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Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175 b Abs. 1 AO

Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175 b Abs. 1 AO: 1. Eine Änderung nach § 175 b Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist auch dann zulässig, wenn die Daten im Sinne des § 93 c AO bei Erlass des zu ändernden Ausgangsbescheids noch nicht vorgelegen haben, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt - erstmalig - an die Finanzbehörde übermittelt worden sind. - 2. Unerheblich ist, ob der Inhalt der Daten der Finanzbehörde bereits anderweit bekannt war, etwa aufgrund der Steuererklärung. - Urt.; BFH 27.11.2024, X R 25/22; SIS 25 09 71

Kapitel:
Verschiedenes > Aufhebung, Änderung, Berichtigung
Fundstellen
  1. BFH 27.11.2024, X R 25/22 (ECLI:DE:BFH:2025:U.180325.VIIR25.22.0)
Normen
[AO 1977] § 93 c, § 171 Abs. 10 a, § 175 b Abs. 1
[EStG a.F.] § 10 Abs. 2 a Satz 8
Vorinstanz / Folgeinstanz:
  • vor: Niedersächsisches FG, 13.10.2022, SIS 23 12 15, Bestandskraft, Änderung, Mitteilung, Zeitpunkt, Veranlagung
Anmerkung RiBFH Dr. Nöcker

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 13.10.2022 - 2 K 123/22 = SIS 23 12 15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

 

1

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und werden für das Streitjahr 2017 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Neben weiteren Einkünften bezogen sie auch Renteneinkünfte, der Kläger unter anderem X EUR aus einer inländischen gesetzlichen Rentenversicherung. Diese Renteneinkünfte hatten die Kläger zutreffend in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 2017 angegeben. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt - FA - ) berücksichtigte sie gleichwohl nicht, weil ihm hierzu im Zeitpunkt der Veranlagung, im März 2019, noch keine elektronische Rentenbezugsmitteilung vorlag. Dementsprechend erließ das FA am 02.04.2019 einen Einkommensteuerbescheid, in dem diese Einkünfte nicht erfasst waren. Der Bescheid enthielt keinen Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung - AO - ).

 

 

2

Am 06.05.2019 übermittelte der Rentenversicherungsträger die Informationen über die Bezüge des Klägers aus der Leibrente an das FA in elektronischer Form (Rentenbezugsmitteilung).

 

 

3

Mit Bescheid vom 16.12.2020 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für 2017 unter Berufung auf § 175b AO und unterwarf nunmehr auch die Renteneinkünfte des Klägers in Höhe von X EUR als sonstige Einkünfte der Besteuerung. Den dagegen gerichteten Einspruch der Kläger wies das FA zurück.

 

 

4

Die Klage hatte keinen Erfolg (EFG 2023, 1589 = SIS 23 12 15). Das Finanzgericht (FG) entschied, § 175b AO sei unter Berücksichtigung seines Sinn und Zwecks sowie der Gesetzeshistorie dahingehend auszulegen, dass von der mitteilungspflichtigen Stelle übermittelte Daten auch dann „nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden“, wenn eine entsprechende Datenübermittlung im Zeitpunkt der Veranlagung noch gar nicht vorgelegen habe, die Daten aber zu einem späteren Zeitpunkt übermittelt würden.

 

 

5

Mit ihrer Revision tragen die Kläger vor, der bestandskräftige Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 02.04.2019 hätte nicht nach § 175b AO geändert werden dürfen. Denn das FA habe nicht etwa eine vom Rentenversicherungsträger übermittelte Rentenbezugsmitteilung nicht oder unrichtig verarbeitet; vielmehr hätten die Angaben in der Rentenbezugsmitteilung mit der Erklärung der Kläger zu den Einnahmen aus der Leibrente übereingestimmt und das FA habe diese Daten, als sie dann tatsächlich vorgelegen hätten, inhaltlich korrekt verarbeitet. Allerdings hätten die Einnahmen zu diesem Zeitpunkt wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft des Bescheids vom 02.04.2019 nicht mehr berücksichtigt werden können.

 

 

6

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

 

das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 19.05.2022 und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2017 vom 16.12.2020 aufzuheben.

 

 

7

Das FA hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, schließt sich aber dem FG an.

 

 

8

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der geänderte Bescheid über Einkommensteuer für 2017 vom 16.12.2020 rechtmäßig ist.

 

 

9

Das FA war nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, den materiell-rechtlich fehlerhaften Bescheid vom 02.04.2019 nach § 175b Abs. 1 AO zu ändern.

 

 

10

1. Gemäß § 175b Abs. 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.

 

 

11

a) § 175b AO ist gemäß Art. 97 § 27 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.2016 (BGBl I 2016, 1679) anzuwenden, wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind.

 

 

12

b) Die Regelung begründet nicht nur eine Befugnis der Finanzbehörde, den betreffenden Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, sondern eine Verpflichtung (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20.02.2024 - IX R 20/23, BFHE 283, 244, BStBl II 2024, 587 = SIS 24 09 55, Rz 25).

 

 

13

Durch die Rechtsprechung ist zudem geklärt, dass übermittelte Daten im Sinne von § 175b Abs. 1 AO „nicht berücksichtigt“ sind, wenn sie nicht ausgewertet oder verarbeitet wurden und damit nicht Eingang in die Steuerfestsetzung gefunden haben. „Nicht zutreffend berücksichtigt“ sind die übermittelten Daten, wenn die Auswertung oder Verarbeitung fehlerhaft erfolgte. Ein danach relevanter Fehler liegt jedoch nur vor, soweit die Verwendung der übermittelten Daten zu einer materiell unrichtigen Steuerfestsetzung geführt hat. Wirkt sich die unzutreffende Berücksichtigung steuerlich nicht aus, fehlt es an der Rechtserheblichkeit des Fehlers und an einer Korrekturmöglichkeit (BFH-Urteil vom 20.02.2024 - IX R 20/23, BFHE 283, 244, BStBl II 2024, 587 = SIS 24 09 55, Rz 20).

 

 

14

Ebenfalls geklärt ist, dass es unerheblich ist, worauf die unzutreffende Berücksichtigung der übermittelten Daten durch die Finanzbehörde zurückzuführen ist. Es kommt weder auf eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen, einen Schreib- oder Rechenfehler des Steuerpflichtigen noch auf ein mechanisches Versehen der Finanzbehörde nach § 129 AO oder einen Fehler der Finanzbehörde bei der Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung an (BFH-Urteil vom 20.02.2024 - IX R 20/23, BStBl II 2024, 587 = SIS 24 09 55, Rz 21).

 

 

15

c) Unerheblich ist im Übrigen auch, zu welchem Zeitpunkt die Daten, die gemäß § 175b Abs. 1 AO berücksichtigt werden sollen, im Sinne des § 93c AO an die Finanzbehörde übermittelt worden sind.

 

 

16

Insbesondere ist nicht erforderlich, dass diese Daten beim Erlass des zu ändernden Ausgangsbescheids bereits vorgelegen haben. Eine Änderung ist unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 175b Abs. 1 AO (unter aa), seiner Entstehungsgeschichte (unter bb), seines systematischen Zusammenhangs (unter cc) und seines Sinn und Zwecks (unter dd) auch dann zulässig, wenn die Daten erst zu einem späteren Zeitpunkt - erstmalig - an die Finanzbehörde übermittelt worden sind, und zwar auch dann, wenn dem FA die Daten dem Inhalt nach zuvor bereits bekannt waren (unter ee).

 

 

17

aa) Bereits der Wortlaut des § 175b Abs. 1 AO legt ein solches Ergebnis nahe.

 

 

18

Danach muss das FA, das eine Änderung nach § 175b Abs. 1 AO vornehmen möchte, lediglich prüfen, ob zum Zeitpunkt der vorzunehmenden Änderung die „übermittelten Daten im Sinne des § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden“. Diese Voraussetzung ist auch und insbesondere dann erfüllt, wenn die betreffenden Daten dem FA erstmals nach Ergehen des zu ändernden Bescheids übermittelt worden sind. Eine Einschränkung, die einem solchen Verständnis entgegenstünde, lässt sich dem Wortlaut der Regelung nicht entnehmen.

 

 

19

bb) Die Entstehungsgeschichte des § 175b Abs. 1 AO spricht ebenfalls für ein solches Verständnis der Regelung.

 

 

20

(1) § 175b AO hat mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2017 die bis dahin in § 10 Abs. 2a Satz 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthaltene Änderungsvorschrift im Zusammenhang mit der Datenübermittlung bei Vorsorgeaufwendungen ersetzt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 03.02.2016, BT-Drucks. 18/7457, S. 88).

 

 

21

§ 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz - BeitrRLUmsG - ) vom 07.12.2011 (BGBl I 2011, 2592) lautete:

 

 

 

„Ein Steuerbescheid ist zu ändern, soweit

 

 

1.

Daten nach den Sätzen 4, 6 oder Satz 7 vorliegen oder

 

 

2.

eine Einwilligung in die Datenübermittlung nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 oder nach Absatz 2 Satz 3 nicht vorliegt

 

 

 

und sich hierdurch eine Änderung der festgesetzten Steuer ergibt.“

 

 

22

Mit dieser Formulierung, die auf eine Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 26.10.2011 zum Entwurf des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes zurückging (BT-Drucks. 17/7469, S. 25), sollte „klargestellt“ werden, dass es für die Korrektur des Steuerbescheids nicht darauf ankomme, „zu welchem Zeitpunkt die Datenübermittlung erfolgt“ (Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Drucks. 17/7524, S. 10; Senatsurteil vom 24.08.2016 - X R 34/14, BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375 = SIS 16 25 05, Rz 31). Die Möglichkeit einer Änderung sollte also unabhängig davon eröffnet werden, ob die Datenübermittlung dem zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid nachfolgte oder ihm voranging (s.a. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG [Stand: Lfg. 260, November 2013] Rz 322). Eine Beschränkung der Änderungsmöglichkeit auf Fälle, in denen dem FA ein Korrekturdatensatz übermittelt worden ist, lässt sich den Materialien zum Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz somit nicht entnehmen.

 

 

23

(2) Die in § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG enthaltene Regelung sollte „im Grundsatz“ nach § 175b AO übernommen werden und „künftig für alle Fälle gelten, in denen sich die Datenübermittlung nach § 93c Absatz 1 AO richtet“ (s. BT-Drucks. 18/7457, S. 88, drittletzter Absatz). Dass dabei der Anwendungsbereich der neuen Regelung in Bezug auf den Zeitpunkt der Datenübermittlung hinter dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG a.F. hätte zurückbleiben sollen, lässt sich den Gesetzesmaterialien zu § 175b AO ebenfalls nicht entnehmen.

 

 

24

cc) Vor allem aber bestätigen die Systematik der Änderungsvorschriften im Allgemeinen und der systematische Zusammenhang zwischen § 175b Abs. 1 AO einerseits und § 93c AO sowie § 171 Abs. 10a AO andererseits im Besonderen diesen Befund.

 

 

25

(1) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass es der Gesetzgeber im Rahmen der Änderungsvorschriften regelmäßig zum Ausdruck bringt, wenn er die Anwendbarkeit einer Änderungsnorm von einer bestimmten zeitlichen Abfolge der Ereignisse abhängig machen will.

 

 

26

So können beispielsweise nach § 129 Satz 1 AO nur solche Fehler berichtigt werden, die „beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen“ sind. § 173 Abs. 1 AO stellt ausdrücklich darauf ab, dass Tatsachen oder Beweismittel „nachträglich“ bekannt werden. Nach § 173a AO kommt es darauf an, ob dem Steuerpflichtigen „bei Erstellung seiner Steuererklärung“ ein Fehler unterlaufen ist. Und auch nach § 90 Abs. 3 EStG hat die zentrale Stelle zu Unrecht gutgeschriebene oder ausgezahlte Zulagen zurückzufordern, wenn sie „nachträglich“ erkennt, dass der Zulageanspruch ganz oder teilweise nicht besteht oder weggefallen ist (s.a. Senatsurteil vom 24.08.2016 - X R 34/14, BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375 = SIS 16 25 05, Rz 18 f., mit weiteren Beispielen).

 

 

27

(2) In § 175b Abs. 1 AO fehlt eine entsprechende zeitbezogene Formulierung. Das legt bereits den Schluss nahe, dass es hier auf eine bestimmte Abfolge der Ereignisse nicht ankommt.

 

 

28

Zudem wäre es unter systematischen Gesichtspunkten kaum nachvollziehbar, wenn § 175b Abs. 1 AO eine Änderung des Bescheids durch Anpassung an übermittelte Datensätze zwar dann zuließe, wenn diese Daten bei Erlass des Bescheids bereits übermittelt waren und folglich hätten berücksichtigt werden können und müssen, nicht aber dann, wenn die Daten bei Erlass des Bescheids noch nicht übermittelt waren und deshalb regelmäßig noch gar nicht hätten berücksichtigt werden können. Dementsprechend ist der Senat in seinem Urteil vom 24.08.2016 - X R 34/14 (BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375 = SIS 16 25 05) in Bezug auf die damalige Regelung in § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG i.d.F. vor Inkrafttreten des BeitrRLUmsG ohne Weiteres davon ausgegangen, dass eine Änderung jedenfalls dann möglich ist, wenn die Daten nach Bekanntgabe des Steuerbescheids übermittelt worden sind (ebenso BFH-Urteil vom 20.02.2024 - IX R 20/23, BFHE 283, 244, BStBl II 2024, 587 = SIS 24 09 55). Im Streit stand in der zuletzt genannten Rechtssache dagegen - umgekehrt - die Frage, ob die Änderungsvorschrift auch anwendbar ist, wenn die Daten tatsächlich schon vor Bekanntgabe des Steuerbescheids elektronisch übermittelt worden waren.

 

 

29

(3) Bestätigt wird dieser Schluss durch den systematischen Zusammenhang von § 175b Abs. 1 AO mit § 93c AO und § 171 Abs. 10a AO.

 

 

30

Sowohl § 175b Abs. 1 AO als auch § 93c AO gehen auf den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 03.02.2016 zurück (BT-Drucks. 18/7457, S. 15 f. und 23 f.). Sie fassen verschiedene Vorschriften zu den Datenübermittlungspflichten Dritter und die damit im Zusammenhang stehenden Änderungsvorschriften zusammen und ersetzen diese (§ 10 Abs. 2a Satz 8 und Abs. 4b Satz 5 EStG sowie § 24 Satz 3 der Altersvorsorge-Durchführungsverordnung; s. BT-Drucks. 18/7457, S. 95 f. und 109). Dabei soll mit § 175b AO der Finanzverwaltung in steuerlichen Massenverfahren eine Änderungsbefugnis eingeräumt werden - zu Gunsten wie zu Ungunsten des Steuerpflichtigen -, auch wenn dem von einem Dritten übermittelten Datensatz nicht die Qualität eines (verbindlichen) Grundlagenbescheids zukommt und die bereits geltenden Änderungsnormen nicht einschlägig sind (BT-Drucks. 18/7457, S. 88 f.).

 

 

31

Gemäß § 171 Abs. 10a AO endet die Festsetzungsfrist, soweit Daten eines Steuerpflichtigen im Sinne des § 93c AO innerhalb von sieben Kalenderjahren nach dem Besteuerungszeitraum oder dem Besteuerungszeitpunkt den Finanzbehörden zugegangen sind, nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Zugang dieser Daten. Für den damit vorgegebenen Zeitraum, der sich immerhin über die beachtliche Spanne von insgesamt neun Jahren nach Abschluss des betroffenen Besteuerungszeitraums erstrecken kann, soll folglich die Möglichkeit einer Änderung nach § 175b AO offen gehalten werden.

 

 

32

Es wäre in Anbetracht dessen widersprüchlich, auf der einen Seite - explizit - eine so weitreichende Änderungsmöglichkeit zu schaffen, mit der den Gegebenheiten eines zunehmend automatisierten Besteuerungsverfahrens unter Beteiligung Dritter Rechnung getragen werden soll, die Anwendung der Änderungsvorschrift aber auf der anderen Seite - implizit - von einer ganz bestimmten zeitlichen Abfolge der Ereignisse abhängig zu machen (Eingang der Datensätze vor Erlass des Bescheids), die aufgrund eben dieser Automatisierung und gerade wegen der Beteiligung Dritter nicht in der Hand der Finanzverwaltung liegt. Überdies wäre bei diesem Verständnis die lange Ablaufhemmung weitgehend funktionslos.

 

 

33

(4) Auch die in § 175b Abs. 4 AO in der Fassung des Streitjahres enthaltene eigene Regelung für nachträglich übermittelte Daten legt nahe, dass diese dem Grunde nach erfasst sein müssen.

 

 

34

dd) Auf der Grundlage dieser Systematik lässt sich schließlich auch der Sinn und Zweck des § 175b Abs. 1 AO beschreiben.

 

 

35

Die Regelung dient der Ermittlung und Festsetzung der zutreffenden Steuer innerhalb der durch § 171 Abs. 10a AO vorgegebenen zeitlichen Grenzen. In diesen Grenzen soll der materiell richtigen Steuerfestsetzung Vorrang vor der Bestandskraft des jeweiligen Steuerbescheids eingeräumt werden. Dieses Vorrangverhältnis hat der erkennende Senat bereits in Bezug auf § 10 Abs. 2a Satz 8 EStG als konsequente Folge der fortschreitenden Automatisierung des Besteuerungsverfahrens bezeichnet (Senatsurteil vom 24.08.2016 - X R 34/14, BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375 = SIS 16 25 05, Rz 26). Für § 175b Abs. 1 AO gilt dies gleichermaßen.

 

 

36

ee) In Anbetracht dessen ist es im Rahmen von § 175b AO unerheblich, ob dem FA der Inhalt der übermittelten Daten bei Erlass des Bescheids bereits bekannt war. Kenntnis oder Nichtkenntnis des FA von dem in Gestalt der Daten mitgeteilten Sachverhalt ist kein Tatbestandsmerkmal der Norm. § 175b AO ist daher selbst dann anwendbar, wenn bei Erlass des Bescheids die Daten elektronisch übermittelt waren, das FA sie jedoch nicht ausgewertet hatte (vgl. Senatsurteil vom 24.08.2016 - X R 34/14, BFHE 255, 112, BStBl II 2017, 375 = SIS 16 25 05; BFH-Urteil vom 20.02.2024 - IX R 20/23, BFHE 283, 244, BStBl II 2024, 587 = SIS 24 09 55). Erst recht steht es der Anwendung von § 175b AO nicht entgegen, wenn nur der Dateninhalt dem FA anderweit bekannt war, ohne dass eine elektronische Übermittlung stattgefunden hätte.

 

 

37

2. Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen war das FA im Streitfall nach § 175b Abs. 1 AO verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 02.04.2019 zu ändern.

 

 

38

Bei der Rentenbezugsmitteilung vom 06.05.2019 handelt es sich gemäß § 22a Abs. 1 Satz 1 EStG um nach Maßgabe des § 93c AO übermittelte Daten, die einen Besteuerungszeitraum nach 2016 betreffen. Diese Daten sind bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt worden. Der Tatbestand des § 175b Abs. 1 AO ist somit erfüllt.

 

 

39

Auf die Gründe der Nichtberücksichtigung, insbesondere auf den Umstand, dass die Kläger in ihrer Einkommensteuererklärung zutreffende Angaben zu den Renteneinkünften des Klägers gemacht haben und das FA diese Angaben bei der Veranlagung im März 2019 nicht berücksichtigt hat, obwohl es sie hätte berücksichtigen können, kommt es - wie dargelegt - nicht an. Die Änderungsbefugnis beziehungsweise -pflicht knüpft allein an die Tatsache der Nichtberücksichtigung beziehungsweise der nicht zutreffenden Berücksichtigung an.

 

 

40

Auch der Umstand, dass das FA erst anderthalb Jahre nach Übermittlung der Rentenbezugsmitteilung den Änderungsbescheid erlassen hat, macht diesen nicht rechtswidrig. § 175b AO enthält keine Frist, binnen derer die Änderung vorzunehmen gewesen wäre. Im Zeitpunkt des Änderungsbescheids war auch die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen, noch nicht einmal die reguläre vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO und erst recht nicht die Sieben-Jahres-Frist des § 171 Abs. 10a AO.

 

 

41

3. Der Senat hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden (§ 121 Satz 1, § 90 Abs. 2 FGO).

 

 

42

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

 

Anmerkung RiBFH Dr. Nöcker

Was § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in der Papierwelt ist, dass soll § 175 b AO im elektronischen Zeitalter der digitalen Steuerfestsetzung sein. Der Anpassungspflicht aufgrund eines Grundlagenbescheides (§ 171 Abs. 10 AO) folgt die Anpassungsverpflichtung nach § 175 b Abs. 1 AO bei eDaten i.S.d. § 93 c AO. So oder so ähnlich könnte man das Urteil des BFH zusammenfassen – und die Anmerkung beenden.

 

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 3.2.2016 hat der Gesetzgeber auf die Herausforderungen in der digitalen Welt reagieren wollen und sowohl § 175 b Abs. 1 AO wie auch § 93 c AO eingeführt. § 175 b AO soll der Finanzverwaltung in steuerlichen Massenverfahren eine Änderungsbefugnis einräumen, obwohl die eDaten, übermittelt von Dritten, keine Grundlagenbescheide darstellen – und folglich § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung kommen kann. Ab dem Veranlagungszeitraum 2017 ersetzt § 175 b AO die bisherige Änderungsmöglichkeit des § 10 Abs. 2 a Satz 8 EStG. Schon für diese Vorschrift hatte der BFH klargestellt, dass es bei der Korrektur eines Steuerbescheides nicht darauf ankomme, zu welchem Zeitpunkt die Datenübermittlung erfolge (vgl. BFH, Urteil v. 24.8.2016 - X R 34/14 = SIS 16 25 05, BStBl 2017 II, 375, Rz 31). Folgerichtig ist nur relevant, ob eDaten nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt worden sind, egal, zu welchem Zeitpunkt die Daten übermittelt werden (vgl. BFH, Urteil v. 20.2.2024 - IX R 20/23 = SIS 24 09 55, BStBl 2024 II, 587, Rz 20 f.).

 

Dem schließt sich der X. Senat des BFH an und macht gerade im Hinblick auf die Systematik von § 175 b Abs. 1 AO, § 93 c AO und § 171 Abs. 10 a AO (Festsetzungsfrist von bis zu neun Jahren nach Abschluss des betroffenen Besteuerungszeitraums) deutlich, dass eine umfassende Änderungsverpflichtung auch bei eDaten gegeben ist. So soll der materiell richtigen Steuerfestsetzung der Vorrang vor der Bestandskraft des jeweiligen Steuerbescheides eingeräumt werden.