Kapitalgesellschaft in Liquidation, Besteuerungsverfahren: 1. Zieht sich die Liquidation einer Kapitalgesellschaft über mehr als drei Jahre hin, so darf das FA nach Ablauf dieses Zeitraums regelmäßig auch dann gegenüber der Kapitalgesellschaft einen Körperschaftsteuerbescheid erlassen, wenn für eine Steuerfestsetzung vor Abschluss der Liquidation kein besonderer Anlass besteht. Ein solches Vorgehen muss nur dann begründet werden, wenn ein rechtliches Interesse der Kapitalgesellschaft an der Verlängerung des Besteuerungszeitraums über drei Jahre hinaus erkennbar ist. - 2. Hat das FA gegenüber einer in Liquidation befindlichen Kapitalgesellschaft einen Körperschaftsteuerbescheid für einen im Jahr 1997 endenden Besteuerungszeitraum erlassen und dabei den im Jahr 1997 geltenden Steuersatz angesetzt, so ist dieser Bescheid nicht allein deshalb rechtswidrig, weil die Liquidation über den 31.12.2000 hinaus andauert und seither der tarifliche Körperschaftsteuersatz nur noch 25 % beträgt. (zur Anwendung vgl. BMF-Schreiben vom 4.4.2008, IV B 7 - S 2760/0, BStBl 2008 I S. 542 = SIS 08 17 00) - Urt.; BFH 18.9.2007, I R 44/06; SIS 08 05 39
I. Die Beteiligten streiten darüber,
ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - )
berechtigt war, die Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) für das Streitjahr (1997) zur
Körperschaftsteuer zu veranlagen.
Die Klägerin ist eine
Kapitalgesellschaft (AG), die im Jahr 1967 aufgelöst und im
Anschluss an eine Abwicklung im Jahr 1970 im Handelsregister
gelöscht wurde. Für den Zeitraum 1967 bis 1970 wurde eine
Abwicklungsbesteuerung nach Maßgabe des § 11 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) durchgeführt.
Seit 1990 machte die Klägerin
vermögensrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit
Grundbesitz in Ostdeutschland geltend. Am 28.2.1991 wurde für
sie erstmals ein Abwickler gemäß § 273 Abs. 4 des
Aktiengesetzes bestellt; im Jahr 1993 erkannte die zuständige
Behörde ihr gegenüber Zahlungsansprüche an. Im
Streitjahr erhielt die Klägerin zur Befriedigung eines Teils
ihrer Ansprüche eine Zahlung in Höhe von 5.055.031,65 DM.
Weitergehende Forderungen verfolgt sie auf dem Zivilgerichtsweg;
das betreffende Verfahren ist nach den Feststellungen des
Finanzgerichts (FG) bisher nicht abgeschlossen.
Das FA erließ für das Streitjahr
einen Körperschaftsteuerbescheid, in dem es einen vom
28.2.1991 bis zum 31.12.1997 dauernden Besteuerungszeitraum
erfasste und die Besteuerungsgrundlagen für diesen Zeitraum
schätzte. Die Klage gegen diesen Bescheid hat das FG
abgewiesen (FG Hamburg, Urteil vom 29.5.2006 5 K 136/03); sein
Urteil ist in EFG 2006, 1856 = SIS 06 36 27 abgedruckt.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision
rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts. Sie
beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den
angefochtenen Bescheid und die dazu ergangene
Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Das FG hat der Klage in einem zweiten
ursprünglichen Streitpunkt stattgegeben. Das FA hat deshalb
gegen das erstinstanzliche Urteil ebenfalls Revision eingelegt,
diese aber im weiteren Verlauf zurückgenommen. Die
Klägerin hat der Rücknahme der Revision
zugestimmt.
II. Das Verfahren wird, soweit es die Revision
des FA betrifft, gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 und
§ 72 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 121 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt. Die Revision der
Klägerin ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs.
2 FGO zurückzuweisen. Der mit ihr angefochtene Bescheid ist
rechtmäßig.
1. Da sich die Klägerin in Liquidation
befindet, richtet sich ihre Veranlagung zur Körperschaftsteuer
nach § 11 KStG. Danach ist grundsätzlich der im Zeitraum
der Abwicklung erzielte Gewinn der Besteuerung zu Grunde zu legen
(§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG); Besteuerungszeitraum ist also in
diesem Fall nicht das einzelne Kalenderjahr, sondern der gesamte
Abwicklungszeitraum. Jedoch folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG,
dass die Finanzbehörde in bestimmten Fällen schon vor dem
Abschluss der Abwicklung die bis dahin entstandene Steuer in einem
Bescheid festsetzen darf (Senatsurteil vom 22.2.2006 I R 67/05,
BFHE 213, 301 = SIS 06 37 76, m.w.N.). Um eine solche
„Zwischenveranlagung“ geht es im Streitfall.
2. Der angefochtene Bescheid ist nach den
Feststellungen des FG als „Bescheid für 1997
über Körperschaftsteuer“ bezeichnet. Das
könnte bei isolierter Betrachtung deshalb bedenklich
erscheinen, weil das FG zugleich festgestellt hat, dass im Bescheid
die Steuer für einen vom 28.2.1991 bis zum 31.12.1997
laufenden Zeitraum festgesetzt ist. Auch könnte zweifelhaft
sein, ob das FA berechtigt war, im Rahmen der
Liquidationsbesteuerung einen Besteuerungszeitraum von nur einem
Kalenderjahr anzusetzen (vgl. Senatsurteil in BFHE 213, 301 = SIS 06 37 76, m.w.N.). Jedoch sind sowohl die Beteiligten als auch das
FG erkennbar davon ausgegangen, dass der Bescheid die Steuer
für den genannten mehrjährigen Besteuerungszeitraum
betrifft, die Angabe „Körperschaftsteuer
1997“ also nur eine unschädliche begriffliche
Unklarheit beinhaltet. Der Senat hat keine Bedenken, dem zu
folgen.
3. Das FG hat zutreffend entschieden, dass das
FA berechtigt war, gegenüber der Klägerin eine
Körperschaftsteuer und daran anschließend den
Gewerbesteuermessbetrag (vgl. § 14 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes - GewStG - ) für den Zeitraum vom
28.2.1991 bis zum 31.12.1997 festzusetzen.
a) Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG soll der
für die Besteuerung maßgebliche Abwicklungszeitraum
(§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG) drei Jahre nicht überschreiten.
Daraus folgt, dass die Finanzbehörde in
Liquidationsfällen regelmäßig berechtigt ist, nach
Ablauf von drei Jahren einen Steuerbescheid zu erlassen. Diese
Berechtigung hängt entgegen der Ansicht der Klägerin
nicht davon ab, dass für eine Steuerfestsetzung vor Abschluss
der Abwicklung ein besonderer Anlass besteht. Denn die in § 11
Abs. 1 Satz 2 KStG getroffene Regelung dient zwar der Vermeidung
von Schwierigkeiten, die sich bei einer streng auf den gesamten
Abwicklungszeitraum abstellenden Besteuerung daraus ergeben
könnten, dass die Liquidation lange andauert oder nur zum
Schein durchgeführt wird (Senatsurteil in BFHE 213, 301 = SIS 06 37 76, m.w.N.). Das Gesetz enthält aber keinen Anhaltspunkt
dafür, dass eine „Zwischenveranlagung“ nur
dann zulässig sein soll, wenn solche Schwierigkeiten konkret
drohen. Deshalb setzt eine solche Maßnahme insbesondere nicht
voraus, dass eine Abwicklung unangemessen hinausgezögert wird
oder dass ohne eine Zwischenveranlagung der Ausfall von
Steueransprüchen zu befürchten ist; im Gegenteil soll die
Regelung nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers dazu
dienen, den Finanzbehörden einzelfallbezogene
Beweisschwierigkeiten zu ersparen (vgl. Begründung zum
Körperschaftsteuergesetz vom 16.10.1934, RStBl 1935, 81, 85).
Angesichts dessen war eine Veranlagung im Streitfall, in dem sowohl
die gesamte Liquidationsphase als auch speziell die
Nachtragsliquidation der Klägerin sich über mehr als drei
Jahre hingezogen hatten, im Grundsatz zulässig.
b) Liegen die Voraussetzungen für eine
Zwischenveranlagung vor, so muss die zuständige
Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen
darüber entscheiden, ob sie von dieser Möglichkeit
Gebrauch macht (ebenso FG des Landes Brandenburg, Urteil vom
23.1.2002 2 K 2272/98 K,U,F, EFG 2002, 432 = SIS 02 65 10;
Lambrecht in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 11 Rz 41;
Hofmeister in Blümich, Einkommensteuergesetz,
Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 11 KStG
Rz 39; Küster, DStR 2006, 209, 211, m.w.N.). Ihre
Ermessensausübung kann im gerichtlichen Verfahren nur
daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen
des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in
einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Im Streitfall
hält die Entscheidung des FA dieser Prüfung stand.
Das FG hat einen Ermessensfehler nicht
für gegeben erachtet und dazu vor allem darauf abgehoben, dass
bei Erlass des angefochtenen Bescheids der in § 11 Abs. 1 Satz
2 KStG bestimmte Regelzeitraum im Streitfall deutlich
überschritten war, dass ein Abschluss der Abwicklung der
Klägerin nicht absehbar war und dass vor diesem Hintergrund
die vom FA vorgenommene Veranlagung der zeitnahen steuerlichen
Erfassung eines erheblichen Gewinns diente. Diese Einschätzung
ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt im Hinblick auf
die Erwägung der Vorinstanz, das FA sei nicht gehalten
gewesen, auf die Durchführung einer Zwischenveranlagung zu
verzichten und stattdessen Vorauszahlungen festzusetzen:
Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte durch § 11 Abs.
1 Satz 2 KStG den Finanzbehörden die Möglichkeit
verschafft werden, einerseits „die Gesellschaft
spätestens nach Ablauf von drei Jahren zur Steuer
heranzuziehen“ und „andererseits den besonderen
Verhältnissen des einzelnen Falls auch durch eine weitere
Ausdehnung des Besteuerungszeitraums Rechnung zu tragen“;
der Dreijahreszeitraum stellt mithin nach dem Verständnis des
Gesetzgebers den Regelfall dar (ebenso Lambrecht in Gosch, a.a.O.,
§ 11 Rz 41; Küster, DStR 2006, 209, 212), weshalb eine
Entscheidung für eine Zwischenveranlagung nach Ablauf dieses
Zeitraums nur dann einer Begründung bedarf, wenn ein
rechtliches Interesse an der Verlängerung dieses Zeitraums
erkennbar ist (Küster, DStR 2006, 209, 212). Dazu hat die
Revision nichts vorgetragen. Soweit sie ergänzend geltend
macht, der Inhalt vorgerichtlicher Äußerungen des FA
deute auf Ermessensfehler im Zusammenhang mit der
körperschaftsteuerrechtlichen Systemänderung hin, wird
dieser Vortrag in tatsächlicher Hinsicht von den
Feststellungen des FG nicht getragen; er kann daher im
Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 118
Abs. 2 FGO).
4. Der hiernach dem Grunde nach
gerechtfertigte Steuerbescheid ist auch seinem Inhalt nach nicht zu
beanstanden.
a) Im Hinblick auf die in ihm angesetzten
Besteuerungsgrundlagen beruht der Bescheid auf den Angaben der
Klägerin. Diese hat zwar im gerichtlichen Verfahren geltend
gemacht, dass bestrittene Schadensersatzforderungen erst nach einer
endgültigen Bereinigung des Streits aktiviert werden
dürften (Senatsurteil vom 26.4.1989 I R 147/84, BFHE 157, 121,
BStBl II 1991, 213 = SIS 89 17 13) und dass die vom FA als
erfolgswirksam behandelte Entschädigungszahlung deshalb als
Anzahlung zu bilanzieren sei. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg
haben, da ihr nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen
des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) die von ihr vereinnahmte
Entschädigung unstreitig endgültig zustand und ein Streit
nur über darüber hinausgehende Beträge geführt
wurde; unter diesen Umständen war ein Ertrag in Höhe der
genannten Zahlung am maßgeblichen Stichtag bereits
realisiert. Die weiteren Überlegungen der Klägerin dazu,
wie die bilanzrechtliche Situation bei einem unterstellten Buchwert
der ostdeutschen Grundstücke zu beurteilen wäre, sind
für den Streitfall unerheblich. Das FG hat daher zu Recht
angenommen, dass der angefochtene Bescheid hinsichtlich des dort
angesetzten Einkommens der Klägerin nicht zu beanstanden
ist.
b) Ebenso begegnet keinen Bedenken, dass das
FA das Einkommen der Klägerin dem im Streitjahr geltenden
Steuersatz von 45 % unterworfen hat. Dem steht namentlich der
Umstand, dass im Zuge der Umstellung des
körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungsverfahrens auf das
Halbeinkünfteverfahren der tarifliche Steuersatz inzwischen
auf 25 % abgesenkt worden ist (§ 23 KStG i.d.F. des
Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000, BGBl I 2000, 1433, BStBl I
2000, 1428), nicht entgegen:
Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs
(RFH) unterliegt in Liquidationsfällen, wenn sich während
des Abwicklungszeitraums der gesetzliche Steuersatz ändert,
der Abwicklungsgewinn dem am Ende jenes Zeitraums geltenden
Steuersatz (RFH-Urteil vom 17.1.1939 I 418/38, RFHE 46, 47, RStBl
1939, 598; zustimmend z.B. Lambrecht in Gosch, a.a.O., § 11 Rz
78; Hofmeister in Blümich, a.a.O., § 11 KStG Rz 80;
Olgemöller in Streck, Körperschaftsteuergesetz, 6. Aufl.,
§ 11 Rz 6; Frotscher in Frotscher/Maas,
Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 11
KStG Rz 26). Ob diese Regel auch dann eingreift, wenn für
einen Teil des Abwicklungszeitraums eine Zwischenveranlagung
stattgefunden hat und erst nach Ablauf des von ihr erfassten
Besteuerungszeitraums eine Änderung des Steuersatzes in Kraft
getreten ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden
(bejahend wohl FG des Landes Brandenburg in EFG 2002, 432 = SIS 02 65 10; verneinend z.B. Hofmeister, ebenda; Olgemöller, ebenda;
ebenso wohl R 51 Abs. 4 der Körperschaftsteuer-Richtlinien
2006). Der Streitfall bietet keine Veranlassung, diese Frage
abschließend zu beantworten. Denn selbst wenn davon
auszugehen wäre, dass die von § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG
zugelassenen Zwischenveranlagungen nach Abschluss der Abwicklung
durch eine endgültige Veranlagung für den gesamten
Abwicklungszeitraum zu ersetzen sind (so z.B. Wacht in Ernst &
Young, Körperschaftsteuergesetz, § 11 Rz 41) und dass
für diese endgültige Veranlagung allein das am Schluss
des Abwicklungszeitraums geltende Steuerrecht maßgeblich ist,
könnte dies nicht zur Rechtswidrigkeit des hier in Rede
stehenden Bescheids führen.
Aus einer solchen Beurteilung könnte sich
nämlich allenfalls ergeben, dass nach vollständiger
Durchführung des Liquidationsverfahrens ein den gesamten
Abwicklungszeitraum betreffender Körperschaftsteuerbescheid
erlassen und in diesem Zusammenhang der
Zwischenveranlagungsbescheid aufgehoben werden muss. Hingegen kann
aus der Maßgeblichkeit des Abwicklungszeitraums für die
Besteuerung nicht abgeleitet werden, dass im Rahmen einer
Zwischenveranlagung für einen abgelaufenen
Besteuerungszeitraum Änderungen des Steuerrechts zu beachten
sind, die erst nach Ablauf jenes Besteuerungszeitraums in Kraft
getreten sind. Eine solche Handhabung wäre zum einen nicht
damit vereinbar, dass eine Zwischenveranlagung nur den von ihr
abgedeckten Besteuerungszeitraum betrifft. Zum anderen würde
sie die Praktikabilität der Liquidationsbesteuerung deutlich
erschweren, zumal sie folgerichtig dazu führen müsste,
dass bereits durchgeführte Zwischenveranlagungen stets an
nachträglich eintretende Änderungen der Rechtslage
angepasst werden müssten. Deshalb kann, selbst wenn einer
Zwischenveranlagung nur ein in dem genannten Sinne vorläufiger
Charakter beizumessen sein sollte, sich diese Vorläufigkeit
erst nach dem Abschluss der Abwicklung auswirken. Dieser ist
indessen im Streitfall nach den Feststellungen des FG bis zum
Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung, auf das insoweit
abzustellen ist, nicht eingetreten.