Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den
Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 09.09.2024 - 11 V
1325/24 A (GE) = SIS 24 18 01 wird als unbegründet
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der
Antragsgegner zu tragen.
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I. Die Antragstellerin und
Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH, entstand durch
Formwechsel vom …2023 aus einer im Jahr 2015
gegründeten OHG. Gesellschafter der Antragstellerin waren A, B
und C.
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Mit notariell beurkundetem Vertrag vom
…2018 verpflichtete sich eine ebenfalls aus den
Gesellschaftern A, B und C bestehende KG zur Einbringung zweier
Grundstücke in die Antragstellerin, damals in ihrer Rechtsform
einer OHG.
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Der Antragsgegner und Beschwerdeführer
(Finanzamt - FA - ) sah den Rechtsvorgang vom …2018 als nach
§ 6 Abs. 3 Satz 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der im
Streitjahr geltenden Fassung (GrEStG a.F.) von der Steuer befreit
an und erließ am 15.02.2018 einen entsprechenden
Grunderwerbsteuerbescheid, in dem er die Grunderwerbsteuer auf 0
EUR festsetzte. In den Erläuterungen des Bescheids wurde
darauf hingewiesen, dass die gewährte Steuerbefreiung mit
Wirkung für die Vergangenheit entfalle, wenn sich der Anteil
des Gesamthänders am Vermögen der erwerbenden
Gesellschaft innerhalb von fünf Jahren nach dem Übergang
des Grundstücks auf die andere Gesamthand vermindere (§ 6
Abs. 3 Satz 2 GrEStG a.F.).
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Mit Schreiben vom 10.09.2021 wies das FA
die Antragstellerin darauf hin, dass der Gesetzgeber durch das
Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes vom
12.05.2021 die fünfjährige Nachbehaltensfrist des §
6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a.F. mit Wirkung ab dem 01.07.2021 auf zehn
Jahre verlängert habe (§ 6 Abs. 3 Satz 2 des
Grunderwerbsteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des
Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2021, BGBl I 2021, 986, BStBl I
2021, 838 = SIS 21 08 50 - GrEStG - ). Diese Verlängerung
gelte für alle Sachverhalte, für die die bisherige
fünfjährige Frist - wie bei der Antragstellerin - vor dem
Stichtag 01.07.2021 noch nicht abgelaufen sei (§ 23 Abs. 18
und 24 GrEStG).
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Den Formwechsel vom …2023 sah das FA
als rückwirkendes Ereignis an und setzte mit
Änderungsbescheid vom 22.11.2023 die Grunderwerbsteuer auf
… EUR fest.
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Über den mit Schreiben vom 14.12.2023
eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden.
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Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung
lehnte das FA mit Schreiben vom 21.12.2023 ab.
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Am 09.01.2024 zahlte die Antragstellerin
die festgesetzte Grunderwerbsteuer.
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Dem am 01.07.2024 beim Finanzgericht (FG)
gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung (AdV) gab das FG
mit Beschluss vom 09.09.2024 - 11 V 1325/24 A (GE) statt. Zur
Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass bei
summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheids bestehen würden, da die zehnjährige
Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG nach den
einfachgesetzlichen Anwendungsvorschriften des § 23 Abs. 18
und 24 GrEStG auf den Erwerbsvorgang vom …2018 keine
Anwendung finde.
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Gegen die vom FG gewährte AdV wendet
sich das FA mit seiner Beschwerde, die vom FG zugelassen wurde. Die
Finanzverwaltung wolle ebenfalls abgelaufene Fristen nicht wieder
aufleben lassen. Seien Fristen am Stichtag 30.06. beziehungsweise
01.07.2021 aber noch nicht abgelaufen gewesen, so bestehe für
entsprechende Vorgänge auch kein Vertrauensschutz. Das Ziel
des Gesetzgebers sei es gewesen, dass noch laufende Fristen von der
gesetzlichen Verlängerung auf zehn Jahre betroffen
seien.
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Das FA beantragt
sinngemäß,
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den Beschluss des FG vom 09.09.2024 - 11 V
1325/24 A (GE) aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf
Aufhebung der Vollziehung abzulehnen.
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Die Antragstellerin beantragt
sinngemäß,
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die Beschwerde des FA als unbegründet
zurückzuweisen.
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II. Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist
unbegründet. Zu Recht hat das FG die Vollziehung des
angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids vom 22.11.2023 aufgehoben.
Bei summarischer Prüfung bestehen ernsthafte Zweifel an seiner
Rechtmäßigkeit.
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1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache
die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2
Satz 2 FGO). Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die
Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung
(§ 69 Abs. 2 Satz 7, Abs. 3 Satz 3 FGO; Beschluss des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.02.2024 - VII B 40/23 (AdV), BFH/NV
2024, 527 = SIS 24 04 52, Rz 16).
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Ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts sind
zu bejahen, wenn bei einer summarischen Überprüfung des
Bescheids neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden
Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit
sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder
Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheiten
in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung
hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV gebotenen
summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus
dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur
Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für
die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer
Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige
Rechtsprechung seit dem BFH-Beschluss vom 10.02.1967 - III B 9/66,
BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182 = SIS 67 01 06, unter II.3.; z.B.
BFH-Beschluss vom 27.05.2024 - II B 78/23 (AdV), BStBl II 2024, 543
= SIS 24 09 52, Rz 25).
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2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war
die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 22.11.2023
aufzuheben. Der Senat teilt bei der gebotenen summarischen
Prüfung die ernstlichen Zweifel des FG an der
Rechtmäßigkeit des Bescheids. Aus den
Übergangsregelungen der Absätze 18 und 24 des § 23
GrEStG ist nicht eindeutig zu entnehmen, dass die durch Art. 1 Nr.
3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des
Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2021 (BGBl I 2021, 986, BStBl I
2021, 838 = SIS 21 08 50) auf zehn Jahre verlängerte
Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG auf den
streitigen Rechtsvorgang vom …2018 anzuwenden ist.
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a) § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a.F. wurde durch Art.
1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des
Grunderwerbsteuergesetzes vom 12.05.2021 (BGBl I 2021, 986,
BStBl I 2021, 838 = SIS 21 08 50) dahingehend geändert, dass
in der ab dem 01.07.2021 (Art. 2 dieses Gesetzes) geltenden Fassung
die fünfjährige Nachbehaltensfrist bei dem Übergang
eines Grundstücks von einer auf eine andere Gesamthand auf
zehn Jahre verlängert wurde. Danach ist gemäß
§ 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in der ab dem 01.07.2021 geltenden
Fassung § 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG insoweit nicht entsprechend
anzuwenden, als sich der Anteil des Gesamthänders am
Vermögen der erwerbenden Gesamthand innerhalb von zehn Jahren
nach dem Übergang des Grundstücks von der einen auf die
andere Gesamthand vermindert, mit der Folge, dass die
Voraussetzungen für die Nichterhebung der Steuer
rückwirkend im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m.
Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 der Abgabenordnung entfallen
(BFH-Urteil vom 12.01.2022 - II R 4/20, BFHE 275, 380, BStBl II
2022, 521 = SIS 22 09 61, Rz 16).
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b) Der zeitliche Anwendungsbereich der
Verlängerung der Nachbehaltensfrist auf zehn Jahre bestimmt
sich nach § 23 Abs. 18 und 24 GrEStG. Aufgrund der
Widersprüchlichkeit dieser Regelungen (gl.A. Behrens in
Behrens/Wachter, Grunderwerbsteuergesetz, 2. Aufl., § 23 Rz
79; Pahlke/Pahlke, Grunderwerbsteuergesetz, 7. Aufl., § 23 Rz
75; Loose in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Aufl., § 23
Rz 118; Behrens/Seemaier, UVR 2021, 348) bestehen ernstliche
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung.
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aa) § 23 Abs. 18 GrEStG sieht als
Übergangsregelung vor, dass § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in
der am 01.07.2021 geltenden Fassung - das heißt mit einer
Nachbehaltensfrist von zehn Jahren - erstmals auf
Erwerbsvorgänge anzuwenden ist, die nach dem 30.06.2021
verwirklicht werden. Danach findet die Verlängerung der
Nachbehaltensfrist auf zehn Jahre im vorliegenden Fall keine
Anwendung.
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(1) Als Erwerbsvorgang im Sinne des § 23
Abs. 18 GrEStG ist der grundsätzlich begünstigte
Rechtsvorgang anzusehen und nicht das Ereignis, das die Minderung
des Anteils des Gesamthänders an der erwerbenden Gesamthand
zur Folge hat (gl.A. Loose in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21.
Aufl., § 23 Rz 118; vgl. auch BFH-Urteil vom 25.09.2013 - II R
17/12, BFHE 243, 404, BStBl II 2014, 268 = SIS 13 34 16, Rz 31, zu
§ 23 Abs. 8 Satz 1 GrEStG). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut
der Norm, der mit dem Begriff
„Erwerbsvorgänge“ auf § 1
GrEStG und dessen amtliche Überschrift
„Erwerbsvorgänge“ Bezug nimmt.
Für diese Auslegung sprechen auch die Gesetzesmaterialien.
Diese führen im Hinblick auf den als § 23 Abs. 18 GrEStG
erlassenen Entwurf eines Absatzes 17 aus, dass die
verlängerten Fristen „erstmalig für
Erwerbsvorgänge im Sinne des § 1 GrEStG anzuwenden
[sind], die nach Ablauf des 31.12.2019 verwirklicht
werden“ (BT-Drucks. 19/13437, S. 15). §
23 Abs. 18 GrEStG verweist zudem auf § 6 Abs. 3 Satz 2 (i.V.m.
§ 6 Abs. 3 Satz 1) GrEStG. Letztere Vorschrift ist anwendbar
auf den Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand
auf eine andere Gesamthand und somit auf einen Erwerbsvorgang im
Sinne des § 1 Abs. 1 GrEStG.
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(2) Erwerbsvorgang im Sinne des § 23 Abs.
18 GrEStG war im vorliegenden Fall somit der Rechtsvorgang vom
…2018, die Einbringung zweier Grundstücke in die
Antragstellerin in ihrer damaligen Rechtsform als OHG. Danach kann
die Verlängerung der Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3
Satz 2 GrEStG auf zehn Jahre nach § 23 Abs. 18 GrEStG keine
Anwendung finden, da der Erwerbsvorgang vor dem 01.07.2021
stattfand.
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(3) Bei Geltung der fünfjährigen
Nachbehaltensfrist war die Steuerbegünstigung des § 6
Abs. 3 Satz 1 GrEStG nicht wegen des Formwechsels vom …2023
rückgängig zu machen. Die fünfjährige
Nachbehaltensfrist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG
a.F., die mit dem Einbringungsvorgang am …2018 zu laufen
begann, war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.
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bb) Nach der Übergangsregelung des §
23 Abs. 24 GrEStG ist § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG in der am
01.07.2021 geltenden Fassung nicht anzuwenden, wenn die in § 6
Abs. 3 Satz 2 in der am 30.06.2021 geltenden Fassung (a.F.)
geregelte Frist vor dem 01.07.2021 abgelaufen war. Nach dieser
Regelung könnte die Verlängerung der Nachbehaltensfrist
auf zehn Jahre im vorliegenden Fall in Betracht kommen.
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(1) Die Finanzverwaltung schließt aus
§ 23 Abs. 24 GrEStG, dass die zehnjährige
Nachbehaltensfrist in § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG auch dann gilt,
wenn der Erwerbsvorgang vor dem 01.07.2021 verwirklicht worden ist
und bei Inkrafttreten der Änderungsvorschrift die
fünfjährige Nachbehaltensfrist des § 6 Abs. 3 Satz 2
GrEStG a.F. noch nicht abgelaufen war (Gleich lautende Erlasse der
obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung der
§§ 5 und 6 des Grunderwerbsteuergesetzes vom 05.03.2024,
BStBl I 2024, 410 = SIS 24 05 75, Rz 124).
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(2) Dies war vorliegend der Fall, da die
fünfjährige Frist des § 6 Abs. 3 Satz 2 GrEStG a.F.
mit dem Rechtsvorgang vom …2018 zu laufen begann und am
01.07.2021 noch nicht abgelaufen war. Findet danach die
zehnjährige Nachbehaltensfrist Anwendung, war die Frist beim
Formwechsel der Klägerin am …2023 noch nicht
abgelaufen. Dies hätte zur Folge, dass die Steuerbefreiung des
§ 6 Abs. 1 Satz 1 GrEStG rückwirkend entfiele.
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cc) Die Übergangsregelung des § 23
Abs. 24 GrEStG steht offensichtlich im Widerspruch zur
Anwendungsregelung des § 23 Abs. 18 GrEStG, die die
Verlängerung der Nachbehaltensfrist von fünf auf zehn
Jahre bei Erwerbsvorgängen, die - wie vorliegend - vor dem
01.07.2021 stattgefunden haben, ausschließt. Wie sich §
23 Abs. 24 GrEStG zu § 23 Abs. 18 GrEStG verhält, ist dem
Gesetz nicht zu entnehmen. Aus diesem Grund bestehen ernstliche
Zweifel, ob die Verlängerung der Nachbehaltensfrist auf zehn
Jahre auf den am …2018 verwirklichten Einbringungsvorgang
anwendbar ist und der Grunderwerbsteuerbescheid vom 22.11.2023
rechtmäßig ist. Dies hat zur Folge, dass der Vollzug der
Grunderwerbsteuerfestsetzung aufzuheben war.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
135 Abs. 2 FGO.
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