die Klage zu Recht
abgewiesen. Der angefochtene Einfuhrabgabenbescheid ist
rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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1. Nach Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a
ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine
einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet
der Union verbracht wird. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall
erfüllt. Das FG hat aus dem Umstand, dass die in dem Fahrzeug
des Klägers bzw. in seiner Wohnung gefundenen
Zigarettenschachteln keine Steuerzeichen aufwiesen, in rechtlich
nicht zu beanstandender Weise geschlossen, die Zigaretten seien aus
einem Drittland in das Zollgebiet der Union verbracht worden, ohne
sie zu einer Zollstelle zu befördern und sie dort zu gestellen
(Art. 202 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 38 Abs. 1, Art. 40 ZK).
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Die deutsche Zollverwaltung ist
gemäß Art. 217 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 215 Abs. 3 ZK
berechtigt, den dieser Zollschuld entsprechenden
Einfuhrabgabenbetrag buchmäßig zu erfassen und
festzusetzen, weil die Zollschuld des Streitfalls als in
Deutschland entstanden gilt. Nach den Feststellungen des FG, gegen
die zulässige und begründete Revisionsgründe nicht
vorgebracht sind (§ 118 Abs. 2 FGO), sind die Zigaretten
über Polen vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union
verbracht worden, weshalb die Zollschuld des Art. 202 ZK zwar in
Polen entstanden ist, jedoch nach Art. 215 Abs. 4 ZK gleichwohl als
in Deutschland entstanden gilt, weil in Deutschland ihre Entstehung
festgestellt wurde und sie weniger als 5.000 EUR beträgt.
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Zollschuldner sind (u.a.) gemäß
Art. 202 Abs. 3 Anstrich 3 ZK die Personen, welche die betreffende
Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie in dem
Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder
vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese
vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war. Der
Kläger erfüllt diese Voraussetzungen, da er die
Zigaretten, die sich in seiner Wohnung und seinem Fahrzeug
während des Transports befanden, in Besitz hatte (vgl.
insoweit: Senatsurteil vom 20.1.1998 VII R 57/97, BFH/NV 1998,
893). Weshalb die Revision einen die Sachherrschaft des
Klägers über die Zigaretten tragenden Besitzwillen
bezweifelt, erschließt sich nicht und wird von ihr auch nicht
weiter begründet. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen
hat der Kläger auch gewusst, dass die Zigaretten
vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden waren. An
diese Feststellung, die das FG auf die Aussage des Klägers bei
seiner Vernehmung gestützt hat, einen der Kartons
geöffnet und die darin befindlichen Zigaretten entdeckt zu
haben, ist der Senat ebenfalls mangels zulässiger und
begründeter Revisionsgründe gebunden (§ 118 Abs. 2
FGO).
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2. Entsprechendes gilt hinsichtlich der
Einfuhrumsatzsteuer, weil für diese nach § 21 Abs. 2 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Vorschriften für Zölle
sinngemäß gelten.
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Wie der erkennende Senat mit Urteil vom
6.5.2008 VII R 30/07 (BFHE 221, 325, ZfZ 2008, 301 = SIS 08 37 74)
ausgeführt und der Gerichtshof der Europäischen Union
(EuGH) mit Urteil vom 29.4.2010 C-230/08 (Slg. 2010, I-3799 = SIS 10 26 01) bestätigt hat, folgt die Befugnis zur Erhebung der
Einfuhrumsatzsteuer grundsätzlich der Befugnis zur Erhebung
des Zolls. Mit der dementsprechend durch § 21 Abs. 2 UStG
angeordneten sinngemäßen Anwendung der Zollvorschriften
soll sichergestellt werden, dass die bei der Einfuhr zu erhebenden
Abgaben von ein und derselben Behörde in einem Bescheid nach
dem gleichen Verfahren aufgrund einheitlich getroffener
Feststellungen einfach und zweckmäßig erhoben werden.
Dem entspricht es, auch Art. 215 Abs. 4 ZK auf die
Einfuhrumsatzsteuer anzuwenden (Senatsurteil in BFHE 221, 325, ZfZ
2008, 301 = SIS 08 37 74) und - wie das FG zutreffend
ausgeführt hat - in Fällen wie dem vorliegenden die
Zollbehörde desjenigen Mitgliedstaats, in dem die Entstehung
einer Zollschuld in einem anderen Mitgliedstaat in Höhe von
weniger als 5.000 EUR festgestellt wurde, auch dann als für
die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer zuständig anzusehen, wenn
die Einfuhrumsatzsteuerschuld diesen Betrag übersteigt.
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3. Das FG hat auch zu Recht die auf die
Zigaretten entfallende Tabaksteuer bei der Ermittlung der
Bemessungsgrundlage für die Einfuhrumsatzsteuer (§ 11
Abs. 1 UStG) berücksichtigt. Nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG
sind die aufgrund der Einfuhr im Zeitpunkt des Entstehens der
Einfuhrumsatzsteuer auf den Gegenstand entfallenden Beträge an
(u.a.) Verbrauchsteuern der Bemessungsgrundlage für die
Einfuhrumsatzsteuer hinzuzurechnen. Da es sich hierbei um eine
Vorschrift zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die
deutsche Einfuhrumsatzsteuer handelt, ist allein der Zeitpunkt des
Entstehens der deutschen Einfuhrumsatzsteuer maßgeblich.
Daher kommt nicht der Zeitpunkt der Einfuhr der Zigaretten nach
Polen in Betracht (a.A. zu einem entsprechenden Fall: FG
München, Urteil vom 28.5.2009 14 K 335/07, nicht
veröffentlicht).
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Die Berechtigung der deutschen
Zollbehörden, für die beim Kläger gefundenen
unversteuerten Zigaretten die deutsche Einfuhrumsatzsteuer zu
erheben, ergibt sich - wie ausgeführt - aus Art. 215 Abs. 3 ZK
i.V.m. der Fiktion des in Deutschland liegenden Orts der
Zollschuldentstehung gemäß Art. 215 Abs. 4 ZK. Der
Zeitpunkt des Entstehens der deutschen Einfuhrumsatzsteuer i.S. des
§ 11 Abs. 3 Nr. 2 UStG ist somit der Zeitpunkt, in dem die
Voraussetzungen des Art. 215 Abs. 4 ZK erfüllt waren, mithin
der 23.2.2007, als die unversteuerten Zigaretten beim Kläger
entdeckt wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren die Zigaretten in das
deutsche Steuergebiet eingeführt und damit die Tabaksteuer
entstanden (s. dazu im Folgenden 4. a).
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4. a) Die Tabaksteuer ist im Streitfall nach
§ 19 Satz 1 TabStG (in der hier maßgeblichen bis zum
31.3.2010 geltenden Fassung) entstanden, weil die Zigaretten
unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 TabStG, d.h. ohne
Verwendung von Steuerzeichen, aus dem freien Verkehr eines anderen
Mitgliedstaats (hier Polen) zu gewerblichen Zwecken in das
Steuergebiet verbracht worden sind. Um ein Verbringen zu privaten
Zwecken i.S. des § 20 TabStG handelt es sich zweifellos nicht
und die zunächst in Polen in das Zollgebiet der Union
eingeführten Zigaretten befanden sich dort auch im freien
Verkehr, denn nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. c der (im
Streitfall noch anzuwendenden) Richtlinie 92/12/EWG (RL 92/12/EWG)
des Rates vom 25.2.1992 über das allgemeine System, den
Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren (Amtsblatt der Europäischen
Gemeinschaften Nr. L 76/1) gilt als Überführung
verbrauchsteuerpflichtiger Waren in den steuerrechtlich freien
Verkehr jede - auch unrechtmäßige - Einfuhr dieser
Waren, sofern sie nicht einem Verfahren der Steueraussetzung
unterstellt worden sind (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2010, I-3799, Rz
75).
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Werden - wie im Streitfall -
verbrauchsteuerpflichtige Waren, die in einem Mitgliedstaat bereits
in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden
sind, zu gewerblichen Zwecken in einen anderen Mitgliedstaat
verbracht, ist dieser gemäß Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 7
Abs. 1 RL 92/12/EWG für die Erhebung der Verbrauchsteuer
zuständig (EuGH-Urteil in Slg. 2010, I-3799, Rz 112-114).
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b) Das FG hat den Kläger auch zu Recht
als Schuldner der Tabaksteuer angesehen. Steuerschuldner ist nach
§ 19 Satz 2 TabStG (u.a.) der Empfänger der Tabakwaren,
sobald er Besitz an ihnen erlangt hat. Zutreffend hat das FG
insoweit in Anbetracht des Art. 9 Abs. 1 RL 92/12/EWG sowie unter
Berücksichtigung des Urteils des erkennenden Senats vom
10.10.2007 VII R 49/06 (BFHE 218, 469, ZfZ 2008, 85 = SIS 08 10 27)
angenommen, als „Empfänger“ im Sinne dieser
Vorschrift sei derjenige anzusehen, der im Steuergebiet
unversteuerte Tabakwaren in Empfang nimmt, indem er seine
tatsächliche Herrschaft (Sachherrschaft) an ihnen
begründet, denn nach vorgenanntem Senatsurteil geht es bei der
Bestimmung des verbrauchsteuerrechtlichen Abgabenschuldners darum,
denjenigen in Anspruch nehmen zu können, in dessen
unmittelbarer Obhut eine verbrauchsteuerpflichtige Ware sich
befindet und der deshalb anhand objektiver Umstände leicht
ausgemacht und zur steuerrechtlichen Verantwortung gezogen werden
kann.
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat zwar zu §
19 Satz 2 TabStG die Auffassung vertreten, Schuldner der
Tabaksteuer könne nur derjenige
„Empfänger“ der Tabakwaren sein, der den
Besitz an diesen im Rahmen des Verbringungs- bzw.
Versendungsvorgangs selbst erlangt habe, somit nicht derjenige, in
dessen Besitz die Tabakwaren erst gelangen, nachdem der
Verbringungs- bzw. Versendungsvorgang bereits beendet worden sei
(BGH-Urteil vom 2.2.2010 1 StR 635/09, Neue Zeitschrift für
Strafrecht 2010, 644). Ob diese Ansicht des BGH einer
richtlinienkonformen Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG unter
Heranziehung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 92/12/EWG entspricht,
kann im Streitfall offenbleiben, weil der Kläger auch bei der
vom BGH vertretenen Auslegung des § 19 Satz 2 TabStG Schuldner
der Tabaksteuer wäre. Der Vorgang des Verbringens der
Zigaretten in das deutsche Steuergebiet war nämlich noch nicht
beendet, als der Kläger sie zum Zweck ihres Weitertransports
in sein Fahrzeug umladen ließ. Nach den vom FG
wiedergegebenen Vernehmungsprotokollen sowie der Anklageschrift
befanden sich die Zigaretten noch auf ihrem mit einem polnischen
Fahrzeug durchgeführten Transport von Polen zu ihrem
Empfänger in Deutschland, der nur unterbrochen worden war, um
die Zigaretten auf das vermeintlich unverdächtige Fahrzeug des
Klägers mit deutschem Kennzeichen umzuladen. Die Zigaretten
waren somit noch nicht - wie es der BGH formuliert - „in
Sicherheit gebracht“ worden und „zur Ruhe
gekommen“, als der Kläger den Besitz an ihnen
erlangte.
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