Bank, erbstl. Anzeigepflicht betr. Vermögen in ausländischer Zweigniederlassung: Ein inländischer Vermögensverwahrer oder -verwalter ist verpflichtet, in die Anzeigen nach § 33 Abs. 1 ErbStG auch Vermögensgegenstände einzubeziehen, die von einer Zweigniederlassung im Ausland verwahrt oder verwaltet werden. - Urt.; BFH 31.5.2006, II R 66/04; SIS 06 48 78
I. Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein national und
international tätiges Kreditinstitut. Die X-Bank, deren
Rechtsnachfolgerin die Klägerin zum 1.1.1999 geworden ist,
hatte im Jahr 1978 eine Zweigniederlassung in London errichtet.
Für die von dieser Zweigniederlassung geführten Konten
bestand die Anweisung, diese nicht in die beim Tod eines Kunden zu
erstattende Anzeige nach § 33 Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) einzubeziehen.
Im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung
bei der X-Bank forderte die Steuerfahndungsstelle des Beklagten und
Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) die X-Bank mit Schreiben vom
21.12.1998 unter Berufung auf § 33 ErbStG und § 208 Abs.
1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) auf, ab dem Jahr 1992
alle von der Betriebsstätte in London verwalteten
Vermögensgegenstände und Forderungen, die bei dem Tod
eines inländischen Erblassers zu dessen Vermögen
gehörten oder über die dem Erblasser zur Zeit seines
Todes die Verfügungsmacht zustand, in der nach § 5 der
Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung (ErbStDV) vorgesehenen
Form bis zum 31.3.1999 dem jeweils für die Verwaltung der
Erbschaftsteuer zuständigen FA anzuzeigen und der
Steuerfahndungsstelle eine Mehrfertigung zu übersenden.
Für den Fall der Nichterfüllung wurde ein Zwangsgeld
angedroht.
Im Einspruchsverfahren vertrat die
Klägerin die Auffassung, der Bescheid sei inhaltlich nicht
hinreichend bestimmt, weil es sich um ein unzulässiges
Sammelauskunftsersuchen und Ermittlungen „ins Blaue
hinein“ handele. § 33 Abs. 1 ErbStG sei auf Konten, die
bei ausländischen Filialen inländischer Banken
geführt würden, nicht anwendbar, weil die Bank dieses
Vermögen nicht in ihrem Gewahrsam habe. Denn der Kunde
könne von der inländischen Bank für den Fall, dass
der ausländische Staat ein Zahlungsmoratorium verhänge,
keine Erfüllung verlangen. In § 15 des
Geldwäschegesetzes (GWG) sei für eine vergleichbare
Fallkonstellation eine Auskunftspflicht ausländischer
Zweigniederlassungen inländischer Banken ausdrücklich
angeordnet, woran es in § 33 Abs. 1 ErbStG aber fehle. Zudem
verletze der angefochtene Verwaltungsakt das völkerrechtliche
Territorialitätsprinzip.
Während des Einspruchsverfahrens
richtete das FA an die Klägerin am 5.7.1999 ein Schreiben, mit
dem der Tenor des Bescheids vom 21.12.1998 „im Wege der
Teilabhilfe“ dahin gehend neu gefasst wurde, dass für
Todesfälle ab dem Jahr 1992 um Mitteilung aller Personen
gebeten wurde, denen zum Zeitpunkt ihres Todes in der
Betriebsstätte in London Vermögensgegenstände oder
Forderungen zustanden oder denen darüber eine
Verfügungsbefugnis erteilt war. Die Auskunft sollte u.a. die
genaue Bezeichnung der Anlage, den Nennbetrag der Forderung oder
den Kurswert am Todestag enthalten und war bis zum 31.12.1999 zu
erteilen. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Im Klageverfahren legte die Klägerin
ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen ein Urteil des Court
of Appeal vom 17.12.1923 in der Sache Tournier v. National
Provincial and Union Bank of England und das Ergebnis einer
Datenbankrecherche - beides ausschließlich in englischer
Sprache - vor. Aus dem Urteil soll sich nach Auffassung der
Klägerin ergeben, dass in Großbritannien errichtete
Zweigniederlassungen ausländischer Banken den
Finanzbehörden ihres Heimatstaats keine Auskünfte
erteilen dürfen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab
(EFG 2005, 461 = SIS 05 10 23).
Mit ihrer Revision vertieft und
ergänzt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchs-
und Klageverfahren.
Die Klägerin beantragt, das
angefochtene Urteil, die Bescheide vom 21.12.1998 und vom 5.7.1999
sowie die ergangenen Einspruchsentscheidungen aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und nach
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen.
1. Die angefochtenen Verwaltungsakte sind
rechtmäßig. Die Klägerin ist verpflichtet, in die
Anzeigen nach § 33 Abs. 1 ErbStG auch
Vermögensgegenstände und Forderungen einzubeziehen, die
von ihrer Zweigniederlassung in London verwahrt oder verwaltet
werden.
Nach der genannten Vorschrift hat der, der
sich geschäftsmäßig mit der Verwahrung oder
Verwaltung fremden Vermögens befasst, diejenigen in seinem
Gewahrsam befindlichen Vermögensgegenstände und
diejenigen gegen ihn gerichteten Forderungen, die beim Tod eines
Erblassers zu dessen Vermögen gehörten oder über die
dem Erblasser zur Zeit seines Todes die Verfügungsmacht
zustand, dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer
zuständigen FA anzuzeigen. Diese Voraussetzungen sind
vorliegend erfüllt.
a) Die Klägerin befasst sich als
Kreditinstitut geschäftsmäßig mit der Verwahrung
und Verwaltung fremden Vermögens.
aa) Soweit § 33 Abs. 1 ErbStG die
Anzeigepflicht für Vermögensgegenstände, die nicht
in einer Forderung des Erblassers gegen den Vermögensverwahrer
oder -verwalter selbst bestehen, von dem Gewahrsam des
Vermögensverwahrers oder -verwalters abhängig macht,
steht der Annahme des Gewahrsams der Klägerin an den
Vermögensgegenständen ihrer Kunden, die in einer
ausländischen Zweigniederlassung verwahrt oder verwaltet
werden, nicht der für eine Zweigniederlassung typische Grad an
organisatorischer Selbständigkeit entgegen.
Der in § 33 Abs. 1 ErbStG verwendete
Begriff des Gewahrsams (vgl. dazu Gutachten des Reichsfinanzhofs -
RFH - vom 25.6.1920 II D 4/20, RFHE 3, 246, und Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12.8.1964 II 125/62 U, BFHE 80, 481,
BStBl III 1964, 647 = SIS 64 03 71) ist umfassender als der
zwangsvollstreckungs- oder strafrechtliche Gewahrsamsbegriff.
Gewahrsam ist danach ein Zustand unmittelbarer tatsächlicher
Einwirkungsmöglichkeit auf Sachen oder Rechte.
Der Gewahrsam der Klägerin erstreckt sich
auch auf Vermögensgegenstände, die in ihren
ausländischen Zweigniederlassungen verwahrt werden. Dies folgt
schon daraus, dass die durch § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 des
Kreditwesengesetzes (KWG) angeordneten internen Kontrollverfahren
(internes Kontrollsystem und interne Revision) in vollem Umfang
auch Zweigniederlassungen im Ausland erfassen müssen.
Der Verweis der Klägerin auf die Gefahr
eines durch die Bank of England verhängten Zahlungsmoratoriums
führt zu keiner anderen Betrachtung. Denn bei der Beurteilung
des - rein tatsächlich ausgerichteten - Gewahrsamsbegriffs ist
auf die unter regelmäßigen Umständen
gegenwärtig bestehende Zugriffsmöglichkeit abzustellen.
Die abstrakte Möglichkeit einer Einschränkung der
Verfügungen von Bankkunden über ihre Geldanlagen durch
künftige staatliche Maßnahmen steht der Annahme des
gegenwärtigen Gewahrsams des vermögensverwahrenden oder
-verwaltenden Kreditinstituts nicht entgegen. Im Übrigen
müsste die von der Klägerin angestellte Betrachtung
angesichts der in Deutschland ebenfalls möglichen
Verhängung eines Moratoriums (§ 47 KWG) dazu führen,
dass Kreditinstitute auch an Geldanlagen, die im Inland verwahrt
werden, keinen Gewahrsam hätten. § 33 Abs. 1 ErbStG liefe
damit aber leer.
bb) Auf den Gewahrsam der Klägerin kommt
es nach dem Gesetzeswortlaut ohnehin nicht an, soweit sich die
Anzeigepflicht auf Forderungen des Erblassers gegen den
Vermögensverwahrer oder -verwalter bezieht. Dies betrifft
beispielsweise Festgeldanlagen der im Kontoauszug vom 30.5.1995
dokumentierten Art.
b) Die - dem Wortlaut des § 33 Abs. 1
ErbStG entsprechende - Einbeziehung der in ausländischen
Niederlassungen inländischer Banken geführten Konten und
Depots in die Anzeigepflicht entspricht auch dem Sinn und Zweck der
Regelung und ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
aa) Der Gesetzgeber wollte mit der
Vorläufernorm des § 33 Abs. 1 ErbStG (§ 59 ErbStG
1919) das Erblasservermögen möglichst vollständig
erfassen. Die Steuergesetzgebung der damaligen Zeit war
„von dem Bestreben beherrscht, jegliches Verborgenbleiben
oder Verstecken von Vermögen unmöglich zu
machen“ (RFH-Gutachten in RFHE 3, 246, unter Bezugnahme
auf die Begründung zum ErbStG 1919, Nr. 376 der Drucksachen
der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom
16.6.1919). Diese Zielrichtung bestimmt auch § 33 Abs. 1
ErbStG. Nach dem Sinn und Zweck der §§ 30 ff. ErbStG soll
die Anzeige u.a. der Vermögensverwahrer und -verwalter das FA
über das Vorliegen eines Erwerbsvorgangs unterrichten und
damit die möglichst vollständige Erfassung aller Erwerbe
sicherstellen. Damit dient auch § 33 Abs. 1 ErbStG in erster
Linie dazu, dem FA die Prüfung zu erleichtern, ob und wen es
im Einzelfall zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung
aufzufordern hat (BFH-Urteile vom 16.10.1996 II R 43/96, BFHE 181,
351, BStBl II 1997, 73 = SIS 97 03 12; vom 10.11.2004 II R 1/03,
BFHE 208, 33, BStBl II 2005, 244 = SIS 05 11 94; vgl. zum Normzweck
auch Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz,
Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 33 Anm. 2). Die Herausnahme der
Auslandsniederlassungen aus der Anzeigepflicht würde die
Erreichung dieses Zwecks - jedenfalls teilweise -
gefährden.
bb) Die Einbeziehung der genannten
Vermögenswerte in die Anzeigepflicht steht in Einklang mit den
verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die von der Klägerin
vertretene einschränkende Auslegung würde die Gefahr mit
sich bringen, dass Inländer ihr Vermögen durch Anlage bei
Auslandsniederlassungen deutscher Banken dem Anwendungsbereich der
Anzeigepflicht entziehen und sich damit - mangels sonstiger
Verifikationsmöglichkeiten der inländischen
Finanzverwaltung - faktisch der Erbschaftsbesteuerung entledigen
(vgl. zum Verhältnis zwischen materiellen steuerrechtlichen
Belastungsnormen und flankierenden verfahrensrechtlichen Regelungen
zur Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
Urteile des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 27.6.1991 2
BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 = SIS 91 14 01,
und vom 9.3.2004 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 =
SIS 04 13 59).
Zwar stehen der inländischen
Finanzverwaltung auch hinsichtlich des Vermögens, das bei -
rechtlich selbständigen - ausländischen Banken angelegt
ist, nur sehr eingeschränkte Verifikationsmöglichkeiten
zur Verfügung. Dies ist in verfassungsrechtlicher Hinsicht
jedoch aufgrund des völkerrechtlichen
Territorialitätsprinzips hinzunehmen (BFH-Urteil vom 7.9.2005
VIII R 90/04, BFHE 211, 183, BStBl II 2006, 61 = SIS 05 47 93;
Verfassungsbeschwerde unter dem Az. 2 BvR 2077/05 anhängig).
Soweit das Völkerrecht - wie hier (dazu noch unten c bb) -
aber eine Kontrollmöglichkeit zulässt, ist der
Gesetzgeber gehalten, die tatsächliche Durchsetzung der
materiellen Steuerpflicht nicht durch eine gegenläufige
rechtliche Ausgestaltung des Erhebungsverfahrens zu behindern
(BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56 = SIS 04 13 59, unter C.II.1.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür,
dass der Gesetzgeber der Regelung des § 33 Abs. 1 ErbStG einen
Inhalt hat geben wollen, der mit diesen verfassungsrechtlichen
Vorgaben nicht vereinbar wäre.
c) Die weiteren von der Klägerin
vorgebrachten Gesichtspunkte stehen diesem Auslegungsergebnis
ebenfalls nicht entgegen.
aa) Eine einschränkende Auslegung des
gesetzlichen Wortlauts ist weder durch den Regelungszusammenhang
des § 33 Abs. 1 ErbStG noch durch andere gesetzliche
Vorschriften veranlasst.
Der Hinweis der Klägerin auf die
Haftungsregelung des § 20 Abs. 6 Satz 2 ErbStG geht schon
wegen des im Vergleich zu § 33 Abs. 1 ErbStG unterschiedlichen
Regelungszusammenhangs und -gehalts fehl. § 20 ErbStG soll
allein die möglichst vollständige Steuererhebung in
Fällen sicherstellen, in denen diese nach der
Einschätzung des Gesetzgebers typischerweise gefährdet
sein kann. Demgegenüber soll die Anzeigepflicht nach § 33
ErbStG - wie unter II.1.b bb dargelegt - eine möglichst
lückenlose Steuerfestsetzung sicherstellen. § 20 Abs. 6
Satz 2 ErbStG enthält nicht etwa einen Haftungstatbestand
für den Fall der Verletzung der Anzeigepflichten nach §
33 Abs. 1 ErbStG, sondern knüpft an anderweitige
Pflichtverletzungen an.
Eine Einschränkung des § 33 Abs. 1
ErbStG ergibt sich auch nicht aus § 15 GWG. Denn § 15
Satz 1 GWG bezieht nicht allein die - rechtlich
unselbständigen - Auslandszweigstellen, sondern vor allem die
rechtlich selbständigen, aber von einer inländischen
Konzernmutter abhängigen Unternehmen im Ausland in die
Anzeigepflichten ein. Damit geht diese Regelung weit über
§ 33 Abs. 1 ErbStG hinaus.
Gleiches gilt für die von der
Klägerin angeführte Sonderregelung für
Betriebsstätten in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO 1977. Diese
Vorschrift ist für die Auslegung des § 33 Abs. 1 ErbStG
schon deshalb ohne Bedeutung, weil § 90 AO 1977
ausschließlich Mitwirkungspflichten der Beteiligten betrifft;
die nach § 33 Abs. 1 ErbStG Anzeigeverpflichteten sind
hingegen nicht Beteiligte eines Besteuerungsverfahrens (vgl. auch
§ 78 AO 1977). Überdies erklärt sich die
Notwendigkeit der in § 90 Abs. 3 Satz 4 AO 1977 getroffenen
Regelung daraus, dass die in § 90 Abs. 3 Satz 1 AO 1977
angeordneten Aufzeichnungspflichten zunächst nur für
Geschäftsbeziehungen zwischen rechtlich selbständigen
Rechtssubjekten i.S. des § 1 Abs. 2 des
Außensteuergesetzes (AStG) gelten. Daraus folgt unmittelbar
das Erfordernis einer ausdrücklichen Regelung für
Aufzeichnungspflichten zur Gewinnabgrenzung zwischen rechtlich
unselbständigen Organisationseinheiten. Für die Auslegung
des § 33 Abs. 1 ErbStG, dessen Regelungstechnik schon im
Ansatz nicht mit der des § 90 Abs. 3 AO 1977 i.V.m. § 1
Abs. 2 AStG vergleichbar ist, kann daraus nichts hergeleitet
werden.
bb) Allgemeine Regeln des Völkerrechts,
die nach Art. 25 des Grundgesetzes (GG) Bestandteil des
Bundesrechts sind und den deutschen Gesetzen vorgehen, stehen
dieser Auslegung nicht entgegen.
Zwar ist hoheitliches Handeln der
Behörden des einen Staates im Hoheitsbereich eines anderen
Staates ohne dessen Zustimmung grundsätzlich
völkerrechtswidrig (BVerfG-Urteil vom 22.3.1983 2 BvR 475/78,
BVerfGE 63, 343, unter B.II.3.b aa, m.w.N.). Eine solche
Konstellation ist hier aber nicht gegeben.
Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des
Völkerrechts, der der Anordnung der unbeschränkten
Steuerpflicht im Fall des Vorhandenseins eines inländischen
Wohnsitzes entgegensteht (BFH-Urteil vom 24.1.2001 I R 100/99,
BFH/NV 2001, 1402 = SIS 01 77 37, unter 2.d; das BVerfG hat die
Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 18.1.2003 2 BvR 952/01
nicht zur Entscheidung angenommen). Dass es völkerrechtlich
kein allgemeines Verbot des Doppelzugriffs gibt, zeigt sich schon
daran, dass nahezu alle Staaten eine unbeschränkte
Steuerpflicht kennen, die eine weltweite Erstreckung der
Bemessungsgrundlage vorsieht (Welteinkommen, Weltvermögen,
Weltnachlass). Erst in bilateralen Abkommen verzichten die Staaten
- unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit - auf einen Teil
dieses weltweiten Zugriffs. Wenn aber die gesetzliche Ausgestaltung
der unbeschränkten Steuerpflicht, die grundsätzlich auch
im Ausland belegenes Vermögen erfasst, völkerrechtlich
zulässig ist, dann kann die gesetzliche Anordnung einer
Anzeigepflicht, die sich an inländische Rechtssubjekte wendet,
von diesen aber ggf. auch Angaben im Zusammenhang mit ihrer
Auslandsgeschäftstätigkeit erfordert, nicht
völkerrechtswidrig sein.
Deutsche Gerichte überschreiten ihre
Gerichtsbarkeit nicht, wenn ihre Urteile ausschließlich
Wirkungen im Inland haben und eine Erzwingung nur durch
inländische Maßnahmen zulässig ist (Mülhausen,
Wertpapier-Mitteilungen 1986, 985, 989). Gleiches gilt für
eine gesetzliche Anordnung, die sich - wie § 33 Abs. 1 ErbStG
- an inländische Rechtssubjekte richtet und nur im Inland
erzwungen werden kann, sowie für entsprechende Verwaltungsakte
deutscher Finanzbehörden. Eine Maßnahme ist auch dann
auf das inländische Staatsgebiet beschränkt, wenn von
einem inländischen Steuerpflichtigen Unterlagen über eine
ausländische Gesellschaft angefordert werden (BFH-Urteil vom
16.4.1986 I R 32/84, BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736 = SIS 86 21 56, unter 3.c). Die Wirkungen der im Streitfall maßgebenden
Anzeigepflicht bleiben indes noch hinter denen der in der
vorgenannten Entscheidung zu beurteilenden Maßnahme
zurück, weil vorliegend von einem inländischen
Kreditinstitut lediglich hausinterne Informationen angefordert
werden.
Auch die Bankenaufsicht durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erstreckt sich
- wie sich aus § 8 Abs. 3 KWG ergibt - auf die
Zweigniederlassungen einer inländischen Bank in anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) oder des
Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Für die Aufsicht
über die Niederlassungen und die grenzüberschreitenden
Dienstleistungen ist die Behörde am Sitz des Instituts
zuständig (Herkunfts- oder Sitzlandaufsicht; vgl. Lindemann in
Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, Kommentar, 2.
Aufl. 2004, § 8 Rn. 13); die Aufsichtsbefugnisse der
Behörde des Staates der Zweigniederlassung reduzieren sich auf
eine bloße Restzuständigkeit (Marwede in
Boos/Fischer/Schulte-Mattler, § 53 KWG Rn. 4). Diese
Rechtslage (für Deutschland § 53b KWG) gilt infolge der
Zweiten EG-Bankrechtskoordinierungsrichtlinie vom 15.12.1989
(Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - vom
30.12.1989, Nr. L 386) spiegelbildlich auch für die Befugnisse
der deutschen Aufsichtsbehörden gegenüber der Londoner
Niederlassung der Klägerin. Diese Niederlassung unterliegt
daher - völkerrechtlich unbedenklich - ohnehin einem strengen
Zugriff deutscher Behörden.
cc) Die durch Art. 43 des Vertrags zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft (in der Fassung
des Vertrags von Nizza vom 26.2.2001, BGBl II 2001, 1666)
garantierte Niederlassungsfreiheit ist nicht verletzt, da die
ausländische Niederlassung nicht als Anknüpfung für
die Auferlegung einer zusätzlichen Pflicht dient. Die
Klägerin, deren Geschäftsbetrieb sich sowohl auf das
Inland als auch auf das Gebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats
erstreckt, wird hinsichtlich der Anzeigepflicht vielmehr genauso
behandelt wie ein Kreditinstitut, dessen Geschäftsbetrieb sich
auf das Inland beschränkt. Eine Diskriminierung liegt hierin
nicht.
2. Die angefochtenen Verwaltungsakte sind auch
im Übrigen rechtmäßig.
a) Sie sind wirksam, insbesondere inhaltlich
hinreichend bestimmt i.S. des § 119 Abs. 1 AO 1977.
Die Klägerin rügt insoweit, dass
keiner der beiden Bescheide erkennen lasse, bei welchem FA die
Anzeige einzureichen sei. Indes ist im Bescheid vom 21.12.1998
ausdrücklich angeordnet, dass die
Vermögensgegenstände „dem zuständigen
Erbschaftsteuerfinanzamt“ anzuzeigen sind. Damit nimmt
dieser Verwaltungsakt die gesetzliche Formulierung des § 33
Abs. 1 Satz 1 ErbStG auf, die wiederum an die
Zuständigkeitsregelung des § 35 Abs. 1 ErbStG
anknüpft. Unklarheiten über das für die
Entgegennahme der Anzeige zuständige FA ergeben sich daraus
nicht.
Der Verwaltungsakt vom 5.7.1999 enthält
zwar keine ausdrückliche Regelung mehr dazu, an welche
Behörde die Anzeige zu richten ist. Wegen seiner Bezugnahme
auf § 33 ErbStG ist er jedoch dahin auszulegen, dass insoweit
die von der gesetzlichen Regelung vorgesehene Rechtsfolge eintreten
soll, die Anzeige also an das für die Verwaltung der
Erbschaftsteuer zuständige FA zu richten ist (§ 33 Abs. 1
Satz 1, § 35 Abs. 1 ErbStG).
b) Die Verwaltungsakte sind formell
rechtmäßig. Insbesondere war das (Steuerfahndungs-)FA
für ihren Erlass sachlich zuständig.
Zu den Aufgaben der Steuerfahndung gehört
die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (§
208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977). Die insoweit an die Aufnahme
entsprechender Ermittlungen zu stellenden Anforderungen sind zwar
wesentlich geringer als jene, von denen die Einleitung eines Straf-
oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens (vgl. § 208 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO 1977) abhängt; gleichwohl bedarf es für ein
Tätigwerden der Steuerfahndung auch hier eines
begründeten Anlasses. Ein solcher ist gegeben, wenn aufgrund
konkreter Momente oder allgemeiner Erfahrung eine Anordnung
bestimmter Art geboten ist. Zu einer
„Rasterfahndung“ oder zu Ermittlungen
„ins Blaue hinein“ ist die Steuerfahndung danach
nicht berechtigt (zum Ganzen BFH-Urteil vom 29.10.1986 VII R 82/85,
BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359 = SIS 87 04 57, unter II.2.b, die
Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos, s. BVerfG-Beschluss vom
6.4.1989 1 BvR 33/87, HFR 1989, 440; BFH-Beschluss vom 25.7.2000
VII B 28/99, BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643 = SIS 00 11 54, unter
II.2.c aa). Vorliegend geht es jedoch nicht um eine
„Rasterfahndung“ nach bestimmten Bankkunden,
sondern lediglich um die Durchsetzung der gesetzlichen
Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG, der die Klägerin
bisher nicht nachgekommen ist. In der jahrelangen
Nichterfüllung der Anzeigepflicht durch die X-Bank und die
Klägerin liegt jedenfalls ein „konkreter
Moment“, der das Tätigwerden der Steuerfahndung als
geboten erscheinen lässt.
Hinzu kommt, dass eine andere
Finanzbehörde, die die angefochtenen Verwaltungsakte
hätte erlassen können, nicht ersichtlich ist.
Insbesondere ist es faktisch keinem für die Verwaltung der
Erbschaftsteuer zuständigen FA (§ 35 Abs. 1 ErbStG)
möglich, die Klägerin zur Erfüllung ihrer
gesetzlichen Anzeigepflichten aufzufordern. Denn bis zur
Erfüllung dieser Anzeigepflicht hat keine Dienststelle der
Finanzverwaltung Kenntnis davon, welcher Erblasser
Vermögensgegenstände von einer ausländischen
Zweigniederlassung der Klägerin hat verwahren oder verwalten
lassen. Bei dieser Sachlage gehört es zu den Aufgaben des
beklagten FA, dessen Steuerfahndungsstelle zumindest Kenntnis davon
hatte, dass die Klägerin ihren gesetzlichen Anzeigepflichten
nicht nachkam, die Klägerin zur Erfüllung dieser
Pflichten aufzufordern.
c) Die Verwaltungsakte sind auch materiell
rechtmäßig.
aa) Sie finden ihre
Ermächtigungsgrundlage in § 33 Abs. 1 ErbStG, da ihr
Regelungsgehalt sich im Ergebnis darauf beschränkt, die X-Bank
und die Klägerin zur Erfüllung ihrer sich aus der
genannten Norm ergebenden Anzeigepflicht aufzufordern. Das
Vorbringen der Klägerin, es handele sich um unzulässige
Sammelauskunftsersuchen, geht damit schon im Ansatz fehl.
Die in den Verwaltungsakten von der X-Bank
bzw. der Klägerin verlangten Handlungen entsprechen den von
§ 33 Abs. 1 ErbStG vorgesehenen Rechtsfolgen. Soweit der
Verwaltungsakt vom 21.12.1998 eine ausdrückliche
Beschränkung auf inländische Erblasser enthält,
bleibt er zwar hinter den Rechtsfolgen des § 33 Abs. 1 ErbStG
- der eine solche Beschränkung nicht kennt (vgl. aber die im
Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom
13.6.2000, DB 2000, 2350 = SIS 00 10 47, vorgesehene Erleichterung,
wonach die Bank von einer Anzeige des in einer ausländischen
Niederlassung verwahrten Vermögens absehen kann, wenn ihr
bekannt ist, dass weder der Erblasser noch ein Erwerber
Inländer i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist) -
zurück, kann aber gleichwohl auf diese Norm gestützt
werden.
Der Verwaltungsakt vom 5.7.1999 enthält
die genannte Beschränkung zwar nicht mehr ausdrücklich.
Da das FA aber mit diesem Bescheid dem Einspruch teilweise abhelfen
wollte und eine Verböserung nicht beabsichtigt war, ist er
dahin gehend auszulegen, dass ebenfalls nur das Vermögen
inländischer Erblasser anzuzeigen ist.
Die im Bescheid vom 21.12.1998 - über die
Vorgaben des § 33 Abs. 1 ErbStG hinaus - enthaltene Anordnung
der Übersendung einer Mehrfertigung der Anzeige an das
Steuerfahndungs-FA, die ihre Rechtsgrundlage in § 208 Abs. 1
Satz 2 i.V.m. § 97 Abs. 1 AO 1977 finden mag, ist im
Teilabhilfebescheid vom 5.7.1999 nicht mehr enthalten.
Die vom FA verlangten Einzelangaben
entsprechen den Vorgaben des Musters 1 zu § 1 ErbStDV (vor dem
1.8.1998: § 5 ErbStDV a.F.).
bb) Die Bescheide sind nicht wegen eines
Ermessensausfalls zu beanstanden. Die Klägerin ist insoweit
der Auffassung, sie befinde sich in einer Pflichtenkollision, weil
es der Londoner Zweigstelle nach britischem Recht untersagt sei,
die in § 33 Abs. 1 ErbStG verlangten Auskünfte an
deutsche Finanzbehörden zu übermitteln. Dies habe das FA
im Rahmen seiner Ermessensentscheidung berücksichtigen
müssen.
Die Klägerin verkennt, dass § 33
Abs. 1 ErbStG eine strikte Anzeigeverpflichtung begründet und
nicht etwa das FA ermächtigt, nach seinem Ermessen eine solche
Verpflichtung zu begründen. Auch vermag die von der
Klägerin behauptete Pflichtenkollision schon deshalb nichts an
ihrer Anzeigepflicht zu ändern, weil diese Pflicht allein nach
deutschem Steuerrecht zu beurteilen ist. Der deutsche Gesetzgeber
hat - ganz abgesehen davon, dass er etwaige Auswirkungen eines
Auskunftsverbots nach ausländischem Recht nicht gegen sich
gelten lassen muss (vgl. BFH-Urteile vom 16.4.1980 I R 75/78, BFHE
133, 19, BStBl II 1981, 492 = SIS 81 17 23; in BFHE 147, 14, BStBl
II 1986, 736 = SIS 86 21 56, zu den Auswirkungen einer
schweizerischen Strafvorschrift auf eine inländische
Mitwirkungspflicht) - die Anzeigepflicht durch § 33 Abs. 1
ErbStG auch auf Vermögensgegenstände und Forderungen bei
bzw. gegen eine(r) ausländische(n) Zweigniederlassung der
Klägerin erstreckt (vgl. oben unter II.1.) und nimmt damit
auch etwaige Pflichtenkollisionen zu Lasten der Klägerin in
Kauf. Es kann daher offen bleiben, ob sich dem von der
Klägerin - nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung
vor dem FG - vorgelegten Urteil des Court of Appeal vom 17.12.1923
überhaupt Hinweise auf eine mögliche Pflichtenkollision
der Klägerin entnehmen lassen. Das FG, das für die
Feststellung des Inhalts ausländischen Rechts zuständig
ist (vgl. BFH-Urteil vom 9.7.2003 I R 82/01, BFHE 202, 547, BStBl
II 2004, 4 = SIS 03 42 91, unter II.2.), hat indes nicht
feststellen können, dass die in § 33 Abs. 1 ErbStG
vorgesehene Anzeige nach britischem Recht unzulässig
wäre.
cc) Die angefochtenen Verwaltungsakte wahren
auch die Anforderungen, die aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit folgen. Der der Klägerin
durch die Erfüllung der Anzeigepflicht entstehende
Verwaltungsaufwand ist der gesetzlichen Anzeigepflicht immanent und
im Verhältnis zu der Bedeutung, die eine
gleichmäßige Steuererhebung für die Allgemeinheit
hat (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG), nicht unangemessen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin war
das FA auch nicht verpflichtet, die Wirkungen der angefochtenen
Verwaltungsakte lediglich auf zukünftige Erbfälle zu
beschränken. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen,
dass das FA von der Klägerin nur die Erfüllung der sich
ohnehin aus dem Gesetz ergebenden Pflichten verlangt. Zudem war der
X-Bank und der Klägerin - wie der Vermerk der Steuerabteilung
der X-Bank vom 14.2.1991 zeigt - bekannt, dass mit einer
gerichtlichen Bestätigung der Anzeigepflicht zu rechnen
war.
Die sich aus § 33 Abs. 1 ErbStG
ergebenden Pflichten werden durch die Vorschrift des § 30a AO
1977 nicht eingeschränkt (so bereits BFH-Beschluss vom
2.4.1992 VIII B 129/91, BFHE 167, 417, BStBl II 1992, 616 = SIS 92 13 68).