GbR, Steuerhaftung der Gesellschafter: 1. Unterliegt eine GbR als solche der Besteuerung, ergibt sich die persönliche Haftung der Gesellschafter einer GbR für die Steuerschulden und die steuerlichen Nebenleistungen der Gesellschaft entsprechend § 128 Satz 1 HGB i.V.m. § 191 AO 1977 (Anschluss an die BGH-Rechtsprechung). - 2. Wer gegenüber dem FA den Rechtsschein erweckt, Gesellschafter einer GbR zu sein, haftet für Steuerschulden der Schein-GbR, wenn das FA nach Treu und Glauben auf den gesetzten Rechtsschein vertrauen durfte. Das ist nicht der Fall, wenn das aktive Handeln des in Anspruch Genommenen weder unmittelbar gegenüber dem FA noch zur Erfüllung steuerlicher Pflichten oder zur Verwirklichung steuerlicher Sachverhalte veranlasst war und ihm im Übrigen bloß passives Verhalten gegenüber dem FA vorzuhalten ist. - Urt.; BFH 9.5.2006, VII R 50/05; SIS 06 37 21
I. Am 14.6.1991 ging beim Beklagten und
Revisionskläger (Finanzamt - FA - ) die Mitteilung des
Bezirksamtes K über die Anmeldung der Übernahme eines
bereits bestehenden Handwerksbetriebes durch die GbR H und F zum
28.1.1991 ein. Frau F, die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin), war als Gesellschafterin benannt. Am 26.10.1993
ging die entsprechende Gewerbeabmeldung zum 31.1.1992 ein.
Einer wiederholten Aufforderung des FA im
Jahr 1991, eine steuerliche Anmeldung einzureichen, folgte die
Klägerin nicht. Auch weitere Aufforderungen vom Oktober 1993
und Juni 1994, für die Zeit ihrer Beteiligung an der GbR
Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung,
zur Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1991 einzureichen, blieben
unbeantwortet.
Bescheide über
Umsatzsteuervorauszahlungen für 1991 und bis Juli 1992
erließ das FA aufgrund geschätzter
Besteuerungsgrundlagen gegen die früher in den
Geschäftsräumen tätige GbR, erstmals für den
Voranmeldungszeitraum August 1992 mit Bescheid vom 16.11.1992
gegenüber der GbR H und F.
Mit Bescheid vom 13. bzw. 15.9.1994 setzte
das FA Umsatzsteuer unter Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
gegenüber der GbR H und F für 1991 in Höhe von 9.104
DM und für 1992 in Höhe von 1.166 DM fest. Die Bescheide
wurden der Klägerin und Frau H bekannt gegeben. Gezahlt wurde
nicht, Einsprüche wurden nicht eingelegt.
Auf die Ankündigung des FA, die
Klägerin als Gesellschafterin der GbR wegen der
rückständigen Abgaben gemäß §§ 427,
421 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Haftung zu nehmen,
gab die Klägerin an, sie habe von Frau H lediglich eine
Vergütung für die Hingabe ihres Meistertitels erhalten,
um eine GbR habe es sich nicht gehandelt. Gleichwohl erließ
das FA im Juni 1995 einen Haftungsbescheid für im Einzelnen
aufgeführte Abgabenschulden der GbR. Zur Begründung
hieß es, es sei sehr wohl eine GbR anzunehmen, denn ohne die
Beteiligung wäre das Friseurgeschäft unter
Berücksichtigung der Handwerksordnung gar nicht zu betreiben
gewesen; eine Inanspruchnahme der weiteren Gesamtschuldnerin, Frau
H, werde erfolgen, sobald der zur Zeit unbekannte Aufenthaltsort
ermittelt worden sei.
Zur Begründung ihres Einspruchs legte
die Klägerin am 2.11.1995 einen Zusatzvertrag vom 5.2.1991 zum
Gesellschaftsvertrag vom 21.1.1991 vor, wonach die Gewinnanteile
auf ein monatliches Fixum von 450 DM festgelegt und die
Klägerin von allen Geschäftsverpflichtungen freigestellt
wurde.
In der Einspruchsentscheidung vom Juli 2000
beschränkte das FA die Haftung auf den Zeitraum Januar 1991
bis Januar 1992 und wies im Übrigen den Einspruch zurück.
Es hielt daran fest, dass die Klägerin im genannten Zeitraum
unbeschadet der Zusatzvereinbarung Gesellschafterin der GbR gewesen
sei. Sie sei vom FA mehrfach in Sachen GbR H und F angeschrieben
worden, ohne der Behandlung als Gesellschafterin der GbR
widersprochen zu haben. Dies sei erst anlässlich des
Haftungsbescheids geschehen. Derjenige, der dem FA gegenüber
als Gesellschafter einer Personengesellschaft auftrete, müsse
sich auch bei Nichtbestehen der Gesellschaft nach dem Maß des
von ihm erweckten Rechtsscheins als Gesellschafter behandeln
lassen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
und hob den Haftungsbescheid auf. Die Entscheidung ist in EFG 2005,
1781 = SIS 05 43 86 veröffentlicht.
Das FA stützt seine Revision auf die
Verletzung des § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) und des
§ 128 des Handelsgesetzbuchs (HGB). Die vom FG selbst
angenommene Rechtsscheinhaftung sei erst mit Vorlage des
Ergänzungsvertrages vom 5.2.1991 im Einspruchsverfahren
entfallen. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Abschlusses
dieses Ergänzungsvertrages sei nicht zulässig, da sonst
das FA nicht mehr zeitnah über den Gesellschafterbestand einer
GbR unterrichtet und damit die zutreffende Besteuerung in
unzumutbarer Weise eingeschränkt würde, die Gefahr
bestünde, dass der Abschluss sog. Schubladenverträge
für mehrere mögliche Fallgestaltungen zum normalen
Geschäftsalltag würde und die mögliche
Inanspruchnahme eines anderen Steuerpflichtigen verjährt sein
könnte. Auch sei der Haftungsbetrag zutreffend, da es auf die
fehlende oder fehlerhafte Festsetzung der Umsatzsteuer für die
Inanspruchnahme des Haftenden nicht ankomme.
Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung
des finanzgerichtlichen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG
hat den Haftungsbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben.
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen,
dass das FA die Inanspruchnahme der Klägerin
verfahrensfehlerfrei nicht nur auf ihre Stellung als
Gesellschafterin der GbR H und F, sondern (noch im
Einspruchsverfahren zusätzlich) auch auf einen von ihr
begründeten Rechtsschein, Gesellschafterin der GbR zu sein,
stützen konnte.
Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das FA
die Anspruchsgrundlage für die Inhaftungnahme der
Klägerin in der Einspruchsentscheidung gegenüber der
für den Haftungsbescheid herangezogenen Rechtsgrundlage
(§§ 421, 427 BGB) um den Haftungsgrund der
Rechtsscheinhaftung erweitert hat. Im Einspruchsverfahren ist die
Sache gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 in vollem
Umfang erneut zu prüfen. Auch wenn der Senat davon ausgeht,
dass die Überprüfung der Sache ihre Grenze in dem
angefochtenen Verwaltungsakt als formellen Gegenstand des
Einspruchs findet und nicht auf Personen, Steuergegenstände
oder Zeiträume ausgedehnt werden darf, die von dem
angefochtenen Verwaltungsakt nicht erfasst worden sind, dass also
nur der steuerlich erhebliche Vorgang, der Gegenstand des
angefochtenen Verwaltungsakts gewesen ist, auch Gegenstand der
Einspruchsentscheidung sein darf, verstößt die im
Streitfall vom FA getroffene Einspruchsentscheidung dagegen
jedenfalls nicht. Obwohl in ihr die Haftung der Klägerin
zusätzlich auf die Rechtsscheinhaftung statt wie davor allein
auf §§ 421, 427 BGB gestützt worden ist, lag ihr
derselbe haftungsrechtlich erhebliche Vorgang, nämlich die
Gewerbeanmeldung als GbR H und F zugrunde. Das FA hat diesen
Sachverhalt in der Einspruchsentscheidung lediglich rechtlich
anders gewürdigt. Dadurch ist der angefochtene
Haftungsbescheid aber nicht in seinem Wesensgehalt geändert
worden. Die rechtliche Würdigung eines bestimmten
Geschehensablaufs kann in der Einspruchsentscheidung durchaus von
der des angefochtenen Verwaltungsaktes abweichen
(Senatsentscheidung vom 8.11.1994 VII R 1/93, BFH/NV 1995, 657). Im
Übrigen kann selbst eine fehlende Begründung des
Haftungsbescheids jedenfalls bis zum Abschluss des
Einspruchsverfahrens nachgeholt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 und
Abs. 2 AO 1977).
2. Das FG hat den Haftungsbescheid im Ergebnis
zu Recht aufgehoben. Ein Rechtsgrund für die Haftung der
Klägerin liegt nicht vor.
Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann durch
Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes
für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift umfasst auch die
Haftungsansprüche nach zivilem Recht (so schon Senatsurteil
vom 23.10.1985 VII R 187/82, BFHE 145, 13, BStBl II 1986, 156 = SIS 86 02 28).
a) Unterliegt eine GbR als solche der
Besteuerung, ergibt sich nach neuerer Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluss an den Bundesgerichtshof
(Urteil vom 29.1.2001 II ZR 331/00, NJW
2001, 1056 = SIS 01 08 15) die persönliche Haftung der
Gesellschafter einer GbR für die Steuerschulden und die
steuerlichen Nebenleistungen der Gesellschaft entsprechend §
128 Satz 1 HGB (BFH-Beschluss vom 28.1.2005 III B 91/04, BFH/NV
2005, 1141 = SIS 05 26 52, m.w.N.). Danach haften die
Gesellschafter einer GbR wie die einer Offenen Handelsgesellschaft
(OHG) für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den
Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich. Das FG hat
insoweit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ) festgestellt, dass diese Haftung im
Streitfall ausgeschlossen ist, weil eine GbR zwischen Frau H und
der Klägerin nicht bestanden hat.
b) Aber auch der gegenüber der
Finanzbehörde begründete Rechtsschein, Gesellschafter
einer Personengesellschaft zu sein, kann ausreichen, um eine
Haftung für Abgaben der Gesellschaft zu begründen.
In der wiederholt als Grundsatzurteil
bezeichneten Entscheidung vom 20.1.1977 V
R 153/72 (BFHE 121, 275, BStBl II 1977, 364 = SIS 77 02 11)
hat sich der BFH der im bürgerlichen Recht und im Handelsrecht
anerkannten Auffassung angeschlossen, dass derjenige, der sich nach
außen hin als Gesellschafter geriert, sich nach dem Maß
des von ihm zurechenbar erweckten Rechtsscheins von einem Dritten,
der hierauf vertrauen durfte, auch als Gesellschafter behandeln
lassen muss (vgl. auch BFH-Urteile vom
4.3.1986 VII R 133/80, BFH/NV 1986, 646, und vom 19.1.1988 VII R
161/84, BFH/NV 1988, 615; vgl. auch Boeker in
Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Vor §§ 69-77 AO Rz. 39
und 55; Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 69 Rz. 162). Dieser
aus dem Prinzip von Treu und Glauben gewonnene Grundsatz gilt
danach auch für das Rechtsverhältnis zwischen dem
Steuergläubiger und dem Steuerschuldner oder den Personen, die
für den Steuerschuldner haften.
c) Im Streitfall hat das FG einen von der
Klägerin erzeugten, haftungsbegründenden Rechtsschein
nach diesen Rechtsgrundsätzen zu Unrecht bejaht.
aa) Die auf die Untätigkeit der
Klägerin auf Anfragen und Aufforderungen des FA gestützte
Würdigung, die Klägerin habe gegenüber dem FA einen
solchen Rechtsschein gesetzt, der grundsätzlich auch eine
Haftungsinanspruchnahme erlaube, weil sie das FA, das zunächst
gar keine Veranlassung gehabt habe, Steuerbescheide gegenüber
der Einzelunternehmerin H anstatt gegenüber der GbR zu
erlassen, „auf die falsche Schiene gesetzt“
habe, lässt außer Acht, dass das bloß passive
Verhalten der Klägerin gegenüber dem FA im Streitfall
nicht geeignet ist, einen Vertrauenstatbestand als Grundlage
für die Verpflichtung zur Steuerhaftung zu schaffen.
In seiner Entscheidung in BFHE 121, 275, BStBl II 1977, 364 = SIS 77 02 11
(unter Tz. 2) hat der BFH - obwohl er die Rechtsscheinhaftung
aufgrund aktiven Auftretens als Gesellschafter gegenüber dem
FA für einen vorangegangenen Veranlagungszeitraum bejaht hat -
einen fortbestehenden Vertrauenstatbestand für nachfolgende
Veranlagungszeiträume verneint, weil
„für diese Veranlagungszeiträume
... für das Unternehmen S. keine Steuererklärungen mehr
abgegeben, ... keine Bilanzen erstellt (wurden), ... auch keine
Betriebsprüfung statt(fand)“ und das FA aus mehreren
Mitteilungen den wahren Sachverhalt habe erkennen
können. Kann danach ein
haftungsbegründender Rechtsschein durch passives Verhalten des
Herangezogenen wieder entfallen, so kann er erst recht nicht durch
passives Verhalten begründet werden.
bb) Den
Feststellungen des FG und den diesen zugrunde liegenden Akten ist
nicht zu entnehmen, ob und wie die Klägerin an der Anmeldung
des Friseurgewerbes als GbR H und F gegenüber dem Bezirksamt
mitgewirkt hat. Weitere Aufklärung insoweit ist jedoch
entbehrlich. Auch wenn die Klägerin aktiv an der
Gewerbeanmeldung mitgewirkt hätte, ließe sich auch
darauf der Haftungsbescheid nicht stützen.
Es kann dahinstehen,
ob die Klägerin mit einem solchen Verhalten einen die
zivilrechtliche Haftung auslösenden Rechtsschein
begründet haben könnte. Jedenfalls hätte das FA
allein wegen dieses - weder unmittelbar gegenüber dem FA, noch
zur Erfüllung steuerlicher Pflichten oder Verwirklichung
steuerlicher Sachverhalte veranlassten - Handelns nicht
darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin als
Gesellschafterin einer GbR für die Steuerschulden
persönlich haftet.
Nach den Feststellungen des FG hat die
Klägerin auf zweimalige Aufforderungen des FA nach Mitteilung
der Gewerbeanmeldung am 14.6.1991, eine steuerliche Anmeldung
einzureichen, nicht reagiert. Die erst nach Mitteilung der
Gewerbeabmeldung zum 31.1.1992 im Juni 1994 an die Klägerin
gerichtete Aufforderung, die steuerlichen Erklärungen für
1991 einzureichen, blieb unbeantwortet. Auch auf den erstmals im
November 1992 erlassenen Schätzungsbescheid wegen
Umsatzsteuervorauszahlung für August 1992 und die nach
weiteren fast zwei Jahren erlassenen Umsatzsteuerjahresbescheide
für 1991 und 1992 gegenüber der GbR H und F kam keine
Reaktion der Klägerin. Von einem durch die Klägerin
erzeugten Rechtsschein gegenüber dem FA kann in Anbetracht
einer solchen Sachlage keine Rede sein. Gegen ein beim FA erwecktes
Vertrauen spricht ferner der Umstand, dass das FA selbst noch bis
Juli 1992 Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide an die GbR richtete,
die das Friseurgeschäft vor der Gewerbeanmeldung der
GbR H und F betrieben hatte.
3. Da nach alledem das FA nicht auf einen von
der Klägerin zurechenbar erweckten Rechtsschein vertrauen
durfte, ist der Haftungsbescheid rechtswidrig und damit vom FG zu
Recht aufgehoben worden. Auf die Ausführungen des FG zur
rückwirkenden Beseitigung einer Rechtsscheinhaftung kommt es
danach nicht an.