Stockende Mietzahlungen, Passivierung als Erfüllungsrückstand: Eine (im schwebenden Geschäft zu passivierende) Verbindlichkeit aus Erfüllungsrückstand setzt voraus, dass die ausstehende Gegenleistung die erbrachte Vorleistung "abgelten" soll und ihr damit synallagmatisch zweckgerichtet und zeitlich zuordnenbar ist. - Urt.; BFH 5.4.2006, I R 43/05; SIS 06 25 27
I. Zwischen den Parteien ist streitig, ob
die Voraussetzungen für die Passivierung einer (ungewissen)
Verbindlichkeit vorliegen, nachdem die Mieterin bei einem auf 10
Jahre befristeten Mietvertrag für die ersten 11 Monate keinen
Mietzins zu entrichten hatte.
Die Klägerin und
Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin einer
GmbH, der X-GmbH (GmbH). Diese hat am 3.4.1997 als Mieterin einen
Mietvertrag über Büro- und Hallenflächen mit
Außenanlagen und zehn außen liegenden Parkplätzen
abgeschlossen. Der Mietvertrag enthält sinngemäß
u.a. die folgenden Bestimmungen:
Das Mietverhältnis beginnt am 1.7.1997
und hat eine Laufzeit von 10 Jahren bis zum 30.6.2007. Danach
verlängert sich das Mietverhältnis um jeweils 2 1/2
Jahre, wenn es nicht von einer der Vertragsparteien
(fristgemäß) gekündigt wird. Die Vermieterin wird
der Mieterin das Mietobjekt zum 1.7.1997 bezugsfertig zur
Verfügung stellen. Der Mietzins ist ab 1.6.1998 zu zahlen.
Nebenkosten sind ab Bezugsfertigstellung zu entrichten. Der
Mietzins steigt oder fällt entsprechend der Veränderung
des Gesamtlebenshaltungskostenindex nach Ablauf von 30 Monaten (von
Mietbeginn an gerechnet).
Die Vermieterin überließ der
GmbH das Mietobjekt vertragsgemäß zum 1.7.1997 zur
Nutzung. Zudem leistete sie der GmbH 1997 und 1999 12.000 DM
Baukostenzuschüsse für die Einrichtung einer
Teeküche und eines Lagers zur Aufbewahrung von
Seenotrettungsmitteln.
Die GmbH bildete in ihrer Bilanz zum
31.12.1997 eine Rückstellung in Höhe von 6/120 des
für die Grundlaufzeit des Mietvertrages (10 Jahre) insgesamt
zu zahlenden Mietzinses. In der Bilanz zum 31.12.1998 erhöhte
sie die Rückstellung (für die Zeit bis 31.5.1998) um
weitere 5/120, gleichzeitig löste sie (für die Zeit der
aufwandswirksamen Mietzahlungen ab 1.6.1998) den
Rückstellungsbetrag wiederum mit 7/109 auf.
Demgegenüber gelangte der Beklagte und
Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) zu der Ansicht, dass die
Voraussetzungen für eine Passivierung nicht vorlägen, und
erließ für das Streitjahr 1998 entsprechende
Steuerbescheide.
Die hiergegen gerichtete Klage blieb ohne
Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) Hamburg entschied,
das FA habe zu Recht keinen Passivposten berücksichtigt. Aus
dem Mietvertrag ergebe sich im Hinblick auf Mietfreistellung in den
Monaten Juli 1997 bis Mai 1998 weder eine zu bilanzierende
Verbindlichkeit, noch lägen die Voraussetzungen für eine
Rückstellung oder einen Rechnungsabgrenzungsposten vor. Das
Urteil vom 5.4.2006 I 295/04 ist in EFG 2005, 1262 = SIS 05 35 20
abgedruckt.
Mit ihrer Revision rügt die
Klägerin eine Verletzung von § 5 Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 des
Handelsgesetzbuchs (HGB). Sie beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid 1998 dahin zu
ändern, dass eine (ungewisse) Verbindlichkeit in Höhe von
131.386,20 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt die Zurückweisung der
Revision.
II. Die Revision ist unbegründet und war
daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Aufgrund der Bestimmungen des
vorliegenden Mietvertrages hat das FG zu Recht den Ansatz eines
Passivpostens versagt.
1. Gemäß § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz
1 EStG hat die Klägerin in ihren Bilanzen das
Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)
auszuweisen ist. Die „handelsrechtlichen“ GoB
ergeben sich insbesondere aus den Bestimmungen des Ersten
Abschnitts des Dritten Buchs „Vorschriften für alle
Kaufleute“ der §§ 238 ff. HGB.
Nach § 240 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1, §
242 Abs. 1, § 246 Abs. 1 HGB hat der Kaufmann zu Beginn seines
Handelsgewerbes und in der Bilanz für den Schluss eines jeden
Geschäftsjahres u.a. seine Verbindlichkeiten (Schulden)
vollständig auszuweisen. Eine Verbindlichkeit verkörpert
eine dem Inhalt und der Höhe nach bestimmte Leistungspflicht,
die erzwingbar ist und deren Erfüllung eine wirtschaftliche
Belastung darstellt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom
18.12.2002 I R 17/02, BFHE 201, 234, BStBl II 2004, 126 = SIS 03 19 25, m.w.N.). Ist eine bestehende Verbindlichkeit der Höhe nach
ungewiss, ist sie unter den Rückstellungen für ungewisse
Verbindlichkeiten i.S. des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB auszuweisen
(vgl. BFH-Urteil vom 19.11.2003 I R 77/01, BFHE 204, 135 = SIS 03 53 46).
2. Vorliegend ist die
Passivierungsfähigkeit von Verpflichtungen aus einem
fortbestehenden Mietverhältnis und damit im Rahmen eines
schwebenden Geschäfts streitig. Schwebende Geschäfte sind
Vertragsverhältnisse, die am jeweiligen Bilanzstichtag
(prospektiv) noch auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch
gerichtet sind. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn sie
von dem sach- oder dienstleistungspflichtigen Vertragspartner noch
nicht vollständig erfüllt sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE
201, 234, BStBl II 2004, 126 = SIS 03 19 25). Zu den schwebenden
Geschäften zählen auch Vertragsverhältnisse, die auf
eine (ratierliche) Leistungserbringung auf Dauer gerichtet sind ( -
Dauerschuldverhältnisse -, vgl. etwa Beschluss des
Großen Senats des BFH vom 23.6.1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199,
BStBl II 1997, 735 = SIS 97 19 27).
Da sich im Rahmen schwebender Geschäfte
Forderungen und Leistungen regelmäßig ausgleichend
gegenüberstehen, scheidet der einseitige bilanzielle Ausweis
von (ungewissen) Verbindlichkeiten grundsätzlich aus
(BFH-Urteil vom 7.6.1988 VIII R 296/82, BFHE 153, 407, BStBl II
1988, 886 = SIS 88 16 34; Senatsurteil vom 20.1.1993 I R 115/91,
BFHE 170, 234, BStBl II 1993, 373 = SIS 93 10 19).
Berücksichtigungsfähig sind lediglich
Verpflichtungsüberschüsse als drohende Verluste; dies
gilt gemäß § 5 Abs. 4a EStG allerdings nicht
für Steuerbilanzen für nach dem 31.12.1996 endende
Wirtschaftsjahre - und damit auch im Streitfall - . Unbeschadet
dessen sind jene Verpflichtungen auszuweisen, die auf Ausgleich
sog. Erfüllungsrückstände gerichtet sind. Auch die
Passivierung einer derartigen Verbindlichkeit scheidet jedoch im
Streitfall aus.
3. Ein Erfüllungsrückstand bildet
einen Fall der Unausgewogenheit schwebender Geschäfte ab, wenn
das Gleichgewicht der gegenseitigen Leistungsbeziehungen durch
Vorleistungen eines - und daraus folgenden rückständigen
Gegenleistungen des anderen - Vertragspartners gestört ist
(vgl. etwa BFH-Beschluss in BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735 = SIS 97 19 27, m.w.N.). Dies gilt insbesondere im Rahmen von
Dauerschuldverhältnissen, „wenn der Verpflichtete
sich mit seinen Leistungen gegenüber seinem Vertragspartner im
Rückstand befindet, also weniger geleistet hat, als er nach
dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner erbrachte
Leistung insgesamt zu leisten hatte“ (BFH-Urteil vom
28.7.2004 XI R 63/03, BFHE 207, 205 = SIS 04 41 12).
Ursprünglich wurde das Vorliegen eines
Erfüllungsrückstandes nach dem rechtlichen, insbesondere
schuldrechtlichen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im
schwebenden Geschäft beurteilt und somit an den
schuldrechtlich gebotenen Zeitpunkt der Erfüllung
geknüpft (vgl. dazu die Nachweise in Senatsurteilen vom
27.6.2001 I R 11/00, BFHE 195, 567, BStBl II 2001, 758 = SIS 01 11 83; vom 15.7.1998 I R 24/96, BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728 =
SIS 98 20 20). Aus dieser Sicht liegt im Streitfall bereits dem
Grunde nach kein Erfüllungsrückstand vor, da nach den
Bestimmungen des zugrunde liegenden Mietvertrages am
maßgeblichen Stichtag keine fällige nicht erfüllte
Zahlungsverpflichtung der GmbH bestand. Allerdings hat der BFH in
der Folgezeit die Frage nach dem Vorliegen eines
Erfüllungsrückstandes nicht ausschließlich nach
bürgerlichem Recht beurteilt (vgl. BFH-Urteile vom 3.12.1991
VIII R 88/87, BFHE 167, 322, BStBl II 1993, 89 = SIS 92 14 15; vom
5.2.1987 IV R 81/84, BFHE 149, 55, BStBl II 1987, 845 = SIS 87 09 13). Ausreichend ist vielmehr auch eine an den wirtschaftlichen
Gegebenheiten orientierte Betrachtung. Auch davon ausgehend setzt
das Vorliegen eines Erfüllungsrückstands jedoch voraus,
„dass mit der nach dem Vertrag geschuldeten
zukünftigen Leistung nicht nur an Vergangenes angeknüpft,
sondern Vergangenes abgegolten wird“ (BFH-Urteile in BFHE
207, 205 = SIS 87 09 11; in BFHE 167, 322, BStBl II 1993, 89 = SIS 92 14 15; vom 19.5.1987 VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II
1987, 848 = SIS 87 18 18; in BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728 =
SIS 98 20 20). Eine Fälligkeit der vertraglich noch
geschuldeten Leistung zum Bilanzstichtag wird nicht gefordert (zu
den Voraussetzungen eines Erfüllungsrückstands allgemein
vgl. Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 24. Aufl., § 5 Rz. 317, 452;
Lambrecht in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 5 Rdnr.
D 152 ff.; Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG Anm. 1241).
4. Aus vorstehenden Grundsätzen folgt,
dass die Anforderungen an die Passivierung von Verpflichtungen zum
Ausgleich eines Erfüllungsrückstandes im schwebenden
Geschäft über die allgemeinen
Passivierungsvoraussetzungen für (ungewisse) Verbindlichkeiten
hinausreichen. Da die Erfüllung
dieser Verbindlichkeit sich im Sinne einer
„Abgeltung“ als zusätzliches,
lediglich wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles noch
nicht entrichtetes Entgelt für eine bereits früher
erbrachte Vorleistung darstellen muss (BFH-Urteile in BFHE 167,
322, BStBl II 1993, 89 = SIS 92 14 15; vom 8.10.1987 IV R 18/86,
BFHE 151, 153, BStBl II 1988, 57 = SIS 88 02 15; vgl. auch
Blümich/Schreiber, § 5 EStG Rz. 770), ist eine
Verknüpfung in dem Sinne zu fordern, dass die
rückständige Gegenleistung der erbrachten Vorleistung
synallagmatisch zweckgerichtet und bei zeitbezogenen Leistungen
auch zeitlich zuordenbar ist (BFH-Urteile in BFHE 195, 567, BStBl
II 2001, 758 = SIS 01 11 83; in BFHE 167, 322, BStBl II 1993, 89 =
SIS 92 14 15). Die Beurteilung des Vorliegens dieser
Voraussetzungen obliegt im jeweiligen Einzelfall dem FG als
Tatsacheninstanz.
5. Die vorstehenden Voraussetzungen für
die Passivierung einer Verbindlichkeit aus
Erfüllungsrückständen sind im Streitfall nicht
erfüllt. Dies würde seitens der GmbH ein für einen
zurückliegenden Zeitraum nachzuentrichtendes Mietentgelt
voraussetzen. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn die
Mietraten bis einschließlich Mai 1998 der GmbH - aufgrund
einer von der Klägerin ins Feld geführten
„wirtschaftlichen Fälligkeitsvereinbarung“
- aufgeschoben und mit den künftigen Mietraten zu leisten
wären.
Diese Voraussetzungen hat das FG im Streitfall
indessen ausdrücklich verneint. Die GmbH sei nicht
verpflichtet gewesen, vor dem Juni 1998 mit der Mietzahlung zu
beginnen. Sie habe auch nicht nachgewiesen, dass ab Juni 1998
(unter Berücksichtigung der zunächst nicht erhobenen
Raten) eine überhöhte Miete gezahlt worden sei; ebenso
liege ein Fall progressiver Miete nicht vor. An diese
Feststellungen ist der Senat gebunden, nachdem die Klägerin
dagegen keine zulässigen und begründeten
Revisionsgründe vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 FGO) und
sie auch weder Denkgesetze verletzen noch gegen allgemeine
Erfahrungssätze verstoßen.
Das FG weist zu Recht darauf hin, dass es auf
dem Vermietungsmarkt nicht unüblich ist, Mietern vergleichbar
dem Streitfall entgegenzukommen, um ihnen Liquiditätsvorteile
zu verschaffen. Dies gilt insbesondere für Mietobjekte, die
auf spezifische gewerbliche Verwendungen zugeschnitten sind, und
wird im Streitfall bestätigt durch die zusätzliche
Leistung eines Baukostenzuschusses durch die Vermieterin zur
Ausgestaltung des Mietobjekts. Für die Üblichkeit der von
der GmbH ab Juni 1998 zu entrichtenden Mietraten spricht auch der
Umstand, dass diese (nach bestimmtem Zeitablauf) den
Veränderungen des Gesamtlebenshaltungskostenindex folgen
sollten. Die Mietzeit war auch nicht auf einen bestimmten Zeitraum
begrenzt, innerhalb dessen die rückständige Miete
hätte „nacherhoben“ werden sollen; vielmehr
war das Mietverhältnis im Falle des Unterbleibens einer
rechtzeitigen Kündigung fortzusetzen, wobei eine Regelung
betreffend die Behandlung der rückständigen Mietraten in
diesen Fällen fehlt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist
somit weder ein „vorprogrammierter“
Erfüllungsrückstand noch eine Vergleichbarkeit mit einer
Darlehensvergabe mit Disagiovereinbarung ersichtlich.
Schließlich wäre auch eine
einseitige „kalkulatorische“
Berücksichtigung der Mietfreistellung bei der Bemessung der
künftigen Mietraten durch die Vermieterin, selbst wenn sie
vorläge, nach den aufgezeigten Grundsätzen für die
Passivierung einer Verbindlichkeit aufgrund eines
Erfüllungsrückstandes nicht ausreichend. Denn auch in
diesem Fall würde es an einer zumindest wirtschaftlichen
gegenseitigen Verknüpfung im Sinne einer
„Abgeltung“ fehlen. Die rechtlichen Kriterien
der Bilanzierung sind von den Elementen einer Kosten- und
Leistungsrechnung verschieden.
6. Die Revision der Klägerin war daher
zurückzuweisen.