Kein Erbvergleich mit Außenstehenden: Die Grundsätze des sog. Erbvergleichs sind auf einen Vergleich zwischen Miterben und einem nicht am Nachlass beteiligten Dritten über Grund und Höhe möglicher Ansprüche des Erblassers unanwendbar. - Urt.; BFH 26.2.2008, II R 82/05; SIS 08 17 91
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist Miterbin zu 2/3 nach
ihrem am 15.3.1996 verstorbenen Bruder JD (Erblasser); ihre beiden
Halbgeschwister - darunter HD - sind jeweils Miterben zu 1/6. Die
Miterben nahmen die Kreissparkasse … (KSK) nach Eintritt des
Erbfalls auf Ersatz für Gelder in Höhe von mehr als
300.000 DM in Anspruch, die der Erblasser dem Angestellten der KSK
H zu Anlagezwecken übergeben und die dieser veruntreut haben
soll. Derartige Straftaten des H waren im Juli 1998 aufgedeckt
worden.
Am 28.12.1998 schlossen die Miterben mit
der KSK folgende Vereinbarung:
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1. Sachverhalt
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Die Kunden gehen davon aus, dass der
verstorbene JD Herrn H Gelder zur Anlage gegeben hatte. Sie
behaupten, daraus einen Zahlungsanspruch von mehr als 300.000 DM
gegen die KSK zu haben. Unterlagen oder andere
Beweismittel/Indizien können sie nicht vorlegen. Einzelheiten
zu den „Anlagebeträgen“ oder einer von H
versprochenen Verzinsung können sie nicht machen. Herr HD
bestätigt, von Herrn H am 25.6.1998 eine
„Rückzahlung“ von 13.000 DM in bar erhalten zu
haben.
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3. Vergleich
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Dies vorausgesetzt schließen die
Parteien folgenden Vergleich:
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a) Die KSK verpflichtet sich, innerhalb der
nächsten zwei Wochen 132.520 DM als Kapital zu zahlen, 66.250
DM auf Konto …, 33.130 DM auf Konto … und 33.130 DM
auf Konto ….
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b) Die KSK verpflichtet sich, innerhalb der
nächsten zwei Wochen 195.600 DM als Zinsen zu zahlen, 97.800
DM auf Konto …, 48.900 DM auf Konto … und 48.900 DM
auf Konto …. Sofern erforderlich sind davon vorab
Zinsabschlagsteuer und Solidaritätszuschlag durch die KSK
abzuführen.
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Die Gutschriften auf den Konten der
Miterben erfolgten am 30.12.1998.
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Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) erließ am 27.5.1999 gemäß
§ 173 Abs. 1 „i.V.m.“ § 175 Abs. 1 der
Abgabenordnung (AO) geänderte Bescheide, mit denen das FA
unter anderem die Forderungen aus der Vereinbarung der Miterben mit
der KSK in Höhe von insgesamt 328.120 DM sowie die von H an
den Miterben HD gezahlten 13.000 DM in Höhe der jeweiligen
Erbquote des Miterben der Erbschaftsteuer unterwarf. Der von der
Klägerin eingelegte Einspruch blieb insoweit
erfolglos.
Mit ihrer Klage wandte sich die
Klägerin gegen die Einbeziehung der Beträge aus der
Vereinbarung mit der KSK und der von H erhaltenen Zahlungen in die
Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur
insoweit statt, als das FA in den steuerpflichtigen Erwerb auch
Zinsen einbezogen hatte, die auf den Zeitraum nach dem Erbfall
entfielen. Im Übrigen wies das FG die Klage ab, da die
Forderung aus der Vereinbarung vom 28.12.1998 nach der
Rechtsprechung zum Erbvergleich als steuerpflichtiger Erwerb von
Todes wegen zu behandeln sei (vgl. SIS 06 22 17).
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin die Verletzung des § 11 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) und des § 38 AO. Das FG habe
die Bedeutung des Stichtagsprinzips für die Steuerentstehung
verkannt.
Die Klägerin beantragt
sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die
Erbschaftsteuer unter Änderung des Bescheids vom 27.5.1999 in
Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.6.2001 auf … DM
herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. 1. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Unrecht angenommen,
dass die Zahlungen der KSK und des H der Erbschaftsteuer
unterlägen und es nicht auf das zivilrechtliche Bestehen von
Ansprüchen des Erblassers gegen die KSK und H beim Eintritt
des Erbfalls ankomme.
a) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1,
§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erwerb durch Erbanfall
i.S. des § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der
Erbschaftsteuer. Als steuerpflichtig gilt gemäß §
10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers.
Maßgebend für die Vermögenszuordnung am Todestag
und damit für den gegenständlichen Umfang des Wechsels
der Rechtszuständigkeit ist das Bürgerliche Recht (vgl.
Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15.10.1997 II R 68/95, BFHE
183, 248, BStBl II 1997, 820 = SIS 98 01 05). Die Forderungen der
Miterben gegen die KSK und H können daher nur dann dem
Nachlass zugerechnet werden, wenn diese dem Erblasser im Zeitpunkt
seines Todes zustanden.
b) Aus dem Vergleich der Miterben mit der KSK
allein kann nicht gefolgert werden, dass dem Erblasser die
vergleichsgegenständlichen Forderungen gegen die KSK und H
tatsächlich zustanden. Entgegen der Auffassung des FG
können die Rechtsgrundsätze zum sog. Erbvergleich auf den
vorliegenden Fall nicht übertragen werden.
Der sog. Erbvergleich, d.h. die
einvernehmliche Bereinigung streitiger Erbrechtsverhältnisse
einschließlich etwa bestehender Ungewissheiten über
einzelne Erbteile oder über die den Erben zufallenden
Beträge im Wege eines Vergleichs, ist nach ständiger
Rechtsprechung des BFH auch der Erbschaftsteuer zugrunde zu legen
(ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 22.11.1995 II R
89/93, BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242 = SIS 96 09 10; vom
6.12.2000 II R 28/98, BFH/NV 2001, 601 = SIS 01 64 29;
BFH-Beschlüsse vom 25.8.1998 II B 45/98, BFH/NV 1999, 313 =
SIS 98 52 17; vom 19.9.2000 II B 10/00, BFH/NV 2001, 163 = SIS 01 52 23).
Ein solcher Vergleich kann jedoch nur insoweit
Verbindlichkeit im Besteuerungsverfahren beanspruchen, als er
seinen letzten Rechtsgrund noch im Erbrecht findet (vgl.
BFH-Urteile vom 24.7.1972 II R 35/70, BFHE 106, 555, BStBl II 1972,
886 = SIS 72 05 04, und in BFH/NV 2001, 601 = SIS 01 64 29;
BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 163 = SIS 01 52 23). Die
erbschaftsteuerliche Anerkennung des sog. Erbvergleichs stellt eine
nicht weiter verallgemeinerungsfähige Ausnahme von dem
Grundsatz dar, dass weder die Miterben noch sonst am Nachlass
beteiligte Personen berechtigt sind, den Kreis der
steuerpflichtigen Personen oder den Umfang der steuerpflichtigen
Bereicherung nach dem Erbfall durch freie Vereinbarung
eigenmächtig neu zu bestimmen. Insbesondere lassen sich die
Grundsätze zur Anerkennung des sog. Erbvergleichs nicht auf
Vereinbarungen zwischen Miterben und einem nicht am Nachlass
beteiligten Dritten übertragen, wenn dieser der Beilegung
eines ernsthaften Streits über Ansprüche des Erblassers
gegen diesen Dritten bei zweifelhafter Rechtslage dient. Die
Bereicherung der Miterben findet ihren letzten Rechtsgrund insoweit
nicht mehr im Erbrecht, sondern in den (behaupteten)
schuldrechtlichen Ansprüchen des Erblassers gegenüber
dritten Personen.
Etwas anderes lässt sich auch nicht aus
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ableiten. Diese Vorschrift
erfordert ein Ereignis, das den nach dem Steuertatbestand
rechtserheblichen Sachverhalt
„nachträglich“ anders gestaltet und sich
steuerlich in die Vergangenheit auswirkt, und zwar in der Weise,
dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten
Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl.
BFH-Beschlüsse vom 19.7.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II
1993, 897 = SIS 93 23 33; vom 8.8.2002 II B 157/01, BFH/NV 2002,
1548 = SIS 03 02 21; vom 18.5.2007 II B 65/06, BFH/NV 2007, 1456 =
SIS 07 23 79). Ein Vergleich i.S. des § 779 BGB ist jedoch
dadurch gekennzeichnet, dass durch ihn der Streit oder die
Ungewissheit der Vertragsparteien über ein
Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt
wird. Da ein solcher Vergleich danach nicht den Lebenssachverhalt
rückwirkend anders gestaltet, sondern nur dessen rechtliche
Beurteilung betrifft, kommt ihm - abgesehen vom sog. Erbvergleich -
keine steuerliche Rückwirkung zu (vgl. hierzu auch von Groll
in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 175 AO Rz 252, 255; von
Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 175 AO Rz 46, 56).
Da das FG von anderen Grundsätzen
ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Das FG hat - von seiner Rechtsauffassung
ausgehend konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem
Erblasser am Stichtag tatsächlich Forderungen gegen die KSK
oder H zustanden. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen
nachzuholen haben.
b) Soweit zivilrechtliche Ansprüche des
Erblassers gegen die KSK bestanden, sind diese auf den Todestag des
Erblassers als dem gemäß § 11 i.V.m. § 9 Abs.
1 Nr. 1 ErbStG maßgeblichen Stichtag zu bewerten.
Gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1
Satz 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) sind Kapitalforderungen mit
dem Nennwert anzusetzen, soweit nicht besondere Umstände einen
höheren oder geringeren Wert begründen.
Nach dem Wortlaut des Vergleichs konnten die
Miterben keine Unterlagen oder andere Beweismittel für das
Bestehen von Ansprüchen vorlegen. Ist die Zivilrechtslage
ungewiss und wird sie auch nicht durch ein rechtskräftiges
Urteil geklärt (vgl. dazu BFH-Urteil vom 12.3.1997 II R 52/94,
BFH/NV 1997, 550 = SIS 97 20 16), ist der am Stichtag vorhandenen
rechtlichen Unsicherheit durch Ansatz eines niedrigeren Wertes
Rechnung zu tragen. Der Wert ist dann nach dem Grad der
Wahrscheinlichkeit anzusetzen, mit der sich die Forderung aus der
Sicht vom Stichtag durchsetzen lassen wird. Dabei ist das
Prozessrisiko ein maßgeblicher Anhaltspunkt (vgl. BFH-Urteil
in BFH/NV 1997, 550 = SIS 97 20 16). Inwieweit der Vergleich
zwischen der KSK und den Miterben auch die Einschätzung des
Prozessrisikos durch die Vertragsparteien am Tag des
Vergleichsschlusses widerspiegelt, kann offenbleiben. Diese
Einschätzung kann schon deswegen nicht der Bewertung zugrunde
gelegt werden, weil sie sich nicht auf den Stichtag bezieht und die
strafbaren Handlungen des H am Bewertungsstichtag noch nicht
entdeckt waren.
Die etwaigen zivilrechtlichen Ansprüche
des Erblassers gegen die KSK können neben einer Erstattung des
dem H übergebenen Kapitals auch Zinszahlungen umfassen, die
sowohl der Erbschaftsteuer als auch bei den Erben der
Einkommensteuer unterliegen. Hieraus folgt jedoch keine
Doppelbelastung (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 19.1.1956 IV 604/54 U,
BFHE 62, 227, BStBl III 1956, 85 = SIS 56 00 62; vom 1.3.1957 VI
57/55 U, BFHE 64, 358, BStBl III 1957, 135 = SIS 57 00 96), da die
Zinsen den Miterben noch im Jahre 1998 und damit unter der Geltung
des § 35 des Einkommensteuergesetzes a.F. (i.d.F. des Art. 1
Nr. 13 des Steueränderungsgesetzes 1979 vom 30.11.1978, BGBl I
1978, 1849) zugeflossen sind, der eine Anrechnung der gezahlten
Erbschaftsteuer auf die Einkommensteuer vorsah. Diese Vorschrift
ist durch Art. 1 Nr. 40, Art. 18 Abs. 1 des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 (BGBl I
1999, 402) rückwirkend zum 1.1.1999 aufgehoben worden.
c) Etwaige Ansprüche des Erblassers gegen
H sind gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BewG ebenfalls auf den Stichtag zu bewerten.
Maßgebend sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des H
am Bewertungsstichtag (vgl. BFH-Urteil vom 11.3.1992 II R 149/87,
BFH/NV 1993, 354). Spätere Änderungen der
Zahlungsfähigkeit des H sind demgegenüber für die
Bewertung unbeachtlich.
d) Sollten Ansprüche des Erblassers gegen
die KSK und H bestanden haben, begegnet die Änderung des
Steuerbescheids gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
verfahrensrechtlich keinen Bedenken.
Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift sind alle
Sachverhaltsbestandteile, die Merkmal oder Teilstück eines
gesetzlichen Steuertatbestandes sein können, also
Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften
materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteile vom 25.1.2006
II R 61/04, BFH/NV 2006, 1059 = SIS 06 20 94; vom 28.6.2006 III R
13/06, BStBl II 2007, 714 = SIS 06 38 92). Demgegenüber sind
rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere die geänderte
rechtliche Wertung oder Subsumtion bereits bekannter Tatsachen,
keine Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 AO (vgl. BFH-Urteile vom
14.5.2003 X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144 = SIS 03 36 76; vom
13.1.2005 II R 48/02, BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451 = SIS 05 18 64). Im Streitfall ginge es jedoch nicht um eine geänderte
rechtliche Beurteilung von Tatsachen, die das FA bei Erlass des
vorangegangenen Steuerbescheids bereits kannte, sondern um die
steuerliche Berücksichtigung der dem FA erst später
bekannt gewordenen Forderungen gegen die KSK und H, mithin um eine
neue Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (vgl. BFH-Urteil
in BFHE 208, 392, BStBl II 2005, 451 = SIS 05 18 64).