Unbestimmter Vorläufigkeitsvermerk, Unwirksamkeit: Ein Vorläufigkeitsvermerk, der keine Angaben über den Umfang der Vorläufigkeit enthält und bei dem dieser für den Steuerpflichtigen auch weder aufgrund seines dem Erlass des Bescheides vorausgehenden Verhaltens noch aufgrund des Inhalts der Steuererklärung oder des Bescheides erkennbar ist, ist unwirksam, selbst wenn Gegenstand des Bescheides nur eine Einkunftsart ist. - Urt.; BFH 12.7.2007, X R 22/05; SIS 07 37 80
I. Die in W wohnende Klägerin und
Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte im Oktober 1991 die
Kunstgalerie „G“ eröffnet, und zwar in einem
fünfstöckigen Gebäude in M, das ihr Ehemann zu
Beginn des Streitjahres 1991 auf einem in seinem Eigentum stehenden
Grundstück zum Betrieb der Galerie errichtet und an die
Klägerin vermietet hatte. In den Jahren 1991 bis 2000 hatte
die Klägerin mit Ausnahme des Jahres 1995 (7.346 DM Gewinn)
ausschließlich Verluste erlitten, die sich bis
einschließlich 1998 auf 237.604 DM angehäuft hatten. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - )
erließ für die Streitjahre 1991 bis 1994 mit einem
Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 der Abgabenordnung (AO)
versehene Feststellungsbescheide, in denen er die erklärten
Verluste anerkannte. In den Bescheiden 1991 und 1992 war der
Vorläufigkeitsvermerk im Kopf des jeweiligen Bescheides
angebracht. In den Bescheiden 1993 und 1994 befand er sich auf der
Rückseite in dem Feld „Begründung und
Nebenbestimmungen“. In allen Bescheiden war der
Vorläufigkeitsvermerk weder erläutert noch
begründet. Der zunächst im Wege der Schätzung
ergangene Feststellungsbescheid für das Kalenderjahr 1995
erhielt seine endgültige Fassung im Einspruchsverfahren. Er
war mit keiner Nebenbestimmung versehen und ist
bestandskräftig.
Nach einer Außenprüfung für
die Jahre 1996 bis 1998 kam das FA zu dem Ergebnis, der Betrieb der
Galerie sei von Beginn an als steuerlich unbeachtliche Liebhaberei
zu qualifizieren. Das FA hob daher mit zusammengefasstem Bescheid
vom 31.10.2001 die Gewinnfeststellungsbescheide für die
Streitjahre 1991 bis 1994 nach § 165 Abs. 2 AO auf. Den von
der Klägerin eingelegten Einspruch wies es als
unbegründet zurück.
Im Klageverfahren wandte sich die
Klägerin gegen die Annahme der Liebhaberei und sprach dem FA
die Befugnis ab, die Feststellungsbescheide für die
Streitjahre nach § 165 Abs. 2 AO zu ändern. Der in den
vorangegangenen Feststellungsbescheiden enthaltene
Vorläufigkeitsvermerk habe weder Grund noch Umfang der
Vorläufigkeit angegeben und sei daher nichtig.
Das FA vertrat die Ansicht, der in den
aufgehobenen Bescheiden nicht näher beschriebene Umfang der
Vorläufigkeit habe nicht zur Nichtigkeit der Nebenbestimmung
geführt, sondern nur zu deren Rechtswidrigkeit. Die
Klägerin habe die Bescheide nicht angefochten. Somit seien sie
insoweit bestandskräftig geworden, so dass das FA berechtigt
gewesen sei, Folgerungen aus der damit gegebenen
Änderungsmöglichkeit zu ziehen.
Das Finanzgericht (FG) bejahte in dem in
EFG 2006, 4 = SIS 07 02 66 veröffentlichten Urteil die
Einkünfteerzielungsabsicht der Klägerin und verneinte
für die Streitjahre die Berechtigung des FA zur Änderung
der vorangegangenen Feststellungsbescheide. Es betrachtete den in
diesen Bescheiden angebrachten Vorläufigkeitsvermerk wegen
mangelnder Bestimmtheit als nichtig (§ 119 Abs. 1, § 125
AO), weil er keine Angaben zum Umfang der Vorläufigkeit
enthalten habe.
Hinsichtlich der im Klageverfahren weiteren
Streitjahre 1996 bis 1998 hat das FG die Verluste der Klägerin
um die Mietaufwendungen gekürzt, weil es das
Mietverhältnis zwischen ihr und ihrem Ehemann steuerlich nicht
anerkannte.
Mit der Revision rügt das FA die
Verletzung materiellen Rechts. Es vertritt die Auffassung, entgegen
dem angefochtenen Urteil seien die in den ursprünglichen
Bescheiden enthaltenen Vorläufigkeitsvermerke trotz Fehlens
einer Erläuterung hinreichend bestimmt gewesen. Ihr Umfang
habe sich im Wege der Auslegung ermitteln lassen. Dafür sei
kein weiterer Schriftverkehr mit der Klägerin erforderlich
gewesen, weil einziger Gegenstand der Gewinnfeststellung der Gewinn
aus dem Betrieb der Kunstgalerie gewesen sei. Aus den
Vorläufigkeitsvermerken sei ersichtlich gewesen, dass das FA
die steuerliche Berücksichtigung des Gewinns (Verlustes)
sowohl dem Grunde wie der Höhe nach als ungewiss ansehe.
Reichweite und Umfang der Vorläufigkeitsvermerke seien daher
offenkundig und für die fachkundig vertretene Klägerin
außer Frage gewesen.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil,
soweit es die Streitjahre 1991 bis 1994 betrifft, aufzuheben und
unter Änderung des Aufhebungsbescheides vom 31.10.2001 und der
dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 21.2.2002 die
Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb für 1991
mit ./. 17.750 DM, für 1992 mit ./. 35.020 DM, für 1993
mit ./. 4.603 DM und für 1994 mit ./. 38.788 DM
festzustellen.
Die Klägerin hat sich im
Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision wird nach § 126 Abs. 2
der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet
zurückgewiesen. Das FG hat den von der Klägerin
angefochtenen Aufhebungsbescheid des FA vom 31.10.2001 für die
Streitjahre 1991 bis 1994 zu Recht aufgehoben. Er konnte entgegen
der Auffassung des FA wegen Unwirksamkeit der in den aufgehobenen
Feststellungsbescheiden vom 26.3.1993 (für 1991), 14.6.1994
(für 1992), 30.11.1995 (für 1993) und 22.7.1996 (für
1994) enthaltenen Vorläufigkeitsvermerke nicht auf § 165
Abs. 2 AO gestützt werden.
1. Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1
AO kann die Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit
ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für ihre Entstehung
eingetreten sind. Gleiches gilt nach § 181 Abs. 1 Satz 1 AO
für die gesonderte Feststellung von
Besteuerungsgrundlagen.
Das FA hat in allen Fällen der
vorläufigen Festsetzung bzw. Feststellung nach § 165 Abs.
1 Satz 3 AO Grund und Umfang der Vorläufigkeit für den
Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar anzugeben (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6.3.1992 III R 47/91, BFHE 167, 290,
BStBl II 1992, 588 = SIS 92 13 64). Die von § 165 Abs. 1 Satz
3 AO geforderten Angaben dienen dem Rechtsschutzinteresse des
Steuerpflichtigen (v.Wedelstädt in Woerner/Grube, Aufhebung
und Änderung von Steuerverwaltungsakten, 9. Aufl., 2005, Rz
632; Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 165
AO Rz 21). Er soll wissen, welche Umstände der
endgültigen Festsetzung bzw. Feststellung entgegenstehen und
hinsichtlich welcher als ungewiss betrachteten Tatsachen
(BFH-Urteile vom 12.3.1991 IX R 282/87, BFH/NV 1991, 506; vom
30.6.1994 V R 106/91, BFH/NV 1995, 466; vom 7.2.1995 IX R 68/92,
BFH/NV 1995, 939) sich das FA eine weitere Überprüfung
vorbehält (BFH-Urteil vom 25.4.1985 IV R 64/83, BFHE 143, 500,
BStBl II 1985, 648 = SIS 85 19 37). Diese Angaben zeigen auch die
Grenzen für die endgültige Festsetzung (Feststellung)
auf. Die Reichweite der Vorläufigkeit muss daher
grundsätzlich dem Bescheid entnommen werden können.
Zweifelsfrei wird dies durch den Wortlaut der Erläuterungen
und durch eine klare Formulierung erreicht.
2. Enthält der Steuerbescheid zum Umfang
der Vorläufigkeit keinerlei Angaben und ergibt sich dieser
Umfang auch nicht aus anderen Umständen, so ist der Vermerk
inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und deshalb mit der Folge
unwirksam, dass er nicht zur Aufhebung oder Änderung des
Steuerbescheides berechtigt (BFH-Urteile in BFH/NV 1991, 506, und
in BFH/NV 1995, 466).
3. Fehlen Erläuterungen im Bescheid oder
ist die Formulierung unklar, so kann der
Vorläufigkeitsvermerk dennoch wirksam sein, wenn sich der
Umfang der Vorläufigkeit im Wege der Auslegung aus Sicht eines
objektiven Empfängers feststellen lässt. Das verlangt
eine Würdigung der Umstände des Einzelfalles.
a) In deren Rahmen
stellt der BFH darauf ab, ob für den Steuerpflichtigen
aufgrund des gegebenen Sachverhalts der Umfang der
Vorläufigkeit hinreichend erkennbar war, ob sich der Umfang
der Vorläufigkeit für ihn also ohne Weiteres
erschließen musste.
Dies hat der BFH
(Urteil in BFH/NV 1995, 466) z.B. in einem Fall bejaht, in dem
einziger Gegenstand einer Umsatzsteuererklärung die Vorsteuer
aus einem Bauvorhaben war und die Vorläufigkeit
„hinsichtlich der Vorsteuer aus der Herstellung des
Gebäudes“ ausgesprochen war. Für den
Steuerpflichtigen war erkennbar, dass sich der Vermerk auf seine
Berechtigung zum Abzug der gesamten Vorsteuer aus dem Bauvorhaben
bezog; andere offene Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Art
waren aufgrund des Sachverhalts und des Inhalts der
Steuererklärung nicht ersichtlich.
b) Die Erkennbarkeit
des Umfangs der Vorläufigkeit kann sich auch daraus ergeben,
dass der Steuerpflichtige aufgrund seines eigenen Verhaltens
Schlüsse auf den Umfang der Vorläufigkeit ziehen
muss.
So hat der IX. Senat
des BFH im Urteil in BFH/NV 1991, 506 entschieden, dass sich der Hinweis: „Die
Steuerfestsetzung ist nach § 165 Abs. 1 AO vorläufig
hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung“ im Falle eines Steuerpflichtigen, der im
Streitjahr 1979 erstmals Einkünfte aus vier Eigentumswohnungen
erklärt und dabei die Aufteilung der Anschaffungskosten
pauschal, ohne nähere Erläuterungen vorgenommen hatte,
erkennbar auf die Aufteilung der Anschaffungskosten im Rahmen der
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezog und damit
ausreichend bestimmt den Umfang der Vorläufigkeit beschrieb.
Dem Steuerpflichtigen musste bewusst sein, dass sich das FA durch
den Vorläufigkeitsvermerk die genauere Überprüfung
des Aufteilungsmaßstabs vorbehalten wollte. Andere offene
Fragen rechtlicher oder tatsächlicher Art waren auch in diesem
Fall nicht ersichtlich.
c) Dass für die
Frage, ob und wann Inhalt und Reichweite eines Bescheides für
den Steuerpflichtigen erkennbar sind, auf sein dem Erlass des
Bescheides vorangehendes Verhalten abzustellen ist, zeigt auch das
BFH-Urteil vom 13.10.2005 IV R 55/04 (BFHE 211, 387, BStBl II 2006,
404 = SIS 06 08 87). In diesem Fall hat der BFH eine
Prüfungsanordnung für wirksam angesehen, die an eine
wegen Ausscheidens eines ihrer beiden Gesellschafter erloschene KG
adressiert war, weil der verbliebene Gesellschafter weiterhin unter
der Firma der Gesellschaft aufgetreten war. Der BFH entschied, dass
der Einzelunternehmer aufgrund seines eigenen Verhaltens erkennen
konnte, dass die Prüfungsanordnung an ihn gerichtet
war.
4. Von Bedeutung
für die Auslegung eines Verwaltungsaktes und für die
Beantwortung der Frage, ob der Inhalt eines
Vorläufigkeitsvermerks für den Steuerpflichtigen
erkennbar war, sind somit die Eindeutigkeit einer
Steuererklärung und des Inhalts des Steuerbescheides sowie
Unklarheiten, die der Steuerpflichtige selbst zu verantworten
hat.
a) Diese Überlegungen begründen im
Streitfall die Unwirksamkeit der Vorläufigkeitsvermerke, weil
das FA Angaben unterlassen hat, weshalb und in welchem Umfang die
Feststellungen nur vorläufig getroffen wurden und weder die
Feststellungsbescheide selbst noch das Verhalten der Klägerin
Anhaltspunkte für eine Auslegung der
Vorläufigkeitsvermerke bieten.
aa) Selbst wenn
Gegenstand des Feststellungsbescheides nur eine Einkunftsart
ist, kann aus dem bloßen Vorläufigkeitsvermerk nicht
geschlossen werden, auf welches der drei Sachverhaltselemente der
Gewinnermittlung (hier: Betriebseinnahmen, Betriebsausgaben,
Einkünfteerzielungsabsicht) sich die Vorläufigkeit nach
der Vorstellung des FA bezieht. Damit kann der angefochtene
Bescheid nicht als so eindeutig angesehen werden, dass sich der
Umfang des Vorläufigkeitsvermerks für die Klägerin
von selbst erschließen musste.
bb) Der
Klägerin kann nicht vorgehalten werden, die
Feststellungserklärungen wiesen von ihr zu vertretende
Unklarheiten oder Lücken auf, die es rechtfertigen
würden, ihr Zweifel des FA am Vorliegen der Voraussetzungen
für die Entstehung einer Steuer bzw. am Bestehen von
Besteuerungsgrundlagen anzulasten. Die Klägerin hat mit der
Abgabe der Feststellungserklärungen und der dazu
gehörigen Unterlagen getan, was von ihr zu tun war.
b) Auch sind keine sonstigen Umstände
gegeben, aus denen die Klägerin hätte ableiten
können, welche Tatsachen das FA als unsicher beurteilt. Es
gibt keinen Vermerk und keine Korrespondenz, woraus die
Klägerin hätte entnehmen können, das FA erwäge,
ihrer Tätigkeit bereits unter dem Gesichtspunkt der
Liebhaberei die steuerliche Relevanz abzusprechen.
5. Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass,
von der Klägerin zu verlangen, näher zu prüfen,
warum und in welchem Umfang die Feststellungsbescheide
vorläufig seien.
Anders käme im Fall der (gesonderten)
Feststellung, die nur eine Einkunftsart betrifft, der Anordnung des
§ 165 Abs. 1 Satz 3 AO keinerlei Bedeutung zu. Es würde
der bloße Vorläufigkeitsvermerk genügen, um die
zeitlich hinausgeschobene Änderungsmöglichkeit (§
171 Abs. 8 AO) offenzuhalten, während es andererseits
dem FA keine Mühe bereitet, Grund
und Umfang der Vorläufigkeit zu benennen. Daher besteht keine
Notwendigkeit, den mit der Anordnung in § 165 Abs. 1 Satz 3 AO
verfolgten Rechtsschutzzweck zu vernachlässigen.
6. Eine andere
Möglichkeit, die ursprünglichen Bescheide für die
Streitjahre zu ändern, war wegen eingetretener
Feststellungsverjährung nicht gegeben.