Kirchenbeamte, Zahlungen an staatliche Rentenversicherung: Die Übernahme von Beitragsleistungen zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber für Kirchenbeamte stellt dann keinen Arbeitslohn dar, wenn die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die zugesagten beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angerechnet werden sollen. - Urt.; BFH 5.9.2006, VI R 38/04; SIS 06 41 16
(Anmerkung der Redaktion:
vgl. auch BMF-Schreiben vom 13.2.2007, IV C 5 - S 2333/07/0002,
BStBl 2007 I S. 270 = SIS 07 06 46)
I. Die Beteiligten streiten über die
lohnsteuerliche Behandlung von Beitragszahlungen des Arbeitgebers
für in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig
versicherte Arbeitnehmer.
Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts. Er beschäftigt Arbeitnehmer mit beamtenähnlichem
Status (sog. Kirchenbeamte), denen er im Arbeitsvertrag Dienst- und
Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Vorschriften für
Beamte des Landes Niedersachsen zugesagt hat. Die Kirchenbeamten
sind aufgrund der Versorgungszusage nicht
versicherungspflichtig.
In den Arbeitsverträgen haben sich die
Arbeitnehmer damit einverstanden erklärt, dass der Kläger
„zur Sicherung der Alters- und Hinterbliebenenversorgung die
Pflichtversicherung oder die freiwillige Weiterversicherung in der
gesetzlichen Rentenversicherung“ für sie fortführt.
Der Kläger erklärte sich für diesen Fall zur
Übernahme der vollen Beitragsleistung bereit. Auf die
Versorgungsbezüge sollten die Leistungen aus der gesetzlichen
Rentenversicherung angerechnet werden. Von der Möglichkeit der
freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung
wurde dann Gebrauch gemacht, wenn der Kirchenbeamte bei seiner
Einstellung bereits Versicherungszeiten in der gesetzlichen
Rentenversicherung von einigem Ausmaß zurückgelegt
hatte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) sah im Anschluss an eine
Lohnsteuer-Außenprüfung die Zahlung der Beiträge
für die in der gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig
versicherten Arbeitnehmer durch den Kläger in den Jahren 1995
bis 1998 als zusätzlichen Arbeitslohn an und nahm deswegen den
Kläger mit Haftungsbescheid vom 21.7.1999 in Anspruch.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen
gerichtete Klage mit den in EFG 2004, 1829 = SIS 05 03 31
veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung
des vorinstanzlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung den
Bescheid vom 21.7.1999 insoweit aufzuheben, als darin eine Haftung
für Lohnsteuer wegen Entrichtung von Beiträgen an die
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte festgesetzt worden
ist.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
antragsgemäßen Entscheidung in der Sache (§ 126
Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die
Übernahme der Beitragsleistungen zur freiwilligen Versicherung
in der gesetzlichen Rentenversicherung ist bei den Arbeitnehmern
nicht als Arbeitslohn zu erfassen.
1. Zu den Einkünften aus
nichtselbstständiger Arbeit gehören gemäß
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Gehälter, Löhne,
Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die
für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten
Dienst gewährt werden. Arbeitslohn sind nach § 2 Abs. 1
der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung alle Einnahmen, die dem
Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen; dabei
ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form die
Einnahmen gewährt werden.
a) Demgemäss ist Arbeitslohn nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) jeder
gewährte Vorteil, der durch das individuelle
Dienstverhältnis veranlasst ist. Das ist der Fall, wenn der
Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der
Zurechnungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der
Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis
eingeräumt wird, und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers
im weitesten Sinn als Gegenleistung für das
Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des
Arbeitnehmers erweist.
b) Zum Arbeitslohn können auch Ausgaben
gehören, die ein Arbeitgeber leistet, um einen Arbeitnehmer
oder diesem nahe stehende Personen für den Fall der Krankheit,
des Unfalls, der Invalidität, des Alters oder des Todes
abzusichern (Zukunftssicherung). Die Arbeitslohnqualität von
Zukunftssicherungsleistungen, bei denen die Leistung des
Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer) erfolgt, hängt
davon ab, ob sich der Vorgang - wirtschaftlich betrachtet - so
darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur
Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Zweck seiner
Zukunftssicherung verwendet hat. Davon ist auszugehen, wenn dem
Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung, an die der
Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer
Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (BFH-Urteil vom 14.9.2005
VI R 32/04, BFHE 210, 447, BStBl II 2006, 500 = SIS 05 44 59; vom
14.9.2005 VI R 148/98, BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 = SIS 05 45 98; vom 15.2.2006 VI R 92/04, BStBl II 2006, 528 = SIS 06 14 71,
jeweils m.w.N.). Leistet der Arbeitgeber dagegen Zuwendungen an
eine Unterstützungseinrichtung, die dem Arbeitnehmer keinen
Rechtsanspruch einräumt, sind erst die laufend von der
Versorgungseinrichtung an den Arbeitnehmer ausgezahlten Bezüge
als Arbeitslohn zu qualifizieren (BFH-Urteil vom 16.4.1999 VI R
60/96, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406 = SIS 99 16 04).
Die Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen
Altersrentenversicherung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SBG
VI) sind nach der Rechtsprechung des BFH Arbeitslohn
(BFH-Beschlüsse vom 19.5.2004 VI B 120/03, BFH/NV 2004, 1263 =
SIS 04 32 82; vom 29.10.2004 XI B 170/03, BFH/NV 2005, 539 = SIS 05 15 84; vgl. auch BFH-Urteil vom 20.7.2005 VI R 165/01, BFHE 209,
571, BStBl II 2005, 890 = SIS 05 37 93). Dagegen ist der sog.
Arbeitgeberanteil zum Pflichtbeitrag in der gesetzlichen
Rentenversicherung kein Arbeitslohn des einzelnen Arbeitnehmers
(BFH-Urteil vom 6.6.2002 VI R 178/97, BFHE 199, 524, BStBl II 2003,
34 = SIS 03 02 16; Urteil des Bundessozialgerichts vom 29.6.2000 B
4 RA 57/98 R, BSGE 86, 262).
2. Die Zahlung der freiwilligen Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber
gemäß § 171 SGB VI ist kein Arbeitslohn. Der Senat
lässt dahinstehen, ob die Zahlung der Beiträge zu einem
geldwerten Vorteil auf Seiten der Arbeitnehmer führt. Denn die
Zahlungen werden jedenfalls nicht „für“
deren Arbeitsleistung gewährt.
a) Dem genannten Tatbestandsmerkmal ist zu
entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter
Vorteil Entlohnungscharakter haben muss. Demgegenüber sind
solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver
Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern
lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler
Zielsetzung erweisen (BFH-Urteile in BFHE 210, 447, BStBl II 2006,
500 = SIS 05 44 59; in BFHE 210, 443, BStBl II 2006, 532 = SIS 05 45 98). Ein Vorteil wird dann im ganz überwiegend
eigenbetrieblichen Interesse gewährt, wenn aus den
Begleitumständen zu schließen ist, dass der jeweils
verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund steht. In diesem
Fall kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des
Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen,
vernachlässigt werden (BFH-Urteile vom 7.7.2004 VI R 29/00,
BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367 = SIS 05 13 48; vom 18.8.2005 VI
R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 = SIS 05 44 58; in BFHE
210, 443, BStBl II 2006, 532 = SIS 05 45 98). Davon ist hier
auszugehen.
b) Die Versorgung im Alter richtet sich bei
den vom Kläger angestellten sog. Kirchenbeamten allein nach
beamtenrechtlichen Vorschriften, da sie „Anspruch auf
Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Vorschriften für
Beamte im Dienst des Landes Niedersachsen“ haben. Nur
weil auf diese Weise die zukünftige Versorgung ausreichend
gesichert erscheint, besteht Versicherungsfreiheit gemäß
§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Die freiwillige Versicherung
in der gesetzlichen Rentenversicherung, die für nicht
versicherungspflichtige Personen zulässig ist (§ 7 SGB
VI), dient im Streitfall nicht dem Aufbau einer zusätzlichen
Altersversorgung, da abredegemäß die Leistungen aus der
gesetzlichen Rentenversicherung in voller Höhe auf die
beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge angerechnet werden. Die
vom Kläger insoweit geleisteten Beiträge kommen dem
einzelnen Arbeitnehmer nicht zugute; sie verbessern seine
Versorgungsposition nicht und erhöhen demgemäß auch
seine Leistungsfähigkeit nicht.
c) Die Funktion der freiwilligen Versicherung
erschöpft sich im Streitfall in der Anrechung auf die
beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge. Auf diese Weise
entlastet sich der Kläger von seiner Pensionsverpflichtung.
Wirtschaftlich dient die Zahlung der Beiträge zur freiwilligen
Versicherung der Sicherung und Finanzierung der Pensionszusage. Die
freiwillige Versicherung ist nämlich für die Personen
sinnvoll, die bereits für eine längere Zeit Beiträge
zur Rentenversicherung entrichtet haben. Ihnen wird auf diese Weise
das Recht gegeben, ihre Anwartschaften durch die Entrichtung
freiwilliger Beiträge bis zu einer Vollversicherung auszubauen
(Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der
Rentenversicherung – SGB VI, § 7 SGB VI Rz. 11). Diesen
Vorteil macht sich der Kläger dadurch zu Eigen, dass er, wie
es in § 3 der Anstellungsverträge heißt,
„für“ die Arbeitnehmer die freiwillige
Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung fortführt,
um sich im Versorgungsfall durch Anrechnung der Leistungen aus der
gesetzlichen Rentenversicherung auf die beamtenrechtlichen
Versorgungsbezüge zu entlasten.
Die Fortführung der gesetzlichen
Rentenversicherung unter Anrechnung der bereits vom Arbeitnehmer
erworbenen Rentenanwartschaften kommt im Ergebnis nur dem
Kläger zugute. Sie liegt deshalb nach den genannten
Grundsätzen vorrangig in seinem betrieblichen Interesse.
3. Die Vorentscheidung beruht auf einer
anderen Rechtsauffassung und ist daher aufzuheben. Die Sache ist
spruchreif. Der angefochtene Haftungsbescheid ist
antragsgemäß zu ändern.